✧Kapitel 4✧
An der Stelle erspare ich euch die Debatte mit Alternativen, die ich mit mir führte und die mir allesamt darlegten, warum es eine schlechte Idee war, sich auf die Hand eines Menschen zu setzen. Wenn ich dieses blaue Leuchten loswerden wollte, musste ich mit Kira zusammenarbeiten.
Als ich auf ihrer Hand saß, hob sie mich auf Höhe ihres Gesichts an und das erste Mal sah ich einem Menschen in die Augen. Sie waren nicht einfarbig wie meine Kameralinsen, sondern weiß, mit einem bunten Kreis in der Mitte, der wiederum einen kleinen schwarzen Kreis umschloss. Kiras bunter Kreis hatte die gleiche Farbe wie mein Glühen – wenn ich noch einen Beweis dafür brauchte, dass sie Schuld an meinen misslichen Umständen hatte, das hier war er.
Ich starrte also böse in Kiras buntes Auge, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob sie wirklich verstand, dass sie böse angesehen wurde. Wir musterten uns einfach nur.
„Dich stören die Wackelaugen, oder?", fragte Kira schließlich und ich trippelte nur ein wenig unruhig auf der Stelle. Ja, die Wackelaugen hatten vermutlich das blaue Leuchten ausgelöst, aber die Wackelaugen waren doch auch irgendwie ich und ich wollte sie so schnell einfach nicht wieder loslassen. Es war höchst ungerecht.
Natürlich interpretierte Kira das Trippeln völlig falsch und seufzte nur. „Ich finde ja, dass du damit wirklich sehr niedlich aussiehst", bescheinigte sie mir.
Dann allerdings streckte sie die Finger aus und zog die Wackelaugen vorsichtig von meinem Rücken. Ich spürte ihre Abwesenheit sofort – so wie ich es auch gespürt hätte, wenn mir ein Beinchen fehlen würde. Da war ein Nichts, von dem ich eigentlich glaubte, dass ich es greifen können müsste, das sich aber immer ganz knapp außerhalb meiner Reichweite aufhielt.
Aber immerhin würde jetzt das blaue Leuchten aufhören. Das würde mich für dieses Fehlen entschädigen.
Es würde aufhören, oder?
Ich verharrte regungslos auf Kiras Handfläche und wartete darauf, dass das Leuchten nachließ oder in eine andere Farbe überging. Es passierte nichts.
Das blaue Leuchten flackerte nicht einmal.
„Blobb?", fragte Kira vorsichtig. „Geht es dir gut?"
Es gab keinen Weg, wie ich auf diese Frage hätte antworten können, also drehte ich mich nur einmal um meine eigene Achse.
„Die Wackelaugen waren gar nicht das Problem, oder?", fragte sie sanft. „Möchtest du sie wiederhaben?"
Ich war so beschäftigt mit meinem blauen Leuchten, dass es eine Weile dauerte, bis die Frage mich erreichte. Als ich sie verstanden hatte, tippte ich allerdings nachdrücklich auf Kiras Hand.
„Okay." Die Hautteile vor ihrem Mund zogen sich wieder in die Breite und ich sagte mir mehrfach, dass es bei Menschen als freundliche Geste galt – dann klebte sie die Wackelaugen zurück auf meinen Körper.
Das Gefühl des Fehlens verschwand und für einen Augenblick ging es mir besser, jedenfalls, bis der Anblick der Wackelaugen mich daran erinnerte, dass ich immer noch blau leuchtete.
Ich erstarrte wieder. Was sollte ich nur tun? Ich war nutzlos. Ich hatte keine Aufgabe auf diesem ganzen Schiff.
Wieder tauchte diese Falte auf Kiras Stirn auf. Die Kopf-Fortsätze – nein, Haare – hatte sie immer noch zusammengebunden.
„Du hast immer noch ein Problem, oder?"
Da hatte ich eine Idee, wie ich ihr das begreiflich machen könnte. Ich krabbelte im Höchsttempo ihren Arm hinauf, bis hin zu ihrem Gesicht. Wenn ich sie auf die blaue Farbe aufmerksam machen konnte, würde sie sicherlich verstehen, dass es hier ein ganz schön großes Problem gab.
Also fuhr ich eines meiner Beinchen aus, hangelte mich empor bis zu Kiras Gesicht und berührte dann vorsichtig mit meinem Lemming-Bein das Blau ihres Augenkreises.
An dieser Stelle erlangte ich zweierlei Erkenntnisse. Erste Erkenntnis: Menschen sind zwar groß, aber sie können auch sehr schnell sein, sogar schneller als meine Reaktionen. Zweite Erkenntnis: Menschen mögen es überhaupt nicht, wenn man ihnen mit einem Metallstück in die Augen fasst.
Kira hob so schnell ihre Hand, dass es mir nicht mehr möglich war, auszuweichen. Sie erwischte mich hart und schleuderte mich gegen die nächste Wand, an der ich dann zu Boden fiel.
Bei beiden Aufprallen hatte ich das Gefühl, gleich in meine Einzelteile zerlegt zu werden. Aber dieses Mal hatte ich Glück. Vielleicht war es, weil ich dafür ausgelegt bin, selbst größere Turbulenzen der Perseus zu überstehen.
„Was soll das?!", fauchte Kira mich an. „Das tut weh!"
Es dauerte einen Augenblick, bis ich die Aussage in meinen Wortspeicher eingeordnet hatte. Aber dann kam ich zu dem Schluss, dass wehtun für Menschen dasselbe Gefühl sein musste wie für mich die Befürchtung, dass ein Teil von mir abgerissen werden könnte.
Ich hatte Kira befürchten lassen, dass ich ihr Auge abreißen würde.
Oh nein.
Beschämt machte ich mich so klein wie möglich, meine Beinchen zitterten. Hoffentlich zerquetschte sie mich jetzt nicht. Der Schlag, den ich erwartet hatte, kam allerdings nicht. Vorsichtig blickte ich schließlich wieder auf.
Kira hielt mir wieder ihre Hand hin.
„Wir alle machen mal einen Fehler." Ich glaubte, ihre Stimme war freundlich. „Na komm. Ich bringe dich in die Werkstatt. Da kann bestimmt jemand herausfinden, was dein Problem ist."
Was mein Problem war, war mir mehr als bewusst, aber trotzdem klang ihr Vorschlag nicht schlecht. Von der Werkstatt hatte ich schon gehört. Von dort stammten einige der Dinge, die ich reinigen musste, wenn ich weiß glühte.
Vielleicht würde ich in Anwesenheit der Geräte dort darauf reagieren und wieder eine Farbe annehmen, die mir angemessen war und die mir wieder eine Aufgabe geben würde.
All diese Überlegungen schossen durch meine kleine Denkzentrale, während Kira mir noch immer die Hand hinhielt. Sie machte tatsächlich keine Anstalten, mich zu zerquetschen.
Also wagte ich es schließlich nach und nach, meine Beinchen wieder zu entfalten. Noch langsamer allerdings krabbelte ich auf Kiras Handfläche und ließ mich von ihr nach oben heben.
Sie platzierte mich auf dem Übergang zwischen ihrem Kopf und ihrem linken Arm. Es war ein seltsamer Anblick. Noch nie hatte ich Kiras Raum von so weit oben gesehen. Alles wirkte anders und für einen Moment fürchtete ich, ich könnte die Orientierung verlieren.
„Und, alles klar soweit?", fragte Kira mich.
Natürlich war alles klar, schließlich gab es in diesem ganzen Raum nichts außer einer Lichtquelle, einem Schreibtisch und Kiras Ladestation – folglich also auch nichts, das mir die Sicht hätte vernebeln können. Dennoch schien Kira auf eine Art Bestätigung von ihr zu warten, also drückte ich mit meinen Beinchen leicht gegen ihre Haut.
Das genügte, denn sie setzte sich langsam in Bewegung. Als sie spürte, dass ich nicht sofort herunterzufallen drohte, beschleunigte sie ihre Schritte und verließ ihr Zimmer. Sofort befanden wir uns in einem Bereich der Perseus, den ich noch nie gesehen hatte.
Ein langer Gang verlief vor uns in einer sanften Biegung nach oben, gesäumt von unzähligen Knöpfen und Armaturen und Drähten und Kabeln, die ich niemals hätte auseinanderhalten können. Aber ich wusste genau, welche Stellen die Menschen im Auge behalten sollten, damit sich dort kein Rost absetzte.
Ich fragte mich, ob es auch hier Lemminge gab.
„Es ist nicht weit bis zur Werkstatt", sagte Kira und es dauerte kurz, bis mir klar wurde, dass sie mit mir sprach.
Denn noch etwas gab es hier, das ich noch nie gesehen hatte: viele Menschen. Viele viele Menschen auf einem Haufen, die an Kira vorbeigingen und sich an ihr vorbeischlängelten. Es erinnerte mich an mein Leben bei den Lemmingen. Wir alle hatten unsere Aufgaben, wir alle nahmen den kürzestmöglichen Weg, um sie erfüllen zu können. Eigentlich waren die Menschen nur etwas größer geratene Lemminge.
Ich war allerdings kaum zu dem Schluss gekommen, als ich bemerkte, dass ich einen Fehler gemacht hatte: Nicht alle Menschen bewegten sich auf die Lemming-Art. Einige sahen zu Kira hinüber, als sie an ihnen vorbeiging. Wenn sie das taten, zogen sich die fleischigen Fortsätze vor ihren Mündern in die Breite – es war wirklich eine freundliche Geste – und manche sagten sogar etwas zu ihr.
Das war mir bei den Lemmingen noch nie passiert. Natürlich konnten wir nicht sprechen, aber uns wahrnehmen konnten wir schon. Warum machten die Menschen das so anders, als ich es gewohnt war?
Mit dem Gedanken war ich noch beschäftigt, als Kira zuerst eine Leiter hinunterkletterte und direkt danach scharf rechts abbog.
Wir standen in einem Raum, der sogar noch voller mit Knöpfen und Armaturen und Drähten und Kabeln war als der Gang. Davon abgesehen war er aber strahlend weiß ausgestattet, wenn man von den Dingen absah, die sich ohne erkennbare Ordnung auf den verschiedenen Tischen stapelten und die ich nicht benennen konnte. Für mich sah alles aus wie Metallteile.
„Hallo?", rief Kira in den Raum hinein, obwohl offenkundig niemand da war. „Fred?"
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