
Kapitel 29
Wenn eine Droge dich dermaßen beeinflusst, dass du, abgesehen von den körperlichen Auswirkungen, nicht mehr den Willen hast, ohne diese Droge zu leben, weil sie dein Leben scheinbar besser macht, solltest du dann nicht so schnell wie möglich versuchen von dieser Droge loszukommen, weil sie dich sonst körperlich sowie seelisch zerstören wird? Werde ich jemals glücklich werden, wenn ich irgendwann nicht mehr den Zugang zu dieser Droge habe? Werde ich jemals dieses Lachen vergessen, was mir, seit ich es das erste Mal gehört habe mein Herz erwärmt?
„Hast du sein Gesicht gesehen?", fragt Harry mich außer Atem, als wir uns wieder etwas beruhigt haben. „Mensch, Luna, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet! Das Klatschen muss man im ganzen Club gehört haben, so kräftig hast du zugeschlagen!"
„Echt?", frage ich ihn und spüre, wie sich Schuldgefühle in mir breitmachen. „Meinst du, das war zu fest?" Besorgt schaue ich ihn an, während sein Lachen ihm immer noch nicht vergangen ist.
„Oh nein, der Bastard hat es verdient. Ich meine, was glaubt er denn, was du bist? Irgendeine billige Tusse, die auf sein lächerliches Getue reinfällt?"
Seine Worte lassen mich nachdenken. War ich vorhin noch verwirrt über sein Gehabe, dass er mir vorschreiben möchte was ich tun oder lassen soll, kommt mir nun ein anderer Gedanke in den Sinn. So wie seine Worte klangen, scheint der einzige Grund, warum er wollte, dass ich gehe, gewesen zu sein, dass er nicht wollte, dass ich auf so jemanden reinfalle.
Er hatte mich schon öfter vor Brian gewarnt, doch ich habe seine Warnungen ignoriert, aber er scheint tatsächlich eine gute Menschenkenntnis zu haben. Oh Gott, Luna, das wusstest du doch schon früher, du wolltest nur nicht auf ihn hören, um ihm zu beweisen, dass er auch nicht immer Recht hat! Aber das hat er nun mal, damit habe ich mich doch schon vor Jahren abgefunden.
So wie es scheint, bin ich ihm doch nicht egal. Ich versuche an diesem Gedanken festzuhalten und jeden Moment zu vergessen, in dem er mich ignoriert oder beleidigt hat. Vielleicht bin ich für ihn nicht nur eine nervige Freundin von früher, die ihn nicht in Ruhe lassen kann, vielleicht bin ich doch ... mehr. Meine eigenen Gedanken lassen mich wieder schmunzeln und ich spüre ein Kribbeln am ganzen Körper.
„Ist dir kalt? Ich hole deine Jacke und dann lass uns von hier verschwinden!"
Ohne eine Antwort abzuwarten geht Harry zurück zum Eingang. Ich fühle mich plötzlich unglaublich schlecht, weil ich in letzter Zeit so gereizt auf ihn reagiert habe, obwohl er mir nur helfen wollte. Ich konnte nun mal nicht anders, wenn er mich schon so zur Weißglut treibt mit seiner Art. Ich bin so verwirrt von meinen eigenen merkwürdigen Gefühlen für ihn, dass ich sogar fast mit so einem wie Brian rumgemacht hätte, nur um mich von Harry abzulenken oder mir einzureden, dass ich doch nichts für ihn empfinde. Aber ich kann mich nun mal nicht selbst belügen.
~~~~~
Wir laufen schon eine Weile durch die Stadt. Ich wollte noch nicht nach Hause gehen, weil mich dieser Abend so aufgewühlt hat, und außerdem genieße ich Harrys bloße Anwesenheit so sehr, dass ich noch nicht bereit bin, mich jetzt schon von ihm zu verabschieden. Und er schien keine Einwände gegen diesen Vorschlag noch etwas durch die Nacht zu schlendern zu haben.
Um ehrlich zu sein, habe ich mich selber überrascht, dass ausgerechnet ich länger als nötig in der Dunkelheit verbringe, aber mit Harry an meiner Seite war das noch nie ein großes Problem gewesen. Auch wenn er mittlerweile selber so etwas wie ein Teil der Finsternis zu sein scheint, fühle ich mich in seiner Nähe sicher. Es gab zwar schon Momente, in denen ich mich vor ihm gefürchtet habe, aber jetzt in diesem Augenblick verdränge ich diese Gedanken, denn jetzt in diesem Augenblick möchte ich nirgendwo anders sein. Und nur das Hier und Jetzt zählt.
„Ist alles in Ordnung bei dir?" Es bringt mich immer wieder zum Schmunzeln, wenn ich sehe, wie Harry in alte Verhaltensmuster fällt und zulässt, dass seine harte Schale Risse bekommt, sodass man Teile seines früheren Ichs zu sehen bekommt.
„Alles bestens!" Ich sehe in seinen grünen Augen, dass ihn mein breites Grinsen sichtlich verwirrt.
„Ach ja?" Seine Stirn ist in Falten gelegt und er sieht mich neugierig an, während er mit den Händen in seiner schwarzen Jeans weiter neben mir herläuft.
„Ja, wirklich, Harry!", versichere ich ihm. Mein ehrliches Lachen scheint ihn zu überzeugen, denn er hakt auch nicht weiter nach. Keiner von uns will auch nur ein Wort mehr als nötig über diesen Idioten verlieren.
Wir biegen in einen Park ein, und ich könnte mein folgendes Benehmen auch auf den Alkohol schieben, aber bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht auch ohne ihn zurück in dieses kindliche Verhalten fallen würde. Auf wackeligen Beinen steige ich auf den schwarzen kniehohen Eisenzaun, der die seitlichen Grünflächen des Parks einrahmt und anscheinend verhindern soll, dass die Fußgänger den vorgegebenen Weg verlassen und auf der Wiese rumtrampeln. Aber mal ehrlich, wer würde sich denn, wenn er wirklich auf diese Wiese gehen wollen würde, aus welchem Grund auch immer, von einer mickrigen Absperrung aufhalten lassen, bei der man keinerlei athletischen Fähigkeiten benötigt, um sie zu überwinden?
„Hältst du das wirklich für eine gute Idee?", erkundigt sich Harry lachend bei mir.
„Oh ja, das tue ich!", gebe ich selbstbewusst zurück, obwohl mir im gleichen Moment bewusst wird, dass ich tatsächlich mehr Schwierigkeiten habe, mein Gleichgewicht zu halten, als sonst. Alkohol ist also nicht nur ein soziales Schmiermittel, es macht einen auch waghalsiger.
„Frag mich was, Harry!" Ich merke, wie er mit einem Seitenblick zu mir hochsieht, doch bin ich zu konzentriert darauf, meinen Fuß an die richtige Stelle zu setzen, um nicht herunter zu fallen.
„Was?", hakt er verwirrt nach.
„Na ja, ich habe dir schon tausend Fragen über deine Vergangenheit gestellt. Zwar hast du sie nicht beantwortet, aber ich war zu jedem Zeitpunkt neugierig. Seit wir uns getroffen haben. Ich kann nicht glauben, dass du dich nicht dafür interessierst, was ich in den letzten fünf Jahren so gemacht habe!"
Oh, und Alkohol lässt auch die Hemmschwelle sinken... Ich hätte nicht gedacht, mal so offen mit meinen Gefühlen umzugehen und dann solche schwachsinnigen Gedanken dann auch noch mit Harry zu teilen. Ich würde mich wahrscheinlich nicht wundern, wenn er mich jetzt auslachen und hier stehen lassen würde. Doch zu meiner großen Verwunderung, scheint er tatsächlich zu überlegen.
„Hmm... Also schön! Weißt du was ich schon immer wissen wollte?"
„Nein!" Neugierig werfe ich ihm einen Seitenblick zu.
„Ob Shannon Dawson seinen Schulabschluss geschafft hat." Ich muss leicht in mich hineinlachen und kann nur über das gespielte Interesse von Harry den Kopf schütteln.
„Du hast die Möglichkeit mich alles zu fragen und das ist es was dich interessiert?"
„Ich habe die letzten fünf Jahre an fast nichts Anderes gedacht!", behauptet er überzeugt.
„Ich meine, es würde schon an ein Wunder grenzen, wenn er den ganzen Unterricht in seinem Schlaf hätte folgen können!"
„Durch das viele Nachsitzen konnte er den Stoff bestimmt gut nachholen!"
„Oh, nicht zu vergessen die Nachhilfe bei den genauso kognitiv suboptimierten Cheerleadern!", feixt er.
„Und wenn das nichts gebracht hat, dann ist er bestimmt nur so häufig beim Direktor gewesen, weil er sich die Prüfungsfragen heimlich kopiert hat!"
„Was? Willst du mir sagen, er hat es tatsächlich gepackt!"
„Er war sogar meine Abschlussballbegleitung!"
„Wie bitte?" Harry sieht mich entsetzt an.
„Glaubst du ich würde Shannon Dawson, dem American Football Spieler Nummer eins und Mädchenschwarm der ganzen Schule, einen Korb geben, wenn er mich zum Ball begleiten möchte?", schwärme ich ihm in einem verliebten Ton vor.
„Oh Gott, das hast du nicht getan!"
„Es war so wundervoll, er ist einfach ein Traum. Das war der beste Abend in meinem Leben!"
„Ich hätte niemals gehen dürfen!" Hätte er nicht schon einmal auf meine Anschuldigung so unschön reagiert, er wäre einfach abgehauen, hätte ich ihn jetzt erneut gefragt, warum er denn gegangen ist.
„Harry, krieg dich wieder ein!", sage ich also stattdessen lachend. „Auf dieses Niveau hätte selbst ich mich nicht herabgelassen!"
„Erschreck mich doch nicht so, ich habe dir tatsächlich kurz geglaubt!", wirft er mir erleichtert und beleidigt zugleich vor.
„So, jetzt darf ich dir eine Frage stellen!", sage ich, als wäre es eine Feststellung; als hätten wir einen Deal gemacht.
„Oh nein!", kommt es jedoch leider direkt von Harry zurück. „Davon war niemals die Rede!" Überraschender Weise reagiert Harry kein bisschen gereizt oder wütend.
„Ach komm schon, nur eine!", flehe ich und spüre gleichzeitig wie ich langsam mein Gleichgewicht verliere.
„Das wolltest du also eigentlich erreichen! Ganz schön clever, aber tut mir leid darauf falle ich nicht rein!"
„Jetzt sei nicht so verklemmt!", versuche ich sein Ego zu treffen und merke gleichzeitig, dass ich mich nicht mehr lange hier oben werde halten können.
„Verklemmt? Ich bin nicht verklemmt!", gibt er beleidigt von sich. Es scheint zu funktionieren.
„Doch bist du!"
Der Seitenblick zu ihm, weil ich sehen wollte, wie er mich fassungslos anstarrt sorgt letztendlich dafür, dass ich mich nicht mehr halten kann und ich stolpere äußerst unelegant von dem kleinen Zaun zurück auf den Weg. Doch auch hier schaffe ich es nicht mein Gleichgewicht zurückzuerlangen, sodass ich es schon kommen sehe, wie ich gleich bäuchlings auf dem dreckigen, harten Boden liege und mich komplett vor Harry blamiere.
Dass ich allerdings rechtzeitig noch von zwei starken Händen an meiner Taille festgehalten werde, hätte ich nicht zu hoffen gewagt. Harry zieht mich zu sich, sodass ich mich wieder auf meinen Beinen stabilisieren kann, während ich mich gleichzeitig mit meiner Hand auf seiner Brust abstütze. Wow, das hätte echt schiefgehen können!
Wir stehen so eng beieinander, dass ich Harrys Körperwärme spüren kann, während ich unter meiner Hand seinen Herzschlag fühle. Diese plötzliche Nähe zu ihm scheint meine Gedanken zu vernebeln, sodass ich vergesse, worüber wir gerade geredet haben. Meine Knie werden weich und ich bin froh darüber, dass seine Arme mich immer noch stützen, weil ich sonst nicht garantieren könnte, dass ich nicht hier und jetzt vor ihm auf die Knie sinken würde. Wie als würde ich überprüfen wollen, dass ich wirklich mit Harry hier stehe und dass er der Grund für die komischen Reaktionen meines Körpers ist, schaue ich ihm erst jetzt in seine glänzenden Augen, die mir direkt in meine sehen.
„Du hast eine Frage!", flüstert er mir zu und bringt mich damit zurück in die Realität. „Aber ich werde dir nicht garantieren, dass ich sie dir beantworten kann!"
Ich denke nach, mit welcher meiner tausend Fragen ich nicht zu weit gehen würde, und welche diesen Moment mit ihm nicht ruinieren würde. Klar, würde ich gerne wissen, warum er damals verschwunden ist, was ihn so verändert hat und warum er mir das alles verschweigen möchte, aber ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass er mir darauf keine Antwort geben wird. Also entscheide ich mich für eine Frage, bei der ich zumindest noch hoffen kann, dass Harry sie mir beantworten kann.
„Du hast mal gesagt, dass es womöglich nicht in unserer Hand lag, unser Versprechen halten zu können... Ich weiß zwar nicht wovon du genau geredet hast, aber wenn es anders gelaufen wäre, glaubst du... denkst du, wir hätten es vielleicht schaffen können?"
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