Ausbruch
Der Schmerz wurde beinahe unerträglich. Ein tiefes Grollen stieg Leia's Kehle empor und verließ als knurrender, spitzer, mehrstimmiger Schrei ihren Mund. Sie kämpfte gegen ihr Inneres an. Krümmte sich und schüttelte Hände von ihrem brennenden Körper. Leia's Augen waren geschlossen. Hör auf damit! Schrie sie in ihr innerstes hinein. Nein! Lass endlich los! Antwortete ihre Dämonin. Du weißt, dass ich stärker bin! Du weißt, dass ich uns Macht verleihe! Dröhnten die Stimmen in ihrem Kopf, der vor Hitze und Schmerz zu explodieren drohte.
Julie wich mehrere Schritte zurück. Sie sah fassungslos zu ihrer Freundin. Was geschah bloß mit ihr? Leia's Lider flatterten wild. Ihr Brustkorb hob und senkte sich angestrengt. Sämtliche Muskeln waren angespannt. Es sah aus, als würde sich etwas in ihr drin bewegen. Als würde jeden Moment ihr Körper dem Druck im Inneren nachgeben und aufreißen. Selbst Lil wich nun achtsam einen Schritt zurück, blickte von Julie zu Leia, zu Ash und dann wieder zu Leia. Lief so eine Verwandlung ab, wenn der Dämon im Mensch endgültig erwacht war?
Ash war blass geworden. Zum ersten Mal in seiner Geschichte schien er in Schockstarre geraten zu sein. Angst und Faszination teilten sich seinen Körper. Erst als Leia ein weiteres tiefes Grollen von sich gab und sich ihre Muskeln deutlich hervor hoben, geriet er in Bewegung. Erneut strich er sanft über Leia's arm. Er sah das grüne Blut, welches durch ihre dicken hervortretenden Adern pumpte. Grünes Blut, welches nur den höchsten vorbestimmt war.
„Leia. Es ist okay. Lass einfach los, lass es geschehen. Verbinde dich mit deiner Dämonin. Erst dann werden die Schmerzen nachlassen", flüsterte er ihr sanft und rau zu.
Leia kämpfte. Ihr inneres war so unfassbar stark, dass sie drohte in Ohnmacht zu fallen. Rauschen war in ihren Ohren, wie das Rauschen der tosenden Wellen im Meer. Dennoch vernahm sie seine Stimme. Weit weg, aber sie war da, blechern und dumpf. Ash. Erneut krümmte Leia sich dem Schmerz. Es war als würde die Dämonin sie innerlich zerreißen. Du hast gehört was er gesagt hat! Lass los, ich werde dich nicht verletzen. Ich werde uns Stärken! Leia war fast am ende ihrer Kräfte angelangt. Einzig die Angst war es, warum sie immer noch an ihrer menschlichen Hülle festhielt. Die Hitze schien sich zu verdoppeln. Zumindest kam es Leia so vor. Durch ihre flatternden Lider sah sie Ash's wunderschönen blauen Tiefen. Die Augen, welche sie unmittelbar in ihren Bann gezogen hatten. Lass los Kleines! Sei endlich du selbst...
War das Ash gewesen? In ihrem Kopf? Keuchend ballte sie ihre Hände zu Fäusten. Wie hatte er das gemacht? Leia schnappte nach Luft. Gerade fühlte es sich so an, als würde sie ertrinken. Ihre Lunge nahm keine Luft an, nicht ein einziger Hauch schien durch sie hindurch zu strömen. Einen Moment lang dachte sie nach, ehe sie kapitulierte. Leia wehrte sich nicht länger. Sie ließ ihre Arme sinken. Die Hitze wich umgehend einer wohligen Wärme und sie spürte wie die Macht durch ihren Körper preschte.
Ihre Haut wandelte sich im Bruchteil einer Sekunde. Es sah aus als würde sie aus Schuppen bestehen, die sich aufrecht stellten und einfach zur anderen Seite kippten. Wie beim Domino dachte Julie mit weit aufgerissenen Augen. Leia hingegen spürte, wie die Stelle zwischen ihren Schultern erhitzt blieb. Aber es waren keine Schmerzen, eher ein sanftes kribbeln. Ihr Körper wurde leicht gedehnt, auch das entging ihr nicht. Alles was sie spürte, war unglaublich intensiv. So als hätte sie zuvor nie richtig gefühlt. Das warme Wasser, welches gegen ihre Hüfte schwappte, entfachte einen Schauer, der sie erzittern lies.
Ash's Geruch ließ ihr Herz davon galoppieren. Es war, als wäre er eins mit ihr. Als würde sie selbst nach ihm riechen. Als Leia ihre Augen aufschlug, sah sie zum ersten Mal richtig. Als hätte sie ein Fernglas vor ihren Augen.
Ash stand unweit von ihr entfernt. Seine Augen leuchteten in dem wundervollen türkis, dass nun noch geheimnisvoller wirkte als zuvor. Sie waberten aufgeregt. Leia konnte seine Blicke auf ihrer Haut spüren. Sanft und gierig zugleich huschten sie über ihre Haut. Er war so wunderschön. Sah er vorher schon so aus? Leia wusste es nicht mehr. Überall spürte sie seine Berührungen. Ihr Körper bebte. Sie musste sich selbst zwingen, ihren Blick von ihm abzuwenden. Leia hob ihren Arm hoch und sah verwundert auf ihn hinab. Ihre Haut war nun dunkelblau, wie der Nachthimmel bevor die Morgendämmerung begann. Es sah wirklich aus, als wären Sterne auf ihrer Haut, welche schimmerten. Das Gelb ihrer Runen war kräftig, intensiv. In ihrem Augenwinkel bewegte sich etwas. Ihr Kopf schnellte in diese Richtung. Eine riesige Schwinge kam zum Vorschein. Dunkelblau, mit vereinzelten gelben Federn und dem Schimmern dieser hellen Punkte, die den Sternen ähnelten. Ungläubig wandte sich Leia in die andere Richtung. Doch auch dort war eine Schwinge zu sehen.
„Wow Leia", hörte sie die glockenhelle Stimme von Julie und ihr Kopf peitschte in ihre Richtung.
„Du siehst unglaublich aus! Deine Hörner", wisperte Julie weiter.
Leia tastete nach ihrem Kopf. Eins, zwei drei an der Zahl. Drei Hörner zierten ihr Haupt. Ihr Herzschlag war kräftig, aber immer noch viel zu schnell.
„Also das nenne ich mal eine Veränderung. Hätte ja nicht geglaubt, das ein Halbdämon zu sowas im Stande ist", schnalzte Lil mit eine mehrstimmigen Stimme, die Leia zuvor noch nie aufgefallen war.
Ash trat in ihr Sichtfeld. Leia musste zu ihm hinabsehen. Denn sie überragte ihn gut um einen Kopf mehr. Faszination lag auf seinem perfekten, ebenmäßigem Gesicht.
„Leia", raunte er dunkel und rau.
Der Klang seiner Stimme hallte in ihrem Inneren nach und drang in jede noch so kleine Faser ihres Körpers ein. Vibrierte und ließ ihre Gefühle explodieren.
Jetzt sind wir eins, du und ich. Hörte Leia ihre Dämonin raunen. Dann zog sie sich plötzlich zurück. Ihre Sicht wurde verschwommener, undeutlicher. Auch musste sie nun zu Ash aufblicken. Nicht mal eine Sekunde hatte die Verwandlung gedauert. Und doch fühlte sie die Kraft, welche nun in ihr wohnte.
„Ich... entschuldigt... das war... unglaublich", keuchte Leia atemlos.
„Du hast es geschafft. Keine Ahnung was der ausschlaggebende Punkt war, aber du hast dich mit ihr verbunden. Das ist mehr als gut für uns", flüsterte Ash leise und strich ihr sanft über die Wange.
Dort wo er sie berührte explodierte ihre Empfindung um ein Vielfaches mehr als zuvor. Erneut lief es ihr den Rücken hinab und ihre Haut, färbte sich im Bruchteil einer Sekunde dunkelblau und wieder zurück zu dem hellen menschlichen Tain. Leia war selbst erstaunt, als sie dies vernahm.
„Ich weiß es nicht, aber sie war so stark. Ich konnte nicht länger widerstehen", wisperte Leia mit bebender Stimme und wusste genau, dass sie Log.
Der ausschlaggebende Punkt war Ash. Denn er würde in den Fegefeuern schmoren, sie vergessen und Leia selbst würde ihn für immer in ihrem Herzen haben. Ihn nie wieder sehen und daran zerbrechen. Es war Liebe, nun wusste sie es genau.
„Morgen werden wir sehen, zu was du fähig bist. Es wird dir nun um einiges leichter fallen", lächelte Ash schwach.
„In Ordnung", war alles was Leia sagen konnte.
Sie war überwältigt von ihren Gefühlen zu diesem Mann, der vor ihr stand. Dies war der Moment, in dem sich Leia selbst schwor, dass sie einen Weg finden würde. Sie hatte keine Ahnung wie, aber Leia würde einen Weg finden um Ash so zu erhalten wie sie ihn kannte. Um ihn sehen und fühlen zu können.
„Wir sollten allmählich zurückfahren", unterbrach Lil Leia's stillen Monolog.
„Kannst du sie jetzt fühlen", drang Leia, Julies stimme von der Rückbank ins Ohr.
„Ja. Mehr als je zuvor. Ich habe sie sogar gehört", nickte Leia und spürte, dass nun alle Augenpaare auf sie gerichtet waren. Selbst Ash, der am Steuer saß, sah sie mit großen wabernden Augen an.
„Gehört", hakte Lil interessiert nach.
„Ja, sie hat mit mir gesprochen, war in meinem Kopf", nickte Leia und sah jeden einzelnen von ihren Freunden an.
„Das ist ja verrückt. Du hast dich mit ihr unterhalten? Als wäre da eine weitere Person, in deinem Kopf? Das ist sowas von abgefahren", schrillte Julie mit großen Augen.
Ich mag sie. Obwohl sie ein Mensch ist. Ich bin auch zum Teil ein Mensch. Führte Leia einen kurzen stillen Monolog.
„Ja. Erst hatte ich Angst, wegen den starken Schmerzen. Aber als ich auf sie gehört habe, waren die Schmerzen weg. Sie mag dich Julie. Dich habe ich auch gehört Ash", nickte Leia und flüsterte den letzten Satz so leise, dass nur Ash ihn hören konnte.
„Sie mag mich?! Hat sie das gesagt", schrillte Julie aufgeregt.
Ash hingegen sah sie nur grinsend an.
Er und wir, wir sind verbunden. Füreinander bestimmt. Deshalb können wir ihn hören. Vernahm Leia ihre Dämonin erneut in ihren Gedanken und nickte schwach.
„Ja gerade eben", antwortete Leia und wandte sich lächelnd zu Julie um.
„Ich mag sie auch! Also ich finde sie, du, ihr seht so unglaublich schön aus! Das bist du, dein wahres Ich", stotterte Julie nervös vor sich hin.
„Ja ja, krieg dich wieder ein! Sie ist eine Dämonin, war sie vorher schon. Keine große Sache", rollte Lil mit den Augen.
„Eifersüchtig Lil", lachte Ash rau, als er den Mercedes in Julies Straße lenkte.
„Was?! Ich? Warum denn? Sie war vorher auch schon zum Teil eine Dämonin, oder etwa nicht", gab sie empört von sich.
Selbst Leia musste nun grinsen. Lil konnte ihre Gestalt nicht wandeln. Sie sah immer so aus. Verständlich, dass sie ein wenig eifersüchtig war. Lil war nur ein billiger Abklatsch ihrer Mutter und ohne Übung, war sie auch ziemlich schwach. Niemand hatte ihr beigebracht, was es bedeutet, eine Lilith zu sein. Das war vielleicht auch besser so.
„Oh Mann, ich glaube kaum, dass ich heute schlafen kann! Lil du musst mir noch mehr über die Hölle erzählen. Bis morgen Leia", begann Julie aufgeregt zu plappern als sie die Tür zum aussteigen öffnete.
„Bis morgen Julie", kicherte Leia ehe der Rhythmus ihres Herzens wieder fahrt aufnahm.
Denn jetzt war sie mit Ash alleine.
„Wo schläfst du eigentlich", wisperte Leia leise als Ash erneut den Motor startete.
„Ich schlafe nicht", gab er rau von sich.
Irritiert blickte sie Ash an.
„Wo hältst du dich auf", stellte sie ihre Frage um.
„In deiner Nähe, damit dir nichts geschieht", flüsterte er und hielt verkrampft den Lenker fest.
Leia's Herz polterte. Er war immer in ihrer Nähe? Als der Mercedes zum stehen kam, sah Leia, dass ihre Mom noch nicht Zuhause war.
Frag ihn na los! Wimmerte ihre Dämonin.
„Möchtest du noch mit rein kommen", fiepte sie vor Aufregung.
In seinen Augen funkelte es. Das türkis schlug durch. Sein glimmen wirbelte stark vor Begierde.
Dies war Ash deutlich anzusehen.
„Was wenn deine Mutter Nachhause kommt", raunte er rauer als zuvor.
„Dann machst du dich unsichtbar", schluckte Leia schwer.
„Da du sowieso auf mich aufpasst, kannst du das auch im warmen tun. Du musst nur den auffälligen Mercedes wo anders abstellen", vibrierte ihre Stimme aufgeregt.
„In Ordnung. Geh schon vor, ich komme nach. Ich besorge uns was zum Essen", nickte er lächelnd und Leia stieg mit weichen Knien aus.
Mit zittrigen Händen sperrte sie die Tür auf und lief schnurstracks in ihr Reich. Schnell sprang sie unter die Dusche, wusch sich die Anstrengung dieses Tages von ihrer Haut. Das Ash schon zurück war, wusste sie noch nicht.
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