Ash
Ihre Beine waren wie Wackelpeter und ihre Hände waren eiskalt. Kaum das sie stand, begann ihr Herz davon zu galoppieren. Schnell versuchte sie langsam und ruhig zu atmen, sich selbst etwas zu beruhigen. Nicht, dass bereits vorher schon ein Unglück geschehen würde.
Auch Susen stand nun auf und ging um den kleinen Tisch herum, um ihre Tochter in ihre Arme zu schließen.
„Du schaffst das Leia, du bist stark und so mutig. Sie werden dich so oder so mögen", flüsterte Susen ihrer Tochter ins Ohr und gab ihr einen dicken Kuss auf die linke Wange.
Mit einem dicken Klos im Hals, nickte Leia nur und löste sich langsam von ihrer Mutter. Wie in Trance nahm sie ihre Tasche und schritt zur Tür. Die kühle Morgenluft küsste ihre warmen Wangen, als sie hinaus ins Freie ging. Gedankenverloren bewegte sie sich fort von ihrem schützenden Kokon. Ihre Hoffnung auf ein normales Leben, hatte sie längst abgehakt. Weil es immer und immer wieder gleich ablief. Sie war die Neue, wurde von jedem beobachtet. Es wurde getuschelt, was sie entweder traurig oder wütend stimmte. Zumindest wenn sie Bruchstücke dieses Gespräches mitbekam. Dann ging alles immer ganz schnell. Die Verwandlung war für sie selbst nicht schmerzhaft. Im Gegenteil, es fühlte sich gut an. Wärme breitete sich kribbelnd über ihren Körper aus. Dann fühlte sich Leia stark und eigentlich auch wunderschön. Doch ihr Umfeld begann dann meist hysterisch zu schreien. Sie selbst hatte keine Ahnung, warum dies mit ihr geschah. Als sie die letzte Stufe erreicht hatte, schob Leia ihre verworrenen Gedanken bei Seite. Denn nun begann der Ernst des Lebens. Der kleine Bahnhof war ordentlich gefüllt. Etliche Leute jeden Alters, warteten auf die Bahn. Sie blieb ganz hinten an der wand stehen und zog sich ihre Kapuze weiter ins Gesicht. Schottete sich ab. Als die Bahn dann kam und alle sich hineinzwängten, blieb sie unmittelbar in der Nähe der Tür. Ihr Blick war Starr gegen Boden gerichtet. Der Rhythmus ihres Herzens nahm Fahrt auf, je näher sie ihrem Ziel kam. Die Bahn stoppte und die Tür zu ihrem persönlichen Alptraum öffnete sich. Leia stieg aus und ging die Stufen empor. Je höher sie kam, um so mehr hörte sie bereits den Lärm der Schule. Als sie dieses riesige Gebäude erneut sah, schluckte sie schwer. Es waren bereits so viele Schüler da, obwohl es noch gute zwanzig Minuten bis zum Unterrichtsbeginn waren. Das erste was sie nun aufsuchen würde, wäre das Sekretariat. Denn sie hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wo genau sie hin musste. Wie angewurzelt stand Leia wenige Meter vor diesem riesigen komplex.
Plötzlich zuckte sie vor Schreck stark zusammen, als hinter ihr das Hupen eines Autos ertönte. Sie spürte bereits das Kribbeln, doch beruhigte sich schnell wieder. Indem sie ihre Atemübung begann, während sie dem hupendem Auto den Platz frei machte. Leia hörte wie die Tür laut ins schloß fiel und sie hörte Schritte, welche sich auf sie zu bewegten.
„Hast du Todessehnsucht oder bist du einfach nur dumm?! Mitten auf dem Parkplatz stehen ist keine besonders gute Idee", ertönte eine dunkle raue aufgebrachte Stimme.
Mit gesenktem Blick und wildpochendem Herzen wandte sich Leia um. Sie spürte die vielen Blicke die auf ihr ruhten und wie die Gespräche allmählich verstummten. Genau dies wollte sie eigentlich vermeiden.
Welche Ironie.
Dachte sie sich und blickte auf ein paar schwarze Sneakers, während das Kribbeln leicht im Hintergrund blieb.
„Entschuldige, ich... ich bin neu hier...", murmelte sie verlegen mit erröteten Wangen und hob ihren Blick an der schwarzen Hose ihres Gegenübers weiter nach oben.
Ein gut aussehender junger Mann mit schwarzen strubbeligen Haaren und den blauesten Augen die Leia je gesehen hatte, sah sie mit finsterer Miene fragend an. Er war hochgewachsen und muskulös, das sah man an seinen breiten Schultern. Nicht eine einzige Pore konnte man in seinem Gesicht finden, seine Haut war glatt wie Mamor. Für einen Moment bildete sich ein flüchtiges Grinsen auf seinen vollen Lippen, ehe es wieder verschwand.
„Das ist immer noch kein Grund mitten in der Parklücke zu stehen. Beim nächsten mal bremse ich nicht, nur damit du Bescheid weißt", gab er leise von sich, sodass nur Leia es hören konnte. Dabei stieg ihr sein maskuliner, betörender Duft in die Nase. Dann ging er davon und stieß unsanft gegen ihre Schulter.
Was für ein Arsch.
Dachte sie sich.
Ein gut aussehender Arsch.
Sie spürte die Wut in ihrem Bauch. Schnell atmete sie tief ein und aus. Schloß erneut für einen Moment ihre Augen. Allmählich wurden die Gespräche um sie herum wieder lauter. Leia stand noch immer am selben Platz und wandte sich dem Auto des jungen Mannes zu.
Offensichtlich war er ein reicher Schnösel, der aber keinen Anstand besaß. Ein Mercedes AMG GT in einem feurigen rot stand in der Parklücke. Die Parklücken links und rechts davon waren nicht besetzt. Offensichtlich hatten die anderen Schüler Angst vor ihm. Der Blick auf ihre Uhr verriet Leia, dass sie sich nun beeilen musste. Sonst würde sie doch noch zu spät zum Unterricht kommen. Sie hatte bereits genügend Aufmerksamkeit erregt. Erneut senkte sie ihren Blick und lief schnellen Schrittes die Stufen empor.
Im Inneren des Gebäudes war die Hölle los. Überall standen kleine Gruppen von Schülern, die sich angeregt unterhielten. Das Sekretariat war zu Leia's Glück gleich hier im Hauptkorridor. Sie klopfte zaghaft an die Tür und tritt ein. Eine ältere Dame mit weißen Haaren und einer viel zu großen Brille, lächelte ihr freundlich entgegen.
„Guten Morgen, mein Name ist Leia Gastrell. Meine Mutter hat mich letzte Woche angemeldet. Können sie mir sagen, wo genau ich hin muss?", gab Leia mit piepsiger Stimme von sich.
Die Dame tippte auf der Tastatur ohne den Blick von Leia zu lassen.
„Natürlich junge Dame. Ich werde ihnen ihren Stundenplan ausdrucken. Die Räumlichkeiten sind hier gut zu finden. Es ist alles ausgeschildert. So hier, bitte schön. Ich wünsche ihnen einen guten Start an unserer Schule", antwortete die ältere Frau und überreichte Leia einen Zettel. Dann blickte sie erneut auf ihren Bildschirm.
Mit pochendem Herzen ging Leia zurück auf den Hauptkorridor und sah sich um. Die Beschilderung hatte sie eben übersehen. Aber tatsächlich, mittig an der Decke waren Schilder mit Pfeilen und den dementsprechenden Nummern der einzelnen Unterrichtssäle angebracht.
Es war immer noch eine Menge los. Leia musste sich regelrecht durch die Menschentrauben hindurch zwängen. Als sie endlich ihren Raum gefunden hatte blieb sie abseits stehen. Denn ein paar Meter vor ihr erkannte sie den grimmigen Typ vom Parkplatz.
Hoffentlich bin ich nicht in seiner Klasse.
Dachte sie und knetete nervös ihre schwitzigen Hände. Denn in diesem kleinen Korridor gab es nur zwei Säle. Die Türen lagen sich gegenüber.
Leia ließ ihn nicht aus den Augen. Ihr fiel auf, dass niemand mit ihm redete. Der Platz um ihn herum war enorm. Anscheinend war er zu allen so fies und gemein. Gelangweilt tippte er auf seinem Smartphone herum. Als die Glocke erklang, fuhr Leia zusammen. Ihre Nerven waren bis zum äußersten gespannt. Dies war alles nicht wirklich gut. Wie sollte sie diesen Tag nur ohne Vorfall überstehen? Leia hoffte auf ein Wunder. Ein kleiner grauhaariger Mann eilte an ihr und den anderen Schülern vorbei. In seiner Hand trug er eine braune Tasche. Vor der Tür zum Saal blieb er stehen und entnahm seiner Tasche einen Schlüssel. Dies war wohl ihr Lehrer. Als er die Tür aufgesperrt hatte, stürmte die Schüler in den Saal. Zu Leia's bedauern auch der Typ vom Parkplatz. Schnell eilte sie hinein und blieb am Pult stehen.
Der grauhaarige Mann blickte sie aus seiner schief sitzenden Brille an.
„Wie kann ich ihnen helfen Miss...?", fragte er Leia mit hochgezogenen Brauen.
„Gastrell. Leia Gastrell ist mein Name. Ich bin die neue...", gab sie fiepend von sich.
Lächelnd nickte ihr der kleine Herr zu. Er stellte seine Tasche ab und schob seine Brille an den richtigen Platz.
„Aber natürlich, Miss Gastrell. Mein Name ist William Brown, ich bin dein Klassenlehrer. Ich hoffe du lebst dich in meiner Klasse gut ein. Falls du fragen hast, oder Hilfe benötigst, kannst du jederzeit zu mir kommen. Du bist übrigens nicht die einzige neue, wir haben vor zwei Wochen ebenfalls einen neuen Schüler bekommen. Suche dir einen Platz, wir fangen gleich an", lächelte er Leia entgegen.
„Danke Mr. Brown", war alle was sie zu Stande brachte.
Leia wandte ihm den Rücken zu und sah sich um. Es gab genau drei freie Plätze. Zwei davon wollte sie genau wie alle anderen meiden. Denn diese waren zum einen neben dem gruseligen Typ und davor. Der dritte war direkt hinter ihm. Dieser würde es dann wohl werden, auch wenn Leia lieber woanders gesessen hätte. Mit gesenktem Blick huschte sie durch den Mittelgang und nahm Platz. Es war ein Platz direkt am Gang, dies war schon mal gut. Das hieß, dass sie nur einen Banknachbarn besaß. Kaum dass sie saß, vernahm sie erneut den maskulinen Duft.
Wie bitte kann jemand so verdammt gut riechen?
Dachte sich Leia und sog diesen Geruch gierig ein.
Wenigstens ist er gepflegt und stinkt nicht.
Sie musste über ihre Gedanken grinsen.
„Ich habe dich eben auf dem Parkplatz gesehen. Gut, dass du dich ebenso von ihm fern hältst. Ich bin übrigens Julie",flüsterte ihr jemand von der Seite zu.
Leia wandte ihren Blick zur Seite und sah in große rehbraune Augen, welche sie freundlich anblickten. Sie hatte nur Augen für diesen Kerl gehabt, der immer noch auf seinem Handy rum tippte und überhaupt nicht vernommen, wer neben ihr saß. Julie hatte Braune Mittellange Haare und trug eine Brille. Gerade als die ihr antworten wollte, begann Mr. Brown zu reden.
„Guten Morgen. Es freut mich euch mitteilen zu können, dass wir eine weitere neue Schülerin in unserer Mitte haben. Miss Gastrell, würden sie sich bitte kurz vorstellen", gab er lächelnd von sich, während Leia das Herz in die Hose rutschte.
Das kribbeln war erneut auf dem Vormarsch. Mit pochendem Herzen atmete sie tief ein und aus. Leia musste sich auf ihren Händen am Tisch abstützen um aufzustehen, so weich waren ihre Beine. Alle Augen waren nun auf sie gerichtet. Selbst der Kerl ließ von seinem Handy ab und wandte sich ihr zu. Den Hauch eines Grinsen lag auf seinen Lippen. Er musterte sie von unten nach oben und sah ihr unvermittelt in die Augen. Zu Leia's Erstaunen zwinkerte er ihr zu.
„Hallo, ich bin Leia Gastrell... bin 16 Jahre alt und bin erst vor kurzem hier nach London gezogen...", gab sie zaghaft mit viel zu heller Stimme von sich.
Schnell nahm sie wieder Platz. Ihre Wangen glühten vor Scham und das kribbeln war noch immer präsent. Sie atmete es weg, so gut es eben gerade ging. Immer noch blickten sie alle an. Einige lächelten freundlich, andere starrten regelrecht.
„Gut, dann hätten wir das auch. Nehmt bitte einen Stift zur Hand, ich werde euch Arbeitsblätter austeilen. Wir beginnen mit der Antike", sprach Mr. Brown und entnahm seiner Tasche einen Stapel Blätter.
Leia war erleichtert, es wurde nichts weiter gefragt und sie mochte Geschichte.
„Wenn du möchtest, führe ich dich später ein wenig herum und zeige dir die Kantine", flüsterte Julie ihr zu.
„Danke, das wäre sehr nett", wandte sich Leia erneut Julie zu.
Das Mädchen war wirklich freundlich. Einen kurzen Moment lang dachte Leia daran, dass sie ihre Freundin werden könnte. Vorausgesetzt, sie würde sich nicht verwandeln. Als sie nach vorne blickte, sah sie in die blauen Augen. Der Scham kroch ihr erneut in die Wangen und färbte sie feurig rot.
Warum starrt er mich an?
Dachte Leia und senkte verlegen ihren Blick.
„So schüchtern und verklemmt? So siehst du überhaupt nicht aus. Eher wie ein kleines Biest. Ich bin gespannt, wann deine Fassade fallen wird", grinste er flüsternd und schnappte sich eine Strähne von Leia's Haaren, um sie sanft zwischen seinen Fingern zu zwirbeln.
Dies war ihr extrem unangenehm. Dennoch ließ sie es über sich ergehen. Denn Leia wollte auf keinen Fall das ihre Fassade fiel. Schon garnicht am ersten Tag. Das durfte einfach nicht geschehen. Ihr wurde bewusst, dass sie sich unter allen Umständen von ihm fern halten musste.
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