Von Lob und Tadel
„Habe ich da ein Lob von dir gehört?", fragte Yona, die plötzlich neben Acarion stand.
Er streifte sie mit einem Blick. Obwohl sie grinste, stand ihr die Sorge ins Gesicht geschrieben, ihre verschiedenfarbigen Augen wirkten dunkler als sonst. Waren es Nachwirkungen der Schlachtfelderfahrungen oder das, was auf sie zukam?
Plötzlich drängte sich ihm die Frage auf, ob sie am nächsten Abend noch nebeneinander stehen oder ob sie sich gegenseitig hassen würden. Ob es ihn kümmern würde. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass sie vorher miteinander reden sollten. Noch einmal.
„Fühlst du dich bereit?", fragte er. „Wahrscheinlich hast du dir etwas Anderes vorgestellt, als du dich in Yara an mich gehängt hast."
„Ich habe mich nicht an dich gehängt. Wir hatten zufälligerweise noch ein Stück den gleichen Weg."
Ruckartig erhob Fiona sich. „Ich werde wohl noch eine andere Blume zum Üben finden", grummelte sie. „Ihr zwei habt ja anscheinend Wichtigeres zu besprechen."
Langsam schlenderte sie zurück zu den anderen.
Yona seufzte. „Ich versuche nur, mir einzureden, dass wir das Richtige tun."
Etwas an ihren Worten brachte Acarion ins Stocken. Dann erinnerte sich. Zu der Gelegenheit in Yara, als sie vereinbart hatten, noch ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen. Da war er zusammengezuckt, als Yona von ‚wir' gesprochen hatte. Und wenn er an den Moment auf dem Schlachtfeld zurückdachte, als sie aufgestanden war, um ihn zu unterstützen ... Es sah ganz danach aus, als wäre aus diesen dahingesagten Worten tatsächlich ein ‚wir' geworden. Er wusste nicht, wie er auf diese Erkenntnis reagieren sollte. Schon wieder.
„Was denkst du, was uns dort erwartet?", fragte Acarion. „Was wir morgen sehen werden?"
„Ich dachte lange, ich hätte eine Vorstellung davon", murmelte Yona. „Aber ich glaube immer mehr, dass sie falsch ist."
„Mit dem Gefühl müssen wir alle hin und wieder leben." Acarion runzelte die Stirn und fügte nach einer Pause hinzu: „Mir ging es zuletzt so, als ich dieses Ding aus Tónya habe herausbrechen sehen."
Yona schauderte sichtlich. „Ja, das zähle ich definitiv auch dazu."
„Es hilft, wenn man sich daran erinnert, wer dafür verantwortlich ist", wiederholte Acarion, was er sich selbst seit dem Ereignis immer wieder sagte. „Was auch immer diese Fetzen sein mögen, es sind die Verox, die mit ihrem Dasein für ihre Existenz gesorgt haben. Sie sind schuld."
Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Yona antwortete nicht, aber ihr Blick war auf die Ferne gerichtet, dorthin, wo sich die Stadtmauern erhoben. Acarion wechselte das Thema.
„Es wird funktionieren."
Yona blickte ihn an. „Das ist nicht, woran ich zweifle. Ich habe ... nur Angst davor, was der Preis sein wird. Was es über uns aussagt."
Acarion spürte, dass sich seine Kieferpartie anspannte. „Was auch immer der Preis sein soll, ich bin bereit, ihn zu zahlen."
„Und was das mit dir macht, ist dir egal?"
„Es macht mich nur zu dem, der ich immer sein wollte."
Yona nickte langsam. „Ich schätze, das ist die einzige Antwort, die ich gerade gelten lassen kann."
„Ist das so?"
„Alles andere wäre doch nur eine weitere Lüge gewesen, oder?"
Acarion zögerte. Plötzlich kochten Worte in ihm hoch, von denen er noch nie das Bedürfnis gehabt hatte, sie auszusprechen. Vor Yona konnte er es. „Alles andere hättest du doch ohnehin durchschaut."
Yona verknotete die Finger. „Ist das so?"
Es war wohl zu spät, sich zurückzuziehen. Es hätte ihm nur zum Nachteil gereicht. „Ich wiederhole mich nicht gerne."
Sie nickte.
Und Acarion konnte plötzlich nicht mehr die Worte finden, die ihm sonst so leichtfielen. „Ich ..."
Dann dachte er wieder daran, worüber er sprechen wollte, seit sie ihn aus Grimors Fängen befreit hatte. „Du erinnerst dich an den Tag, als ich dir die Fünf Fähigkeiten erklärt habe."
Yona zog die Augenbrauen hoch. „Ja."
„Ich war gereizt und ein Stück weit verunsichert von den ... Geschehnissen in Yara. Deswegen habe ich nicht weiter darüber nachgedacht, was es für dich bedeuten könnte, wenn ich deine Lippen aneinanderbinde."
Sie stieß einen leisen, überraschten Laut aus. „Darüber willst du jetzt reden?"
„Ja", sagte Acarion mit Nachdruck. „Wer weiß, wann wir das nächste Mal Gelegenheit haben, unter vier Augen zu sprechen." Er zögerte. „Ich glaube, ich verstehe mittlerweile besser, was es für dich bedeutet hat. Und ich möchte ... mich entschuldigen. Es war nicht richtig."
Yona musterte ihn und ihre verschiedenfarbigen Augen waren unleserlich. Es dauerte, bis sie etwas erwiderte. „Danke. Das bedeutet mir einiges."
Acarion wusste nicht, was er sonst noch hätte sagen können und auch Yona schien es zur Abwechslung einmal nicht für nötig zu befinden, noch etwas hinzuzufügen.
Acarion atmete langsam aus. Was war aus seinem Plan geworden, sich nicht abhängig zu machen?
„Lass uns gehen."
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Die Mauern von Harving erhoben sich als abweisende Wälle vor ihnen. Es war, als wäre Dunkelheit über die Stadt gekrochen und hielte sie nun in ihren Schattenklauen gefangen, widerwillig, sie dem Morgen zu übergeben. Acarion war es, als streckten die Mauern hungrig ihre Finger nach ihm aus, je näher sie kamen.
Sobald sie in Sichtweite des Wehrgangs getreten waren, hatte der erste Teil ihres Plans begonnen: Acarion, Yona, Corrion und Lira ließen sich die Hände hinter dem Rücken zusammenbinden. Fest. Sollten die Verox entscheiden, ihre Deckung zu überprüfen, konnten sie jene unmöglich durch einen fahrlässig zugezogenen Knoten aufs Spiel setzen.
Acarion spürte seine eigene Miene immer starrer werden, als Harvings Mauern sich als Schattenwälle über ihm auftürmten, in die Höhe wuchsen, bis sie die tiefstehende Sonne blockierten und sie alle in Zwielicht tauchten.
In Harvings Schatten schien die Nacht länger anzudauern, als es ihr von Natur aus zustand.
Das Tor, auf das sie zuhielten, war aus dunklem Stahl geschmiedet und wirkte ebenso abweisend wie seine Farbe. Erst, als sie näherkamen, erkannte Acarion, dass das Schwarz nicht echt war. Das Tor war mit schwarzer Farbe angemalt worden, ungeschickt und hastig. An vielen Stellen konnte man sehen, wo Tropfen der Farbe hinuntergelaufen und getrocknet waren.
Unruhig musterte Acarion kurz seine eigene Kleidung, die die gleiche Farbe hatte. Hatte er es je reflektiert, was es bedeutete, sich in die Farben zu kleiden, die die Haut der Verox während ihrer Verwandlung annahm? Hatte er sich überlegt, welche Signale das an sein Umfeld sandte?
Ein unsanfter Ruck an seinen Handfesseln riss ihn aus seinen Gedanken. Ohne, dass es ein wahrnehmbares Signal gegeben hätte, schwangen die Flügel des Tores auf.
Acarion erhaschte einen kurzen Blick auf Grimors Gesichtsausdruck. Tiefe Falten hatten sich auf der Stirn des schwarzbärtigen Mannes eingegraben und die Stimmung, die von ihm ausging, knisterte förmlich vor Anspannung.
Acarion riss sich zusammen. Sie durften kein falsches Bild provozieren, durften nicht zu selbstbewusst wirken, durften nicht erkennen lassen, warum sie eigentlich hier waren. Sie mussten gebrochen wirken. Wie Wesen, die man Wochen in Käfigen gehalten hatte.
Als Acarions Blick Yona streifte, die in der Reihe vor ihm ging, war er wider Willen beeindruckt, wie gut ihr das gelang. Sie schien klein und zerbrechlich in ihren Fesseln, die Schultern zusammengezogen, der Gang gebückt. Die ungebändigte Haarmähne, die sie sonst mit Stolz zu tragen schien, plötzlich ein Zeichen ihrer Verwahrlosung.
Acarion stolperte. Wurde unsanft von Grimor und Fiona weitergerissen. War froh, dass er nicht stürzte.
„Ihr seid spät."
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