Von Freude und Verderbnis
Die Helligkeit der Sonne kehrte nicht zurück. Obwohl Yonas Gefühl ihr sagte, dass es noch mitten am Tag war, wollte die Umgebung nicht dazu passen. Das andauernde Halbdunkel verursachte bei ihr schlechte Laune. Ihr Blick wanderte zu Acarion, der vor ihr über das Schlachtfeld stapfte, die Zügel seiner Stute teilnahmslos umklammert, ein Schemen vor dem dunklen Himmel.
Sie konnte die Gedanken, die in seinem Kopf vor sich hin pochten, förmlich hören. Die bösartigen Verox, natürlich wurde in ihrer Umgebung alles dunkler und modrig. Schließlich näherten sie sich dem Bösen schlechthin. Alles, was er sah, stützte diese Auffassung.
Fiona und Grimor wurden von Acarion und Corrion dazu gebracht, vorneweg zu gehen, und sie redeten leise miteinander, aber Yona hatte kein Bedürfnis, sich dem anzuschließen. Lira ging in ihrer Nähe und hing offenbar immer noch ihren düsteren Gedanken nach. Yona schlenderte zu ihr hinüber. Vielleicht konnten sie zu zweit in der düsteren Umgebung düsteren Gedanken nachhängen.
„Und, was denkst du, was uns als nächstes umzubringen versucht?", fragte Yona, als sie in Hörweite war. Immerhin schien die Luft sich gerade so zu benehmen, wie sie sollte, und Yona musste weder flüstern noch schreien, um sich verständlich zu machen.
Liras Blick zuckte zu ihr herüber. Mit einem Lächeln wurde Yona nicht belohnt, aber immerhin wurde eine Falte auf Liras Stirn etwas flacher und sie seufzte. „Da wir Dinge, die aus dem Boden kriechen, und gruselige Leute, die uns angreifen, schon hatten ..." Sie runzelte die Stirn. „Mein Tipp wäre eine Pflanze, die wir außerhalb dieses Ortes für absolut essbar halten würden."
Yona schnaubte, fühlte sich aber unerklärlicherweise besser. „Das klingt plausibel. Und dann würde es uns von innen verbrennen."
„Und in jedem Funken, den wir ausspucken, wäre ein Samen, sodass sie sich fortpflanzen kann", ergänzte Lira mit steinerner Miene. Diese hatte aber nur Bestand, bis sie Yonas Blick traf.
Dann fingen sie beide gleichzeitig an zu lachen. Es war kein wirklich fröhliches Lachen, aber es baute die Spannung ab. Yonas Schritte fielen ihr ein bisschen leichter.
„Danke", sagte Lira schließlich ein wenig außer Atem und dieses Mal zog sich tatsächlich ein schmales Lächeln über ihre Züge. „Ich schätze, Lachen ist ein Geräusch, das hier lange niemand mehr gehört hat."
„Und vielleicht sollte es auch so bleiben." Corrion hatte sich zu ihnen umgewandt und die Falten, die von Liras Zügen gerade verschwunden waren, schienen auf seinem Gesicht eine neue Heimat gefunden zu haben.
„Was soll das heißen?", fragte Yona schnippisch. Sie hatte ihre bessere Laune gerade erst gefunden, sie wollte sie sich so schnell nicht wieder verderben lassen.
„Fühlt ihr euch gut?"
„Was?"
„Ihr fühlt euch besser, als es der Situation angemessen wäre", stellte Acarion kühl fest. Er war ebenfalls stehengeblieben.
Yona fühlte Wut in sich aufflackern. „Hör mal, nur weil du fest entschlossen bist, den Tag durch deine Miene davon abzuhalten, doch noch ein bisschen heller zu werden –"
„Ich meine das ganz wortwörtlich."
„Was –" Aber bevor Yona die Frage zu Ende bringen konnte, wurde ihr klar, was er meinte. Das gute Gefühl, das in ihr aufgekommen war, war eigentlich kein wirklich gutes Gefühl. Es war eher die plötzliche Abwesenheit der Dinge, die unangenehm gewesen waren, so klein und unerheblich, dass Yona sie gar nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte. Die Druckstellen an ihren Händen von Ofris Zügeln, das leichte Spannungsgefühl hinter ihren Augen, weil sie die ganze Zeit gegen das Dämmerlicht ankämpfen musste ... „Heilung", flüsterte sie.
Das war es, was den ganzen Tag schon geschah, die Magie um sie herum spielte verrückt. Und jetzt war eine heilende Auswirkung an der Reihe.
„Es gibt Schlimmeres, oder", sagte Lira trocken. „Diese verschwundene Sonne stört mich deutlich mehr."
Yona ersparte es sich, noch einmal hoch in den Himmel zu schauen.
„Ja, noch." Acarion sah ernsthaft besorgt aus. „Aber falls es euch nicht aufgefallen ist, die unterschiedlichen Fähigkeiten treten immer in Paaren auf."
In dem Moment setzten sich die Teile auch in Yonas Kopf zusammen. „Die Magieausbrüche treten ebenfalls in Paaren auf", murmelte sie, während Lira sie noch ratlos musterte. „Erst ist es eisig geworden, dann viel zu warm. Die Sonne war zu hell und jetzt ist sie zu dunkel."
„Wir mussten uns erst anschreien und dann flüstern", ergänzte Lira schließlich und sämtliche Farbe wich aus ihren Lippen.
„Wenn die Umgebung uns jetzt also heilt ...", begann Yona, brachte den Satz aber nicht zu Ende und fing stattdessen einen neuen an. „Sollten wir nicht weitergehen? Und zwar zügig?"
„Wovor willst du weglaufen?", fragte Acarion kalt. „Das Schlachtfeld ist zu groß, als dass du noch entkommen könntest."
Sie alle blieben wie angewurzelt stehen. Yona wagte es kaum noch, zu atmen. Es war, als könnte sie jeden Moment etwas anspringen, nur dass es unmöglich war, es kommen zu sehen. Sogar die Pferde wurden still.
„Wir gehen weiter", sagte Grimor schließlich und Yona zuckte zusammen. Trotz seines Körperbaus hatte sie beinahe vergessen, dass der bärtige Mann noch da war, so bedeckt hatte er sich gehalten. „Wenn wir Glück haben, hält die Heilung länger an, als wir ihr gerade zutrauen. Wenn wir Pech haben, macht es auch keinen Unterschied mehr, ob wir vorher noch zwanzig Schritte gelaufen sind."
Niemand sprach, als sie weitergingen. Yona setzte ihre Schritte sorgfältig. Sie wollte es vermeiden, die vergessenen Knochen auf dem Boden knacken zu hören. Außerdem wollte sie nicht das Risiko eingehen, umzuknicken.
Die Sonne schien sich noch weiter in den Himmel zurückzuziehen, als könne sie es nicht mit ansehen, was der Krieg angerichtet hatte. Wäre es heller gewesen, hätten sie vielleicht schon Harving am Ende des Blutdorngebirges ausmachen können.
Direkt dahinter lag Lavókan. Yona horchte in sich hinein, ob sie eine Sehnsucht nach dem Land fand, in dem sie aufgewachsen war. Aber da war nur Leere. Es verband sie nicht viel mit den Leuten da. Nur die Sonne vermisste sie manchmal, den heißen Stein unter ihren Füßen und das Knirschen von Sand.
Als der Wind auffrischte, glaubte sie beinahe, das gleiche Gefühl wie damals wieder zu haben, wenn der Wind die Sandkörner in die Luft hob und allen Dreck fortschmirgelte, der sich im Laufe der letzten Tage angesammelt hatte.
Yona wurde aus ihren Tagträumen gerissen, als ihr klar wurde, dass sie sich das Gefühl nicht eingebildet hatte. Ein Gefühl wie von hunderten kleinen Insektenstichen überzog die unbedeckte Haut in ihrem Gesicht und ihren Händen. Wie von Sand. Nur, dass es hier keinen Sand gab.
Sie hob die Hand an ihr Gesicht. Sie war von einem kaum sichtbaren roten Schleier überzogen. Yona blutete. Die Stiche wurden schmerzhafter.
Das Aufeinandertreffen der verschiedenen Magiearten hatte die Umgebung verdorben. Und nun wandte sie sich gegen diejenigen, die es gewagt hatten, das Chaos zu betreten.
Gegen Luft konnte Yona nicht kämpfen.
„Was tun wir?" Lira blutete ebenfalls, kleine rote Punkte hatten sich über ihr Gesicht ausgebreitet.
„Wir gehen weiter." Yona wusste nicht, wie oft sie diesen Satz in den letzten Tagen schon gehört hatte, doch so angespannt wie in diesem Moment hatte Acarions Stimme dabei noch nie geklungen. Er wandte sich nicht zu ihnen um. „Vielleicht ist es örtlich begrenzt."
Yonas nächster Schritt war nicht so bewusst gesetzt wie die vorherigen. Sie trat auf ein glattes Stück Holz, vielleicht das Überbleibsel eines Speers, und rutschte weg. Im Normalfall wäre es ein kleiner Unfall gewesen, kaum der Rede wert und in wenigen Herzschlägen bereits wieder vergessen. Nun aber spürte Yona, wie sich ihr Knöchel viel stärker verdrehte, als es die Bewegung gerechtfertigt hätte. Schmerz schoss ihr Bein hinauf.
Sie keuchte auf und fluchte.
„Was ist los?" Acarion hatte ihr einen Blick über die Schulter zugeworfen.
„Ich – bin nur umgeknickt", versuchte Yona die Situation zu entschärfen, aber der Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen. „Es – tut mehr weh, als es sollte."
„Lass mich sehen." Acarion kam mit großen Schritten zurück zu ihr. Bevor er sie jedoch erreicht hatte, gab Lira ein leises Wimmern von sich.
Yonas Blick schoss zu Lira hinüber. Es war ein grausiger Anblick.
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