NEFFEX
Neffex lag, mit dem Kopf an seinen Tiger gelehnt, auf der höchsten Sanddüne, die an den Strand grenzte. Genüsslich verspeiste er den letzten Rest seines Apfels, aß die Kerne mit und ließ nur den Stiel übrig, welchen er vor sich den Hang herunterrollte. Sein Körper begann sich leicht zu bewegen, denn er übernahm das Zucken, welches der träumende Tiger auf ihn übertrug. Hoffentlich denkt er nicht wieder ich bin ein Tier, welches er reißen kann. Mit den Fingern berührte er die Narben an seinem Arm und er war froh, dass er sich damals in dieser Situation mit der Seele der Raubkatze verbinden konnte und ihn davon abhalten konnte, ihm schlimmere Verletzungen zuzufügen oder ihn gar zu töten. Es war die erste Begegnung der beiden und noch bevor Neffex damals wusste, was gerade passiert war, spürte er die Verbindung mit dem Tier, die bis zu seinem Tod anhalten sollte. Er dachte zurück an die Zeit, in der er mit seinem Tiger zusammen viele Menschen getötet hatte, eine schlimme Zeit für beide, doch er war zu verletzt von der Trennung seiner damaligen Freundin. Es hat sich damals richtig angefühlt, Macht über Leben und Tod zu haben. Ein Gefühl, welches leider nur die wenigsten jemals erleben dürfen.
Das Zucken des Tigers machte ihn nervös und zerstörte sein entspanntes Liegen und so setzte er sich auf und blickte auf den unter ihnen liegenden Strand. Dort spielten Damian, sein Affe, Mynja und ihre Eule sowie Veronica ein für ihn undefinierbares Spiel, welches mehr nach wildem Rennen ohne Regeln aussah. Neffex beobachtete Veronica genau während er überlegte, wann er sie zuletzt gesehen hatte und vor allem, wann die Piratin das letzte Mal so ausgelassen und glücklich aussah. Bei ihrer Ankunft vor ein paar Tagen hatten sie sich schweigend zugenickt und seitdem hatten die beiden sich gemieden, obwohl der Halbgott zu gern den Grund für ihren langen Aufenthalt wüsste. Es wird bestimmt komisch nach so langer Zeit wieder mit ihr zu reden. Doch er fasste sich ein Herz und stand auf. Er konnte seine Gäste nicht länger ignorieren, auch mit Mynja sollte er sich Damian zu lieben anfreunden, obwohl er den genauen Plan des Jungen noch nicht kannte. Ob dieser eine Beziehung oder Freundschaft aufbauen wollte, war ihm nicht klar, doch beides empfand er sehr pädophil, auch wenn die Seele der Göttin sehr viel älter war, als Neffex selbst. Vielleicht kann ich sie dazu bringen, ihren Körper altern zu lassen. Damit wäre auch Damian geholfen und er müsste nicht mehr den ganzen Tag mit ihr spielen wie mit einem Kind, sondern könnte auch ernsthafte Gespräche mit ihr führen. Ein verschmitztes Lächeln schlich sich heimlich auf seine Lippen. „Und vielleicht ist sie meine Chance, die Verbannung aufzuheben und meinen Zielen näher zu kommen." Der Tiger gähnte laut und es klang wie eine Beschwerde darüber, von den Worten seines Partners geweckt worden zu sein. Neffex streichelte der Raubkatze noch einmal über den Kopf, bevor er sich auf den Weg nach unten zu den anderen machte.
Veronica schritt ihm langsam und gedankenversunken entgegen, wobei sie halbherzig in den Sand kickt, doch den umherspringenden Sandkörnern keine Aufmerksamkeit schenkte. Ihr Blick hing an dem türkisblauen, klaren Meer und der weiten Ferne und so bemerkte sie nicht, dass Neffex vor ihr stehenblieb und sich aufbaute, um so seinen muskelbedeckten Oberkörper zu präsentieren. Sein Bruder und Mynja saßen unter einer Palme, das Mädchen lag in seinem Arm und schien zu schlafen, während Damians Blick den von Neffex fand und ihm mit einem Daumen nach oben signalisierte, dass er sich wohlfühlte. Ich bin wirklich gespannt, welchen Plan der Junge verfolgt, wie er diesen umsetzt und ob er Erfolg haben wird. Die Piratin hatte ihn nun bemerkt und schaute ihn mit verschränkten Armen an. „Neffex..." Ihre Stimme versagte und so drehte sie ihren Blick peinlich berührt zum Meer zurück, während sie sich räusperte. „Veronica, ich weiß es ist viele Jahre her, dass wir das letzte Mal über unsere Gefühle geredet haben, aber lass mich dir helfen, egal was dich bedrückt." Sie lächelte, sichtlich erleichtert über seine Worte. „Denn mein Schwur von damals, immer für dich da zu sein, gilt auch heute noch." Nun trieb es ihr die Röte ins Gesicht, worüber Neffex lachen musste und sie so mit dem Lachen ansteckte. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und deutete mit der Hand, ein Stück zusammen zu gehen. „Ich weiß nicht, wie viel du von dem Festland mitbekommst oder was dein Bruder dir so alles erzählt, aber ich habe einen großen Fehler und Vertrauensbruch begangen." Neffex dämmerte, dass es sich nur um einen Streit mit Myriam handeln konnte, was seine Laune direkt wieder senkte. „Lass mich raten, Myriam will immer noch nicht mit dir zusammen sein, wie ich es dir von Anfang an gesagt habe." Veronica verdrehte stöhnend die Augen. „Es war ein Fehler zu dir zu kommen. Und es geht nicht um Myriam, also nicht direkt. Naja eigentlich schon. Ach ich weiß ja auch nicht." Neffex blieb stehen, stellte sich vor sie und hielt die Frau an beiden Armen fest. „Wir gehen nun in meine Hütte, ich mache uns einen Tee und dann erzählst du mir all deine Sorgen. Wie hört sich das für dich an?" Sie wich seinem Blick aus, aber er fühlte, dass sie mit sich kämpfte. Sie hat doch niemanden mehr. Ich glaube nicht, dass sie mit den anderen Piraten über ihre Gefühle redet, denn das sind schließlich auch nur Arbeitskollegen. Ohne eine Antwort löste sie sich von ihm und ging in Richtung der Hütte. Erleichtert folgte Neffex ihr durch den Sand.
Während er sich in seinem Sessel zurücklehnte und einen Schluck Tee trank, dachte er Veronicas Probleme nach, die sie ihm gerade geschildert hatte. Ein Schmunzeln schlich sich über die Lippen, als er nochmal über die Bordelle nachdachte. „Wieso lachst du Neffex, nichts an der Sache ist annähernd lustig." Sie kniff ihre Augen zusammen, stellte ihre Tasse auf den Tisch neben ihr und lehnte sich herausfordernd nach vorne. „Lustig nicht, aber ein Hauch von Ironie schwingt schon darin mit. Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, als du als blinder Passagier über das Meer gefahren bist. Du warst damals gerade mal zehn Jahre alt. Und wieso hast du das gemacht?" Nun lehnte auch er sich herausfordernd nach vorne und hob fragend eine Augenbraue, doch Veronica biss sich auf die Lippe und wich seinem Blick aus. „Weil du vor deinem gewalttätigen Vater geflüchtet bist, der dich und deine Mutter in sein Bordell zum Anschaffen schicken wollte. Er wollte ein zehn jähriges Mädchen dazu zwingen, von mehreren Männern am Tag vergewaltigt zu werden, nur um sein teures Luxusleben weiter führen zu können." Seine harten, ehrlichen und ungeschönten Worte trafen sie sehr und die Erinnerungen kullerten als Tränen aus dem Winkel der Augen ihre Wangen hinunter. Doch Neffex ließ nicht locker. „Ich habe dir damals geschworen, niemals mit einer anderen Seele über deine Vergangenheit zu reden, aber heute würde ich diesen Schwur zu gern brechen. Damian versucht Mynja zu verführen und sie irgendwann zu heiraten, aber wenn ich die beiden ansehe, dann muss ich jedes Mal an die kleine Veronica denken, die damals in Neuseeland zitternd von Bord gestiegen ist und sich der erst besten Frau weinend an den Rock geschmissen hat. Und du kannst von Glück reden, dass meine Mutter dich sofort bei uns aufgenommen hat."
Unter den leisen Weinen begann Veronica schwach zu lächeln, denn der Gedanke an die herzliche Maorifrau erwärmte ihr Herz auch noch heute. „Und jetzt kommen wir zu der alles entscheidenden Frage: Wie zur Hölle kommst gerade du darauf, Bordelle zu eröffnen, mit Lebewesen, die sich wie du damals nicht schaffen sich zu wehren und nicht ihre freie Meinung äußern können." Neffex' Nasenflügel blähten sich auf und er musste aufstehen. Eigentlich hatte er wenig für andere Seelen übrig, vor allem nicht, wenn sie für ihn Fremde waren, doch nicht nur Veronica war bis zum Ende ihres Lebens von dieser damaligen Situation geprägt worden. „Wir brauchen Geld." Der Halbgott drehte sich langsam wieder um und schien sichtlich irritiert zu sein, also redete Veronica weiter. „Die Schiffe der Piraten nehmen bei unseren Rettungen oft Schaden und wir haben nicht die Fähigkeiten, Werkzeuge und Technik, sie allein zu Reparieren. Deshalb bringen wir sie oft in die normale Welt, was natürlich sehr viel Geld kostet." Noch bevor Neffex ihr darauf antworten konnte stand sie auf und redete in Rage geraten weiter. „Wenn wir versuchen die Schiffe selbst zu reparieren, können wir nicht so viele Flüchtlinge retten, denn dann sind die meisten von uns mit dem Reparieren beschäftigt und es funktioniert wie gesagt sowieso nicht. Und wenn wir uns alle Arbeit in der normalen Welt suchen, um Geld zu verdienen, haben wir auch wieder zu wenig Zeit zum Retten. Der einzige Weg in der anderen Welt Geld zu verdienen, ohne dass wir viel dafür tun müssen oder unsere Rettungsaktionen vernachlässigen, ist einfach von den Touristen Geld zu verlangen, die ihren Feierabend bei uns in den Bordellen verbringen. Ich habe sogar beschlossen, dass die Getränke für sie kostenlos sind, wie für alle Bewohner der anderen Welt. Erstens damit es nicht auffällt und zweitens, um die Männer natürlich noch mehr zu uns zu locken."
Neffex war bei dem Monolog immer unruhiger geworden und hielt es nun nicht mehr aus. Er packte die Piratin an beiden Armen, hob sie hoch und fing an sie zu schütteln. „Bist du eigentlich komplett bescheuert? Du tauschst das freie, sorgenlose Leben einer Meerjungfrau gegen das eines Flüchtlings ein, versuchst es dir mit deinen zusammengetragenen Gründen schön zu reden und als einzige Möglichkeit zu sehen. Aber ich kann Myriam das erste Mal in meinem ganzen Leben verstehen: Für dich sind die Flüchtlinge mehr wert, als die Meerjungfrauen, aber was ist die wichtigste Regel der anderen Welt, Veronica? Sag es mir! Was ist die wichtigste Regel?" Neffex schmiss sie auf den Boden und stand schnauben mit zusammengeballten Fäusten über ihr. Wenn er etwas bis auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann war es Tiere auszunutzen und das waren die Meerjungfrauen in seinen Augen, Tiere, die sich nicht wehren konnten. Veronica antwortete ihm und ihre Worte wurden von einem Zittern in ihrer Stimme begleitet. „Alle Lebewesen sind gleich. Keiner ist mehr wert als ein anderer. Tiere, Menschen und Götter stehen auf selber Augenhöhe." Sie vergrub weinen ihr Gesicht in ihren Händen und zog ihre Knie nah an ihren Körper. Es brach Neffex das Herz, sie so sehen zu müssen und so beschloss er, sich umzudrehen und aus der Hütte zu gehen. Wenn sie mich damals nicht wegen Myriam verlassen hätte, wäre ihr Leben nicht nochmal in die Brüche gegangen.
Neffex hatte beschlossen in die Festung zu gehen, die auf der anderen Seite der Sonneninsel lag. Regelmäßig verbrachte er dort mehrere Tage und hoffte nun, dass die neuen Besucher seiner Insel bis zu seiner Rückkehr verschwunden waren. In dieser Festung trainierte er ohne Myriams Wissen eine Armee von starken Tiermenschen, die er für seine Herrschaftspläne eines Tages einsetzen wollte. Auf ein paar gute Kämpfe habe ich gerade große Lust. Entschlossen setzte er seinen Weg fort und in der Ferne sah er schon seinen jagenden Tiger, welchen er auf dem Weg noch einsammeln wollte. „Neffex, warte einen Moment." Der Halbgott verdrehte sie Augen, als er die Stimme seines Bruders hörte, blieb aber der Höflichkeit wegen stehen. „Könntest du mir einen Gefallen tun? Ich habe Mynja gesagt, dass das einzige freie Bett für sie in meiner Hütte liegt, also falls sie nach einem anderen erkundigen sollte..." Sein Satz wurde von einer schallenden Ohrfeige unterbrochen, die sein großer Bruder ihm mit voller Wucht verpasste. „Hör genau zu, Damian, denn ich sage dir das nur einmal. Du rührst dieses Mädchen nicht an, nie wieder, bis ihr Körper mindestens 18 Jahre alt ist. Deine einzige Aufgabe momentan ist also, einen Plan zu entwickeln, wie du sie dazu bringen kannst, ihren Körper altern zu lassen. Über etwas anderes brauchst du auch nicht nur einen einzigen Gedanken verschwenden." Der Junge blieb sprachlos zurück und hielt sich mit schmerzverzogenem Gesicht seine Wange, während er seinem großen Bruder verdutzt hinterher schaute.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro