DAMIAN
Der Klassenraum hatte sich rapide mit lautem Gerede der Schüler geleert, nachdem Myriam aus dem Raum geeilt war. Danach hatte Damian eine Standpauke von Karma für seine „freche und unüberlegte" Frage erhalten, die laut ihr „bestimmt nur von deinem Bruder kommen konnte", doch seiner Meinung nach hätte die Frage auch von jedem anderen gestellt werden können, da sie doch seit vielen Jahren unbeantwortet in der Luft lag. Nun saßen nur noch er und Mynja in dem Raum, beide nachdenklich in ihren eigenen Gedanken versunken. Er dachte an die Worte von Neffex und überlegte ob es Sinn machte, nach der dritten Schwester zu suchen, oder sein Glück doch lieber bei Mynja zu versuchen.
Ein leises Schluchzten erreichte seine Ohren, welches ihn langsam zu dem Mädchen umdrehen ließ. Ihre feinen, sonst fröhlichen Gesichtszüge hatten sich nun zu traurigen gewandelt und sie wischte sich mit der Innenfläche ihrer Hand durchs Auge. Sie ist so zart und zerbrechlich wie eine schöne Blume. Als er eine Träne aus dem Winkel ihres Auges langsam über ihre Wange kullern sah, stand er auf, den Blick nicht von dem Tropfen lösend. Nach ein paar Schritten kam er vor dem Mädchen zum Stehen, kniete sich vor ihr nieder und berührte mit seiner Hand zart ihre helle Haut, um diese mit den Fingern zu trocknen. Mynja öffnete leicht ihren Mund, als wäre sie erstaunt über die Geste. Ihr hat in ihrem ganzen Leben bestimmt noch niemand eine Träne getrocknet. Langsam hob er ihr Kinn, sie ihren Blick und ihre Augen trafen die Damians. Ihre Augen sind schöner als jeder Smaragd. Er löste seine Hand wieder von ihrem Kinn, und fuhr über ihre Haare, an ihrem Arm entlang zu ihrer Hand. Ihre Haare erinnern mich an Gold. Seine Hand fand ihre und weiter vor ihr kniend, hielt er diese nun tröstend fest.
„Wohin willst du jetzt gehen? Ich bringe dich überall hin, du musst mir nur sagen, was du möchtest." Sie wandte den Blick von ihm ab und schaute aus dem Fenster. „Ich möchte mit meiner Eule weg, weg von den Menschen, weg von Myriam. Ich weiß nicht wo ich hin soll. Ich gehöre nirgends hin. Ich bin einfach nicht gemacht für meine Lebensaufgabe." Ihr Schluchzten wurde lauter, sodass sie ihren Mund peinlich berührt mit ihrer freien Hand bedeckte und ihr Gesicht in Damians Hals vergrub. Der Atem auf seinem empfindlichen Hals bescherte ihm eine Gänse Haut. Oh Gott, mein ganzer Körper kribbelt. Er wollte etwas sagen, doch hatte vergessen, was ihre letzten Worte waren, so sehr lenkte ihn das junge Mädchen nun ab. Nervös streichelte er ihr Haar und drückte ihre Körper so näher beisammen. „Komm mit mir auf die Sonneninsel." flüsterte er in ihr Ohr, welches nun ganz nah an seinem Mund war. Mynja ging ein Stück zurück und löste somit ihre Körper voneinander, sie schien noch nicht begeistert von der Idee und so sprach er erneut und mit etwas Nachdruck zu ihr. „Keiner wird mehr böse auf dich sein, wenn ich in deiner Nähe bin. Niemand wird dich anschreien, denn ich bin ab jetzt bei dir, um dich zu beschützen. Mynja, ich bin ein Halbgott, ich weiß nicht, ob du das wusstest, denn Myriam, weiß nicht, dass ich Neffex' Bruder bin, aber ich bin kein Mensch und kann für dich sorgen. Du musst nie wieder etwas machen, dass du nicht willst."
Mynjas Augen fingen bei den Worten an zu glitzern und eine Träne rollte wieder ihre Wange herab, diesmal aber keine, die der Traurigkeit verschuldet war, sondern eine Träne der Freude. Sie schlang ihre Arme um ihn und quiekte ihm ihren Dank ins Ohr. Er lächelte, überglücklich die richtigen Worte gefunden zu haben, umarmte sie und hielt sie fest an sich gedrückt. Mit einem Ruck stand er auf, das Mädchen immer noch in seinen Armen und trug sie ein Stück zur Tür. Sie lachte vor Freude und zappelte, bis er sie vorsichtig absetzte und die Tür öffnete. „Eulchen!" Das Kind sprang aufgeregt zu ihrem Tier, welches auf dem Geländer vor dem Raum gewartet hatte und umarmte sie. Ihre Bindung ist so stark, die Eule muss gefühlt haben, dass Mynja traurig und am Boden zerstört war. Langsam ging er zu den beiden und begrüßte vorsichtig die Eule, welche seine ausgestreckte Hand mit ihrem Hals und den weichen Federn daran schmuste. „Sie mag dich. Das heißt, wir können los." Mynja stand auf und zog wild an Damians Arm. „Los, los, los." Er musste Lachen, denn obwohl sie all ihre Kraft aufwendete und ihren gesamten kleinen Körper gegen ihn lehnte, bewegte sich sein eigener Körper kein Stück in ihre Richtung. Trotzdem gab er nach und bot der großen Eule sogar an, auf seinem Arm durch die Schule getragen zu werden. Wenn ich mich gut mit der Eule verstehe, ist das der erste Schritt, um ihr Herz zu erobern.
„Ich muss vorher noch im Stall meinen Affen abholen und in meiner Wohnung noch ein paar Dinge. Zum Glück habe ich noch nicht ausgepackt, denn ich bin erst heute Morgen hier angekommen." Er dachte an die letzte Nacht in der Bar zurück und wie viel Spaß er mit Myriam hatte, trotzdem war sie keine gute Schwester Mynja gegenüber und dafür hasste er sie. Unten in der großen Eingangshalle angekommen machten ihnen die Schüler Platz und er war froh, dass sie schlau genug waren, jetzt nichts zu sagen. In einer Ecke am anderen Ende der Halle sah er Lara und Kaitlynn stehen, die beide sichtlich irritiert aussahen. Schnell wandte er seinen Blick von ihnen ab und ging mit Mynja durch eine Tür, welche zu dem Stall führte. Hier warteten die Tiere der Schüler darauf, von ihren Besitzern beim Unterricht gebraucht zu werden. Während er den Gang entlang schritt, blieb das junge Mädchen an jedem Käfig stehen, begrüßte jedes Tier und streichelte sie kurz. Lächelnd betrachtete er sie heimlich im Augenwinkel und öffnete einen Käfig, woraufhin sein Affe freudig wie jedes Mal auf seinen Arm klettern wollte, bis er die große Eule sah. Diese legte ihren Kopf schief, doch Damian bat sie dem kleinen Affen nichts zu tun. Mynja war nun bei den drei angekommen und nahm ohne zu zögern das Äffchen in ihre Arme. „Oh du bist so süß. Dein Fell ist ganz weich. Komm ich trage dich. Hab keine Angst vor mir oder der Eule, denn wir tun dir nichts."
Den gesamten Weg von der Schule bis in Damians Wohnung hatte Mynja nicht aufgehört zu reden. Zwar erzählte sie mehr mit dem Affen und ihrer Eule, als mit ihm selbst, aber das störte ihn nicht. Solange es ihr Vertrauen zu mir stärkt, kann sie reden mit wem sie will. „Ihr drei könnt hier warten, ich gehe schnell hinein und hole meine Sachen aus der Wohnung." Doch Mynja ignorierte seine Worte und ging zielstrebig an ihm vorbei, durch die geöffnete Tür in die Wohnung. „Oh, hier ist es ja viel kleiner, als ich erwartet habe. Magst du das so?" Sie drehte sich einmal um die eigene Achse, um das gesamte Ein-Zimmer-Apartment einmal gesehen zu haben, bevor sie zu einer Kommode ging, deren Schubladen sie wild aufriss und darin herumwühlte. „Hey, lass das gefälligst..." Sein strenger Tonfall ließ Mynja zusammenzucken und als sie ihn mit großen Augen anblickte, erinnerte er sich daran, mit ihr liebevoller umgehen zu müssen. „Ich meine, klar kannst du in meinen privaten Sachen wühlen, aber sei dabei vorsichtig." Sie nickte eifrig, ließ die Schubladen offenstehen und steig über die herausgefallenen Sachen zum nächsten Schrank, den sie neugierig inspizierte. Damian seufzte und packte seine Taschen auf die Schultern, als es an der Tür klingelte. Mynja reagierte nicht und so stellte er alles wieder auf sein Bett und ging zur Tür. Ob sie überhaupt weiß, was das für ein Geräusch war? Gibt es Klingeln im Schloss?
Seine Gedanken stoppten abrupt, als er Lara bei offener Tür gegenüberstand. Einige Meter weiter hinter ihr war Kaitlynn gerade am Telefonieren, obwohl das einzige Wort, das er hören konnte nur „ja" war. „Hey Lara, du ich habe gerade ganz viel zu tun und muss eigentlich auch gleich los, deshalb..." „Ach das macht doch nichts mein Schatz." Sie gab ihm einen Kuss und drückte sich an ihm vorbei in die Wohnung. Er blickte zu Kaitlynn, die aufgelegt hatte und sich mit einem schwachen „Hey" nun auch an ihm vorbeigedrängte. Damian schloss die Tür, rollte die Augen nach oben und hoffte innerlich sehr, dass hier gleich nicht die Fetzen flogen. Die drei Mädchen standen sich wortlos gegenüber, doch während er noch nach passenden Worten suchte, um die Situation zu erklären, begann Kaitlynn über den Grund ihres Kommens zu reden. „Karma hat mich angerufen. Sie hat nach dem Debakel heute Morgen, an dem übrigens du Schuld bist, ein bisschen Büroarbeit für die Schule gemacht und festgestellt, dass für das kommende Schuljahr gerade einmal eine Handvoll Tiermenschen-Kinder angemeldet wurden. Daraufhin hat sie sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen beraten und sie sind wohl einstimmig dafür, einen Tag der offenen Tür am Freitag zu machen. Und jetzt kommen wir ins Spiel."
Sie schaute zu Lara, in der Hoffnung, dass sie nun alles weitere erzählte, doch diese starrte nach wie vor Mynja an, welche sich vor Unbehagen schon ganz klein auf die Couch gesetzt hatte. „Hey Lara." „Was? Ach so, ja." Sie wandte ihren Blick ab und schaute nun Damian an, ihre Miene zeigte, dass sie gerade alles andere als glücklich war. „Da wir drei die besten Schüler sind, sollen wir mit unseren Tieren ein paar coole Sachen zeigen. Karma hat uns da alle Freiheiten gelassen und mir sind auch ein paar Ideen gekommen." Lara nahm ein Blatt und einen Stift von der Kommode und setzte sich an den Tisch. „Also erstmal würde ich sowas vorschlagen wie: Die Zuschauer flüstern uns Aufgaben für die Tiere ins Ohr, wir verbinden uns mit unseren Tieren und lassen diese dann die Aufgabe machen. Und dann könnten wir auch noch etwas machen, und das ist glaube ich der beste Einfall, dass die Leute den Tieren etwas Zeigen, zum Beispiel ein Bild, welches sie gerade gemalt haben und welches wir natürlich nicht sehen, und dann suchen wir in den Erinnerungen unserer Tiere danach und zeichnen es genauso wieder auf. Das ist eigentlich der größte Hit, mache ich auch oft bei Kindergeburtstagen meiner kleinen Schwester." „Du bringst deinen Panther mit zum Kindergeburtstag deiner Schwester?" Kaitlynn schaute sie fassungslos an. „Ja klar, der ist super lieb mit Kids. Und dann habe ich noch die Idee..."
„Ja super Ideen, ich bin mir sicher, dass ihr das ganz toll planen werdet." Damian griff Lara unter den Arm und zog sie so vom Stuhl hoch. „Aber wir müssen jetzt los." „Was wo geht ihr hin." fuhr Lara ihn giftig an. „Wir gehen auf die Sonneninsel." sagte Mynja freudig, stand von der Couch auf und schnappte sich die Taschen, auf denen es sich die Eule und das kleine Äffchen gemütlich gemacht hatten. Damian wusste genau, dass Lara mal wieder sehr sauer war, denn er nahm sie nur unter Protest mit nach Hause, wenn sie lange genug gebettelt hatte. „Na dann viel Spaß euch beiden. Ach und Mynja, du machst am Freitag bei diesem Fest doch bestimmt auch mit und zeigst uns etwas Tolles mit deiner Eule." Bissig und ohne eine Antwort abzuwarten drehte sie sich auf ihren Absätzen um, warf ihre Haare nach hinten und ging zielstrebig durch die Tür nach draußen. Kaitlynn blickte zu Damian und Mynja, welche Lara wortlos hinterherblickten, hob entschuldigend die Schulter und verabschiedete sich mit einem Winken von den beiden. „Na dann würde ich sagen, dass wir bis Freitag wohlverdienten Urlaub auf der Sonneninsel machen." Er nahm schwungvoll die Taschen über die linke Schulter und ging dann zu Mynja, um sie allein mit seinem rechten Arm hochzuheben. Sie ist so leicht wie eine Feder. Ich würde sie bis ans Ende der Welt tragen. Das kleine Mädchen lachte und freute sich laut, während sie halbherzig versuchte sich zu befreien, aber nach ein paar Meter aufgab, sich an Damian klammerte und es genoss, so getragen zu werden.
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