14. Kapitel
Der Schmerz hallte immer noch in mir nach. Ich ließ die Augen geschlossen und atmete tief durch, um mich zu beruhigen. Falle ich immer noch?, fragte ich mich. Nein. Ich konnte unter mir harten Boden spüren. Wo bin ich dann?, war meine nächste Frage. Ich wusste es nicht. Mühsam öffnete ich ein Auge und sah in die sprachlosen Gesichter meiner Freunde. Direkt über mir waren Keno und Savio. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Etwas weiter weg erkannte ich Rob und Marco, die sich um die aufgelöste Yuri kümmerten. „G-geht es dir gut, Jenny?", fragte Keno zögerlich. Ich setzte mich langsam auf und lächelte die beiden an. „Mir geht es gut. Danke, dass ihr an mich geglaubt habt", sagte ich. Keno fing an zu Grinsen, doch Savio war immer noch sprachlos. „Wie hast du das gemacht? Dein Herz hat doch gar nicht mehr geschlagen", murmelte er fassungslos. „Ich war im Totenreich", erklärte ich. „Wenn keiner an einen glaubt, wird man zu einer toten Seele. Die anderen sind noch farbig und werden Rebellen genannt. Wenn noch jemand an sie glaubt, können sie den Weg der Wiederbelebung entlanggehen. Aber mit jedem Schritt schwächt sich der Glaube und man wird grauer." „Ach deshalb kamen plötzlich Zweifel", erkannte Keno und ich nickte. „Ich habe es zwei mal versucht. Beim letzten mal habe ich es geschafft. Es war eine Prüfung, ob ihr an mich glaubt und ob ich an euch glaube", fuhr ich fort. „Wir haben bestanden." Keno lachte und umarmte mich. Ich sah überrascht auf und schlang dann meine Arme um ihn. Glücklich schloss ich die Augen. Dann räusperte Savio sich und wir fuhren auseinander. Verlegen sah ich zur Seite. Wir waren in dem dunklen Raum, den ich bereits gesehen hatte. „Warum sind wir hier?", fragte ich verwirrt. Alle wichen meinem Blick aus. Auch Yuri. „Was ist passiert, nachdem ich gestorben bin?", fragte ich energisch und fasste Savio an der Hand. „Nun", räusperte er sich. „Tamaro war ein Kämpfer. Das hast du vielleicht noch mitbekommen. Wir waren alle entsetzt und plötzlich stürmten ganz viele von seiner Sorte herein." „Auch Mika", ergänzte Keno düster und ballte seine Hand zur Faust. „Sie waren in der Überzahl. Außerdem waren sie viel zu schnell für uns. Sie haben uns in einen Raum gesperrt und bringen jeden Tag ein bisschen Verpflegung, damit wir überleben können. Eigentlich könnten sie sich die Mühe sparen", fuhr Savio fort. Ich stand vorsichtig auf. „Haben sie die Tür abgeschlossen?", fragte ich. Keine Antwort. „Bitte sagt mir nicht, dass ihr das nicht überprüft habt", murmelte ich fassungslos und ging zu der Tür. Ich streckte meine Hand nach der Klinke und rüttelte daran. „Es ist abgeschlossen", stellte ich fest und trat einen Schritt zurück. „Was hast du vor?", fragte Yuri mich. Ich lächelte sie an und konzentrierte mich. „Wir müssen hier weg. Wisst ihr, wo sie die anderen hingebracht haben?", fragte ich und trat gegen die Tür. Mit einem Knall flog sie auf und ich sah mich im Gang um. Niemand war zu sehen. „Wisst ihr wenigstens wo Tamaro ist? Ich habe noch eine Rechnung mit ihm offen", meinte ich auf das Kopfschütteln der anderen hin. „Ich denke mal, er ist im Überwachungsraum. Er weiß wahrscheinlich schon, dass du hier stehst", überlegte Savio und trat zu mir auf den Gang. Direkt danach kam Keno. Schließlich gaben sich auch die anderen einen Ruck und folgten mir zum Fahrstuhl. „Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, den Aufzug zu benutzen", bedachte Yuri. Ich drehte mich zu ihr. „Haben wir auch Treppen?", fragte ich überrascht. Sie nickte lächelnd. „Hier lang", sagte sie und führte uns durch die erste Tür auf der rechten Seite. Wir kamen im Treppenhaus wieder raus. „In welchem Stock ist der Überwachungsraum?", wandte ich mich an Savio. „Der neunzehnte", sagte er und wir rannten die Treppen nach oben. Yuri fing nach einem Stock an zu keuchen. „Kann ich nachkommen?", fragte sie und schnappte nach Luft. Ich nickte ihr zu. „Rob, kannst du bei ihr bleiben?", bat ich und er nickte. Die beiden blieben stehen und warteten darauf, dass Yuris Atmung sich beruhigte. Wir rannten derweil weiter und kamen dem neunzehnten Stock immer näher. Im Achtzehnten Stock stürmten zwei Kämpfer aus der Tür und stellten sich uns in den Weg. Keno und Savio fingen an zu grinsen. „Die erledigen wir! Mit denen müssen wir noch ein Hühnchen rupfen", meinten sie und ballten die Hände zu Fäusten. „Wieso das denn? Sie habe euch doch gar nichts getan", meinte Marco überrascht. „Sie haben Jenny unsanft zu uns in den Raum geworfen", meinte Savio bedrohlich und Keno fügte hinzu: „Dafür müssen sie bezahlen." Marco seufzte und zog mich weiter. „Wir gehen dann schon einmal vor", sagte er. Der Blick von einem der Kämpfer fiel auf mich. Er wurde kreidebleich und fing an zu stottern: „D-die L-leiche! Die Leiche lebt!" Bei seiner Reaktion musste ich grinsen und rannte Marco hinterher die Treppe hoch. Er drückte die Klinke nach unten und wir betraten den neunzehnten Stock. Es war ruhig und ich wurde misstrauisch. „Das ging viel zu leicht", murmelte ich. Marco schien das auch so zu sehen, denn er sah sich aufmerksam um. „Wo genau ist der Raum?", fragte ich mit gesenkter Stimme. „Am Ende des Ganges", erwiderte Marco leise. Ich schlich langsam voraus und suchte den Gang nach Fallen oder Gegner ab. „Denkt Tamaro, dass er uns einfach so besiegen kann?", fragte ich missbilligend. Keine Antwort. Ich drehte mich um. Marco war weg. Ich schluckte und ging rückwärts zur Wand. Was ist hier los?, fragte ich mich. Wo ist Marco hin? Hoffentlich ging es ihm gut. Ich atmete tief durch und schlich weiter. Bis ich bei der Tür ankam, geschah nichts. Langsam öffnete ich sie. Die Luft in dem Raum war stickig und abgestanden. An der gegenüberliegenden Wand waren mehrere Computer aufgereiht. Davor stand ein Sessel mit der Lehne zu mir. „Ich dachte schon, du würdest nie bei mir ankommen", hörte ich Tamaros Stimme. „Du hast ziemlich lange gebraucht." Ich trat in den Raum und schloss die Tür hinter mir. „Wenn du direkt im zehnten Stock gewesen wärst, hätte es nicht so lange gedauert", entgegnete ich. „Wie hast du das gemacht?", fragte er und drehte sich zu mir um. „Hast du vielleicht eine Pflanze gegessen, damit es nur so aussieht, als wärst du tot?" Ich schaltete das Licht an. „Das wirst du nicht erfahren", meinte ich und ging in Kampfstellung. „Na gut", meinte er und zuckte mit den Schultern. „Dann töte ich dich eben noch einmal." Er stand auf und schaltete die Monitore aus. „Willst du im zehnten Stock kämpfen? Ich denke, Mika möchte dich auch noch einmal verprügeln und sein Vater will sich deinen Freund vornehmen. Ob ich damit Savio oder Keno meine, kannst du dir selbst aussuchen", sagte er und ging an mir vorbei. Ich sah ihm verwirrt und misstrauisch hinterher. „Ich würde gerne in einem größeren Raum kämpfen", sagte er und sah sich zu mir um. „Wenn du nichts dagegen hast, Jenny." Widerwillig folgte ich ihm. Er stellte sich in den Fahrstuhl und drückte den Knopf für den zehnten Stock. „Kommst du?", fragte er mit einem Glitzern in den Augen. Er wusste, dass ich ihm misstraute. „Du solltest mitkommen, wenn du willst, dass der Mann wieder freikommt", sagte er und sah mich an. „Meinst du Marco?", horchte ich auf. „War das sein Name?", überlegte Tamaro. „Ja, ich glaube, den meine ich." Ich biss die Zähne zusammen und stieg neben ihm in die Kabine. „Eure Versuche uns aufzuhalten sind wirklich süß. Ich habe mich wirklich amüsiert", sagte er, während wir nach unten fuhren. „Ich werde dich besiegen", prophezeite ich ihm. Er wiegte den Kopf und sah mir direkt in die Augen. „Das bezweifle ich sehr, aber das mal beiseite. Selbst wenn du mich besiegen solltest: Wie willst du die anderen Kämpfer besiegen? Denkst du, du und deine Freunde könnt was ausrichten? Ihr seid wie Fliegen, die der Spinne ins Netz gegangen sind", meinte er nachdenklich. Die Türen öffneten sich und wir stiegen aus. Er führte mich in den Raum, in dem das Turnier stattgefunden hatte. In der Mitte des Rings sah ich einen Blutfleck. Das ist noch von mir., dachte ich mir. Das ist mein Blut. Ich schluckte. „Angst?", fragte Tamaro. Sein Unterton ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Er ging zu einem Mikrofon und sprach etwas hinein. Ein paar Türen am Rande des Raumes fuhren hoch und die Menschen dieses Hauses stolperten herein. Sie trugen Handschellen und sahen ziemlich erschöpft aus. Ein paar erkannte ich. Ich hatte sie bereits beim Mittagessen gesehen. Andere waren mir völlig unbekannt. Wahrscheinlich waren sie auf Mission gewesen. Mir war nicht klar gewesen, dass hier so viele Menschen lebten. Ein paar entdeckten mich und ihre Augen weiteten sich. Das getrocknete Blut klebte immer noch über der verheilten Wunde. Sicher hatten viele meinen Tod mit angesehen. Immerhin war es mitten im Turnier geschehen. Durch Tür hinter mir wurden Savio, Rob, Marco, Yuri, und Keno geschubst. Savio seufzte. „War ja klar, das wir uns alle hier wiedersehen", murmelte er und setzte sich auf einen der Stühle. „Bitte sag mir, dass du Tamaro nicht hier herausfordern willst", meinte Marco und setzte sich neben meinen Lehrer. Tamaro stieg in den Ring und verkündete: „Meine lieben Kämpfer. Das Mädchen, das ich getötet habe, ist wiederauferstanden. Jetzt hat sie mich erneut herausgefordert, also dachte ich mir, dass ich euch einen spektakulären Kampf biete, auch wenn er wahrscheinlich ziemlich einseitig verläuft." Die Kämpfer jubelten. Meine Freunde sahen zu mir und ich sah die Angst in ihren Augen. Ich schluckte meine eigene Panik herunter und ging mit sicheren Schritten zum Ring in der Mitte des Raumes. Alle Augen ruhten auf mir. Ich darf nicht verlieren!, dachte ich und kletterte zu Tamaro. „Bereit, um erneut zu sterben?", fragte er mich grinsend. Er war sich seines Sieges bereits sicher. Ich konzentrierte mich und ging leicht in die Knie. Tamaro stand noch genauso da, wie vorher. Plötzlich stand er hinter mir und schlug mir in den Nacken. Ich keuchte und fiel zu Boden. Langsam rappelte ich mich auf. So würde ich ihn nicht besiegen können. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf ihn. Ich konnte ihn spüren. Beinahe hätte ich gelächelt, doch ich unterdrückte es. Ich musste meine Konzentration aufrecht erhalten. Er tauchte hinter mir auf und ich wich seinem Schlag aus. Er taumelte überrascht nach vorne. Dann hatte er sich wieder im Griff und trat nach mir. Ich hielt sein Bein fest und schlug ihm in den Magen. Obwohl ich die Augen geschlossen hatte, verfehlte ich ihn nicht. Ich war mir nicht sicher, warum ich diese Technik auf einmal konnte. Sie war der einzige Weg, um Tamaro und die anderen Kämpfer zu besiegen. Ich atmete tief ein und öffnete die Augen. Dann griff ich an. Verzweifelt schlug er nach mir, doch ich wich seinen Angriffen aus. Immer wieder traf ich ihn und schließlich lag er vor mir am Boden. In seinen Augen konnte ich Angst sehen. Er hatte Angst um sein Leben. Ich konnte seine Gefühle daraus ablesen. Ich schlug noch einmal zu und er verlor das Bewusstsein. Fassungslos starrten mich alle an. Dann stürmte Mika schreiend in den Ring und griff mich an. Auf einmal brach das Getümmel aus und alle fingen an zu kämpfen. Ich wich seinen Schlägen aus. „Was ist mit deiner Ruhe geschehen?", fragte ich grinsend und schlug aus. Er hatte seine Fassung verloren und griff nur noch wild an. So konnte ihn jeder besiegen. Ich sprang zurück, um seinem nächsten Schlag auszuweichen. Ich wagte einen Blick auf meine Umgebung. Wir hatten die Oberhand. Ich sah Kenos selbstsicheres Grinsen und wie Savio gelassen durch die Masse Kämpfer marschierte. Dieser eine Sieg hatte alle aufgerüttelt. Kämpfer waren nicht unbesiegbar. Das sahen beide Seiten ein. Manchen brachte diese Erkenntnis Mut und andere brachte es zur Verzweiflung. Ich grinste und wandte mich wieder Mika zu. Er starrte mich zornig an. „Du hast dich für die falsche Seite entschieden", meinte ich und griff an. Ich war ein bisschen froh, dass Savio mich hierher geholt hatte. Mika schnaubte und wich meinem Schlag aus.
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