Über das Meer (Teleri)
Himluin konnte den Rauch riechen, der von ihrer Heimatstadt, über die stahlgrauen Wogen zu ihr herwehte. Blut klebte an den Planken des Schiffes und färbte das Wasser um es herum rot. Sie saß auf dem Deck des Schiffes und lehnte an dem großen Masten. Das schreckliche Leuchten der brennenden Häfen war das einzige Licht in der undurchdringlichen Dunkelheit, die herrschte, seit Melkor die Bäume ausgelöscht hatte. Morgoth.
So hatte Feanor ihn genannt. Feanor, der Himluins Gatten getötet und ihre Stadt niedergebrannt hatte. Sie würde sich rächen. Sie würde ihn töten, mit bloßen Händen, wenn es sein musste, aber vorzugsweise mit Feuer. Ihn und alle Noldor! Schwarz von Haar und schwarz von Herzen! Und schwarz von den Flammen, wenn ich mit ihnen fertig bin! , dachte Himluin grimmig.
Von einer sanften Bewegung gegen ihre Brust wurde Königin Himluin aus ihren grimmen Rachegedanken gerissen. Sie sah nach unten, auf das Bündel, das sie in den Armen hielt. In warme Tücher gewickelt strampelte ihr erst wenige Stunden alter Sohn, der jetzt wohl ohne Heimat aufwachsen würde, wie es schien. Eine Träne rann über Himluins Wange und tropfte auf die Stirn des kleinen Elblings.
Eine von Himluins Dienerinnen ließ sich neben der Königin nieder. "Das ist er also, Lord Olwes Sohn. Die große Hoffnung unseres Volkes.", flüsterte sie, "Wisst ihr schon, wie ihr ihn nennen wollt, meine Königin." Langsam nickte Himluin. Die Hoffnung ihres Volkes. Ja, das war der Kleine. Die Hoffnung auf Rache. Sie sah auf das Meer hinaus, zurück zu den brennenden Häfen und den blutigen Wellen, die ihrem Schiff folgen.
"Seregnen.", fauchte Königin Himluin, "Denn niemand soll je vergessen, dass er geboren wurde, als diese noldorischen Sippenmörder das Wasser mit dem Blut der Seinen rot färbten! Und er soll Rache üben, an ihnen und allen, die sich auf ihre Seite schlagen!" Die Dienerin nickte mit grimmigem Gesicht. "So soll es sein, meine Königin!"
Das weiße Schiff schnitt durch die Wellen, wie ein Schwert, und schon bald ließ es die brennenden Häfen von Aqualonde hinter sich. Nur noch die Sterne erhellten die dunklen Wasser, vor und hinter den letzten Teleri. Drei Schiffe folgten Himluin in ihr unfreiwilliges Exil. Vier Schiffe waren entkommen, der Rest war den Noldor in die gierigen Finger gefallen. Aber wenigstens würden die Noldor die kleine Flotte nicht einholen können, denn niemand beherrschte die Kunst der Schiffahrt wie die Teleri.
Himluin drückte das Kind an sich und schlief ein. Die Wellen wogen sie in einen sanften Schlaf und zum letzten mal für sehr lange Zeit träumte sie nicht von Feuer, Schreien, Tod und Untergang.
Als die Dienerin Königin Himluin weckte, lag die die Welt noch immer im Schatten. Das Kind, Prinz Seregnen, lag in den Armen einer Amme, denn es hatte begonnen zu schreien, während die Königin noch schlief, und man hatte sie nicht wecken wollen. Doch jetzt war plötzlich Land in sicht.
Die Elbenkönigin schritt, gekleidet in eine blaue Robe, geziert mit weißen Gemmen, und einer Krone von geflochtenem Paladium, in die einige der Zweige der Bäume, die nahe Aqualonde wuchsen, eingewebt waren, zum Bug des weißen Schiffes. Es war eine lezte, schmerzliche Erinnerung an die Heimat, die nun viele Meilen hinter ihnen lag. Vorn auf dem Schmuckstück funkelte ein kunstvoll gearbeiteter Juwel, klar wie Eis, im blassen Licht der Sterne Vardas, ein Relikt aus der vergangenen Freundschaft mit den Noldor.
Vor dem Schwanenschiff, am Horizont, zeigte sich eine große Bucht mit steilen Klippen und eineigen, gigantischen Höhlen. Himluin lächelte. "Nehmt Kurs auf die Tunnel, darin können wir die Schiffe und unsere neue Heimat vor den gierigen Blicken unserer Feinde Verbergen, die uns nach Leben und Werken trachten."
Die Schiffe wurden langsamer und bildeten eine Reihe hinter dem Schiff der Königin, als sie in die dunklen Höhlen vordrangen. Himluin stand noch immer am Bug. Ihre Augen funkelten noch, als das Licht der Sterne längst hinter Tonnen von Gestein verschwunden war. Die Dienerin kam zu ihr und reichte ihr eine Fackel. Himluin hob sie hoch über ihren Kopf und leuchtete ihrem Volk den Weg.
Die Tunnel bildeten ein riesiges Netzwerk unter den Bergen. Einige waren breit, andere schmal, einige hatten hohe Decken, wie vergessene Paläste und Tempel, andere waren so niedrig, dass nur die Ruderboote der Elben hindurch zu fahren vermochten, in manch einem gab es schillernde Fische und leuchtende Unterwasserpflanzen, in anderen war das Wasser völlig leer, hin und wieder wurde das Wasser so seicht, dass die geflüchteten Elben ihre Boote gänzlich zurücklassen mussten, um hindurch zu waten, dann wieder gab es Stellen, die so tief waren, dass nicht einmal die Anker der großen Schwanenschiffe den Grund erreichen konnten. Tagelang erforschten die Teleri jeden einzelen davon, bis sie fanden, was sie suchten:
Einige der hohen, tiefen und breiten Tunnel, die wirkten wie die Hallen gigantischer Kathedralen, verbanden sich tief im Gestein zu einer urgewaltigen Grotte. Dort gab es eine Art Küste, dahiner ging das Netzwerk im Trockenen weiter. Himluin hielt ihre Fackel in die Höhe, doch sie vermochte die Halle nicht auszuleuchten. Die Decke blieb ihren Blicken im Dunkeln verborgen, nur einige große Kristealle funkelten in der Höhe, so war es auch mit den Wänden und dem Grund des Wassers. Himluin lächelte, Seregnen, der wieder auf ihrem Arm lag, lachte, sie drehte sich zu ihrer kleinen Flotte um und rief:
"Willkommen Zuhause, mein Volk! Willkommen in Aelinesgalos*, unserer neuen Festung! Hier werden wir unser Leben neu aufbauen, geschützt von Gier und Gewalt! Dieser Ort ist ein Geschenk, dieser Ort ist sicher, dieser Ort ist wunderschön! Hier können wir nicht nur ausharren und uns verstecken, hier können wir leben!"
Tosender Applaus erschallte von den Schiffen, die in ihren neuen Heimathafen einliefen. Himluin betrachtete ihr Volk zufrieden, als die Schiffe vor Anker gingen und die Teleri in den kleinen Ruderbooten an Land paddelten. Natürlich würde es einige Zeit brauchen, aber sie würden hier sicherlich ein echtes Zuhause aufbauen, und vielleicht sogar eine Armee, stark genug um die Noldor zu besiegen.
Gerade als Himluin selbst das Schiff verlassen wollte, hörte sie ein Reuspern hinter sich. Sie wand sich um und erblickte Hithlom*, einen Gelehrten aus den großen Bücherreien, die es in Aqualonde gegeben hatte. "Verzeiht, Majestät, doch ich habe etwas in den Schriften, die ich zu retten vermochte, gefunden, das für Euch von Interesse sein könnte.", meinte der Gelehrte demütig und hielt Königin Himluin eine Schriftrolle entgegen.
"Lest vor.", befahl die Königin. "Es ist eine alte Profezeihung, sie stammt wohl von einem der Freunde Ulmos.", begann Hithlom,
"Wenn Dunkel das Licht versenkt,
und das Schwert Freundesblut ins Wasser lenkt,
Wird dem Volk der Teleri neue Hoffnung geschenkt,
Geboren wird ein Königssohn,
Ganz ohne Thron,
Der furchtlos Freunde findet, wo Feinde nur drohn,
Der im Eisen und im Flammenland,
Hilfe fand,
Wird von jedem bald als der erkannt,
Der eine Flotte baute, wunderschön und strahlen hell,
Wie Wirbelstürme gar so schnell,
Trägt einem Umhang aus der Feinde Bestien Fell,
Seine Schiffe werden nicht verzagen,
Und so bleibt er
Ungeschlagen."
Himluins Augen glühten vor Rachsucht und Gier als sie diese Worte hörte. Mit einem breiten Grinsen sah sie auf den Elbling in ihrem Arm, den Elbling, der geboren wurde, als Morgoth die Bäume getötet hatte und die Noldor Aqualonde mit Sippenmord überzogen, den Königssohn. "Ja, Ihr habt recht, diese Profezeihung ist von Interesse für mich.", flüsterte sie.
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*Aelinesgalos= verborgene Seefestung
*Hithlom= Nebelecho
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Was haltet ihr bis jetzt von der Geschichte? Wie findet ihr Himluin bis jetzt?
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