Kapitel 6: Die andere Welt
Natalia
Gegenwart
„Glaubst du wirklich, sie wird ihren ersten Sprung überleben?" Im Türrahmen hob sich die Gestalt eines Mannes vom hereinfallenden Tageslicht ab.
Doktor Natalia Faust saß hinter ihrem Schreibtisch und blinzelte in Richtung der gerade erst geöffneten Tür. Die Helligkeit blendete sie, da sie wie so oft an die zwanzig Stunden zwischen Dunkelheit und dem schwachen Leuchten fluoreszierender Neonstoffröhren verbrachte.
Papier raschelte. Natalia schob die Formulare, über denen sie bis eben noch gebrütet hatte, in die nächstbeste Schublade.
„Zac, du bist es", begrüßte sie den Neuankömmling. „Klopf beim nächsten Mal an."
Zac war ein Springer, abseits seiner Mission. In Präsenz der Wissenschaftlerin ließ er seine Deckung fallen und entspannte sich, dass die auffälligsten seiner Mutationen sichtbar wurden. In seinen dunkelbraunen Haaren schimmerten vereinzelt silberne Strähne und auf seinen Handgelenken, die unter einer Lederjacke hervorlugten, zeichneten sich ebenso silberne Flecken ab. Natalia hatte sie dokumentiert, so wie alle Mutationen von allen Springern, und wusste, dass Zacs Schecken mit jedem Sprung größer wurden. Ob irgendwann seine ganze Haut silbern schimmern würde? Oder war er bis dahin vielleicht längst tot? Natalia hoffte auf ersteres, dann wäre zumindest ihre Neugierde gestillt. Fasziniert beobachtete sie, wie der Ausschlag sich bereits links an Zacs Hals abzeichnete, wenige Zentimeter über den Kragen seiner Jacke hinweg.
„Ich habe angeklopft." Er schloss die Tür hinter sich und trat an den Schreibtisch. „Also?"
Natalias Augen schmerzten nicht mehr vom grellen Tageslicht, ihre Nerven waren jedoch immer noch angespannt. Sie schaute zu ihrem Besucher herauf. Selbst im Stehen hätte sie das tun müssen, im Sitzen glaubte sie, sich den Hals zu verrenken. Zac war an die zwei Meter groß. Das hatte ihn schon auffallen lassen, bevor er den Springern beitrat.
„Warum bist du überhaupt hier? Nur, um mir zu sagen, dass meine Tochter die Mission nicht überlebt?"
Zac schüttelte den Kopf und zog sich die Jacke aus. Mit dem sandfarbenen T-Shirt konnte er seine fleckigen Arme nun überhaupt nicht mehr verbergen.
„Du wolltest mich untersuchen. Hier bin ich. Vergessen?"
„Worauf wartest du dann noch?", gab Natalia gereizt zurück. „Nimm dort drüben Platz."
Sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie es tatsächlich vergessen hatte. Noch beim Sprechen deutete sie auf eine der Liegen weiter hinten im Raum, der Büro, Behandlungszimmer und Labor zugleich war. Mit Platz musste man auf den Forschungsschiffen knausern. Dabei hatte sie schon den meisten davon.
Zac ging in die Ecke und setzte sich. Natalia verschwand kurz im Nebenzimmer und wühlte eine Akte hervor. Darin lesend kam sie zurück und stieß sich den kleinen Zeh an der Liege, auf der Zac saß. Sie unterdrückte ein Fluchen, holte tief Luft und räusperte sich.
„Dein letzter Sprung hat fünfundzwanzig Stunden gedauert", sagte sie. „Beachtlich. Wirklich beachtlich."
Zac rümpfte die Nase und streifte sich nun auch das T-Shirt ab. „Wenn du das meinst."
Dabei lehnte er sich zurück gegen die geflieste Wand und schloss die Augen.
„Mach einfach schnell."
„Bin schon dabei."
Natalia war froh, dass die meisten Springer sich ihr freiwillig hingaben, um ihre Fähigkeiten und Mutationen zu erforschen, allen voran Zac. Er war bisher immer pünktlich gewesen, hatte nie abgesagt und auch nie gemurrt, selbst wenn die Experimente und Untersuchungen unangenehm wurden. Ein wahrhaft perfektes Testobjekt. Hinzu kam, dass Zac auch abseits der Untersuchungen ihren Befehlen folgte.
Natalia legte die Akte beiseite, schnappte sich Stift und Notizbuch und begann die Untersuchung. Erst nahm sie Zacs Finger unter die Lupe, auf denen sich ebenfalls erste grausilberne Sprenkel abzeichneten, wie Sterne auf einem Nachthimmel. Dann widmete sie sich seinen Händen, seinen Armen und wanderte hoch, über seine Brust, bis sie die Schultern erreichte. Ihr geübtes Auge erkannte jeden neuen Fleck und jeden Zentimeter mehr, den das Silber sich auf Zacs olivfarbener Haut erobert hatte.
„Tut das weh?" Sie tippte darauf herum.
„Nein."
Sie notierte es sich.
„Fühlt es sich seltsam an?"
„Nein."
Sie notierte es sich wieder.
„Wirklich? Kein bisschen?" Sie strich über einen der Flecken an der Innenseite seines Oberarms. „Die Oberfläche der Silberhaut hat sich verändert. Sie fühlt sich an wie Metall."
Zac schlug die Augen auf und beugte sich vor. Sein Blick kreuzte ihren.
„Wie Metall?" Nun fuhr auch er sich über die Flecken. „Das ... das ist nicht gut, oder?"
Natalia schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich, nein."
Sie machte sie eine Notiz. Dann griff sie eine leere Spritze und nahm etwas Blut ab.
„Ich werde es überprüfen und dir zum nächsten Mal die Ergebnisse mitteilen. Wie steht es um deine Kräfte?"
„Was soll schon damit sein?" Er schloss die Augen erneut und atmete laut aus.
„Sind sie stärker geworden? Haben sich neue Fähigkeiten entwickelt?"
„Nein."
Wieder eine Notiz.
Sobald sie fertig waren, zog Zac sich wieder an und Natalia machte sich daran, die Akten zu verstauen.
„Du warst mir wie immer eine große Hilfe." Sie kam zurück in das Hauptzimmer.
Zac stand vor einem Spiegel und musterte sich darin. Besser gesagt musterte er nicht sich, sondern seine Mutationen. Das tat er immer und obwohl er dieses Mal nicht auf den Flecken herumtippte, wusste Natalia, dass seine Aufmerksamkeit einzig ihnen galt.
„Bewundere dich woanders", hob sie ihre Stimme. „Ich muss arbeiten."
„Glaubst du wirklich, sie wird ihren ersten Sprung überleben?" Durch den Spiegel hindurch fing er ihren Blick auf.
„Fang doch damit nicht schon wieder an. Ja, natürlich!"
„Du klingst sicherer als neunzig Prozent der Kolonie. Hast du mitbekommen, dass sie Wetten abschließen?"
„Ja natürlich, weiß ich – Wetten?"
Faust vergaß, dass sie drauf und dran gewesen war, ihn herauszuschicken.
„Was für Wetten?"
„Na ob sie stirbt oder lebt."
„Warum sollte sie sterben? Sie hat die Gene ihgrer Mutter, natürlich wird sie leben."
„Achja?"
Natalia zögerte. Sie wusste, je länger sie versuchte, sich zu rechtfertigen, desto unsicherer wirkte sie. Also blieb sie still und beobachtete, wie Zac sich zur Tür bewegte. Bis eben hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, was passieren würde, sollte Noelle es nicht schaffen. Sie hatte sich schlichtweg nicht erlaubt, daran zu denken. Aber von diesen geschmacklosen Wetten zu hören ... davon zu hören, dass es doch als keine Selbstverständlichkeit galt, dass Noelle wieder dieses Schiff betrat ... Natalia ballte die Hände zu Fäusten und rief Zac zu, ehe er den Türgriff ganz heruntergedrückt hatte.
„Warte!"
„Was gibt es?"
„Ich möchte, dass du sie beschützt."
***
Noelle
Gegenwart
Noelle erwachte aus ihrem Schlummer. Sonnenstrahlen kitzelten sie. Sie hörte ein Rascheln, Vogelgesang und das Sirren von Insekten. Sie wälzte sich hin und her, atmete durch und genoss den Duft von Blumen, Kräutern und Gräsern um sich herum. Dann schlug sie die Augen auf und blickte verkehrt herum in Sonjas Gesicht.
„Ich würde nicht so tief einatmen, wenn ich du wäre. Die Pollen können die Sinne verdrehen."
Sie streckte Noelle ihre Hand entgegen und half ihr auf. Um sie herum, soweit das Auge blickte, hoben sich sanfte Hügel vor einem blassblauen Himmel ab. Noelle glaubte sich in ein Gemälde gestolpert. Die Wolken bewegten sich nicht, sie klebten wie Farbtupfer auf einer Leinwand. Überall auf der Wiese verteilt saßen die Mitglieder des Trupps.
Das alles sah Noelle durch einen Riss in ihrer Brille. Zuerst hatte sie gehofft, dass es sich um ein Haar oder einen Schmierfleck handelte. Enttäuscht musste sie feststellen, dass der Sprung ihre Brille zerstört hatte.
„Hier." Sonja zückte die Brille, die Noelles Mutter für sie präpariert hatte. „Faust hat sie uns mitgegeben."
Noelle zögerte. Ihre Mutter hatte sie gezwungen, den Springern beizutreten, da war so eine gebastelte Brille nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn sie wirklich wollte, dass Noelle überlebte, hätte sie sie nicht erst hierhergeschickt.
Fürs erste besaß sie jedoch keine Wahl. Zumindest nicht, wenn sie es ernst mit dem Überleben meinte. Noelle nahm die Sehhilfe an und setzte sie sich auf. Ihre kaputte Brille stopfte sie sich in die Hosentasche. Zurück in der Kolonie würde sie die Brille ihrer Mutter ins Meer werfen. Nein, nicht erst in der Kolonie. Schon davor. Wenn sie in den Booten saßen oder sogar noch davor. Dann stünde sie auf der Promenade dieser alten Welt, holte tief aus und Platsch die Brille wäre weg. Allein dafür lohnte es sich, heute nicht zu sterben.
„Wir sind gerade noch so entkommen", hörte Noelle Luna hinter sich. „Du hattest Glück, Kleine."
Sie hockte im Schatten eines Baumes und wedelte dem bewusstlosen Etka Luft zu.
„Sturer Bock", grummelte sie, „er hätte zuhause bleiben sollen."
Noelle trat näher.
„Ich kann helfen", bot sie an, „Ruh dich aus!"
„Ruhe?", die Wolfsdame schnaubte. „Die hatten wir schon. Wir haben zu viel Zeit verplempert. Zeit, die wir nicht haben sollten."
Die Erkenntnis traf Noelle wie ein Schlag.
Sie riss herum und blickte zu Sonja. „Wir sind in der Schattenwelt!"
„Wo denn sonst, Dummerchen", sagte Luna.
Sonja nickte. Sie holte Noelles Rucksack und kramte darin herum, bis sie eine Taschenuhr fand. „Ich hab sie schon gestellt, keine Sorge."
„Richtig." Noelle nahm sie entgegen. „Danke!"
Zeit war wertvoll, vor allem in der Schattenwelt, wo jede Minute ein Stück Menschlichkeit kostete.
„Dafür nicht." Sonjas Blick streifte Etka. „Wenn er nicht aufwacht, nehme ich ihn Huckepack. Wir können nicht warten."
„Müsst ihr nicht." Der Mann mit den Fuchsohren hatte die Augen geöffnet.
Er lächelte und als ein dünnes Rinnsal Blut seinem Mundwinkel entwich, wischte er es ab. „Ich bin nicht hier, um Zeit zu verplempern oder getragen zu werden."
Sonja holte einen metallenen Behälter und einen Löffel hervor. Beides reichte sie ihm. „Hier, iss das!"
Bei Noelle tat sie das gleiche. Dann lehnte sie sich mit einem Sandwich in der Hand gegen den Baum.
„Verdammt." Hustend wandte Etka sich zu Noelle. „Ich hätte mich um dich kümmern sollen."
„Alles gut", flüsterte sie.
Sie aßen rasch und sobald sie fertig waren, stand Luna als erste auf.
„Wir hatten auf die Kundschafter gewartet", erklärte sie. „Aber es scheint, dass sie nicht zurückkommen. Dann müssen wir ohne ihre Informationen vorgehen. Hopp hopp!"
Sie nickte Noelle zu, die noch nicht einmal halb fertig mit ihrem Pott Gemüseeintopf war. „Wenn deine Mutter dich schon hergebracht hat, dann erweis ihrem Namen wenigstens Ehre und hör auf, so eine Trantüte zu sein."
Noelle räusperte sich. „Trantüte?"
„Allein diese Antwort hat dich wieder drei Sekunden zu lange gebraucht."
Die anderen Springer im Blumenfeld um sie herum beobachteten den Wortwechsel irritiert. Anstelle jedoch Widerworte zu geben, wie Noelle es so gerne getan hätte, entschloss sie sich, die Klügere zu sein und nachzugeben. Sie ließ die Schultern hängen und griff nach ihrem Rucksack. Schließlich müsste sie nun stärker sein. Selbst durch nur einen Sprung entwickelten Menschen übernatürliche Fähigkeiten, die sich mit der Zeit, die sie in der Schattenwelt verbrachten, nur steigerten.
Noelle packte den Riemen und zog daran, schaffte es allerdings wie schon auf der Promenade kaum, die Tasche anzuheben. Wenn ihre Kollegen bis eben noch die generelle Situation beäugt hatten, so lastete ihre Aufmerksamkeit nun vollends auf Noelle.
„Unmöglich", raunte Luna, „Kind, was tust du da?"
Mit aller Kraft, gegen den Boden gestemmt und mit rot angelaufenem Gesicht schaffte Noelle es, den Rucksack anzuheben und sich aufzusetzen. Ihre Knie schlotterten und kurz fragte sie sich, ob sich jemand einen Spaß erlaubt und ihren Proviant gegen Steine getauscht hatte.
Sie ging einige Schritte und glaubte, sich an das Gewicht zu gewöhnen. Ja, das waren die Kräfte einer Schattenspringerin! Noelles Brust schwoll an. Sie strahlte vor Freude. Dann stolperte sie, die Realität holte sie ein und der Rucksack riss sie zu Boden.
Sonja hob sie daran hoch, wie eine Schildkröte an ihrem Panzer. „Spürst du etwas? Irgendwelche Veränderungen?"
„Nein!"
Vor Schreck ließ sie Rucksack und Noelle daran wieder fallen. Der Aufprall tat mehr weh als der Sturz. Noelle ächzte. Sie warf ihren Schildkrötenpanzer ab und stemmte sich auf, bevor sie den Duft der Blumen zu tief einatmen konnte. Sie blickte Sonja an, die kreidebleich dastand.
„Wir müssen die Mission abbrechen", keuchte diese.
Luna hatte zu ihnen aufgeholt. „Warum das denn?"
„Sie hat keine Kräfte!"
„Das kann ich sehen!", gab die Wölfin gereizt zurück.
Noelle verstand nicht. Was hatte das zu bedeuten? Warum war sie nicht stärker, schneller oder geschickter geworden? Warum fühlte sie sich normaler als sogar noch vor dem Sprung?
„Jemand muss sie zurückbringen!", sagte Sonja.
Sie griff Noelle am Arm. „Wir springen zurück, jetzt sofort. Ich bring dich zu den Booten und –"
„Das verbiete ich!", fuhr Luna ihr ins Wort. „Wir haben keine Zeit für so etwas. Ob sie Fähigkeiten hat oder nicht, sie kommt mit."
Noelle wusste nicht, was sich mehr wie ein Schlag ins Gesicht anfühlte. Die Ablehnung durch die Anführerin der Gruppe oder die Tatsache, dass sie ohne besondere Fähigkeiten dem Tod geweiht war. Selbst Etka in seinem ausgelaugten Zustand war der Truppe eine größere Hilfe.
„Wir müssen das Risiko eingehen." Er trat hinzu. „Es tut mir leid, Noelle."
„Aber das könnt ihr nicht machen!", rief Sonja. „Sie stirbt!"
Noelle blinzelte entrüstet. Sterben? Ja, sie hatte mit dem Gedanken bereits gespielt. Sie hatte gewusst, dass die Wahrscheinlichkeit, zu sterben, höher lag, als zu leben, wenn sie Springerin wurde. Aber so leicht? So willkürlich?
„Das ist nicht fair", stieß sie aus.
„Hat irgendjemand gesagt, dass das Springen fair ist?", fragte Luna.
„Nein, aber –"
„Dann beschwer dich nicht und setz dich in Bewegung." Lunas Blick streifte Sonja. „Und wenn ich mitbekomme, dass du uns alle in Gefahr bringst, weil du sie retten willst, werde ich dir die Kehle aufreißen."
Luna und die anderen Springer gingen voraus. Noelle und der Rest folgten. Artemis stützte Etka ab. Sonja trug Noelles Rucksack.
„Du wirst bestimmt noch deine Fähigkeiten entwickeln", versuchte die Gehörnte Noelle aufzumuntern. „Bei mir waren sie auch nicht sofort da."
„Achja?" Artemis schnalzte mit der Zunge. „Ich erinnere mich, dass deine erste Aktion war, dass du einen Baum ausgerissen hast."
„Ach halt doch die Klappe!"
Während sie sich die Hügel entlang ihren Weg bahnten, streifte Noelles Blick Etka.
„Wieviele Stunden habt ihr alle schon in der Schattenwelt verbracht?"
„Was für eine Frage", entgegnete er. „Genug."
„Wird das dein letzter Sprung sein?"
„Mein Letzter?" Er lachte und verfiel kurz darauf in ein Husten. „Nein! Natürlich nicht."
„Hör auf zu reden, das erschöpft dich nur", fuhr Sonja ihn an. „Und du hör auf ihm Fragen zu stellen, Noelle."
„Ja ... natürlich."
Etkas Zustand schien sich mit jedem Schritt zu verschlechtern. Hinzu kam, dass seine Mutationen sich wie in einem Zeitraffer auszubreiten schienen. Der Pelz auf seinen Unterarmen spross dichter und länger, und es war, als würde sein Skelett selbst sich neu strukturieren. Die Knochen an seinen Schultern wurden spitzer, als brächen sie jede Sekunde unter der Haut hervor. Noelle musste sich abwenden und die Tränen wegblinzeln. Der winzige Funken an Entschlossenheit, den sie noch vor dem Aufbruch verspürt hatte, war verpufft. Sie wollte einfach nur zurück und nie wieder etwas mit dem Springen, mit der Schattenwelt und der alten Welt, den Göttern, den Mutationen und dieser bohrenden Angst zu tun haben. Natürlich wusste sie, was am Ende des Weges eines Springers stand. Tod durch einen Gott oder einen anderen Springer. Denn wenn die Mutationen überhand gewannen und nicht schon längst die lebenswichtigen Organe zerfressen hatten, fingen sie an, den Verstand zu beeinträchtigen. Und wenn das geschah, stellte es Barmherzigkeit dar, jemanden zu erlösen. Aber Noelle wollte Etka nicht erlösen. Genauso wenig wollte sie, dass jemand anderes es tat.
Sie schaute zu Sonja neben sich und bedeutete ihr, sich gemeinsam etwas von den anderen zu entfernen.
„Was gibt es?"
„Wieviele Stunden hat Etka schon? Wieviele denkst du, wird er noch haben?"
Die Frau kaute an ihrem Daumennagel. „Solltest du dir wirklich um ihn Sorgen machen?"
„Ja!" Noelle blickte ihr stur in die Augen. „Ja, das sollte ... deine Augen!"
„Was ist damit?"
Sonjas Augen hatten einen satten Bernsteinton und die Pupillen eine rechteckige Form angenommen.
„Sie haben sich verändert. Sie sind wie ... wie bei einer Ziege."
„Da siehst du mal, wie schnell die Mutationen voranschreiten." Sonja lachte, doch Noelle glaubte, darin Schmerz, Angst und Ungewissheit zu hören, nicht die vorgegaukelte Freude. „Konzentrieren wir uns auf die Mission und sprechen später darüber."
„Natürlich", sagte Noelle, „wir töten den Spähergott!"
„Töten ist ganz schön vage gesagt. Wir suchen Informationen, um das zu tun. Wie du weißt, ist die Schattenwelt unmittelbar mit der Oberwelt, also unserer echten Realität verbunden, wobei es jede Menge Abkürzungen durch den Raum gibt", erklärte Sonja. „Wir suchen ein Labor auf, das in der Oberwelt bereits nicht mehr existiert. Dort müssten wir die Akten darüber finden, wo der Spähergott sein Nest hat. Eigentlich müssten die Kundschafter die genauen Abkürzungen und Pfade bereits herausgefunden haben, um dorthin zu kommen. Wir sind nur dazu da, den Weg zu gehen und die Informationen einzuholen. Ohne die Kundschafter sind wir ziemlich aufgeschmissen. Wir müssen improvisieren."
„Sind sie tot?"
„Gut möglich." Sonja nickte in Lunas Richtung. „Aber besser, du redest in ihrer Anwesenheit nicht darüber. Es gibt da jemanden bei den Kundschaftern, den sie mehr begehrt, als ein Springer einen anderen Springer begehren sollte."
Dann schaute sie wieder zu Noelle. „Das hast du nicht von mir. Sie kennt die Konsequenzen, ich mische mich da nicht ein. Nur eine kleine Warnung an dich. Sonja meint es ernst, was sie sagt. Du und ich wären nicht die ersten ihrer Kameraden, die sie tötete, bevor es nottat."
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