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Kapitel 10: Zac

Noelle

Gegenwart

»Du da!«, rief jemand von der Tür her.

Noelle schaute noch immer in Richtung des Hundes. Nein, sie schaute nicht, sie starrte. Und er starrte zurück. Die Welt um sie herum verlor an Schärfe. Sie sah lediglich die azurblauen Augen des Wesens vor sich. Augen wie die eines Menschen.

»Hey!« Die Männerstimme näherte sich. »Hörst du mich nicht?«

Als hätte der Blick der Kreatur dort hinter dem Vorhang alles eingefroren, von den Gedanken bis hin zu den Muskeln. Diese blauen Augen, sie sogen Noelles Aufmerksamkeit in sich auf, wie ein Schwamm Wasser. Noelle bemerkte, wie ihr Herz beschleunigte, die Frequenz hochsprudelte und ihre Brust sich zusammenzog vor Schmerz. Das Schlagen verlor seinen Takt. Es dröhnte ihr in den Ohren, übertönte das Rauschen von Blut und das schrille Piepen darin. Noelle spürte ihr Herz rasen, spürte es überall in ihrem Körper, nur nicht dort, wo es hingehörte. All das unter dem wachsamen Blick der Kreatur, die dort hinter dem Vorhang hervorlugte. Noelle schürzte die Lippen, wollte antworten, um Hilfe rufen.

»Du solltest nicht hier sein.« Der Fremde schien direkt neben ihr zu stehen.

Und ehe Noelle sich versah, packte er sie und rannte los. Von einer Sekunde auf die andere hatte sie sich aus ihrer Starre gelöst. Ihr Herz schlug wieder regelmäßig, wenn auch immer noch viel zu schnell. Noelle bemerkte ein Kribbeln in ihrer Brust, das sich bis in ihren Magen zog. Und sie spürte das Verlangen, es auszureizen. Wie lange hätte sie im Bann dieser Kreatur stehen können? Es hatte wehgetan, aber ohne diesen Schmerz fühlte sie sich inkomplett. Irgendwie leer. Jede Faser in ihrem Körper sehnte sich nach ihm. Mehr, sie wollte mehr. Sie wollte zurück vor die Augen dieses Gottes, seinen Blick auffangen und fühlen, wie sie langsam unter seiner Aufmerksamkeit zerfloss. Wahnsinn. Das war Wahnsinn. Sie hätte gelacht, würde sie sie nicht mit jeder Sekunde weiter von diesem wundervollen Geschöpf entfernen.

»Lass mich los!« Sie trommelte gegen den Rücken ihres Entführers.

Der ignorierte ihre Versuche, sich zu wehren. Stattdessen rannte er mit großen Schritten durch die Räume der Palastanlage. Noelle schrie und kratzte, bis sie warmes Blut unter ihren Fingernägeln wahrnahm. Der Schock rief sie zurück in die Realität. Kein Hundegott, kein Verlangen mehr, zu ihm zurückzukehren. Der Fremde durchquerte mit ihr über der Schulter einen Innenhof mit Brunnen und Hundestatuen, erklomm in einem Thronsaal eine Treppe aus rotem Sandstein und sprang aus dem Fenster. Glas klirrte. Noelle kreischte. Sie krallte sich fest. Frische Nachtluft flutete ihre Lungen. Das nächste Mal, dass sie sich wieder traute, die Augen zu öffnen, hatten sie bestimmt schon mehrere Kilometer hinter sich und das kaputte Fenster gebracht. Der Mann verlangsamte sein Tempo und setzte sie ab. Sobald sie wieder den Boden unter ihren Füßen spürte, schubste sie ihn von sich.

»Was sollte das! Du bist ... du bist ...« Ihr Blick wanderte hoch, sie legte den Kopf in den Nacken und die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz. »Zac!«

Hitze stieg ihr ins Gesicht. Ihre Wangen glühten. Sie deutete eine Verbeugung an und stammelte eine Entschuldigung nach der anderen. Was tat der Beste aller Springer hier? Sie traute sich nicht, weiterhin zu ihm aufzuschauen. Stattdessen spähte sie durch die Haare ihres Ponys hindurch.

Zacharias Gremory. An Bord der Kolonie hatte die Geschichten über ihn gehört. Keiner kannte die Schattenwelt wie er. Er war der erste und einzige Mensch, der jemals einen Gott getötet hatte. So hieß es. Durch Zacs Adern floss Springerblut, das seiner Eltern. Dabei war es Springern untersagt, sich fortzupflanzen. Wobei das ohnehin eine Unmöglichkeit darstellte. Die Mutationen veränderten nicht nur das Äußere eines Menschen. Der Einfluss der Schattenwelt zerfraß auch die Organe.

Noelle hatte ihn einige Male gesehen, wenn auch nur aus der Ferne. Wirklich an ihn herangetraut hatte sie sich nie, denn seit sie denken konnte, fürchtete sie sich vor ihm. Für Noelle wirkte er mehr wie ein Monster als ein Mensch, dabei hatte sie bisher nicht einmal von der Art seiner Mutationen und Fähigkeiten gewusst. Es war seine Ausstrahlung, die sie bisher das Fürchten gelehrt hatte.

Zacharias fuhr sich mit der Hand über den Nacken und wischte das Blut daran ab. Es blutete weniger als Noelle in Erinnerung hatte. Das musste mit der erhöhten Regenerationsfähigkeit von Springern zusammenhängen. Nichtsdestotrotz fühlte sie sich schlecht dafür, ihn verletzt zu haben.

Er trug eine offene Lederjacke, darunter ein hellbraunes T-Shirt. An Hals und Armen erkannte Noelle silberne Flecken. So eine Mutation hatte sie noch nie bei jemandem gesehen. Selbst die Bärenohren nahmen ihm nicht das Bedrohliche, sie verstärkten den Eindruck nur, eine wilde Bestie und keinen Mann vor sich stehen zu haben. Am schlimmsten war jedoch der Ausdruck in seinen Augen. Kalt und schwarz, wie zwei Onyxe. Stechend. Zacharias hatte die Eigenheit, alles und jeden mit seinem Blick zu durchbohren. Das wusste Noelle schon. Das hatte sie gehört. Jetzt wurde sie sich erst wirklich bewusst, was es bedeutete. Wenn sie nicht unter den Augen dieses Hundewesens zerfloss, dann sicherlich unter den nachtschwarzen Iriden dieses Mannes.

»Warum warst du alleine?«, fragte er. »Wo sind die anderen?«

»Ich weiß es nicht. Sorry, ich –«

»Hör auf, dich zu entschuldigen.«

»J-ja natürlich. Sorry, nein, ich meinte ...« Noelle fühlte, wie ihr Selbstbewusstsein unter seinem Blick dahinschwand.

»Du hattest Glück, dass ich dich gefunden habe.« Er deutete auf die Wiese um sie herum. 

»Möchtest du dich ausruhen, oder können wir weiter?«

Bot er ihr das tatsächlich an? Dabei war er derjenige, der sie getragen hatte. Müsste nicht vielmehr er eine kurze Pause brauchen?

»Also?«

Noelle schüttelte den Kopf und ehe sie etwas sagen konnte, setzte er sich in Bewegung. Noelle stolperte ihm nach.

»Danke, dass Sie mich gerettet haben.«

»Du musst mich übrigens nicht Siezen. Ich bin gerade einmal vier Jahre älter.«

In Springerjahren war das eine Menge, da sie nicht viel älter als dreißig wurden. Noelle würde sich zwingen müssen, ihn nicht weiterhin formell anzureden.
Sobald sein Blick nicht mehr auf Noelle lastete, traute sie sich auch, lauter zu sprechen. »Danke, dass ... dass du mich gerettet hast.«

Er blickte kurz über seine Schulter. »Du ähnelst deiner Mutter überhaupt nicht.«

»Ich weiß.«

»Gut so.«

War da ein Lächeln? Noelle traute ihren Augen nicht. Sie blinzelte und er schaute wieder genauso düster drein wie schon zuvor.

»Hast du überhaupt irgendeine Ahnung, wo du hier bist?«

Noelle legte den Kopf schief. »In der Schattenwelt natürlich.«

»Gut«, schnaubte er. »Und warum läufst du dem Spähergott dann in die Arme?«

Noelle rannte gegen Zac vor sich. Erschrocken wich sie zurück. Der Hund hinter dem Vorhang, das war wirklich ein Gott? Sie hatte es vermutet, aber es noch einmal zu hören, jagte ihr ein Schauer den Rücken hinunter. Unbewusst fuhr sie sich mit der Hand über den Hals, der noch immer vom Schreien schmerzte. Ein Gott ... warum lebte sie dann noch?

»Das war ein Gott. Ja. Und du kannst dich verdammt noch mal glücklich schätzen, dass ich dich dort weggebracht habe.«

»Danke.«

»Sei verdammt noch mal nicht dumm. Das ist genug Dank.«

Sie liefen über das dunkle Feld. Es reichte bis an den Horizont, wo die Sterne die Erde küssten. Noelle blickte kurz hinter sich, wo von der Palastanlage jede Spur fehlte. In der Ferne schimmerte etwas, wie das hell erleuchtete Fenster einer Puppenstube. Es schwebte, als hätte jemand es aus seinem Haus genommen und in den Himmel gesetzt. Mit jedem Schritt entfernten sie sich weiter davon und schon bald sah Noelle nur noch die Sterne dort. Sie hoffte, dass Zac vor ihr genau wusste, wohin. Sie hatte die Orientierung schon bei der Flucht verloren, wenn sie sie überhaupt jemals besessen hatte.

Schon das Blumenfeld von vorhin hatte sie überwältigt. Noelle war nicht immer nur über Schiffe gewandert. Ihre ersten Jahre hatte sie in Eden verbracht, wenn auch die Erinnerungen an diese Zeit mit jedem Jahr blasser wurden. Doch auch dort hatte sie nie so große, weite Felder oder so prächtig geschmückte Paläste durchwandert. Und so ganz begriff sie es immer noch nicht, konnte es gar nicht begreifen.

Je mehr Strecke sie zurücklegten, desto mehr Graß verlor das Feld und ähnelte einem Acker. Nur fehlte es an Saatgut, Keimlingen oder überhaupt allem, was einen Acker zu einem Acker machte. Noelle verstand selbst nicht so recht, wie sie auf diese Assoziation kam. Mit jedem Schritt sank sie ein Stück in den Schlamm ein. Die Sohlen ihrer Stiefel schmatzten. Es roch nach Erde und Regen. So andersartig dieser Ort schien, er erinnerte Noelle an ihr Zuhause, die Kolonie. Dort auf und in den größten Schiffen, wo sie Pflanzen züchteten, aussäten und ernteten, gab es auch Äcker, wenn auch viel kleiner als diese unendliche, leere Fläche. Die Schattenwelt ähnelte der echten Welt, wenn auch auf eine verzerrte Art und Weise. Noelle erinnerte sich, das irgendwo einmal gelesen zu haben. Ob an dieser Stelle in der realen Welt wohl einmal Nahrungsmittel angepflanzt worden waren?

»Geh nicht langsamer!«, befahl Zac.

Noelle hatte nicht bemerkt, dass sie ihm mit mindestens fünf Metern Abstand hinterhergetrottet war. Sie beschleunigte, wobei ein stechender Schmerz durch ihre Waden jagte. Über diesen Untergrund zu laufen war anstrengender als eingänglich erwartet. Es gab noch so viele Dinge, die sie Zac fragen wollte, doch schaffte sie es nicht, auch nur ein Wort hervorzubringen. Sie musste sich konzentrieren, gerade zu gehen und nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Den Blick hielt Noelle dabei gesenkt, dass sie nur die Beine ihres Vordermannes sah.
Sie gingen eine kleine Weile, bis aus dem Schlamm erst feinkörniger Sand wurde und dann der schroffe Stein eines Plateaus inmitten vieler weiterer Plateaus. Noelle spürte den festen Boden unter ihren Füßen und jubelte innerlich. Wenig später schaffte sie es, trotz der Erschöpfung, auch endlich, wieder die Stimme zu erheben.

»Gut, dass du da warst«, sagte sie, »Ich wäre bestimmt noch stundenlang im Kreis gelaufen und –«

»Du denkst bestimmt, dass die Palastanlage ein Labyrinth ist.«

Noelle warf ihm einen verwirrten Blick zu. War das etwa falsch? Gab es etwa eine Ordnung dort, die nur sie noch nicht verstanden hatte?

»Es ist kein Labyrinth«, erklärte Zac schließlich, »sondern eine lose Ansammlung von Zimmern. Jedes Mal, wenn du durch eine Tür gehst, reiht sich ein neues Zimmer dort an. Du kannst gar nicht im Kreis gehen, genauso gut kannst du auch nicht wieder dorthin, wo du hergekommen bist, indem du einfach nur rückwärtsgehst. Du musst dir vorstellen, welches Zimmer du als nächstes betreten möchtest, sonst entscheiden der Zufall und dein Unterbewusstsein das.«
Wieso erzählte er ihr all das? Noelle verstand nicht. Noch viel weniger verstand sie dabei, worüber er da redete. Wie konnte das möglich sein? Räume, die zusammenhingen und dann doch nicht?

»Warum mussten wir dann durch so viele Zimmer, um zum Labor zu gelangen? Können wir uns nicht einfach an das Ende der Palastanlage denken?«

»Hattest du nicht den Kodex und die Akten der alten Missionen, um dich vorzubereiten?«

»Schon ... aber ...« Zwischen dem Zeitpunkt, an dem Noelle von ihrer Einberufung als Springerin erfahren hatte, und ihrem tatsächlichen Aufbruch lagen zwei Wochen. Diese Zeit hatte sie so gut es ging für die Vorbereitung genutzt. Allerdings waren zwei Wochen auch so gut wie nichts. Noelle hatte nur an der Oberfläche der kollektiven Springermemoiren kratzen können. Wenn sie dann kratzte.

Zac seufzte und fuhr fort: »So einfach ist es nicht. Obwohl die Zimmer nicht fest zusammenhängen, liegen manche näher und manche weiter weg und wenn sie zu weit weg sind, dann können wir nicht durch nur eine Tür dorthin gelangen. Außerdem gelangst du in manche Zimmer nur durch Zimmer, die mit ihnen verbunden sind. Es ist kompliziert. Nicht zu fassen, dass du davon nicht wusstest. Vor deinem nächsten Sprung musst du das unbedingt nachholen und lernen.«

Noelle wurde warm bei diesen Worten. Der nächste Sprung. Das hier markierte nicht das Ende. Sie atmete erleichtert aus. »Ja natürlich!«

»Gut. Dann lass uns nun zu den anderen dazustoßen.«

Mit jedem Schritt, den sie sich voran bewegte, wuchsen oder schrumpften die Sandsteinplateaus um sie herum. Noelle blieb immer wieder kurz stehen, nur um dann zu sehen, dass die Felsformationen auch in ihren Bewegungen innehielten. Wenn sie sich dann beeilte und mit eiligen Schritten zu Zac aufholte, veränderten die Berge sich umso rascher. Sie schienen an Noelles Schritte angepasst, zumindest zum Teil. Der andere Teil hatte sich an Zacs Rhythmus geschmiegt, beinahe als würden sie um ihn herum tanzen.

»Das wandernde Gebirge«, stellte Noelle fest.

»Du hast also doch was aus den Büchern behalten«, murmelte Zac.

»Weißt du, wo wir lang müssen?«

Zac nickte.

»Ist es noch weit?«

Er stoppte so abrupt, dass Noelle erneut gegen ihn stieß. Konnte er nicht wenigstens ankündigen, wenn er anhielt?

»Willst du eine Pause machen?«

Sie schaute zu ihm auf. Meinte er das ernst? Egal wie sehr sie sich anstrengte, sie schaffte es nicht, auch nur eine Emotion in seinen finsteren Augen zu erkennen.

»Wenn es nicht mehr weit ist, dann nein. Wenn es noch weit ist, dann ja. Aber –«

Er warf seinen Rucksack ab.

»Halt warte!« Noelle riss die Hände hoch. »Ist es denn noch weit?«

Zac blinzelte in die Ferne. »Ein wenig. Wenn sie nicht dort sind, werden wir zurück durch die Schatten springen.«

»Oh ... okay.« Sie setzten sich und Noelle lehnte sich an eine der Felswände, die, nun da sie nicht mehr in Bewegung waren, stillstand.

Dieser Ort faszinierte Noelle so sehr wie alles an der Schattenwelt. Aber sie spürte auch das Miasma der echten Welt, das wie durch einen Schleier in diese andere Realität drang, wie Spitzen durch ein dünnes Seidentuch. Wie viel trennte diese Welten wirklich voneinander? Handelte es sich wirklich um Welten? Oder nur zwei Seiten einer Realität? Noelle wollte noch weiter darüber nachdenken, Zac weiter dazu befragen, aber ihre Gedanken waren zu schwer und wie in Watte gepackt. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und nickte erneut ein.
Sie wusste nicht, wie viel später es war, als Zac sie weckte und sie wieder aufbrachen. Das wandernde Gebirge zog an ihnen vorüber, sie kamen durch einen Wald, spazierten einen Strand entlang und erreichten schließlich ein weiteres Gebirge, deutlich düsterer und nicht so lebendig. Am Eingang einer Höhle erkannte Noelle eine Reihe bekannter Silhouetten. Eine der Gestalten, sie besaß den Kopf eines Wolfes, wandte sich zu ihr um. Sie schien etwas zu rufen. 

Noelle winkte ihnen zu. Neben Luna erschienen nun, je näher sie kamen, auch die anderen bekannten Gesichter ihrer Springerkollegen. Noelle erkannte Artemis, Etka, Akiko und Sonja. Sonja, eben noch im Gespräch mit einer Frau, die anstelle von Haaren Federn trug, schubste diese vor Schreck fast weg, sobald sie Noelle und Zac sah.

»Du lebst!«, stieß sie aus und sobald Noelle vor ihr stand, umarmte sie sie.

Sonja roch nach dem Sommer an Bord der Kolonie, nach der frischen Meeresbriese und der Sonne, die auf die Schiffe schien und den Lack über dem Metall abblättern ließ. Noelle genoss die Umarmung. Es fühlte sich an, als hielte sie sie und ihre Gedanken zusammen. Seit der Begegnung mit dem Spähergott fiel es ihr nur schwer, sich zu konzentrieren. Noelle blieb still, solange bis sie merkte, dass Sonja sie so eng mit den Armen umschloss, dass sie ihr die Luft wegdrückte. Noelle rang nach Luft und schaffte es mit Mühe, sich zu befreien.

»Sorry«, rang sie sich ab. »Ich habe euch verloren und –«

»Zac!«, unterbrach Luna sie.

Noelle schaute hinter sich und erschrak. Zac hatte sich ihnen genähert und stand nun unmittelbar hinter ihr. Sie hatte ihn nicht gehört. Hatte er sich angeschlichen?

»Das ist nicht deine Mission«, sagte Luna schroff.

»Jetzt schon.« Zac blieb ungerührt, wie ein Fels in der Brandung.

Die Wölfin zeigte ihre Lefzen. Sie trat näher. In ihren Augen funkelten Zorn, Hass und Mordlust. Indes zogen Artemis und Etka Noelle an ihrer Kapuze zurück.

Etka raunte. »Es ist schön, dass du wieder da bist, aber halt dich zurück.«

»Deine Mutter würde uns umbringen, wenn dir was passiert«, witzelte Artemis.

Etka stieß ihm in die Seite und schüttelte den Kopf. Noelle schaute zu Zac und Luna, die sich ein Starrduell zu liefern schienen. Mit jedem Atemzug glaubte Noelle die Wölfin einen Zentimeter mehr auf Zacs astronomische Größe wachsen zu sehen.

»Er hat mich gerettet vor ...« Sie stockte.
War jetzt wirklich die Zeit, von der Begegnung mit dem Spähergott zu sprechen? Hinzu kam, dass Noelle sich an die Warnung Etkas erinnerte.

»Wenn ein Gott auftaucht, dann spring. Lauf nicht. Spring.«

Wie hatte sie nicht daran denken können? Ein einfacher Rat und Noelle hatte ihn nicht befolgt. Stattdessen war sie gerannt. Besser gesagt Zac war gerannt. Müsste er nicht erfahren genug sein, um es besser zu wissen? Was, wenn er es aber besser wusste und Laufen wirklich die einzige richtige Weise war, einem Gott zu entkommen? Schließlich lebten sie noch. Und Springen hatte Noelle ohnehin nicht geschafft, zuvor bei ihrer Begegnung mit dem Tiger.
Dennoch, sie kam nicht umhin, zu bemerken, wie seltsam das ganze doch war. Sie gehörte offiziell zu den Springern und wusste nicht einmal, wie sie sich korrekt in Gegenwart eines Gottes verhielt? Sie hatte dringend Nachholbedarf. In vielerlei Hinsicht. Wenn sie wenigstens einen Monat vor ihrer ersten Mission von ihrer Rekrutierung erfahren hätte, sie wäre um ein Vielfaches vorbereiteter gewesen.

»Du Miststück«, knurrte die Wölfin. »Du solltest nicht hier sein! Was tust du hier?«

»Euch helfen«, entgegnete Zac.

Noelle fand es seltsam, wie Zac gegenüber dieser Frau so eine Ruhe bewahren konnte.

»Wir brauchen keine Hilfe! Verpiss dich!«

»Dann hättet ihr sie nicht verloren.«

»Sie hat nicht Schritt gehalten!«, rief Luna. »Wir können nicht warten, bis sie sich zusammengerissen hat. Wir sind keine Babysitter!«

»Doktor Faust wird das anders sehen.«

»Faust kann mich mal!«

Zac holte aus. Seine Faust traf Lunas Schnauze seitlich. Die Wölfin stieß einen Schrei aus, der wie Knurren, Bellen und Heulen zugleich kam. Etka, Artemis und Sonja positionierten sich schützend vor Noelle.

»Halt dich zurück!«, fuhr Etka sie an.

Noch während er das sagte, ging Luna zum Angriff über. Sie setzte zum Sprung an, stürzte sich auf Zac und riss ihn zu Boden. Sie riss die Schnauze auf und entblößte zwei Reihen Reißzähne. Sie schnappte zu, immer und immer wieder, im Versuch, Zacs Kehle zu erwischen. Zac hielt sie mit Mühe von sich fern. Staub wurde aufgewirbelt und das Schreien und Stöhnen der Kämpfenden hallte von den Schieferwänden wieder.
Noelle wusste, sie konnte nichts tun. Dafür besaß sie nicht die Fähigkeiten. Aber die anderen?

»Warum tut ihr nichts?«, rief sie über die Geräuschkulisse der Prügelei hinweg.
Die Springer hatten allesamt Abstand genommen. Mit unbeteiligten Blicken beobachteten sie Luna und Zac.

Zac hatte die Oberhand gewonnen. Er saß auf Luna und ihren Armen, drückte mit einer Hand ihre Schnauze zu Boden. Mit der anderen holte er aus. Luna strampelte mit ihren Beinen. Sie wimmerte.

Noelle rüttelte an Sonjas Schulter. »Sie bringen sich um!«

»Wir können nicht.« Sonja trat von einem Bein auf das andere. »Nein, wir können nicht. Das ist der Codex.«

»Aber –«

Zacs Faust hing noch immer in der Luft und bevor sie niedersausen konnte, packte Akiko ihn am Handgelenk.
Ihre Kapuze war ihr nach hinten gerutscht und entblößte schöne, mandelförmige Augen, karamellfarbene Haut und ... Schuppen auf ihren Wangen und unter ihren Augen.

»Genug

Ein Schmerz drang durch Noelles Schläfen und ihre Ohren, als hätte sie nicht eine Stimme sondern das Kreischen von Metall auf Metall gehört. Sie hielt sich den Kopf und sank auf die Knie.

Die Stimme einer Sirene.

Hatte Sonja das nicht gesagt? Zac ließ Luna los und sank zur Seite. Luna, sobald ihre Hände frei waren, hielt sich die Wolfsohren, von denen aus ein Rinnsal Blut in den sandigen Untergrund sickerte. Akiko stand wieder auf und blickte sich um. Sie deutete auf Zac und Luna und bildete mit ihren Unterarmen vor der Brust ein großes Kreuz. Auch ohne weitere Worte verstanden alle, was sie meinte. Keine Kämpfe mehr.

Zac stand auf und richtete seine Jacke. Luna erhob sich ebenfalls und wischte sich mit der Rückhand das Blut von der Schnauze.

»Das wird ein Nachspiel haben«, zischte sie.

Ihr Blick streifte dabei Zac und Akiko. Nach kurzer Stille fuhr sie fort, den Plan zu erläutern, mit dem der Trupp in das Höhlensystem vor sich hinabtauchen würde.

»Das ist Labyrinth von Minos«, erklärte Etka Noelle, »Wir haben die Kundschafter nicht gefunden. Nun, da sie unauffindbar sind, müssen wir unser Bestes versuchen, diesen Weg zu finden oder ... sie zu finden.«

»Hast du schon irgendwelche besonderen Kräfte bemerkt?«, unterbrach Sonja ihn.

Noelle schüttelte den Kopf. Außer der Erschöpfung und dieser exponentiell angestiegenen Zerstreutheit seit der Begegnung mit dem Spähergott fühlte sie sich ganz normal.

»Scheiße ...« Sonja knirschte mit den Zähnen. »Sobald du irgendetwas merkst, sagst du es uns?«

 
»Wie hast du überhaupt zu uns gefunden?«, fragte Artemis.

Noelle deutet in Zacs Richtung, der etwas abseits stand, weder im Gespräch mit anderen Springern, noch sonderlich aufmerksam für Lunas Rede. Niemand schien der Wölfin viel Aufmerksamkeit zu schenken. Sie alle wussten, worauf es letzten Endes hinauslief. Besser gesagt wussten sie, dass sie ihr hinterherliefen und dabei nach Spuren suchten. Was gab es da mehr zu wissen?

»Luna kommandiert gerne«, stellte Noelle fest.

Artemis, Sonja und Etka zogen scharf die Luft ein. »Sag ihr das bloß nicht!«

»Werde ich nicht.«

»Aber jetzt erzähl. Was ist passiert?«

Noelle begann, von ihrer kleinen Odyssee zu berichten. Den Spähergott tauschte sie mit einer zweiten Großkatze, einem schwarzen Panther. Verdammt, warum konnte sie nicht einfach die Wahrheit sagen? Sie fühlte sich schlecht dafür, Etkas Rat nicht befolgt zu haben. Hinzu kam, dass sie sich schlecht fühlte, sich insgeheim immer noch nach der Aufmerksamkeit dieses Hundgottes zurückzusehnen. Ihr Herzschlag fühlte sich so langsam an, so seltsam rhythmisch, nicht so prickelnd aufregend, aufschäumend und unberechenbar wie in diesen Sekunden. Noelle legte sich die Hand auf ihre linke Brust und atmete tief durch. Zusammenreißen. Sie musste sich zusammenreißen.

»Die Katzenwesen im Palast sind nicht böse«, sagte Etka, »Du darfst sie nur nicht angreifen, dann tun sie dir auch nichts.«

»Hast du nicht zugehört, alter Mann?«, fragte Artemis. »Das Viech saß im Weg.«

»Nichtsdestotrotz –«

»Hört mir irgendjemand hier überhaupt zu?«, bellte Luna.

Irgendeine Springerin in irgendeiner Reihe meldete sich. Der Rest schaute betreten zu Boden. Die Wölfin schnaubte wütend.

»Gut! Dann gehen wir –« Sie stockte.

Patsch!

Eine Träne fiel zu Boden. Noelle bemerkte erst mit der zweiten, die ihr Gesicht hinabrann, dass sie weinte. Die Anführerin der Truppe starrte zum Eingang der Höhle, wo sich vor dem hereinfallenden Licht einer falschen Sonne die Silhouette eines schwarzen Windhundes abzeichnete.


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