1. Die Todesmaschine
Wie ich diese Fliegerei doch hasse.
Ich hasse sie fast genauso sehr wie dieses eklige Essen, oder diesen Tomatensaft, den sie dir im Flieger immer andrehen wollen. Am liebsten wäre ich zu Hause in Artern geblieben. Da hätte ich mich zwar mit meinem Opa herumschlagen müssen, aber eine Partie Mühle mit einem alten Mann, hätte ich einem Flug nach Hawaii doch deutlich vorgezogen. "Mia?", Lina zieht mir meine Kopfhörer aus den Ohren. "Was?!" erwidere ich genervt und nehme die Dinger wieder an mich. Die Musik hilft mir irgendwie.
Ohne Musik würde ich den Flug nicht überstehen. Ich würde an Langeweile sterben...
"Guck mal", sie zeigt aus dem Fenster.
"Ist das nicht schön? "
..oder an Höhenangst.
"Willst du mich verarschen? Ich guck' ganz bestimmt nicht aus dem Fenster!
Ich will lieber nicht wissen , wie viele Meter wir in die Tiefe stürzen können! ", meckere ich.
Lina scheint das ganze jedoch nicht zu interessieren. Sie starrt aus dem Fenster, ihre braunen Augen funkeln, und sie murmelt vor sich hin.
"Wow, wir fliegen durch Wolken. Die Welt dort unten sieht so klein aus. Ob hier irgendwo Frau Holle ist? Oder ein Drache? Das wäre spitze!"
Sie presst ihre Nase gegen das Glas und versucht angestrengt durch die Wolken hindurch irgendetwas zu entdecken. Sie war schon immer so. Voller Fantasie. Ich bewundere sie dafür. Während ich schon mit fünf nicht mehr an den Osterhasen oder den Weihnachtsmann geglaubt habe, tut sie es heute noch, obwohl sie bereits elf ist.
"Ist das ein Greif?" fragt Lina begeistert, als sie die Umrisse von etwas fliegendem in den Wolken erspäht. Greife mag sie am meisten.
"Natürlich, mein Schatz. Erkennst du seine riesigen Schwingen nicht?", erwidert Mama. Sie liebt dieses funkeln in Linas Augen, wenn sie in ihrer Fantasiewelt ist. Auch wenn sie weiß, dass es kein Greif war, sondern ein anderes Flugzeug, auch wenn sie weiß, dass es keine Meerjungfrau war, die im See herumschwamm, sondern ein Stör, sie würde es niemals übers Herz bringen, Lina das zu sagen.
Lina antwortet Mama nicht. Sie hat ihr bestimmt wieder nicht zugehört. Sie hört oft nicht zu und das kann ganz schön nervig sein. Ich sitze manchmal vor ihr und erzähle ihr haargenau, was mich bedrückt.Ich erzähle zum Beispiel von der Schule. Und nachdem ich ihr einen ellenlangen Vortrag darüber gehalten habe, was für eine Fotze Frau Klinck ist, sagt sie nur "Was?". Dann gebe ich meist frustriert auf.
Eine der Stuardessen betritt den Gang und klappert nach und nach die Sitzreihen ab, bis sie irgendwann vor uns steht und zum wiederholten mal fragt, ob wir gerne etwas zu Essen oder zu Trinken hätten.
"Genauso viel wie vor den letzten fünf Minuten", antworte ich patzig. Ich habe diese blonde Sumpfdrossel langsam wirklich satt, dass soll sie ruhig auch merken.
"Mia!" , fängt meine Mutter tadelnd an, doch bevor sie mir wieder eine Predigt von wegen 'Benehmen in der Öffentlichkeit' hält, falle ich ihr ins Wort.
"Ich habe halt schlechte Laune, ok? Ihr wisst was für 'ne scheiß Angst ich vorm Fliegen habe und wir hocken hier schon 'ne Ewigkeit in dieser Todesmaschine!".
"Einundzwanzig Stunden sind keine Ewigkeit.", bemerkt mein Vater leicht gereizt.
Der hat doch keine Ahnung von Zeit, wenn einundzwanzig Stunden für ihn keine Ewigkeit sind. Andererseits liegt das wahrscheinlich daran, dass die Zeit für alte Menschen schneller vergeht. Tja, Papa, was sagt uns das?
Doch anstatt ihm das ins Gesicht zu pfeffern, rolle ich nur mit den Augen und gebe ein leises 'Doch' von mir. Einen Streit vom Zaun zu brechen bringt mir ja eh nichts. Höchstens Ärger und auf den kann ich verzichten.
Die Sumpfdrossel betritt das Abteil.
Jetzt kommt dieses Rauschen der Sprechanlage.Was will uns die dumme Kuh nun schon wieder 'wichtiges' Mitteilen.
"Liebe Gäste, bitte schnallen sie sich an.In Kürze beginnt der Landeanflug auf Hawaii. Danke, dass sie mit uns geflogen sind."
Hörer aufgelegt,Pedolächeln aufgesetzt und schon wackelt sie mit ihrem gemachten Arsch aus dem Abteil.
Sieh einer an. Das war ja ausnahmsweise wirklich wichtig.
Endlich raus hier. So bald die Kiste steht, bin ich die Erste, die aufspringt und aus dem Flieger rennt.
Der Boden kommt immer näher.
Wehe der Pilot macht jetzt 'n Fehler, dann gehen wir alle drauf. Oh Gott, bloß nicht drüber nachdenken. Ist es warm hier drin? Ich schwitze.
"Schatz, beruhige dich. Du glühst ja richtig. Freu dich doch. Gleich kannst du aus dem Flieger raus", meint Mama. Die hat gut reden. Mich, wohlwissend, dass ich Höhenangst habe, in dieses Ding pferchen und dann sagen, dass ich mich nicht aufregen soll, wenn wir mit gefühlt 10.000 km/h auf die Erde zurasen.
Ein leichter Ruck. Wir werden langsamer. Ein Glück, wir stehen.
"Wir sind gelandet. Sie dürfen sich abschnallen. Das Team wünscht Ihnen einen wunderschönen Aufenthalt",
höre ich Blondi von hinten trällern. Diesmal ist die Freude nicht vorgetäuscht. Die freut sich wahrscheinlich nur uns los zu sein.
Beruht auf Gegenseitigkeit.
Nach dieser Ansage wird es laut. Jeder der Passagiere springt auf und wuselt im Gang herum, um seinen Koffer zu finden; so auch meine Eltern.
"Monti, du wirst doch wohl noch wissen wo du unsere Koffer hingepackt hast !", entfährt es Mama."Ähm, ich, ich glaube da drüben." "Sicher?" "Nein", ein entnervtes Seufzen seitens meiner Mutter.
Nachdem Papa nach zehn Minuten eingefallen ist, dass die verdammten Koffer direkt über unseren Sitzplätzen waren, sind wir endlich aus dem Flieger heraus gegangen. Als die letzten Trottel.
So viel zum Thema Erste, die raus rennt.
Missmutig schlürfe ich meiner Familie durch den Flughafen hinterher, der Tag ist sowas von im Arsch.
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