Kapitel 9 - Dinosaur Cave Park
Dies ist ein längeres Kapitel mit gut 2200 Wörtern. Wem das zu viel auf einmal ist, der kann es sich vielleicht auch aufteilen. Die Länge ist den Landschaftsbeschreibungen geschuldet, die übrigens authentisch sind und mit denen ich Euch gern einen kleinen Einblick in diesen schönen Küstenstreifen liefern möchte. Auch den Dinosaur Cave Park gibt es tatsächlich.
***
Der Dinosaur Cave Park wurde tagsüber meist von Familien mit kleineren Kindern genutzt, weil er mit seiner mannshohen eisernen Dinosaurierstatue, den steinernen, blaugesprenkelten Dinosauriereiern und den vielen Feuerstellen ein einziger großer Abenteuerspielplatz war.
In den frühen Abendstunden, wenn die Familien nach Hause zum Abendessen aufbrachen, wechselte das Publikum. Junge Leute kamen her, gruppierten sich um die Feuerstellen oder gingen am Strand spazieren, den man über spektakulär zwischen den Felsen der Steilküste angelegte Treppen erreichte.
Ich stellte mein Auto direkt am Eingang ab und stieg ein wenig zögerlich aus. Es gefiel mir nicht, wenn ich alleine auf eine Party ging, schon gar nicht, wenn diese in einer Umgebung stattfand, in der ich mich nicht so gut auskannte. Die Vorstellung, alleine auf eine Gruppe feiernder Menschen zuzugehen, die mir größtenteils fremd waren, löste Unbehagen aus. Schon der Gedanke, ich würde keinen Gesprächspartner finden und einsam in der Menge stehen, verursachte ein flaues Gefühl in meinem Magen.
Kurz überlegte ich, wieder nach Hause zu fahren. Aber was erwartete mich in der leeren Wohnung? Außerdem hatte ich Mia zugesagt. Sie rechnete schließlich mit mir.
Noch immer ein wenig unschlüssig, betrachtete ich die wuchtigen Klippen, die vor der beeindruckenden Szenerie der untergehenden Sonne eine geradezu dramatische Kulisse boten. Eine warme Brise streichelte meine nackten Arme. Eigentlich wollte ich nicht nach Hause. Ich wollte genau hier sein. Jetzt musste ich nur noch den Mut finden, mich unter die Leute zu mischen.
Schließlich schob ich den Autoschlüssel in das schmale vordere Fach meiner weißen Dickies-Handtasche und setzte mich in Bewegung.
Während ich über den breiten, asphaltierten Platz lief, vorbei an dem verblüffend echt aussehenden Veloceraptor und der dekorativ gestalteten Urzeitlandschaft, hörte ich schon von Weitem die sonoren Bässe, die die volltönende Melodie des Luniz Songs I got five on it untermalten.
Automatisch passte ich meine Schritte dem Rhythmus des Songs an.
I got five on it
grab your fourty let's get keyed
Ich hatte mich schon des Öfteren gefragt, ob das eigentlich nur mir so ging, oder ob Musik auch bei anderen Menschen das Bedürfnis auslöste, sich beim Laufen im Takt der Melodie zu bewegen.
Jetzt störte allerdings ein unangenehmes Piepsen die wuchtigen Töne des Songs.
Piep, piep.
Rhythmisch
Piep, piep.
Genervt schüttelte ich den Kopf.
Was war das zur Hölle? Bekam ich jetzt Tinnitus?
Ich presste kurz den Zeigefinger auf mein Ohr. Das Geräusch verschwand.
Irritiert setzte ich den Weg fort.
Der familienfreundliche Park hatte einiges zu bieten. Seitlich des Weges, der mich zu den Klippen führte, gab es einen großen Spielplatz mit Schaukeln und Klettergerüsten. Bänke und Grillvorrichtungen waren auf dem gesamten Areal verteilt, das durch bunt bepflanzte Beete optisch in mehrere kleine Bereiche unterteilt war.
Besuchermagnet war jedoch ganz eindeutig das durch steinerne Sitzgelegenheiten begrenzte Rondell, das sich direkt am Offshore-Steilhang befand und einen atemberaubenden Blick auf den Pazifik ermöglichte.
Unnötig zu erwähnen, dass die Party genau dort stattfand.
Ich fand Mia zum Glück am Rande des Geschehens sitzend, rechts neben ihr Jeremiah - diesmal offenbar in trauter Zweisamkeit - links von ihr Erika, von der ich ja wusste, dass sie in wenigen Tagen nach New York gehen würde. Ihr Freund Jamie stand ganz in der Nähe und unterhielt sich mit - na wunderbar, mit Chase, ausgerechnet.
Unwillkürlich versteifte ich mich ein wenig.
„Hey", rief Mia erfreut. Sie machte Anstalten zur Seite zu rücken und fügte erklärend hinzu:
„Komm, Du passt hier noch hin."
„Ist schon gut, ich kann doch auch stehen", lehnte ich ab.
„...Jedenfalls habe ich eine CD von Melissa Etheridge gekauft und einen Korb voller Babysachen", setzte Erika die Unterhaltung fort, die sie kurzzeitig unterbrochen hatten.
„Prima, wie viel bekommst du denn dann von uns?", fragte Mia.
„Ich muss es erst ausrechnen, Chase schenkt mit, Jamie und ich und ihr beide, ich gebe euch noch Bescheid."
„Danke fürs Organisieren", sagte Mia, und dann an mich gewandt:
„Wir sind morgen auf der Hochzeit von Robbie eingeladen. Ziemlich großes Event, er feiert im Tennisclub in Grover Hights."
Ich nickte, nur mäßig interessiert. Robbie kannte ich nicht, also würde ich morgen Abend alleine zu Hause sitzen. Was auch nicht schlimm war, denn ich hatte noch genug Lesestoff, in dem ich mich verlieren konnte.
Chase stand urplötzlich neben mir und grinste mich freundlich an.
„Hey", sagte er.
Wie offenbar ständig in letzter Zeit überforderte mich das. Mein Mund wurde trocken.
Ich nickte knapp und sagte:
„Mhm! Auch so."
Seine ausdrucksvollen blauen Augen hielten für eine Sekunde meinen Blick fest. Ich meinte, Bedauern darin zu erkennen. Dann sagte er:
„Ok, Jungs, ich geh dann mal. Mit dem Geschenk geht klar, Erika?"
Während Erika ihm den erhobenen Daumen zeigte, fragte ich:
„Wie? Wo gehst du denn hin?"
Die Worte purzelten einfach so aus meinem Mund heraus. Ich hatte sie nicht aufhalten können.
„Chasey-Baby hat ein Date", informierte mich Jeremiah.
Kurz krampfte mein Magen. Mein Gesicht fühlte sich plötzlich kalt an.
„Ja, ich bin schon etwas spät dran, ich treffe sie in der Mall in Pismo Beach", erklärte er, nicht im Mindesten verlegen.
Kurz berührte er meinen Unterarm und sagte leise: „Ich hatte nicht gedacht, dass Du kommst."
Als ich ihn ansah, hob er fast unmerklich die Schultern, als sei er unschlüssig, ob er nicht doch bleiben sollte. Doch dann verließ er mit zügigen Schritten die Party.
***
Die Stimmung an diesem warmen, sommerlichen Abend war entsprechend ausgelassen. Erika, Mia und ich sicherten uns eine der vorderen Steinbänke, auf der wir es uns bequem machten.
Etwa dreißig Leute hatten sich eingefunden, unterhielten sich, ungezwungen stehend, oder verteilt auf den Sitzflächen und auf den Stufen der Treppen, die hinunter zum Sandstrand führten. Aus einem mitgebrachten CD-Player tönte Musik und vermischte sich mit dem Geräusch der Brandung und dem Lachen der Partygäste.
„Wenn Du mir aus New York eine Packung vom legendären Starbucks-Coffee mitbringen könntest, wäre ich Dir auf ewig dankbar", sagte ich im selben Moment zu Erika, als Mia plötzlich überschwänglich von hinten umarmt wurde. Blonde lange Haare verdeckten ihre eigenen roten Locken, und ein lautes Kreischen verhinderte, dass Erika mir antwortete.
„Hey, Ihr Süßen", wurden nun auch wir begrüßt. Vor uns stand Claire, Freundin aus Kindertagen, die vor etwa vier Jahren mit ihren Eltern an die Ostküste gezogen war. Ich hatte sie schon immer ein wenig anstrengend gefunden und fühlte mich gerade wieder bestätigt. Sie war auffallend hübsch, das wusste sie allerdings auch, und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, hatte sie das ständige Bedürfnis, ihre Beliebtheit bei den Männern unter Beweis zu stellen. Interessanterweise vor allem bei den Männern, mit denen ich liiert war. Diese Tatsache ließ mich ihr gegenüber immer eine gewisse Vorsicht walten.
Ich war erleichtert, als sie sich wenig später auf Beutezug unter die Partygäste mischte. Und insgeheim war ich fast froh, dass Chase nicht hier war.
Was sagte ich?
Ich kniff die Augen zusammen. Dort hinten an der kleinen, improvisierten Bar, wo die einzigen alkoholischen Getränke entweder Budweiser oder Fruchtbowle waren, stand Chase und ließ sich gerade ein Bier geben.
Dann kam er wie selbstverständlich auf mich zu.
Mein Herzschlag entwickelte einige Extrasystolen. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Flummi verschluckt.
Und wo war sie?
„Das war aber ein sehr kurzes Date", sagte ich, um einen ironischen Unterton bemüht.
Chase grinste unbekümmert und setzte sich ungefragt neben mich. Mia drehte uns diskret den Rücken zu und erkundigte sich bei Erika nach der Kleideretikette für die Hochzeit.
„Sie ist einfach nicht gekommen", informierte er mich und hob, wie zur Bestätigung, beide Hände.
Ich fragte mich, ob sie nicht gekommen oder eher er gar nicht hingefahren war. Es kam mir ungewöhnlich vor, dass er hier nun neben mir saß. Ohne sein Date.
„Ich möchte dir gerne was zeigen", sagte er und stand auf. „Kommst du mit?"
Mit wackligen Beinen erhob ich mich. Mia hatte sich halb zu mir umgedreht und die Lippen aufeinander gepresst. Es war offensichtlich, dass sie versuchte, nicht zu grinsen.
Ich war mir nicht sicher, ob das hier wirklich ein Anlass zur Freude sein sollte. Chase kam gerade von einem nicht stattgefunden Date und ich war jetzt die Nächste? Nicht mit mir! Ich ging nur mit, weil ich neugierig war. Nichts anderes.
Während er zielstrebig an einigen Leuten vorbei in Richtung der Treppe lief, die in steilem Winkel hinunter zum Wasser führte, taxierte ich ihn von hinten. Seine Bewegungen glichen denen einer Katze, leichtfüßig und elegant, aber auch ein bisschen träge. Ich kam nicht umhin, seine breiten Schultern zu bemerken und das kleine Silberkettchen, das ab und zu auf seiner sonnengebräunten Haut aufblitzte.
Am Treppenabgang blieb er stehen und sah sich nach mir um.
„Und jetzt?", fragte ich gespannt.
Er machte eine Handbewegung in Richtung des Sandstrandes, der in tiefer Dunkelheit lag. Von hier oben hatte man den Eindruck, als würde er mit den Wellen des Ozeans verschmelzen.
Ich betrachtete das weiße Metallgeländer, das sich verschachtelt durch den Felsen zog. Der Anblick wirkte gespenstisch und erinnerte mich an den alten Film Niagara mit Marylin Monroe.
Vorsichtig betraten wir die schmalen Holzstufen.
„Pass auf", warnte Chase und legte seine Hand auf meinen Unterarm. Die unerwartete Berührung verursachte einen leichten Schauer, der sich entlang meiner Wirbelsäule ausbreitete .
Schon allein der Abstieg über die glatten, hölzernen Stufen hatte etwas Abenteuerliches. Doch als ich unten ankam, verschlug mir der Anblick vollends die Sprache.
Die schmale Sichel des Mondes spiegelte sich auf der Wasseroberfläche. Durch die sanften Bewegungen der Wellen wirkte es als habe jemand Milliarden winziger Diamanten darüber vergossen.
Was mich aber am meisten beeindruckte, war die gewaltige Felsenhöhle, die sich über Jahrtausende hinweg durch die beharrliche Kraft des Wassers gebildet hatte. Ihre Ausläufer reichten bis in die Brandung hinein und man konnte durch eine der bogenförmigen Öffnungen hindurch die Sterne funkeln sehen.
Ich spürte Chase neugierigen Blick auf mir.
„Wow", war das Einzige, was mir einfiel.
Die Seacaves von Grover Beach waren ein bekanntes Ausflugsziel, doch obwohl ich in diesem Ort aufgewachsen war, hatte ich sie seit Jahren nicht besucht.
„Ich hoffe, wir können hier mal zusammen schwimmen gehen. Tagsüber, wenn Du willst", sagte Chase.
If you like making love at midnight, in the dunes of the cave
Warum musste ich gerade etwas Derartiges denken?
Ich blieb ihm eine Antwort schuldig, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich stand mit dem größten Aufreißer von Grover Beach an dem romantischsten Ort, den man sich vorstellen konnte. Gerade hatte er sein Date ignoriert - oder war es umgekehrt - und ich fühlte mich einfach nur zu ihm hingezogen.
Vom Wasser wehte der kühle Nachtwind zu uns herüber. Ich rieb meine nackten Oberarme, konnte aber nicht verhindern, dass ich eine Gänsehaut bekam.
Chase zog sich wortlos seinen Kapuzenpulli über den Kopf und hielt ihn mir hin.
„Zieh an! Du frierst ja!"
Ich hätte normalerweise abgelehnt. Ich kannte Chase doch fast gar nicht. Das Einzige, was ich wirklich wusste, war dass man besser die Finger von ihm ließ. Warum zur Hölle freute ich mich denn dann so über sein Angebot?
Ich griff nach dem Hoodie und zog ihn mir über. Der weiche Stoff legte sich auf meine Haut und wärmte mich augenblicklich. Ein Geruch nach Weichspüler und nach Chase stieg mir in die Nase. Meine Mundwinkel hoben sich leicht. Ich konnte es nicht verhindern.
Wir standen eine Weile schweigend nebeneinander, bis Chase vorschlug, wieder nach oben zu gehen.
„Ist dir jetzt kalt, möchtest du den Pulli zurück?", fragte ich.
„Das nicht, aber ich habe mein Bier oben stehen lassen", antwortete er und schenkte mir sein typisch charmantes Chase-Lächeln.
Wieder zurück in der feiernden Menge musste ich feststellen, dass die Ostküsten-Schönheit Claire meinen Platz eingenommen hatte. Sie erzählte Mia gerade etwas, wobei sie so wild mit ihrer schmalen Hand gestikulierte, dass die dünnen, silbrigen Armreifen, die sie trug, klirrend gegeneinander schlugen. In der anderen hielt sie einen Plastikbecher mit Erdbeerbowle. Die tiefrote Farbe der Früchte konkurrierte mit ihren sündhaft teuer aussehenden Fingernägeln.
„... und was glaubt ihr, wer dort an der Theke steht, Mädels?"
Brad Pitt wahrscheinlich, dachte ich genervt.
Ich quetschte mich neben Mia an die äußerste Kante der Bank, ihren anzüglichen Blick ignorierend, den sie aufgesetzt hatte, als sie mein neues Kleidungsstück bemerkte.
Demonstrativ lauschte ich den Worten von Boys to men,
Let's don't wait till the water runs dry
We might watch our whole lives pass us by
weshalb mir leider entging, ob es wirklich Brad Pitt war, den Claire an der Theke getroffen hatte.
Nicht zu überhören war allerdings ihr Ausruf: „Hey, und Du bist Chase?", mit dem sie ihr darauffolgendes Anmachmanöver einleitete.
Staunend beobachtete ich ihren offensichtlichen Annäherungsversuch. Es überraschte mich wirklich, wie schamlos sie dabei vorging. Sie blickte Chase derart tief in die Augen, dass er es nur als eindeutiges Angebot werten konnte. Und als wäre das noch nicht genug, fütterte sie ihn auch noch mit einem Löffelchen Erdbeerbowle.
Mia legte mir beruhigend den Arm um die Schultern.
„Darauf fällt er nicht rein", sagte sie tröstend.
„Anscheinend schon", erwiderte ich zornig.
Auf dieses Szenario hatte ich keine Lust. Gerade war ich noch aufgewühlt gewesen, mit einem Gefühl, als hätte ich zehn Brausepulvertütchen auf einmal verschluckt, jetzt holte mich Claire resolut auf den Boden der Tatsachen zurück.
„Zeit zu gehen", informierte ich Mia und verabschiedete mich dann von ihr und Erika.
Ich hängte mir meine Tasche um und machte Anstalten, mich Chase Pulli zu entledigen, als er plötzlich neben mir stand.
„Gehst Du schon, Ava? Würdest Du vielleicht morgen auch auf die Hochzeit von Robbie kommen?"
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