Kapitel 7 - Shadow
Dieses Kapitel widme ich meiner an Heiligabend 2018 verstorbenen Bordercollie-Mix-Hündin.
Detective Guerreiro lenkte seinen schwarzen Ford F 150 durch die ruhigen Straßen des Sea Cliff Viertels von San Francisco. Häufig nutzte er Autofahrten um nachzudenken. Dieser merkwürdige Fall irritierte ihn. Wieso ermordete jemand am helllichten Tag einen Computerprogrammierer und erschoss dann auch noch dessen Frau? Jedenfalls fast. Was steckte dahinter? Eine Beziehungstat? War Eifersucht das Motiv?
Leider hatte er aus den traumatisierten Eltern nicht allzu viel an Informationen herausbekommen können.
Ihr Schwiegersohn war in Ordnung, der Kontakt harmonisch, auch wenn man sich selten sah, denn der Mann ihrer Tochter arbeitete viel und das häufig außer Haus.
„Und was macht Ihre Tochter beruflich?", hatte Jason Guerreiro gefragt.
„Oh, sie fotografiert für ein Naturmagazin. Für Natures Best, hier in San Francisco."
Ein kleines, stolzes Lächeln war kurz auf dem Gesicht der Mutter erschienen, als sie ihm geantwortet hatte.
***
Ehe er es sich versah, erreichte Jason den Tatort. Bedächtig ließ er seinen Wagen auf die Bordsteinkante rollen, schob den Schalthebel in die Parkposition und zog den Zündschlüssel.
Er gab sich einen kurzen Moment, in dem er die Frontansicht der Villa näher in Augenschein nahm. Trotz seiner Größe wirkte das Gebäude einladend und anheimelnd. Die Fachwerkstruktur des oberen Stockwerks und die gewölbten Fensterscheiben vermittelten einen mittelalterlichen Eindruck, und fast hatte er das Gefühl, er sei nicht in seinem Ford sondern in einer Zeitmaschine hierher gereist. Die Steinfassade des Hauses bildete einen geschickten Kontrast zu den verspielten Erkern und Spitzbogen. Ein sehr gepflegter Rasen umgab das Anwesen und erinnerte Jason wieder an das Gespräch mit den Eltern von Ava David-Bowman.
Wie er bereits die Klinke der Krankenzimmertür umfasst hatte, als Elaine Bowman noch einmal das Wort an ihn richtete.
„Was ist mit Shadow? Haben sie sie auch erschossen?"
Verblüfft drehte Jason sich nach ihr um und realisierte erschrocken den tiefen Schmerz in ihrem Blick.
„Bitte?", fragte er, „wer ist Shadow?"
„Der Hund unserer Tochter", beantwortete Peter Bowman die Frage. „Er muss im Haus gewesen sein. Wenn er noch lebt, dann ist er seit gestern Abend vollkommen allein."
***
Jason keuchte ein wenig, als er jetzt aus dem Wagen stieg. Die Wärme, aber auch seine circa zehn Kilo zu viel auf der Waage machten ihm zu schaffen. Und auch die Aussicht, gleich vielleicht ein drittes Opfer dieser seltsamen Tragödie aufzufinden - einen erschossenen Hund.
Er hätte es sich wohl nicht eingestanden, aber genau diese Angst war der Grund für seine zögerlichen Schritte.
Das schmiedeeiserne Tor gab ein protestierendes Quietschen von sich, als der Detektive es öffnete. Den Weg bis zu der von schmalen Säulen eingefassten Eingangstür legte er mit einem flauen Gefühl in der Magengegend zurück.
Drinnen herrschte eine fiebrige Hektik, die chaotisch wirkte, aber die dennoch einer chronologischen Struktur unterlag. Die Kollegen von der Forensik grüßten ihn freundlich, während sie, teilweise auf den Knien liegend, nach allen möglichen Beweisstücken suchten. In ihren weißen Anzügen hätten sie auch in einem Sciencefictionfilm mitspielen können.
„Hey Jason, da bist du ja. Wir sind hier unten fast durch und nehmen uns gleich den Garten vor. Da hätte ich dich gern dabei und habe deshalb gewartet."
Sein langjähriger Partner Marty Everside wies mit einer schlaksigen Armbewegung in Richtung Terrassentür. Der etwa vierzigjährige Polizist war im Grunde das genaue Gegenteil von Jason Guerreiro, jedenfalls was Äußerlichkeiten betraf - groß, sehr schlank und sportlich. Um diesen athletischen Körperbau und die damit verbundene Leichtigkeit beneidete Jason ihn glühend. Doch trotz dieser auffallenden Unterschiede schätzte er den Kollegen sehr, mehr noch, er vertraute ihm und hielt ihn für äußerst kompetent.
Prüfend blickte er an Marty vorbei durch die Glasscheibe auf die gepflegte Terrasse und den Pool, als sein Partner plötzlich sagte:
„Ach hör mal, da ist noch was anderes."
Jasons Magen meldete sich erneut mit einem unangenehmen Kribbeln.
Bitte nicht der tote Hund.
„Da ist ein Hund in der Küche. Er hat sich, wohl vor Angst, in eine Nische zwischen Küchenschrank und Regal gequetscht. Ich habe es schon versucht, aber er will nicht rauskommen."
Um seine ungeheure Erleichterung zu verbergen, wandte Jason sich sofort zum Gehen.
„Ich sehe mir das mal an", sagte er, aber mehr zu sich selbst.
Die Küche zeugte, wie alles andere im Inneren des Hauses, von subtilem Reichtum. Eine steinerne Küchenzeile füllte den mittleren Bereich aus, an den weiß getünchten Wänden standen hohe Regale und Vitrinen, bestückt mit teuer aussehendem Porzellan.
Jason musste bis zum Ende des Raumes vordringen, bis er fündig wurde. Hier, in einer schmalen Lücke zwischen Regal und Kühlschrank, lag zitternd ein schwarzer Hund und hechelte. Seine Augen waren angstgeweitet, die Ohren hatte er angelegt.
„Herrjeh, du bist aber ein hübscher Kamerad. Shadow, nicht wahr? Komm raus, lass dich mal ansehen."
Das Tier bewegte sich keinen Millimeter.
Jason, der selbst als Kind mit einer Dogge aufgewachsen war, kniete sich auf den sauberen Steinboden und hielt vorsichtig seinen Handrücken vor die dunkle Hundeschnauze. Dann strich er langsam über das weiche Fell auf der Stirn des Tieres.
„Na siehst du, von mir hast du nichts zu befürchten", flüsterte er, umfasste dann beherzt mit beiden Händen die Schultern des verängstigten Hundes und zog ihn langsam aus der Nische.
Das Tier sprang augenblicklich auf alle vier Pfoten und schüttelte sich.
„Ganz ruhig", sagte Jason und schob seine Finger unter das breite Lederhalsband. Mit der anderen Hand kraulte er weiterhin durch das dunkle, gepflegte Fell.
„Na komm, ich bringe dich hier weg."
Langsam erhob er sich und zog sanft an dem Halsband, ohne das Tier dabei anzusehen. Zögerlich setzte der Hund sich neben ihm in Bewegung.
„Da ist er ja. Ein schönes Tier, nicht wahr? Was soll nun mit ihm geschehen?", fragte Marty Everside, als Jason mit seinem Begleiter aus der Küche kam.
„Ich werde ihn zu den Eltern bringen. Aber für heute Nacht bräuchte ich eine Übergangslösung, denn ins Krankenhaus kann er nicht und da sind die beiden im Moment noch", erwiderte Jason und fügte dann ein wenig schmunzelnd hinzu: „Sie übrigens. Der Hund ist eine Dame. Eine Bordercollie-Dame, wenn ich das mit meinen bescheidenen Kenntnissen richtig einschätze."
„Na prima, du kennst dich aus. Dann nimm die hübsche Lady doch heute mit zu dir. Du hattest sowieso schon lange keinen Damenbesuch mehr."
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