Die Reise beginnt
Dieser Vorfall war jetzt knapp hundert Jahre her, doch der Schmerz in Nórwings Herzen war nicht kleiner geworden. Sie hatte oft überlegt an die Grauen Anfurten nach Mithlond zu reisen, um ein Schiff nach Valinor zu besteigen, doch immer hatte eine leise Stimme in ihrem Inneren geflüstert: Noch nicht. Sie wusste dass es noch etwas gab dass sie tun musste, auch wenn ihr schleierhaft war, was. Und so wartete sie. Mothlûm hatte ihr Volk regiert, was ihm als Berater des Königs auch rechtmäßig zustand. Eigentlich wäre Nórwing die Erbin gewesen, doch erst war sie noch zu jung gewesen und dann wollte sie einfach nicht mehr. Es war ihr zu viel Verantwortung, und sie hatte das Gefühl, dass sie nicht die richtige für dieses Amt war.
Aber dass Geheimnis um den Tod des Königs blieb bestehen. Er war wohl mit einem Teil der Elben losgeritten um eine Nachhut der Orks zu vernichten und dabei waren sie in einen Hinterhalt geraten. Thoronraw war von den anderen getrennt worden und in Richtung Fluss getrieben worden, danach hörten seine Spuren auf. Außer ihm war der Rest des Trupps vernichtend besiegt worden, allein Mothlûm war mit knapper Not entkommen und hatte dann am Fluss die Leiche seines Königs gefunden. Dass komische war, dass keine Orkspuren in der Nähe gewesen waren. Manche vermuteten, dass die Orks geschwommen waren, aber dann blieb die Frage, warum sie dass getan haben sollten. Der Tod König Thoronraws war ein einziges Rätsel, dass von niemandem mehr gelüftet werden konnte. Viele Nächte lang lag Nórwing wach und dachte darüber nach, doch sie fand einfach keine Antwort auf die Frage. Wenn sie dann endlich einschlief, träumte sie von Elenfini und Fuine, Aber immer endete der Traum mit einer Erinnerung: Dem roten Fluss und dem silbernen Schimmer, der aus dem vielen Blut herausschaute.
In dieser Nacht träumte Nórwing jedoch etwas anderes. Sie stand auf einem Hügel, unter ihr lag ein wunderschönes Tal. Darin befand sich eine ebenso schöne Stadt. Dahinter erhob sich ein hohes Gebirge, es erstreckte sich nach Norden und Süden soweit das Auge reichte. Die Gipfel waren schneebedeckt und glitzerten im Sonnenlicht. Ohne dass etwas darauf hingewiesen hätte, wusste Nórwing, dass dieses Tal echt war und sie dorthin reisen musste. Das Gefühl war so stark, dass sie keine Zweifel daran hatte. Dann endete der Traum abrupt.
Als Nórwing am nächsten Morgen aufwachte, war sie sich sicher, dass der Traum echt gewesen war. Sie wollte daran zweifeln, doch sie konnte nicht, so sicher war sie sich. Also beschloss sie, aufzubrechen, nur geleitet von den Bildern ihres Traums. Hier, in diesem Dorf, hielt sie nichts mehr. Außer Elenfini hatte sie keine Freunde gehabt und alle mit denen sie sich sonst noch gut verstanden hatte, waren in die unsterblichen Lande gesegelt. Manchmal fühlte Nórwing sich in diesem Dorf wie eine Fremde, obwohl sie eigentlich die Erbin des Königs war. Dass hielt die Leute nicht davon ab, abfällige Bemerkungen über sie zu machen und ihr aus dem Weg zu gehen. Der Grund dafür war, dass ihnen das Geheimnis um Thoronraws Tod nicht gefiel, und Nórwing als seine rechtmäßige Erbin, musste dafür viele Tuscheleien in ihrem Rücken mithören, denn ihr Gehör war selbst für Elben ungewöhnlich gut. Sie erzählte niemandem von ihren Vorhaben, warum sollte sie auch? So packte Nórwing die wenige Kleidung die sie besaß, ihre Waffen, eine Muschelkette, die Elenfini ihr geschenkt hatte und andere nützliche Gegenstände, darunter ihre alte Decke, sowie ein wenig Proviant ein und ging los, verschwand ohne einer Elbenseele etwas davon zu sagen im Nebel der Nacht. Sie hatte vor südlich zu wandern und sich dann nach Osten zu wenden, sodass sie die Ered Luin nicht überqueren musste. Sie hatte keinen blassen Schimmer wo dieses Tal lag und oft kam ihr Vorhaben ihr wie Wahnsinn vor. Doch sie konnte nicht hierbleiben. Sie spürte, dass diese Reise ihre Bestimmung war.
Um Mitternacht stieg die Elbin aus ihrem Bett und zog sich ihre Reiseklamotten an, ein grünes, grobgewebtes Hemd, eine braune Hose und ihren grünen Kapuzenmantel. Sie schnappte sich die Tasche mit dem Gepäck und lief aus ihrem Haus. Es war wie alle Häuser des Dorfes aus grauem Stein gebaut und von Efeu bewachsen, allein das Haus der Heilerin war aus hellem Sandstein. Nórwing verspürte ein klein bisschen Wehmut, bei dem Gedanken dass sie das Dorf ihrer Kindheit verlassen würde. Doch viel größer war die Freude neue Länder zu erkunden und das Dorf ihres Traumes zu finden. Die Elbin schlich leise unter den Bäumen vorbei, auf denen die Wachen saßen. Es würde sie nicht stören, wenn Nórwing einfach so nachts in den Wald lief. Streng genommen sollte man dass zwar nur zu zweit machen, doch eigentlich hielt sich niemand daran. So verließ Nórwing das Dorf, in dem sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht hatte, ohne zu wissen, ob sie je zurückkehren würde. Als sie einige Meter in den Wald hineingegangen war, pfiff sie eine leise, sich wiederholende Melodie. Es dauerte nicht lange, bis ihr treues Pferd Telemnar zwischen den hohen Bäumen auftauchte. Mit einem kleinem Lächeln im Gesicht strich Nórwing ihm über die weiße Schnauze. Er war ihr wirklich einziger Freund hier. Sie schwang sich auf seinen Rücken und lenkte ihn auf Elbenart mit ihren Gedanken in Richtung Fluss. Er überquerte ihn mit einem kleinen Sprung. Ohne noch einmal zurück zu blicken, lenkte Nórwing ihren Hengst durch das unwegsame Gelände des Schattenwaldes in Richtung Süden. Es war extrem nebelig, sodass sie nicht weit sehen konnte, doch sie kannte diesen Teil des Schattenwaldes fast so gut wie sich selbst. Nórwing wusste, wo sie reiten musste, damit Telemnar in keine Brombeeren und Brennnesseln oder dergleichen treten musste, sie kannte jeden Bach und die unterschiedlichen Rindenmuster der Bäume. Der Nachthimmel spannte sich über ihr, das alte Licht der Sterne die nicht von den dicken Wolken bedeckt waren, schien auf sie herab und der Mond erleuchtete ihren Weg. Ein leichter Windstoß zerzauste ihre silberbraunen Haare und ließ den dunkelgrünen Umhang flattern. In diesem Moment klatschte ihr ein Regentropfen auf die Schulter. Einen Moment später leerten sich die Regenwolken über ihr aus. Nórwing wickelte ihren Umhang fester um sich und zog sich die Kapuze über den Kopf. Mit gesenktem Blick ritt sie weiter. Der Waldboden war bald vom Regen durchweicht und matschig, doch mit seinen leichten Hufen schaffte Telemnar es, nicht einzusinken. Sein sonst silberweißes Fell hing nun patschnass an ihm herunter und hatte schmutzig braune Flecken. Er war ein wenig eitel, und so stapfte er vorsichtig durch den Wald, um keinen Schlammspritzer abzubekommen. Weit unangenehmer waren für Nórwing die Regentropfen, die nun, da der Wind gedreht hatte, sich wie Nadelstiche in ihre Wange bohrten. Die Elbin kniff die Augen zusammen und richtete ihren Blick nach vorne. Durch den dichten Nebel konnte sie keinen Meter weit sehen und bald hörte ihre gute Ortskenntnis auf. Telemnar stapfte mit gesenktem Kopf dahin und schnaubte. Nórwing hatte nicht wirklich die besten Reisebedingungen.
Nachdem sie eine Weile so dahin geritten waren, blieb Telemnar plötzlich stehen. Nórwing trieb ihn sanft an, doch seine Hufe hatten sich fest mit der Erde verwurzelt und bewegten sich keinen Schritt. „Was ist denn, mein Großer?" Flüsterte Nórwing ihm ins Ohr. Es war ungewöhnlich, dass Telemnar sich vor etwas fürchtete und sie selbst bemerkte nichts ungewöhnliches. Die Augen ihres Schimmels weiteten sich. Seine Nüstern bebten. Dann löste sich von einem Moment auf den anderen seine Starre und er raste in wildem Galopp vorwärts. Eine Sekunde lang kämpfte Nórwing um ihr Gleichgewicht, doch kurz darauf hatte sie sich wieder gefangen. Die Elbin versuchte Telemnar zu stoppen, doch das Pferd war in blinder Panik gefangen und nahm keine Befehle von außen an. Nórwing vergrub ihre Hände tief in seiner Mähne und legte sich über seinen Rücken. Alles andere war jetzt zwecklos. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Hengst sich bald wieder beruhigen würde. Während sie durch die kalte Nacht dahin rasten, trieb der heftige Wind der Elbin Regentropfen und Dreck ins Gesicht. Sie kniff die Augen zusammen, und versuchte ungefähr die richtige Richtung beizubehalten. Zum Glück galoppierte Telemnar geradeaus und bog nicht irgendwo ab, sodass sie immer noch richtig waren. Nórwing wusste nicht genau wieviel Zeit vergangen war, als ihr Pferd endlich stoppte. Schweiß lief ihm an den Flanken herunter und er zitterte am ganzen Körper. Schnell schwang sich seine Reiterin von seinem Rücken und streifte ihm behutsam über den Hals. „Schsch, alles ist gut... Keine Angst." murmelte sie ihm zu. Langsam wurde der Hengst ruhiger. Nórwing beschloss erst am nächsten Morgen weiter zu reiten, heute waren Pferd und Reiterin gleichermaßen zu aufgeregt dafür. Sie lenkte Telemnar sanft zu einer großen Eiche. Sie klopfte dem Schimmel den Hals und nahm ihm anschließend die Satteltaschen ab. Daraufhin reichte die Elbin ihm einen Apfel, den er gierig verschlang. Ein kleines Lächeln machte sich auf Nórwings Gesicht breit. Auch wenn er gerade den Schock seines Lebens gehabt hatte, essen konnte Telemnar immer. Sie selbst verspeiste ein wenig Wegbrot und trank aus ihrem Wasserschlauch. Ihrem Pferd füllte sie einen Großteil des Wassers in einen Eimer, den sie vor ihm abstellte. Gierig steckte er seine Schnauze hinein und soff innerhalb von Sekunden das ganze Wasser leer. Anschließend rupfte er ein wenig Gras und verspeiste es genüsslich. Nórwing zerrte währenddessen ihre alte, braune Decke aus der Tasche und machte es sich zwischen den Wurzeln des Baumes bequem. Auch wenn sie wusste, dass sie für die morgige Reise ausgeruht sein musste, bekam sie lange Zeit kein Auge zu. Warum hatte ihr Hengst sich so erschreckt? Er war nicht schreckhaft und fürchtete sich vor so gut wie nichts. Es machte einfach keinen Sinn. Solange Nórwing auch grübelte, sie fand einfach keine Antwort auf ihre Frage. Schließlich schlief sie erschöpft von der Reise ein.
Nórwing träumte erneut von dem Tal und den Bergen, doch dieses mal konnte sie sich beim aufwachen auch verschwommen an ein zerbrochenes Schwert erinnern. Doch sie wusste nicht, in welchem Zusammenhang es mit dem Dorf stand. Vielleicht war es auch nur eine Projektion ihres Unterbewusstseins, und hatte nichts mit dem Traum des Dorfes zu tun. Sie beschloss, nicht darüber nachzugrübeln, es würde wahrscheinlich sowieso nichts bringen.
Als Nórwing und Telemnar wieder aufbrechen konnten, war es bereits früher Mittag. Ihr Ritt verlief ziemlich ereignislos, die meiste Zeit ritten die beiden gemächlich durch den Wald, sie hatten ja keinen Zeitdruck. Als die Sonne schon langsam unterging, fand die Elbin einen Strauch mit vielen kleinen Beeren, die sie umgehend pflückte. Sie wusste, dass sie sich ihr Proviant einteilen musste und nicht genug für die ganze Reise dabei hatte. Sie holte Telemnars Wassereimer und warf die gepflückten Beeren hinein. Ab und zu schaute sie zu ihrem Pferd hinüber. Der Hengst graste friedlich in ihrer Nähe. Zum tausendsten mal fragte sie sich, was ihn am Tag zuvor so erschreckt hatte. Sie wollte nicht darüber nachgrübeln, doch ständig ertappte Nórwing sich dabei, es trotzdem zu tun. Auch rätselte sie über ihren Traum und das zerbrochene Schwert nach, doch natürlich war dass unnütz.
Seufzend packte die Elbin alle Beeren die sie nicht gegessen hatte in ein Bündel aus Blättern, gab Telemnar etwas zu trinken und ritt anschließend weiter. Als schon die ersten Sterne am Himmel standen, machten die beiden in der Nähe eines kleinen Baches Halt. Nachdem sie dort ihren Durst gestillt hatten, legte Nórwing sich wieder auf ihre alte Decke. Ihrem Pferd fielen schon bald die Augen zu, doch seine Reiterin fand keinen Schlaf, so sehr sie es auch wollte. Ihre blauen Augen suchten am Himmel nach dem Stern Earendils. Sein Licht war so rein und klar wie immer. Nórwing erinnerte sich daran, wie ihr Vater ihr als kleines Kind erzählt hatte, dass er Seite an Seite mit Earendils Sohn in dem Heer von Gil-Galad in der Schlacht des letzten Bündnisses gekämpft hatte. Es hatte Nórwing sehr überrascht, sie hatte immer gedacht Thoronraw hätte den Schattenwald nie verlassen, doch sie hatte sie geirrt. Er hatte sogar mal für eine kurze Zeit in Bruchtal gewohnt, wo Earendils Sohn herrschte, Elrond, der Halbelb, dessen Bruder Elros der erste König Númenors gewesen war. Er hatte ihr das Tal beschrieben, wunderschön und dahinter die schneebedeckten Gipfel der Nebelberge, die sich soweit das Auge reichte und noch weiter nach Norden und Süden erstreckten... Nórwing richtete sich kerzengerade auf. Genau so hatte doch auch dass Dorf ausgesehen, von dem sie geträumt hatte! War dass wirklich das Tal von Imladris gewesen? Es passte exakt auf die Beschreibung ihres Vaters! Jetzt wusste sie auch die ungefähre Richtung, in die sie musste, Karten hatten die Elbin schon immer interessiert und sie hatte mithilfe ihres Vaters sogar schon eine eigene gemalt, auf der auch Imladris zusehen gewesen war. Nórwing sank der Mut. Sie musste von den Grauen Anfurten aus etliche Tage lang nach Osten reiten! Es würde Wochen, Monate dauern nach Bruchtal zu gelangen. Aber andererseits hatte sie auch Zeit. Niemand erwartete sie im Haus Elronds, ob sie jetzt in ein paar Monaten oder Jahren ankam, machte keinen Unterschied. Nórwing seufzte und kuschelte sich in ihre Decke. Es half nichts zu jammern, es war wie es war. Mit diesem Gedanken schlief die Elbin endlich ein.
Sie träumte wieder von dem Tal vor den Bergen -Imladris, wie sie jetzt wusste,- und dem zerbrochenen Schwert. Dann endete dieser Traum und schwarze Nacht umfing sie. Ein lauter, markerschütternder Schrei drang durch die Finsternis. Sie sah einen Reiter, noch dunkler als die Schwärze um sie herum. Er war vollständig in einen Umhang gekleidet und galoppierte mit rasender Geschwindigkeit. Ein Kälte umgab Nórwings Herz, zerdrückte es fast. Sie schrie laut auf, dann verschwand dass Dunkel plötzlich und ließ eine weite Leere zurück.
Die Elbin erwachte von ihrem eigenen Schrei. Sie war schweißgebadet und atmete hektisch. Nur ein Traum, beruhigte sie sich, nur ein Traum. Doch andererseits war dies überhaupt nicht beruhigend, da sie in letzter Zeit nur von wahren Dingen geträumt hatte. Trotzdem versuchte sie gleichmäßiger zu atmen. Doch als sie sich soweit beruhigt hatte, kam schon der nächste Schrecken. Ihr Atem stockte erneut. Kratzige Stimmen durchschnitten die Nacht, sie sprachen die Schwarze Sprache Mordors. Und sie kamen auf sie zu.
Sorry für den Cliffhanger (schreibt man das so?), ich fand dass Kapitel nur ein bisschen langweilig und wollte etwas Spannung rein bringen. Na, habt ihr schon eine Idee wer oder was Telemnar so erschreckt haben könnte? Ich hab aber leider geplant alles erst am Schluss auffliegen zu lassen, ihr müsst euch also noch gedulden. Hoffentlich hat euch das Kapitel gefallen, ich habe es zum Großteil nämlich nicht überarbeitet ;)
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