Ten
Ten:
Marie Kolidis
Die Sonne ging langsam auf – und ich war noch immer wach. Weil ich nicht schlafen konnte. Mir schwirrten zu viele Gedanken durch den Kopf.
Ich tippte schon die gesamte Zeit über irgendeinen Scheiß ein, im Internet. Auf meinem Handy und nebenbei auf meinem Laptop.
Ich saß auf der weißen Ledercouch im Wohnzimmer, überlegte fieberhaft, ob diese Marie auch einen Nachnamen in meinem Traum gehabt hatte. Musste sie doch.
Ich suchte jede Arztpraxis in Boston und im Umkreis ab, fand aber entweder keine Marie oder kein Bild zu einer Marie.
Es gab vier Maries in Boston und acht in Umkreisen. Das konnte ja was werden. Drei Frauenärzte – zwei im Umkreis, einer in Boston. Zwei Gemeinschaftspraxen – im Umkreis. Vier Chirurgen – einer in Boston, drei im Umkreis. Und dann gab es noch eine Therapiepraxis hier in Boston und zwei Urologen im Umkreis und einen in Boston.
Die Daten konnten ewig her sein.
Doch irgendwie wollte ich mit dieser Marie sprechen. Ich wusste nur noch nicht genau, wie und über was.
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„Ja?" Ich öffnete die Haustür und mein Lächeln bröckelte leicht. „Austin." Ich hob beide Augenbrauen an. „Was machst du denn hier?"
Er schien besorgt – und etwas wütend. Das erkannte ich an seinen Augenringen und den zusammengezogenen Augenbrauen. „Du hast dich nicht gemeldet." Er lief an mir vorbei, ohne einen Begrüßungskuss. „Was du versprochen hattest."
Ich runzelte meine Stirn. „Ich habe dir versprochen, mich zu melden, falls was sei." Ich schluckte. „Und eigentlich ist es jetzt gerade ganz-"
„Ja, und das hast du nicht." Sein Blick schwang zur Seite, zu den Scherben und dem klebrigen Boden, weil ich noch nicht aufgeräumt hatte. „Und es ist anscheinend etwas passiert."
„Mir ist heute Nacht nur die Cola heruntergefallen und vor lauter Müdigkeit bin ich wieder auf der Couch eingeschlafen." Ich zuckte mit meinen Schultern. „Da ist doch nichts dabei."
„Ich habe mir aber Sorgen gemacht." Er seufzte, fuhr sich übers Gesicht. „Und die darf ich, als dein... dein-", stockte er, ehe er die Arme vor der Brust verschränkte. „Was macht er hier?"
Ich sah auf, hob beide Augenbrauen als ich Clint aus dem Flur kommen sah. „Oh", machte ich leise. „Das ist, eh, leicht zu erklären", gab ich von mir. „Er ist hier, weil-"
„Ihre Schwester eine schwerwiegende Drohnung erhalten hat und Sam zu einem Auftrag berufen wurde, jemand aber hierbleiben sollte, um auf Victoria aufzupassen, da sie seit mehr als drei Jahren keinerlei Kämpfe ausgeführt hat", unterbrach mich Clint, hob sein Handy. „Hast du das echt noch immer nicht weggemacht?", lächelte er leicht, ehe er Austin gegen die Schulter schlug und dieser zusammenzuckte. „Hey, Kumpel."
„Hi", gab Austin definitiv angepisst von sich.
„Ich geh Brötchen zum Frühstück holen", hob er das Handy. „Und ruf mal deine Schwester an", hielt er neben mir. Ich presste meine Lippen zusammen als Austin sich zu uns umdrehte. „Bleibst du zum Essen, Austin?", zog Clint eine Augenbraue hoch. „Ich mach ein fantastisches Omelett, sagen die meisten." Ich grub mir meine Fingernägel in die Handinnenfläche.
„Nein, ich bleibe nicht... zum Essen", hob er eine Augenbraue.
Ich zwang mich regelrecht dazu, zu lächeln, ehe ich Clint ansah. „Geh mal nicht von aus, ich bin noch hier, wenn du wiederkommst", sagte ich leise.
Er schnaubte leicht, lächelte. „Wenn du heute Abend nicht wiederkommst, hol ich dich ab, das ist dir hoffentlich klar." Ich zuckte zusammen als er mir plötzlich einen Kuss gegen die Wange verpasste.
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„Was... tut er hier?"
Ich schluckte kurz, ehe ich tief einatmete. „Das, wovon er eben sprach", deutete ich Clint hinterher. „Natasha wurden Drohungen zugespielt. Und ich bin aus dem Geschäft draußen." Ich seufzte. „Vorschriften besagen, dass man einen Personenschutz braucht, schon vergessen?"
„Ja, aber muss ausgerechnet er der Personenschutz sein?", deutete er ihm auch nach. „Er ist der letzte, den ich heute früh hier sehen mochte."
Ich nickte, lief zu ihm. „Tut mir leid, ich möchte das ja auch nicht." Ich schloss meine Arme um seine Mitte. „Spätestens morgen ist er wieder weg, wenn Sam wiederkommt."
„Wirklich?"
„Fest versprochen", seufzte ich, vergrub mein Gesicht an seinem hellblauen Shirt. „Glaub mir, mir geht er mehr auf den Keks als dir."
Er schmunzelte leise, schloss auch seine Arme um mich. „Weißt du, was ich gestern gedacht habe?", lachte er nach einigen Minuten leise, hob mich hoch und trug mich entspannt zur Couch. Er ließ sich mit mir im Schoß nieder.
„Was hast du denn gedacht?", schmunzelte ich, legte meine Arme um seinen Hals.
Er beugte sich vor, machte vor meinen Lippen halt. „Das du mich betrügst, während ich in deiner Wohnung herumtigere und am Überlegen war, die Tür einzutreten."
Ich wechselte lieber auf die Schauspielerei. Automatisch. Denn darauf konnte ich mich immer verlassen. „Niemals", schüttelte ich lächelnd meinen Kopf. „Zum Beweis", hob ich einen Zeigefinger, „Barton kam gestern mitten in der Nacht an. Was glaubst du, wieso mir das Glas heruntergefallen ist?" Ich lachte. „Ich bin bei der lauten Klingel", deutete ich schnell zur Haustür, „Dermaßen zusammengezuckt, dass ich geschrien habe."
„Du musst dich nicht rechtfertigen", schüttelte er den Kopf. „Ich halte dich nämlich nicht für einen betrügerischen und selbstsüchtigen Menschen, der seinen Willen bei alles und jedem durchdrückt."
Meine Mundwinkel zuckten. „Ich weiß gar nicht, womit ich dich verdient habe", fragte ich mich selbst, fuhr ihm durchs dunkle Haar.
„Vielleicht, weil du betrunken super niedlich aussiehst, wenn du lachst und dich im Bett kein Stück mehr bewegen möchtest." Ich schmunzelte. „Vielleicht, weil du wirklich, wirklich, wirklich", lachte er, ergriff meine Taille, „Gut aussiehst. Selbst in diesem Pyjama", deutete er auf meinen hellblauen Zweiteiler. „Und weil du ein von Grund auf guter Mensch bist", schüttelte er den Kopf. „Ich frage mich eher, wie ich dich verdient habe."
„Aber du bist mindestens genauso gut wie ich", schüttelte ich den Kopf. „Und du bist jemand, in den man sich ganz leicht verlieben kann", lachte ich, strich ihm über die Lippen. „Mit deinem Charme kriegst du sie alle."
Er biss sich kurz auf die Unterlippe. „Vielleicht ist es noch zu früh", seufzte er und rollte kurz mit seinen Augen. „Aber, Victoria, ich-", er holte kurz tief Luft und sah für einen Moment nach unten, ehe er wieder hochsah. „Ich liebe dich."
Schrecklichster Zeitpunkt, an dem mir dies passieren konnte. Wieso denn auch nicht? Liebte denn jeder hier dieses selbstzerstörerische Monster in mir? „Ich liebe dich auch", haute ich raus, bevor ich wirklich nachgedacht hatte.
Es entsprach zwar der Wahrheit, dass er mich glücklich machte, nur... liebte ich ihn? Konnte das kleine Stück, welches noch zu Lieben hoffte, ihm gehören? Oder gehörte ich eigentlich komplett dem Mann, der mir letzte Nacht ein Ultimatum gestellt hatte?
Als er seine Lippen auf meine drückte, schaltete ich mein Gehirn für den restlichen Tag lieber komplett aus, ehe ich noch mehr Scheiße von mir gab. Das konnte sonst nicht gut enden.
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Ich stand vor einer der vielen Praxen, die ich mir herausgesucht hatte.
Die erste Frauenarztpraxis.
Ich seufzte, ehe ich eintrat. In die bunt gestaltete Arztpraxis.
>Boah, soviel buntes Zeug hält doch keine Sau aus.
<Oh, doch, so einige halten das aus.
>Ich kriege Augenkrebs, wenn ich hier nicht gleich herauskomme.
„Hi, was kann ich für Sie tun?", fragte mich die... viel zu junge Sprechstundenhilfe. Und die war blond. Mit grünen Strähnchen. Mussten heutzutage alle bunte Haare haben?
„Ja, hi", lächelte ich, strich mir mein Haar beiseite, ehe ich mir meine Sonnenbrille abnahm und sie plötzlich eine ganz andere Miene zeigte.
„Victoria Romanoff!", schrie sie beinahe los und einige drehten sich zur Rezeption um.
„Eh, ja?", gab ich verwirrt von mir und sie stand auf, ehe sie um das Möbelstück herumlief.
„Sie sind meine absolute Heldin." Plötzlich fiel sie mir um den Hals. „Danke fürs Leben retten."
Okay. Das war, eh, auch noch nie vorgekommen. „Eh, gerne", meinte ich, drückte sie kurz. „Habe damals nur meinen Job gemacht."
„Es ist ja so schade, dass Sie ausgestiegen sind, aus dem Team", plapperte sie los. „Aber ich kann es nachvollziehen", meinte sie nun leicht daher. „Denn es muss ja so anstrengend sein, ständig-"
„Ich unterbreche Sie echt ungern", ich las ihr Namensschild, „Tiffany." Sie grinste breit als ich ihren Namen aussprach. „Aber ich suche eigentlich eine Marie Kolidis."
„Oh", formte sich ihr Mund. „Sie hat bestimmt für Sie Zeit, gehen Sie einfach durch." Sie drehte mich eiskalt um und zeigte auf die Tür am Ende des lilafarbenen Flurs.
Es war so ekelerregendes knallendes lila, dass eigentlich niemand je angucken sollte. „Eh, darf ich das denn?"
„Ach", winkte sie es lachend ab. „Sie sind zu allem autorisiert."
„Okay", seufzte ich, strich mir mein Haar beiseite, ehe ich loslief und mich einige Male umdrehte.
Sie winkte mir bei jedem Umdrehen hinterher.
>Gruselige Dame.
<Seh ich auch so.
>Hm.
An der Tür hielt ich, drehte mich noch ein letztes Mal um. „Gehen Sie", ermutigte sie mich.
Ich klopfte leise und öffnete die Tür.
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Ich sah peinlich berührt nach unten.
„Tiffany", seufzte eine Frau mit silbernem Haar los. „Ich habe dir doch gesagt, du hast deine Pause in einer halben Stunde, wenn Louise da ist."
Die Frau auf dem Stuhl hob ihren Kopf und wurde knallrot.
„Das, ehm, Dr. Kolidis, ist nicht Ihre Sprechstundenhilfe."
„Tiffany!", fluchte die Frau los und erhob sich aus ihrem Drehstuhl, mir noch immer den Rücken zugewandt.
„Ich kann auch warten", sagte ich schnell.
Sie richtete ihren Rücken und verkrampfte sich, ehe sie plötzlich zu lachen anfing. „Romanoff." Sie drehte sich um. „Oh, sogar die kleine Schwester höchstpersönlich."
Das war die Frau, die ich suchte.
<Tja, und dann direkt beim ersten Besuch einen Treffer gelandet.
>Jap. Ich will hier lieber wieder weg.
„Kommen Sie rein", nickte sie. „Oder wartet Ihre Schwester auch noch vorne?"
„Eh, nein", sagte ich und sah zur Patientin. „Aber ich kann echt warten. Kein Problem."
„Schon gut, ich bin sowieso fertig." Sie zog sich mit einem Klatschen die Handschuhe aus. „Miss Lobes, Sie können sich anziehen und gehen, alles in bester Ordnung." Sie wies auf eine orangegestrichene Tür mit vielen Blumen. „Warten Sie da drin, Romanoff, ich brauche noch fünf Minuten."
Ich nickte und lief schnellen Weges hindurch.
>Gott, ist das peinlich.
<Ja, ja. Das ist es.
>Ach, Klappe.
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Ihr Büro war noch quietschbunter, als ich es erhoffen konnte.
Kein einziges Möbelstück passte zusammen, alles war ein Unikat. Vom Terminkalender, bis hin zur Vase oder Gardine vor den fliederfarbengestrichen Fensterrähmen. Neonfarbende Bilderrahmen waren vertreten – und meine Neugier siegte. Ich hätte den dunkelgrünen Schreibtisch wohl nicht angucken dürfen.
Ich sah kurz zur Tür, die ich geschlossen hatte, ehe ich zu den Bildern lief und mir das neonpinke besah.
Sie und ein mir unbekannter Mann. Sie hatte orangefarbene Haare, kurzgeschoren. Das neonblaue zeigte sie und ein kleines Baby, mit blonden Haaren, wie die des Mannes. Das neongrüne zeigte sie und... Laura, wo sie schwanger war.
„Ein schönes Bild, oder?", ertönte ihre Stimme und ich ließ es fallen, ehe ich es doch noch schnell und rechtzeitig wieder auffing. Gott, das hätte ins Auge gehen können.
Ich verzog leicht die Miene als mein rechtes Handgelenk dabei ein kleines knackendes Geräusch veranstaltete. „Entschuldigung, ich war zu neugierig", meinte ich und meine Wangen wurden rot, während sie es abwinkte und mich anwies, mich auf die braune Couch an der länglichen Wand zu setzen.
Sie setzte sich in ihren weißen Schreibtischstuhl und wandte sich mir zu. „Also, was kann ich für Sie tun, Miss Romanoff?"
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„Ich, eh, habe keine Ahnung", haute ich nach langer Stille raus. Ja, was wollte ich eigentlich von ihr? Ich hatte mich nur darauf konzentriert, sie zu finden, nicht, was ich dann von ihr mochte. Sie zog skeptisch, aber fragend, eine Augenbraue hoch. „Naja, ich wollte Sie bezüglich etwas zu... Laura Barton fragen", wies ich auf die Bilderrahmen. Vielleicht fing ich besser damit an. Denn ein paar Fragen lagen mir bestimmt auf der Zunge.
„Oh", formte sich ihr Mund und sie schaute mich überrascht an. „Gerade von Ihnen hätte ich eher gedacht, Sie würden etwas über Clint erfahren wollen", zuckte sie mit ihren Schultern und zog sich das neongrüne Bild heran. „Oder Ihre große Schwester." Sie kratzte sich an ihrer Augenbraue. „Worum geht's?", fragte sie nach einigen Sekunden weiterer Stille nach und ich seufzte.
„Naja", fuhr ich mir durchs Haar. „Ich würde gerne wissen, wie sie zu ihren Lebzeiten gewesen war." Ich zuckte leicht mit meinen Schultern. „Und warum Clint damals so... normal war." Ich sah kurz auf meine Jeans, zupfte an einem losen Faden herum. „Und nicht so... ein Arschloch."
Sie legte ihren Kopf in den Nacken und lachte leicht. „Wissen Sie, Romanoff, Barton war schon immer ein Arschloch." Sie verstummte mit dem Lachen. Dann sah sie mich an, mir für einige Sekunden direkt in die Augen, ehe sie seufzte, anfing, ihre Hände zu kneten. „Aber Laura hat ihn geliebt, das war das wichtigste."
„Er meinte mal, er wäre wegen irgendetwas schlecht auf Sie zu sprechen", log ich und ihre Mundwinkel zuckten. „Und ich versuche gerade ein bisschen über Lauras Vergangenheit herauszufinden", knetete ich leicht meine Hände. „Würden Sie mir verraten, weswegen er schlecht auf Sie zu sprechen war?"
„Weil ich wollte, dass Laura das Kind nicht bekommt, mit dem sie schwanger war." Ich öffnete meinen Mund. „Ich war die ganze Zeit dagegen, aber die beiden haben nicht auf mich hören wollen", erklärte sie mir und ich schloss ihn wieder.
„Aber waren Sie und Barton nicht... Freunde?"
„Beste Freunde", lächelte sie und sah aufs Bild hinab. „Das ist acht Tage vor ihrem Tod aufgenommen worden." Sie wies dort drauf. „Ich weiß noch, dass Clint so sehr dagegen gewesen war, dass sie das Kind kriegen sollte, dass er betrunken bei mir aufkreuzte und mich heulend anflehte, sie zur Abtreibung zu überreden." Sie seufzte. „Am nächsten Tag war alles Friede, Freude, Eierkuchen und ich war diejenige, die den Knacks weghatte."
„Das klappte anscheinend nicht", murmelte ich. „Das Sie beide an einem Strang zogen."
Sie lächelte, schüttelte ihren Kopf. „Offensichtlich", schmunzelte sie, ehe sie seufzte, sich ihr Haar nach hinten strich. „Clint tut immer das, was man nicht von ihm erwartet. Weil er nicht selbstreflektiert ist. Er hat Probleme, sich anzupassen und dazuzugehören."
Angesichts dieses Lebkuchenhauses hatte diese Doktorin vor mir dieselben Probleme. Es wunderte mich nicht, dass sie beste Freunde waren.
„Das klingt... aufregend", sagte ich nickend. „Nicht selbstreflektiert zu sein." Die meisten Menschen waren nicht selbstreflektiert. Nicht einmal ich war das.
„Die Zeit nach Lauras Tod war sehr schlimm", seufzte sie. „Für uns beide."
„Würden Sie denn etwas anders machen, wenn Sie es könnten?" Ich legte den Kopf schief.
Sie sah überrascht auf. „Nein, würde ich eigentlich nicht", schüttelte sie mit zuckenden Mundwinkeln ihren Kopf. „Außer", meinte sie plötzlich und hob den Finger, „Einer Sache." Ich hob fragend eine Augenbraue. „Ich würde Clint gerne eine reinhauen und mich dann verpissen."
„War es so schlimm?"
„Ich habe es noch nie leiden können, wenn man mich ein Miststück nannte, weil ich das erste Jahr nach der High School herumgereist war und vergewaltigt wurde."
„Oh!", keuchte ich erschrocken auf. Ich hätte nicht erwartet, dass sie das plötzlich einfach gegenüber einer Fremden für sie raushauen würde.
„Der Täter hat mir damals vieles genommen. Meine Jungfräulichkeit, meine Unschuld." Sie hob kurz ihre Braue an. „Mein Handy." Ich musste gegen meinen Willen lachen. „Und wenn der mich ständig ein Miststück nennt, ist es wohl verständlich, dass ich dieses Wort am meisten auf dieser kleinen Welt hasse."
Ich nickte. „Natürlich. Das ist selbstverständlich."
„Danke", seufzte sie und lächelte. „Aber es hat sich schon so viel verändert." Einige Minuten blieb sie ruhig. „Vielleicht würde ich Barton auch verzeihen, sollte ich ihn irgendwann mal wiedersehen."
„Ja, vielleicht", seufzte ich.
„Warum sind Sie denn eigentlich nun hier? Um mich über meine Vergangenheit auszufragen? Denn über Laura wollten Sie nichts erfahren." Ich lehnte mich zurück.
„Naja." Ich rang mit meinen Händen in meinem Schoß. „Es ist ein übliches Männerproblem, womit ich versuche, gerade fertigzuwerden."
„Also ein Bartonproblem", seufzte sie, fasste sich kurz an die Nasenwurzel. „Was hat er angerichtet?", entgegnete sie resigniert.
„Mich zerstört", zuckte ich mit meinen Schultern und sie zog ihre Augenbrauen zusammen. „Er hat meine Unschuld bekommen, mein Herz... einfach alles." Ich seufzte. „Und er hat darauf... hat dann schon so oft drauf rumgetrampelt, dass er sich eigentlich schon gar nicht mehr bei so vielen Sachen entschuldigen könnte, ohne keine Luft mehr zu bekommen." Sie lachte kurz. „Und nun habe ich einen Freund, einen wundervollen noch dazu", hob ich beide Brauen. „Nur... kam er jetzt nach drei Jahren Funkstille wieder und... tja."
„Sie haben mit ihm geschlafen, nun ein schlechtes Gewissen, und wissen nicht, was Sie tun sollen." Ich wurde etwas rot am Ende ihrer Aussage. „Das tut irgendwie jede Frau. Und ich versteh es nicht. Ich bin wohl die einzige, die ihm je widerstanden und nicht mit ihm geschlafen hat." Sie seufzte.
„Er hat mir ein Ultimatum von zwei Tagen gestellt." Sie zog wieder eine Braue hoch. „Er oder mein Freund."
Sie seufzte wieder und fasste sich auch wieder an die Nasenwurzel. „Typisch", rief sie. „Typisch dieser Kerl." Sie schüttelte ihren Kopf. „Wissen Sie, Miss Romanoff, ich habe ihm wirklich – und ich meine wirklich! – Wochen nachdem sich unsere Wege bereits getrennt hatten, noch immer die Pest an den Hals gewünscht."
„Also denken Sie, ich sollte es lassen", schloss ich sofort.
„Eigentlich denke ich sogar das Gegenteil", stellte sie ruhig klar. Ich sah irritiert auf. „Laura hat es immer fasziniert, wenn er meinte, er sei ihr Gegenstück und sie das seine."
Ich schluckte etwas und meine Wangen wurden wieder rot. „Eine nette... Vorstellung. Nur... bezweifle ich, dass Laura je so gewaltvoll war."
„Hat er Sie denn schon geschlagen?"
„Er hat letzte Nacht ein Messer nach mir geworfen." Sie öffnete ihren Mund. Ich zuckte mit meinen Schultern. „Was ist das jetzt mit Gegenstücken?"
„Oh, ja", schüttelte sie schnell ihren Kopf. „Also, ich denke... jeder auf der Welt hat tausende von Gegenstücke, in jedem Menschen."
„Was sie einzigartig macht", fügte ich hinzu und sie nickte mir zustimmend zu.
„Genau. Jeder Mensch könnte, rein theoretisch, auch zu jedem passen." Sie zuckte mit ihren Schultern. „Nur sucht uns unser Verstand den Menschen heraus, den wir am schönsten, sympathischsten, humorvollsten und attraktivsten finden." Ich wurde kurz rot. „Nur in seltenen Fällen geschieht dies nicht", fügte sie nun mit ran. „Und Barton hat sich vor seinen sämtlichen Gegenstücken Jahre versteckt." Sie lächelte, musterte mich. „Bei Ihnen scheint er ein Problem zu haben. Sie machen ihn irre."
„Waren Sie denn je sein Gegenstück?", hakte ich nach.
„Nein", lachte sie. „Ich sagte doch, zwischen uns war nie mehr als Freundschaft." Ich schluckte kurz meinen gesamten Speichel die Kehle herunter. „Wenn ich ihm je nachgegeben hätte, wäre das nicht gut ausgegangen", gab sie zu. „Ich bin froh, es nicht getan zu haben."
„Sind Sie Frauenärztin oder Eheberaterin?"
„Mein Mann ist einer", erklärte sie. „Und Laura hat immer gerne ihre Mitmenschen analysiert." Sie seufzte. „Scheint, als hätte ich mir das von ihr abgeguckt."
„Ja, kann ich mir vorstellen", lächelte ich ausweichend.
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Datum der Veröffentlichung: 25.01.2020 16:42 Uhr
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