Reise in die Vergangenheit
Stille und Dunkelheit hatten mich umhüllt. befanden sich dicke Schnüre, die meine Haut aufscheuerten und mich gleichzeitig an den Tisch unter mir fesselten. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren in dieser tiefen Schwärze, doch es mussten Jahre sein, die ich auf jegliches Geräusch hoffte. Bloß mein leerer Magen verriet mir, dass es nicht wirklich derartige Ausmaße angenommen hatte. Immerhin wäre ich ansonsten längst verhungert. Ich konnte nicht mehr klar denken, doch auch, wenn ich es gekonnt hätte, wäre mir kein möglicher Fluchtweg eingefallen.
Quietschen von Metall ertönte und das Schleifen einer riesigen Tür hinter mir, verriet mir, dass endlich jemand nach mir schaute. Doch dieser Jemand war mir keinesfalls wohlgesinnt. Die Füße schliffen über den Boden immer näher zu mir. Schweres Schnaufen bohrte sich in meine Ohren, welches kaum von einem Elben kam. Mir war, als ob ich das alles schon einmal erlebt hätte, als ob ich schon länger hier wäre, doch ich war zu verwirrt und geschwächt, um das sagen zu können. Wie durch eine Eingebung wusste ich auch, was als nächstes geschehen würde: die Fesseln wurden gelöst und durch andere ersetzt. Durch welche, mit denen ich der Wache stolpernd folgen konnte. Es wurde kein Wort gesprochen und auch wenn, ich bezweifelte, dass ich es verstanden hätte, mein Kopf war einfach zu vernebelt.
Wir traten auf einen Gang hinaus, der spärlich mit einigen Fackeln beleuchtet war. An den Seiten konnte ich ein paar Türen erkennen, die wie die meinige aus Stahl bestanden und ein Schloss aufwiesen. Die Person vor mir, welche ich nun als Ork identifizieren konnte, führte mich schnellen Schrittes daran vorbei. Meine Fesseln lagen wie eine Leine in seinen Händen. Grob zog er mich weiter, sobald ich mein Tempo ein wenig drosselte.
Auch in den nächsten Gängen herrschte diese undurchdringliche Stille, die bloß von dem Trampeln der anderen Orks hin und wieder gebrochen wurde. Für solche Wesen war solch ein Verhalten eigentlich höchst ungewöhnlich, doch ich hatte in diesem Moment Besseres zu tun, als mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Wir hielten an einer mäßig verzierten Tür an. Mein Führer klopfte ein paar Mal daran, wobei ich jedes Mal ein wenig zusammenzuckte. Schnell wurden wir hineingebeten. Es war hell und die Luft war auch besser in diesem aufgeräumten, mit Teppichen ausgelegtem Raum, in welchem eine mir nur zu bekannte Person auf mich wartete. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken.
„Arien, oder?", wurde ich begrüßt. Ich senkte bloß demütig meinen Kopf. „Wie wärs, wenn wir einfach beginnen? Warum erzählst du mir nicht, wie du überhaupt erst an diesen Ring gekommen bist?", sprach sie und schickte die Wache mit einem Nicken davon. Ich merkte, wie mein Herz anfing schneller zu schlagen und bekam Angst. Ich konnte und wollte nicht antworten.
„Wenn du es so willst", sprach sie schulterzuckend und trat knapp vor mich, wo sie plötzlich ihre Hand auf meinen Arm legte. Ich realisierte sofort was geschah, doch konnte mich nicht wehren. Unterschwellig spürte ich sie in meinen Geist eindringen.
~einige Jahre zuvor~
„Arien", flüsterte eine Stimme neben mir und ich zuckte zusammen, wobei meine Hand, auf welcher ich meinen Kopf abgestützt hatte, laut auf dem Tisch aufprallte. „Entschuldigung", murmelte ich schnell und setzte mich aufrecht hin. Ich hatte komplett verdrängt, dass ich immer noch im Unterricht saß und wurde nun von vielen stechenden Blicken daran erinnert. Doch zum Glück wandte sich der Lehrer schnell wieder dem Objekt vor sich zu. Es war eines der alten Schwerter aus der geschlossenen Waffenkammer. Ich konnte das Interesse an der Geschichte von solchen Dingen verstehen, doch reizte es mich nicht wirklich stumpf alles auswendig zu lernen. Was brachte mir das Wissen schon? Ich würde wohl kaum mit jemandem ein echtes Gespräch darüber führen und im Kampf war es mir nur noch weniger von Nutzen. Ich war schließlich auch niemand in einer höheren Position, in der es sich gehörte, so etwas zu wissen.
„Zur Abwechslung mal ein spannendes Schwert?", flüsterte ich leise, doch erwartete nicht wirklich eine positive Antwort. „Selbst ich habe den Namen schon vergessen", antwortete statt meiner Sitznachbarin Meril, Nellas mir, welche direkt hinter mir saß. Sie war eigentlich die bekannte Alleswisserin der Klasse und wenn sie schon so etwas sagte, dann musste der Lehrer für unsere letzte Stunde wohl keine besondere Überraschung vorgesehen haben.
Meine Antwort war nur ein belustigtes Schnauben, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit des Lehrers auf mich zu ziehen. Die letzten paar Minuten vergingen gähnend langsam, ein paar Mal wäre ich ein zweites Mal weggenickt, doch ich konnte mich mit Gedanken an die nächsten Tage wachhalten. Eigentlich war ich nicht wirklich müde, doch war es einfach so langweilig, dass es produktiver gewesen wäre zu schlafen, als zuzuhören.
„Nun gut, dann lasse ich euch mal in euer Training gehen. Ich denke sehr viele haben mir sowieso nicht zugehört", gab der Lehrer endlich auf und ich erhob mich erleichtert. Morgen war der erste Tag unseres Außentrainings, das hieß Kämpfen, Bogenschießen, Spuren verfolgen, Klettern, Ausdauer trainieren und vieles mehr. Wir hatten schon ein paar Mal ein solches Training gehabt. Es wurde meistens gleich für ein paar Wochen abgehalten, sodass wir uns nur darauf konzentrieren mussten und das letzte war für meinen Geschmack schon viel zu lang her. Ich liebte die Waldluft und die Kleidung, die man draußen trug. Außerdem durften wir ab morgen zum ersten Mal eine echte Uniform wie die Wachen tragen. Sie soll zwar gewöhnungsbedürftig, doch nach ein paar Tagen angenehmer als alles andere sein.
„Unsere Truppe geht heute wieder raus, wollt ihr vielleicht mitkommen?", fragte Nellas hinter uns, während ich auf Meril wartete. Ich drehte mich etwas überrascht um. „Du meinst wieder am Abend?" Die Elbin lächelte nur verschmitzt. „Wenn ihr erwischt werdet, dann dürft ihr vielleicht nicht beim Außentraining mitmachen", murmelte Meril, welche nun auch fertig war und sich neben mich gestellt hatte. Ich war ganz ihrer Meinung. Da Nellas und ihr Freund so gut im Unterricht waren, konnten sie es sich zwar leisten ein paar Mal bei ihren Spaziergängen erwischt zu werden, doch letztes Mal hatte es wieder eine schärfere Verwarnung gegeben.
„Wie ihr wollt", lächelte sie und verließ mit ihren Freunden den Klassenraum. Ich schaute ihr kurz mit ernstem Blick hinterher, doch ging dann ebenfalls hinter Meril her.
„Ich freue mich immer noch darüber, dass wir in derselben Gruppe sind", versuchte sie von dem Thema abzulenken, wofür ich ihr dankbar war. Es war schließlich nicht mein Problem, wenn sie erwischt wurden.
„Stimmt, aber wenn Nellas nicht mitmachen darf, dann ist unsere Gruppe aufgeschmissen", erwiderte ich und lachte kurz. Wir waren zu viert und neben Nellas, Meril und mir war noch Marthan dabei, welcher weitgehend als Faulpelz bekannt war. Nellas würde sicher viel Spaß mit ihm haben, wenn wir in Zweierpaaren trainierten.
„Wissen wir eigentlich schon, was wir morgen mitnehmen müssen?" „Pfeil und Bogen, soweit ich weiß und wir treffen uns beim kleinen Trainingsplatz an der alten Buche", antwortete ich und bog in den Gang der Schülerzimmer ein. Es gab natürlich mehrere, doch unserer lag zum Glück ziemlich nah. „Oh, das ist gut. Auf dem habe ich schon einmal geschossen und er ist ziemlich einfach", erwiderte meine Freundin erleichtert. Ich fragte gar nicht erst nach, warum sie schon einmal dort gewesen war und ich nicht. Ihre Mutter war eine angesehene Kämpferin und nahm sie oft mit in den Wald hinaus. Von meinen Eltern dagegen war nicht viel bekannt. Ich wurde als Baby im tiefen Winter im Wald gefunden, meine Mutter tot neben mir. Wie ich überlebt hatte, war zu der Zeit jedem ein Rätsel gewesen. Mein jetziger Vater hatte mich dann aufgenommen, da seine Frau vor vielen Jahren bei einem Kampf ums Leben gekommen war und sie keine Kinder gehabt hatten. Er war der liebenswürdigste und vertrauensvollste Mensch, den ich in meinem Leben kennenlernen durfte. Mir hatte niemals etwas wie eine Mutterfigur gefehlt.
„Ich hoffe ich kann überhaupt noch Bogenschießen", lachte ich etwas unsicher, worauf Meril seufzte und mich ungläubig ansah. „So etwas verlernt man nicht." „Ja, du hast gut reden." Sie musste lachen und öffnete schnell die Tür zu unserem Zimmer. „Ich kann dir ja helfen", versicherte sie mir, was ich ihr nicht wirklich abkaufte. Wenn sie mal etwas wirklich gut konnte, dann war sie so begeistert davon, dass sie meistens nur auf sich konzentriert war. Aber zum Glück, war der Trainer, den wir hatten, ziemlich nett.
Am Tag darauf rannte ich etwas gehetzt hinter Nellas her. Wegen Marthan waren wir etwas spät dran, er musste ja seinen Bogen verlegen. Wenigstens hatte ich dadurch genug Zeit gehabt meine Kleidung richtig anzulegen. Inzwischen hatte sie sich wirklich an meine Haut angepasst. Doch die Leichtigkeit in meinen Bewegungen würde wohl vergehen, sobald ich echte Waffen mitführte, welche natürlich auch ihr Gewicht hatten.
Vor mir hörte ich ein erleichtertes Seufzen, als Nellas die kleine Lichtung erreichte, in deren Mitte eine große, alte Buche stand. Ich versuchte nicht zu sehr außer Atem zu wirken und stellte mich neben meine Kollegin hin. Hinter mir erreichten auch Meril und Marthan das Ziel. Bruinen, unser Trainer, war zum Glück nicht sonderlich böse, dass wir zu spät waren, sondern trat erfreut einen Schritt auf uns zu. Er hatte auch lange keine Klasse mehr gehabt, soweit ich wusste.
„Also, wie wäre es, wenn wir erst einmal mit einer kleinen Vorstellungsrunde anfangen? Wir werden uns schließlich für die nächsten Wochen jeden Tag sehen. Ich habe mich schon einmal kurz vorgestellt in eurer Klasse. Ich hab's nicht so mit der Theorie, wie ihr euch wahrscheinlich denken könnt, aber auch beim Kämpfen muss man viel und schnell denken. In meinem Unterricht lege ich Wert darauf, dass ihr mir sagt, wo ihr Schwierigkeiten habt. Jeder hat irgendwo Schwächen und ihr seid schließlich noch lange nicht am Ende eurer Ausbildung. Ihr müsst nicht außerhalb meiner Stunden trainieren, um irgendwie Eindruck zu schinden. Ich werde niemanden hinterherhinken lassen, also werden wir erst zur nächsten Übung übergehen, wenn alle die letzte beherrschen. Wie allen anderen Trainern ist auch mir Freundlichkeit und Respekt untereinander und mir gegenüber wichtig. Vielleicht fängst du mit deinem Namen und ein paar Eigenschaften an", erklärte Bruinen und nickte zu Nellas, welche erfreut einen kleinen Schritt vor machte.
„Mein Name lautet Nellas, ich beherrsche die Grundlagen im Bogenschießen oder Kämpfen, am liebsten mag ich den Nahkampf, denke ich", stellte sie sich vor. Ich musste kurz lächeln, als ich merkte, dass sie sowieso alles konnte und deswegen wohl nichts von Schwächen oder Stärken erzählen konnte.
„Danke, Nellas", erwiderte der Trainer und sah mich auffordernd an. Mein Herz pochte sofort etwas schneller, als ich wie Nellas einen Schritt vortrat. „Ich heiße Arien und meine Stärke ist Schwertkampf und Spuren lesen mag ich auch. In Bogenschießen bin ich mir noch etwas unsicher", erzählte ich etwas schüchtern und wollte schon einen Schritt zurückmachen. „Ich bilde mir ein, dass ihr noch gar nicht so viel Spurenlesen gelernt habt?", fragte er allerdings, was mich kurz etwas überforderte. Ich wollte unbedingt einen guten ersten Eindruck bei ihm machen. „Doch, meine Gruppe vom letzten Mal war schon früher mit ein paar Übungen fertig, deswegen haben wir damit angefangen", erklärte ich schnell, womit er sich zufriedengab und ich Meril ansah.
„Mein Name lautet Meril und nach meinem Erachten, bin ich ganz gut in Bogenschießen und auch Schwertkampf", sagte diese selbstsicher und Bruinen nickte zufrieden. „Also ich heiße Marthan und mag eigentlich am ehesten Klettern oder Erkunden", stellte sich nun Marthan als letzter vor und versuchte offensichtlich nicht zu stark zu zeigen, dass er eigentlich ziemlich mies in diesen Sportarten war. Aber jeder war eben wo anders gut.
„Gut, danke, Marthan. Wie ich sehe, habt ihr alle eure Bögen bereits dabei. Damit ich mal sehe auf welchem Level ihr seid, fangt einmal mit den grünen Zielen an. Ihr geht erst zum nächsten weiter, wenn ihr das letzte getroffen habt. Wie gesagt, das ist kein Test, ich will einfach nur wissen, wie weit ihr schon seid. Nellas, fang bitte an", erklärte er und trat ein paar Schritte zur Seite. Nellas gehorchte sofort und schritt zu seinem alten Platz, von wo aus sie einen Pfeil einspannte und das erste Ziel perfekt traf. Es waren Holzscheiben, welche entweder in der Luft hingen oder an einem der anderen Bäume befestigt waren. Die Umrandungen um sie herum waren entweder grün, gelb oder rot, je nach Schwierigkeitsgrad.
Ich hasste es nach Leuten wie ihr dran zu sein. Neben ihr sah ich doch so aus, als ob ich gar nichts konnte. Ihre zwei Minuten, die sie schoss, hatte sie so gut wie alles beim ersten Mal getroffen, was es nicht gerade besser machte. „Arien", forderte Bruinen mich auf und nickte schnell.
Während ich versuchte, so gut wie möglich zu schießen, sprach der Trainer noch kurz alleine mit Nellas, wobei er stets ein Auge auf mich hatte. Von wegen Bogenschießen verlernt man nicht! Die ersten drei Ziele musste ich ein paar Mal ansetzen, doch danach wurde es um einiges besser und ich kam wieder hinein.
Ich stieß erleichtert die angehaltene Luft aus, als ich den letzten Pfeil abgeschossen hatte und er traf. Wie erwartet rief der Trainer mich zu sich und Meril fing an. „Ich denke du hast selbst bemerkt, dass du dich erst wieder dran gewöhnen musstest, aber danach warst du nicht so schlecht. Magst du Bogenschießen im Generellen?" Ich zögerte kurz, irgendwie hatte ich diese Frage nicht wirklich erwartet. Es machte doch keinen Unterschied, lernen musste ich es trotzdem. „Schon, ich bin nur einfach nicht so gut darin", antwortete ich schnell, bevor ich zu lange schwieg. „Also so würde ich es nicht sagen. Es ist ganz normal, dass du wieder etwas verlernst, wenn du lange nicht mehr geübt hast", lächelte er und ich nickte dankbar.
Wie zu erwarten war, legte Meril einen fast fehlerfreien Lauf hin. Nur zwei Mal hatte sie bei insgesamt zehn Zielen verfehlt. Marthan brauchte zwar ein wenig länger, jedoch war er nicht so schlecht wie ich erwartet hatte. Er musste trainiert haben. Den restlichen Tag über wurde ich immer besser, bis ich irgendwann auf meinem alten Stand war, welcher zwar nicht herausragend war, doch gut genug für mich. Auch Bruinen gab oft positive Kommentare von sich.
Doch trotzdem gab es immer etwas daran auszubessern, wie ich meinen Bogen hielt und irgendwann fragte ich mich, ob ich es niemals lernen würde. Meril hatte mir zwar immer wieder Tipps gegeben, doch letztendlich waren sie nicht viel hilfreicher, als die des Trainers, was dazu führte, dass ich beschloss, alleine zu üben. Ich war zwar nicht weit hinterher, doch dieses Problem hatte ich die letzten Male beim Training auch schon gehabt und langsam wurde es Zeit es zu beheben.
Bei einem der letzten Spaziergänge mit meinem Vater, hatte er mir einen eher wenig benutzen Trainingsplatz gezeigt, welcher recht weit vom Palast entfernt lag, was den Vorteil hatte, dass mich dort weniger wahrscheinlich jemand fand. Also wartete ich noch den nächsten Tag ab, an welchem wir nur Klettern übten und ging am darauffolgenden Sonnenaufgang los in Richtung des Übungsplatzes. Meinem Vater hatte ich erzählt, dass ich mit Meril und ihrer Mutter trainierte. Es gefiel mir zwar nicht ihn anzulügen, doch ich hatte mich schon ein paar Mal aus dem Palast geschlichen.
Ich hatte kurz mit Meril darüber gesprochen, dass ich vermutlich über Nacht weg war und sie würde mich decken. Es war üblich, dass Kinder ab einem gewissen Alter nicht mehr so viel mit ihren Eltern unternehmen, weshalb ich mir auch keine Sorgen machte.
Ich kam erst am späten Nachmittag dort an. Ich hatte neben Pfeil und Bogen noch einen Dolch mitgenommen, einfach aus meiner Paranoia heraus, dass immer etwas passieren konnte. Die Nacht über würde ich einfach wachbleiben, schließlich war das auch kein Problem für eine Elbin.
Anfangs achtete ich immer mehr auf meine Umwelt, um mögliche Patrouillen frühzeitig zu entdecken, doch als ein paar Stunden lang nichts zu sehen oder hören war, konzentrierte ich mich einfach voll und ganz auf mein Training. Sobald ich keine Lust mehr auf Bogenschießen hatte, übte ich mein Gleichgewicht und meine Beweglichkeit bei dem kleinen Parcours, doch die meiste Zeit blieb ich beim Schießen, es war schließlich auch die Disziplin, in der ich mich am meisten verbessern musste.
„Deine linke Hand ist zu weit unten", sprach plötzlich jemand neben mir, worauf ich vor Schreck den Pfeil losließ, den ich gerade justieren wollte und der nun vollkommen ziellos einfach zwischen die Bäume flog. Mir wurde sofort schlecht, als ich mich umdrehte und erkannte, dass es eine Patrouille war und um es auch noch perfekt zu machen, war es der Prinz höchstpersönlich, welcher vorne stand und anscheinend den Tipp gegeben hatte. „Es... ich... vergebt mir", brachte ich stockend heraus und verbeugte mich schnell. Es hatte keinen Sinn irgendwelche Ausreden zu erfinden, die Situation war offensichtlich.
„Was tut—", fing er streng an, doch brach ab und schaute aufmerksam in den Wald hinter mir. Ich hatte nicht das leiseste Geräusch gehört, doch tat natürlich so, als ob das der Fall gewesen wäre und versteifte mich. Bitte lass es einfach ein Tier sein, dachte ich. Doch der Elb wäre wohl erfahren genug, ein Geräusch, welches ein Tier verursachte und eines, welches ein Eindringling machte, zu unterscheiden. Ich hatte noch nicht einmal eine Waffe, um richtig zu kämpfen und meinen Bogenschießkünsten vertraute ich viel zu wenig, als dass ich auch nur auf einen Gegner gezielt hätte. Außerdem rechneten die Elben vor mir vermutlich sowieso nicht damit, dass ich kämpfen konnte.
Es war wie ein stilles Kommando, als plötzlich alle gleichzeitig ihre Bögen hervorholten und in meine Richtung zielten. Ich vertraute, ohne zu zögern, darauf, dass sie mich nicht unabsichtlich erwischten. Meine Augen wanderten zu denen des Prinzen, welcher lautlos mit seinen Lippen unverkennbar das Wort runter formte, welchem ich sofort gehorchte. Noch in meiner Bewegung hörte ich das Summen von Pfeilen, doch ich konnte nicht sagen, ob überhaupt welche von unseren abgefeuert wurden, denn aus dem Augenwinkel erkannte ich, wie ein paar Elben ein wenig zurückgeworfen wurden und dann zu Boden gingen. Ich schloss meine Augen, ich war nicht unbedingt erpicht darauf, jemanden sterben zu sehen; und dann auch noch Elben aus meinem Volk. Aus einem flüchtigen Gedanken heraus wollte ich mich ausstrecken und so tun, als hätte auch mich jemand erwischt, doch genau diese Bewegung machte wohl einen der Gegner auf mich aufmerksam, denn schon spürte ich einen heißen Stich in meiner Flanke, welcher sich in meinem ganzen Körper auszubreiten schien. Ich zog mich zusammen, doch bemühte mich möglichst ruhig dazuliegen. Vor Schmerz hatte ich meine Augen aufgerissen, was ich im Nachhinein unter allen Umständen hätte vermeiden wollen. Denn nun tat nicht nur mein Körper weh, sondern auch mein Herz, als ich den Haufen besiegter Elben vor mir sah. Manche der Augen standen noch offen und schienen mich anzustarren. Hinter ihnen konnte ich die letzten der verkrüppelten Wesen in Rüstungen sehen. Auch ohne die Überzahl hatten sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite gehabt.
Eine ungewollte Träne lief mir über die Wange. Ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es die Schmerzen von meinem Bauch, oder die Schuldgefühle waren. Ich hätte die Orks bemerken müssen, sie hatten mich sicher schon länger beobachtet. Mein Blick glitt zu Legolas, welcher ebenfalls regungslos vor seinen Kameraden lag. Er hatte einen Pfeil in seiner Schulter stecken, doch schien sonst unverletzt zu sein.
Ich schob meine Hand vor, um aufzustehen, doch eine weitere Welle des Schmerzes ließ mich aufstöhnen. Ich konnte die Wärme meines Blutes spüren, das sich gerade um die Wunde herum ausbreitete. Doch alleine schon, um das Leben des Prinzen zu retten musste ich überleben!
Also grub ich meine Nägel in die Erde und biss meine Zähne zusammen, während ich aufstand, kurz schwankte und wieder zu Boden ging. Kurz schob ich meine dunkle Kleidung nach oben, um den Schnitt des Schwertes zu begutachten. Es sah weniger schlimm aus, als es sich anfühlte. Kurz entschlossen robbte ich zu einem der toten Elben hin und riss ein längliches Stück seines Mantels ab. Meine Finger taten von der plötzlichen Anstrengung weh, schließlich war es nicht gerade einfach ein Stück Kleidung abzureißen, doch mit dem Adrenalin und den sowieso stärkeren Schmerzen in meiner Seite, konnte ich darüber hinwegsehen. Dieses band ich mir dann fest um meinen Bauch herum, um die Blutung wenigstens ein bisschen zu stoppen. Mit einem weiteren Fetzen zog ich mich dann näher zu Legolas. Seine Augen waren geschlossen, in seiner Hand noch der Bogen. Kurz betrachtete ich sein Gesicht. Wie oft hatte ich ihn am Gang gesehen oder bei einem der Ausgänge und hatte mich gefragt, wie er wohl privat so war. Nach außen hin schien er immer der pflichtbewusste und strenge Prinz, der Sohn seines Vaters eben, doch ich war mir sicher, dass er in echt anders war; niemand konnte die ganze Zeit diese Fassade aufrechterhalten.
Schließlich legte ich meine Hand auf den Pfeil und zog ihn mit einem Ruck heraus. Mit ihm in der Schulter, konnte er wohl kaum zum Palast gehen. Doch dieser plötzliche Schmerz weckte ihn auch wieder auf. Mit einem scharfen Einatmen hob sich seine Brust schlagartig und die Hand, die den Bogen gehalten hatte, legte sich auf die Wunde. „Mein Herr", sagte ich schnell beschwichtigend. Die Augen, welche er weit aufgerissen hatte, wandten sich nun mir zu. Ich beschloss, dass ich meine Schmerzen verdrängen musste. Ich konnte nun, da ich den Tod von fünf anderen Elben bereits verursacht hatte, mich nicht auch noch beschweren, dass ich verletzt war.
„Ich muss die Blutung stoppen", flüsterte ich leise und schluckte schwer. Ich fühlte mich nicht wohl mit dem stechenden Blick auf mir. Ich versuchte so gut wie möglich den Fetzen in das Loch zu stopfen. Dass er seinen Mantel irgendwie auszog, war schließlich keine Option. Seine Hand bewegte sich allerdings nicht vom Fleck, weshalb ich mich noch unwohler dabei fühlte, sie ein wenig wegzudrücken. Das war mir definitiv viel zu nah für einen Prinzen.
„Ist schon in Ordnung", wehrte er mit kratziger Stimme ab und richtete seinen Oberkörper auf. Ich rückte schnell ein Stück zurück. Den Fetzen hatte seine Hand in der Bewegung übernommen. „Vergebt mir, aber ich denke Ihr solltet Euch schonen", sagte ich leise und war mir nicht sicher, wie ich mich verhalten sollte. Legolas zögerte kurz. „Was hast du überhaupt hier draußen getan?", fragte er schließlich, ohne auf meine Aussage einzugehen. „Ich... wollte trainieren, mein Herr", antwortete ich stockend und warf einen Blick auf den Rest der Patrouille. Der Prinz hatte das offensichtlich bemerkt und drehte ebenfalls seinen Kopf kurz hinüber.
Mir wurde es nun zu viel der Nähe und ich stand auf. Meine Arme verschränkte ich so vor meinem Körper, dass eine Hand auf der Verletzung lag. Das machte es ein wenig leichter, doch immer noch hatte ich das Gefühl mich keinen Fingerbreit bewegen zu dürfen, wenn es nach meinem Körper ging. Auch der Prinz besah sich nun seine Schulter. Es mussten unglaubliche Schmerzen sein, die er erlitt und Elben, gerade er, waren es nicht unbedingt gewohnt, verletzt zu sein.
In den paar Sekunden Stille wurde ich mir wieder der Situation so richtig bewusst. Hätte ich hier nicht trainiert, wäre das alles vermutlich gar nicht erst passiert. "Wir sollten kurz Pause und uns dann auf den Weg zurück machen", befahl der Prinz und erwartete keine Antwort, als er bereits aufstand. Er schwankte kurz, doch hatte sich schnell wieder gefangen. Mir wurde jetzt noch mehr klar, dass ich ihm nicht von meiner Verletzung erzählen durfte. Ich würde ihn nur dazu zwingen hierzubleiben und das würde uns beiden nicht passen. Er konnte mich nicht alleine hier zurücklassen.
„Seid Ihr Euch sicher? Ich meine, Ihr habt viel Blut verloren?", widersprach ich vorsichtig, doch folgte ihm ein paar Schritte weiter weg von den toten Körpern. Legolas sah mich kurz streng an, musterte mich und entschied sich dann einfach keine Antwort zu geben. Das war für mich alles, was ich brauchte. Ich war mir nicht sicher, ob ich, auch wenn wir jetzt kurz rasteten, den langen Weg zurückschaffen würde. Ich spürte bereits wieder das klebrige Blut durch meinen Mantel hindurch und auch mein restlicher Körper wurde inzwischen müde und energielos.
Ich war erleichtert, als der Prinz sich endlich ein wenig weiter außerhalb der Sichtweite der toten Elben, zwischen ein paar Wurzeln niederließ. Ich bemühte mich weiterhin nichts von meiner Schwäche zu zeigen. Vermutlich dachte er einfach, dass ich geschockt von dem Angriff war, was für mich in Ordnung ging. Doch desto länger wir vor dem großen Baum saßen, desto müder wurde ich. Nicht nur der Blutverlust, sondern auch das verzweifelte Wachbleiben, raubte mir meine letzte Energie, bis ich schließlich irgendwann einfach einschlief. Es war kein besonders guter Schlaf, doch ich hatte ihn dringend nötig gehabt.
Ich konnte nicht sagen, wieviel Zeit verstrichen war, doch irgendwann kamen meine Gedanken wieder in die echte Welt zurück, geleitet von einem „Hey", welches ohne Zweifel von Legolas kam. Doch ich war einfach zu schwach meine Augen zu öffnen. Es war mir in dem Moment egal, was er von mir dachte. Ich konnte nicht mehr. Ich spürte ein leichtes Rütteln und dann eine schwache Berührung an der Seite meiner Wunde.
Ich glaubte ein leises Fluchen zu hören, als er den Mantel wegschob und den Schlitz im Stoff weiter aufriss. Doch durch die leichten Berührungen jagten wieder Wellen des Schmerzes durch meinen Körper und ich wachte erschrocken auf.
„Warum hast du nichts gesagt?", murmelte er verständnislos und schob meinen provisorischen Verband hinunter. Jede andere Person hätte ich wohl geschlagen in dem Moment, doch ich konnte mich noch so weit kontrollieren, dass ich bloß einen widerwilligen Laut hervorbrachte. Meine Hände fanden wie von selbst den Weg zu meiner Wunde und wollten die Hände des Prinzen loswerden, doch er beachtete sie gar nicht, sondern schob nicht gerade vorsichtig den Verband zurück an seinen Platz. „Okay, komm, du musst aufstehen", befahl er nach einem Seufzen. Ich öffnete meine Augen, um ihn verständnislos anzuschauen, doch sein Gesichtsausdruck ließ keinen Widerspruch zu, sodass ich meine Hände zu meinem Gesicht führte, kurz darüberstrich und mich dann aufsetzte. Es war eine Mischung aus Schmerz und Gefühlslosigkeit, welche nun meinen Körper durchflutete. Ich konnte meine Beine fast nicht mehr spüren, doch trotzdem bewegen. Es war, als wären sie eingeschlafen und das war kein besonders gutes Gefühl.
Während ich mich an dem Baum aufzog, konnte ich erkennen, dass Legolas sich ebenfalls einen provisorischen Verband gemacht hatte, doch seine Wunde schien nicht ganz so schlimm gewesen zu sein, wie ich am Anfang gedacht hatte. Seine Augen musterten mich etwas besorgt, als ich kurz regungslos neben dem Baum stand und mich konzentrierte. Er legte seine Hand an meinen Oberarm, um sicherzustellen, dass ich nicht wieder umflog. Normalerweise hätte ich mich in dem Moment wohl maßlos unwohl gefühlt, doch nun gab es mir die Stärke, die ich brauchte. Ich atmete nochmal kurz durch und nickte dann als Zeichen, dass wir gehen konnten. Der Prinz hielt sich ein wenig hinter mir. Ich verfiel schnell in einen Trott, in dem ich nicht mehr viel darüber nachdachte, wohin ich genau meine Füße setzte. Ein paar Mal stolperte ich kurz, doch ich konnte mich noch rechtzeitig fangen. Es war längst Nacht und auch, wenn ich ein Hindernis vor mir gesehen hätte, so hätte ich nicht die Kraft gehabt ihm auszuweichen.
Irgendwann fiel mir auf, dass ich immer langsamer wurde, was den Prinzen dazu veranlasste, ein wenig näher hinter mir zu gehen. Ihm war wohl schneller klar als mir, dass ich nur wenige Sekunden darauf einfach zusammensacken würde. Ich konnte nicht mehr darüber nachdenken vor wem ich da gerade Schwäche gezeigt hatte, sondern ließ meinen Kopf einfach abschweifen an einen ruhigen, dunklen Ort der Stille.
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