In Legolas' Zimmer
Erschrocken fuhr ich auf und sah mich um. Neben mir ertönte der laute Knall des Buches, das von mir gerutscht war. Schnell atmend setzte ich mich im Sessel auf und fuhr mir durch die Haare.
„Alles in Ordnung?", fragte ein braunhaariger Kopf, der um die Ecke schaute und mich besorgt musterte. „Ja... ich habe nur schlecht geträumt", antwortete ich schnell und stand auf. Der Elb lachte kurz amüsiert und trat dann ganz hervor. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass ich mich in einer Bibliothek befand.
Ich atmete durch und hob schnell das Buch auf. „Dann muss das Buch wohl sehr langweilig sein oder du seit ein paar Nächten wach", lächelte er und lehnte sich am Regal neben sich an. „Eher letzteres", antwortete ich zaghaft und überflog nochmal den Buchtitel: „Tarquesta - Wie Quenya nach Mittelerde kam". Natürlich kannte ich die Grundzüge der Geschichten, doch ich wollte mich genauer damit beschäftigen, um vielleicht doch irgendwo einen Hinweis zu finden.
„Ist ein Buch über die Hochsprache wirklich so wichtig?", fragte der Elb wieder und sah mich zweifelnd an. „Wenn es das wäre, wäre ich wohl nicht eingeschlafen", murmelte ich und stellte es an seinen Platz zurück. „Tergon", stellte er sich vor und verfolgte mich mit seinen grauen Augen. „Arien, ich denke ich sollte doch etwas Schlaf bekommen", lächelte ich und nickte ihm zu. „Arien", ich drehte mich noch mal um, „es ist mitten am Tag, hast du...", fragte er und sah mich etwas unsicher an. „Oh, nein, ich habe ein paar Tage frei bekommen", antwortete ich schnell und winkte ab. Er sah mich kurz ratlos an, bis ich endlich den Raum verließ und den Weg zu meinem Zimmer einschlug. Natürlich hatte ich nicht nur ein paar Tage frei bekommen, ich war mir unsicher, wo ich hier helfen konnte und war schon heilfroh, dass der Prinz mir zu einem eigenen Zimmer verholfen hatte. Ich konnte nicht nur nicht mehr kämpfen, sondern mein gesamtes Wissen hatte die letzten 200 Jahre gelitten und was übriggeblieben war, war niemals genug für eine nützliche Aufgabe hier. Deswegen fühlte ich mich auch ein wenig fehl am Platz. Ich hatte nur sehr wenig mit Nellas und Mahtan gesprochen, meine einzige Ansprechperson war mein Vater. Alle hatten ihr Leben normal weitergelebt und hatten andere Interessen und Aufgaben zu erledigen. Meine Abschlussprüfung musste ich auch nicht mehr ablegen, doch mir war klar, dass ich sie nicht geschafft hätte. Ich traute mich nicht mal mehr ein Schwert zu berühren.
Ich kehrte in mein Zimmer zurück und legte mich noch einmal hin. Ich merkte, wie mein Körper anfing, sich zu erholen, doch konnte nicht mehr einschlafen. Also lag ich einfach so da und ließ die Zeit verstreichen. Natürlich war ich für jede Sekunde außerhalb der Fänge der Orks dankbar, doch trotzdem fühlte ich mich irgendwie fehl am Platz. Aber was sollte ich schon tun? Hier war mein Zuhause, der einzige Ort, an dem ich bleiben konnte. Ich kannte nichts anderes oder konnte irgendwo anders hin. Ich verstand selbst nicht, warum sich nicht die alten Heimatgefühle in mir ausbreiteten. Ich war hier doch aufgewachsen! Es machte keinen Sinn!
Ich spürte Wut in mir aufkommen. Wut auf mich selbst, niemand sonst hatte daran schuld. Wobei mir natürlich klar war, dass die Orks dabei auch eine Rolle spielten, doch es hatte sonst niemand damit zu tun gehabt. Es gab niemanden, dem ich das in die Schuhe schieben konnte.
Drei Ringe, geschmiedet im Angesicht der Cementári und bestehend aus den heiligen Überresten derer, die sie am meisten schätzte. Eine Verbindung der Geister, der Seelen und des Wissens. Nach dem Feuer kommt Asche, die im Winde verwehen wird. Doch wie ein Phönix soll aus ihr etwas Neues emporsteigen mit der Kraft sie alle zu retten.
Mit offenen Augen dachte ich über die Worte nach, die ich damals nur kurz hatte lesen können. Sie waren auf einem gelblichen Stück Pergament eingerahmt an der Wand gewesen, in dem Raum, in dem ich Úmea zum ersten Mal getroffen hatte. Natürlich hatte ich sie mir auch damals schon mit großem Interesse eingeprägt, doch ich hatte seit langem nicht mehr daran gedacht. Cementári, das sagte mir etwas, doch ich war nicht mehr ganz sicher, was. Vielleicht war das auch einfach der Name der Königin, die damals diese Ringe schmieden ließ. Mit den Informationen, die ich nun hatte, machte es um einiges mehr Sinn. Die Bäume waren mit ihren Geistern mit denen der Elben verbunden.
„Cementári... die Königin des Erdreichs", flüsterte ich leise. Sie hatte ihnen bei der Erschaffung geholfen? Yavanna, die Valar selbst, hatte sich mit diesem Volk in Verbindung gesetzt? Doch das erklärte immer noch nicht alles. Wozu haben sie mich gebraucht? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie wirklich nur eine Königin haben wollten. Ich hatte vielleicht eine Verbindung zu diesen Ringen aufgebaut, doch hatte keinerlei Erfahrung mit dem Regieren. Ich wäre die wohl schlechteste Person, die sie sich hätten suchen können. Und warum hatte mich der Ring überhaupt so stark beeinflusst, obwohl ich ihn niemals anhatte, bis ich gefangen genommen wurde?
Ich stand auf und ging zum Fenster. Mein Zimmer war nicht sonderlich groß oder glamourös, doch es reichte. Mein Blick lag nachdenklich auf den Bäumen. Soweit ich wusste, gab es im Düsterwald keine bis kaum Ents. Hatte dieser Ring zum Teil seinen eigenen Willen, so wie der Eine zum Beispiel? Wollte er gefunden werden? Warum waren die Orks überhaupt in den Düsterwald gekommen? Ich konnte sie schlecht fragen, doch ich kannte jemanden, der die Antwort wusste. Also drehte ich mich um und zog mir meinen Mantel an, bevor ich mein Zimmer verließ. Ich musste jede Möglichkeit verfolgen, um etwas herauszufinden. Ich wusste selbst nicht, worauf das hinauslaufen sollte und was es mir half. Schließlich konnte ich nicht mehr zurück nach Rhûn.
Ich musste nicht lange nach dem Prinzen suchen, bis ich ihn fand. Er kehrte gerade mit einer Patrouille zurück. Ich wartete kurz, bis sich die meisten aufgeteilt hatten und eilte ihm dann hinterher. Er war auf direktem Weg zum König. Ich konnte ihm allerdings nicht folgen, da wir den offenen Bereich der Hallen betraten. Es würde bis nach der Besprechung warten können. Trotzdem schlug ich einen anderen Weg nach oben ein, um vielleicht etwas Interessantes aufschnappen zu können.
„Ich habe es mir selbst angeschaut und die Wachen hatten recht, es ist, als hätten diese Bäume sich gegen den Zauber wehren können. Nicht das kleinste Anzeichen einer Krankheit", hörte ich Legolas leise erzählen. Der Thron war am höchsten Punkt in den Hallen, doch ganz offen, wodurch ich trotzdem einiges von meinem Standpunkt aus verstehen konnte.
„Wenn es sich ausbreitet, können wir nur froh darüber sein", antwortete der König unbeeindruckt. Mir war sofort klar, was diese neuen Bäume waren und woher sie kamen. Es überraschte mich allerdings doch, dass sich einige Ents bereit erklärten einfach in den Düsterwald zu gehen.
„Ich werde es weiterverfolgen", verabschiedete sich Legolas. Ich konnte ihn nur halb den geschlungenen Weg zurückgehen sehen. Schnell erhob ich mich und schlug eine Richtung ein, in der ich ihn kreuzte. „Mein Herr Legolas", rief ich und verbeugte mich kurz, als er sich umdrehte. Die Umstellung war mir überraschend leichtgefallen, sobald wir zurück waren.
Er nickte zur Seite, wo wir einigen Elben aus dem Weg gingen. „Ich weiß, es ist lange her, doch Ihr habt schon einmal bewiesen, dass Ihr Euch noch an den Tag erinnern könnt, an dem ich den Ring gefunden habe", murmelte ich etwas unsicher, worauf er seine Arme misstrauisch verschränkte. „Worauf willst du hinaus?" „Die Nachricht, die in schwarzer Schrift geschrieben wurde. Was hat sie bedeutet?" Er starrte mich einige Sekunden nachdenklich an, wobei ich nicht wirklich wusste, worüber er gerade nachdachte.
„Wir hatten darüber geredet. Du wolltest die Vergangenheit hinter dir lassen", antwortete er schließlich, was mich nicht unbedingt zufrieden stellte, doch vermutlich konnte er sich wirklich einfach nicht mehr daran erinnern. Ich nickte stumm und drehte mich um.
„Arien." Ich sah ihn überrascht an, worauf er seufzte und seine Haltung ein wenig aufgab. „Sie haben etwas wie einen Dialekt entwickelt, den wir noch nicht gut verstehen, doch die Unterschrift von Úmea stand darunter", erzählte er. Also hatte Baron ebenfalls darüber Bescheid gewusst, er hatte immerhin auch so wie Legolas reagiert. Ich fragte mich, womit man dieses Recht verdiente, doch da lagen wohl einige Jahre Erfahrung und Freundschaft mit dem Prinzen dazwischen.
„Danke", sagte ich leise und verabschiedete mich mit einer kurzen Geste. Das bedeutete, dass Úmea den Befehl gegeben hatte und somit, dass es mit etwas Größerem zu tun gehabt hatte. Doch immerhin hatte er den Ring bei sich gehabt, also war vielleicht einfach das die Erklärung. Sie würde immer genau wissen wollen wo sich die beiden anderen Ringträger befanden, deswegen hatte sie den Befehl gegeben. Aber wie war sie überhaupt erst an die Ringe herangekommen? Das war wohl etwas, was ich nur das Volk von Rhûn fragen konnte. Doch gab es da nicht noch jemand anderen?
Ich wägte es kurz ab und entschied mich dann dafür. Es war zwar schon Abend, doch genug Licht für einen kurzen Ausflug in den Wald vorhanden. Also zog ich mich in meinem Zimmer um und stellte mich nachdenklich vor meine Waffen. Leicht legte ich meine Finger an das Heft des Schwertes. Es fühlte sich kalt und ungewohnt an. Doch genauso ungewohnt war es auch unbewaffnet die Hallen zu verlassen, also nahm ich es auf. Es war schwerer als erwartet, aber meine Arme gewöhnten sich schnell daran. Ich merkte, wie einiges aus meiner Ausbildung zurückkam, doch ich war immer noch nicht wirklich überzeugt, ob ich auch nur einen einzelnen Ork umbringen konnte. Der Bogen lag mir schon besser in den Händen. Auch bei ihm war ich mir unsicher wie stark ich ihn spannen oder auf welcher Höhe ich den Pfeil ansetzen sollte. Vielleicht würden die dunklen Kreaturen sich alleine schon vorsehen, weil ich die Waffen an mir trug? Also legte ich sie an und verließ dann die Hallen.
Die Dämmerung setzte ein, während ich einfach, mich von den Wegen fernhaltend, durch den Wald spazierte. Ich war mir selbst nicht so sicher, was ich erwartete, doch die Ents waren wegen mir hier, also würden sie vielleicht auch mit mir sprechen, wenn ich zu ihnen kam. Irgendwann würden sie sowieso entdeckt werden, die neuen, unbefleckten Bäume.
„Eine merkwürdige Zeit für einen Ausflug, findest du nicht?", fragte eine Stimme hinter mir, doch ich hatte den Elben schon vorher bemerkt, mich nur nicht darum gekümmert.
„Das könnte ich zurückgeben", antwortete ich bloß, ohne anzuhalten. „Du hast zum ersten Mal deine Waffen wieder angefasst, bist in einer Zeit und einem Wetter unterwegs, wo sonst nicht sehr viele Elben draußen sind und interessierst dich anscheinend immer noch für dieses Volk, nicht besonders schwer daraus eine Schlussfolgerung zu ziehen, nicht wahr?", zählte er auf, wobei ich doch stehen blieb und mich langsam umdrehte. „Woher wisst Ihr, dass ich zum ersten Mal meine Waffen trage?" Er lächelte leicht und musterte mich. „Man merkt es", antwortete er bloß und trat näher.
„Nun, das mag richtig sein, doch Eure Schlussfolgerung nicht." Seine Brauen zuckten kaum merklich. „Ich habe Euch mit dem König reden hören. Ihr wisst, dass mehr dahintersteckt", lächelte ich und sah zu einem der sanft leuchtenden Bäume. „Worauf willst du hinaus?", fragte er misstrauisch, worauf ich ihn mit schief gelegtem Kopf anschaute.
„Du warst derjenige, der das mit dem lebenden Wald herausgefunden hat", antwortete ich etwas zu schnell und dachte dabei nicht über meine Worte nach, was ich sofort bereute und den Kopf abwandte. Ich hatte ihn seit unserer Ankunft hier nicht mehr so angesprochen, es war mir einfach so hinausgerutscht.
Ein paar Sekunden herrschte Stille, in der ich den prüfenden Blick auf mir spüren konnte. „Du solltest in die Hallen zurückkehren, es wird kalt in der Nacht", befahl er und drehte sich um. Ich sah etwas überrascht auf, doch neigte schnell meinen Kopf und schlug die Richtung zurück ein. Ich war froh, dass er es mir nicht übelnahm, oder es zumindest jetzt noch nicht sagte. Er war derjenige gewesen, der mir erlaubt hatte, ihn so anzusprechen. Konnte er mir nun böse sein, wenn ich das gewohnt war, sobald wir zu zweit waren?
Aber mein Verlangen mehr herauszufinden, war bloß gewachsen. Diese Ringe wurden zwar aus den Überresten der Ents erschaffen, doch waren sicherlich nicht von Anfang an ein Instrument des Bösen gewesen. Wenn Úmea sie stehlen konnte, konnte ich das auch. Ich hatte ihn einige Jahre lang jeden Tag von neuem an den Finger geschoben bekommen, ich wusste genau, was er bewirken konnte und was nicht und hatte keine Angst. Vielleicht war es etwas anderes, wenn ich ihn freiwillig aufzog. Doch würde das nicht gleichzeitig seine Position verraten? Es musste doch einen Unterschied machen, wenn ich nun diese Kräfte zuteils verinnigt hatte! Vielleicht konnte ich ihn wieder für das Gute nutzen? Mich mit den Ents in Verbindung setzen und die wahren Beweggründe dieses Volkes herausfinden. Doch dafür musste ich erst einmal den Ring finden. Das hatte ich damals schon mal versucht und nicht sonderlich viel Erfolg gehabt. Aber jetzt war ich schlauer und älter.
Wo könnte er ihn versteckt haben? Ich bezweifelte, dass der König darüber Bescheid wusste, also musste er einen sicheren Platz gefunden haben. Doch wo war etwas vor allen Augen verborgen? Für sehr lange Zeit? Ein Ort, den nur er aufsuchte. Meine Motivation schwand ein wenig, als mir klar wurde, worauf das hinauslief. Es war nicht nur eine fast unmögliche Aufgabe, sie war auch gefährlich. Wobei es da einen kleinen Trick gab, den schon mein Schüler-Ich verwendet hatte. Meine alte Kleidung hatte mein Vater in seinen Gemächern und die Nacht war ruhig, somit der beste Zeitpunkt. Legolas war noch im Wald und schien nicht allzu schnell zurückzukommen. Jetzt war meine Chance, bevor er weiter mit mir darüber reden wollte. Mein Vater war sicherlich noch wach.
Ich lag richtig. Er hatte sich mit einigen Freunden zusammengesetzt und gab mir bloß den Schlüssel zu seinem Zimmer, sodass ich den Mantel selbst holen konnte. Ich war schon noch ein wenig gewachsen, weshalb ich kurz lächeln musste, als ich ihn anlegte. Er ging nicht mehr ganz zum Boden, sah eben aus, wie er eigentlich aussehen sollte. Damit musste ich ein wenig geduckt gehen, doch es war kein sonderlich weiter Weg. Zur Sicherheit nahm ich die Tür von damals, die zu diesem großen Raum mit den weichen Sesseln und kleinen Tischen führte, welcher wiederum in einem weiteren, kleineren mündete mit den vielen Schränken und der Treppe hinunter ins Dunkle. Die paar Minuten, die ich vor dem Schloss saß, um es zu knacken, fühlten sich fast nostalgisch an. Ich konnte mich immer mehr an damals erinnern, meine Beweggründe und Denkvorgänge. Doch es hatte sich viel geändert.
Ein leises Klicken ertönte und vorsichtig trat ich ein. Sobald ich sah, dass niemand in der Nähe war, enttarnte ich mich wieder und ging direkt auf die nächste Tür zu. Sie war nicht abgeschlossen, was mich doch etwas erleichterte. Ich wusste nicht, ob ich die Geduld für ein zweites Schloss hatte. Sobald ich in dem Raum stand, zögerte ich einige Sekunden. Ich konnte Legolas und mich fast schon vor mir sehen, wie wir an dem Tisch saßen. Mir war bis jetzt nicht klar geworden, was diese sonderbare Flüssigkeit gewesen war, doch damit wollte ich mich nicht länger aufhalten.
Ich merkte, wie ich anfing zu zittern, als ich die Stufen hinabtrat und die hölzerne Tür öffnete. Die Dunkelheit rief unschöne Erinnerungen hervor. Ich atmete tief durch und ging weiter. Meine Gedanken fingen an, sich die wildesten Geschichten auszudenken, doch ich ballte bloß meine Hände und beschleunigte meine Schritte. So ungefähr wusste ich den Weg noch, wie lange der Gang geradeaus führte, doch trotzdem lief ich relativ schnell gegen eine Wand. Ich rieb mir kurz meine Nase und drehte mich dann nach rechts. Nach wenigen Schritten legten sich meine Finger wieder an das alte Holz, die Tür zu dem Weinkeller. Ich zögerte kurz in Gedanken und setzte dann meinen Weg nach links fort. Es war nun nicht mehr weit, bis ich die neuere Tür vor mir sah oder eher mehr fühlte. Leicht drückte ich gegen sie, worauf sich Staub von oben löste. Ich wich kurz zurück und ließ ihn hinabrieseln, bevor ich einen Blick hineinwarf.
Es war dunkel. Erleichtert trat ich ein und drehte meinen Mantel um, sodass ich ihn ganz normal trug. Die Dämmerung war noch nicht ganz vorbei, wodurch ich gerade noch genug sehen konnte, um das Zimmer zu durchsuchen.
Allerdings näherten sich viel früher als erwartet Schritte. Geschockt drehte ich mich zur Tür um und schlug sofort wieder den Mantel über. Gerade noch rechtzeitig, denn schon öffnete sie sich und Legolas trat ein. Er zündete die Lampen an und seufzte dann kurz. Ich konnte nicht im Geringsten ausdrücken, wie unwohl ich mich gerade fühlte und trat leise ein paar Schritte zurück. Er legte seine Waffen ab und hängte sie an die Wand. Mit flachem Atem beobachtete ich ihn verängstigt. Gerade, als er sich zurückdrehen wollte, hielt er doch an und zögerte. Ich zog den Mantel ein wenig enger und dachte schon mein Herz würde mir aus der Brust springen. Er konnte mich unmöglich bemerkt haben.
Ich hatte die Bewegung erst realisiert, als ich bereits einen brennenden Schmerz an meinem Arm fühlte. „Zeigt Euch, sofort!", knurrte der Prinz und hatte bereits einen neuen Pfeil eingespannt. „Nein, bitte", hauchte ich schnell und streckte meine Hand heraus. Langsam enttarnte ich den Rest meines Körpers, als er nicht schoss. „Arien?", fragte er ungläubig und ließ seinen Bogen nur zögerlich sinken. Mir war klar, dass er mir nicht vertraute, sondern einfach nur wusste, dass ich keinerlei Gefahr für ihn darstellte. Ich packte den Pfeil in meinem linken Arm. Der Mantel hing an ihm fest.
„Ich würde das nicht tun, er stoppt die größte Blutung", murmelte er immer noch misstrauisch. „Entweder ich ende in einer Zelle oder ich kann ich es nicht erklären", antwortete ich leise und zog ihn mit zusammengebissenen Zähnen heraus. Ich krümmte mich kurz und ließ ihn dann fallen, um meine Hand auf die Wunde zu legen. Sie fing tatsächlich stark an zu bluten. Doch auch der Mantel fiel nun hinab.
„Wie blöd kann man sein in das Zimmer eines Prinzen einzubrechen?", fragte er verständnislos und wurde wieder etwas lauter. Ich starrte demütig zu Boden, doch auch mir wurde klar, dass er recht hatte. Was hatte ich mir dabei gedacht? Ich drehte meinen Kopf leicht zur Seite, um einen Blick hinter mich zu werfen, wo sich ein großes Fenster befand. „Denk nicht mal dran", konterte Legolas und zeigte auf einen Tisch mit einem Stuhl, wo ich mich nun widerwillig hinbegab.
„Hätte ich lieber in das vom König einbrechen sollen?", murmelte ich leise, doch hätte es sofort zurückgenommen, wenn ich es gekonnt hätte. Es war wohl eine spontane Schutzreaktion meines Körpers gewesen, doch nicht gerade die Schlauste.
„Wirklich? So willst du jetzt mit mir reden? Gerade sieht es doch ziemlich schlecht für dich aus, oder nicht?", fragte er wütend und verschränkte die Arme mit dem Bogen in der Hand. „Nun ja, ich bin diejenige mit Fähigkeiten hier", antwortete ich und atmete kurz durch, bevor ich wieder selbstsicher den Blick hob. Viel schlimmer konnte es nicht mehr werden und auch für mich sollte ich diesen Fakt einmal realisieren.
„Denkst du wirklich, es ist eine gute Idee, mir jetzt zu drohen?" „Ihr habt mir zuerst gedroht", antwortete ich und spürte langsam, wie ich etwas mutiger wurde. Der rationale Teil von mir war wohl plötzlich verschwunden. „Ich bin dein Prinz! Ich kann dir drohen!", rief er wütend zurück, doch entspannte sich dann wieder ein wenig, um den Bogen zurückzuhängen.
„Vielleicht solltet Ihr dann nicht mehr mein Prinz sein", knurrte ich leise und starrte ihn an. Er sah etwas überrascht zurück, doch nicht weniger wütend. „Wenn das so ist, dann befreie ich dich gerne von den Pflichten für das Waldlandreich." Ich blinzelte ein paar Mal, um das zu realisieren und schwieg für einige Sekunden. Hatte er mich gerade verbannt? So schnell? Immerhin würde ich dann vielleicht nicht ewig in einer der Zellen sitzen? Doch eigentlich war das mehr ein Du bist kein Teil des Düsterwaldes mehr, was mich nicht unbedingt vor einer Strafe schützte.
Es bedeutete mir mehr, als ich erwartet hatte. Hier war meine Familie, meine Freunde. Vielleicht fühlte ich mich nicht ganz zugehörig, doch trotzdem war das immer ein sicherer Ort gewesen.
„Heißt das ich bin eine Gefangene?", fragte ich schließlich und wandte meinen Blick ab. Das Selbstvertrauen war wieder ein wenig verblasst. Er zögerte und drehte sich dann weg. „Mehr eine Besucherin, die sich verlaufen hat", murmelte er schließlich, ohne mich anzusehen. Ich schaute überrascht auf und musterte ihn. Er war doch gerade noch so wütend gewesen? Wo kam das so plötzlich her? Ich stand vorsichtig auf, doch blieb neben dem Tisch stehen.
„Als Besucherin denke ich, dass ich Euch etwas fragen kann", antwortete ich leise. Er reagierte nicht. „Ich weiß, dass ich die Tochter einer ehemaligen Freundin von Euch bin und Ihr versprochen habt, mich zu beschützen, doch nur deswegen hättet Ihr nicht Euer Leben und das Waldlandreich aufs Spiel gesetzt, um mich zu retten. Ihr wisst selbst, was für eine Wichtigkeit Ihr habt", fragte ich vorsichtig und beobachtete ihn. Er sah nur kurz zu mir und schwieg. „War das alles nur wegen meinen Kräften; dem Ring?" Er antwortete immer noch nicht und starrte an mir vorbei. Er hatte es damals schon gewusst. Doch er wusste auch einiges mehr über den Ring als ich und als er mich gerettet hatte, hatte er den Orks eine Waffe entrissen.
Ich nickte kurz und ging wieder auf die Tür zu, die sich hinter einem Teppich befand. „Nein", hörte ich hinter mir und ich zögerte. „Das war vielleicht ursprünglich einer der Gründe, doch das in Rhûn hatte nichts damit zu tun", antwortete er endlich und drehte sich zu mir um. „Ich will nicht nur wegen deinen Kräften, dass du bleibst", fügte er hinzu. Mit einer Mischung aus Überraschung und Freude sah ich zu ihm. Ich wusste nicht ganz, was ich antworten sollte. Für meinen Teil hatte ich auch das Gefühl, dass wir uns zumindest ein wenig angefreundet hatten, auch, wenn er immer der Prinz geblieben war.
„Danke, doch ich sollte wirklich gehen. Dass die Ents sich hier..." „Das sind keine Ents", unterbrach er mich etwas genervt und verdrehte leicht seine Augen. Ich sah ihn verwirrt an. „Du verstehst es immer noch nicht", stellte er fest und musterte mich.
„Es ist mir erst vor ein paar Tagen aufgefallen", mit diesen Worten ging er zu seiner Kommode und öffnete eine Schublade. Noch verwirrter verfolgte ich, wie er die mir bekannte Schachtel hervorholte und sich wieder näherte. Als er sie vor mir öffnete, offenbarte sich der ehemals schwarze Ring, doch es gab nun Flecken, die Weiß durchleuchteten.
„Deine Anwesenheit lässt die Bäume heilen", sagte Legolas eindringlich und sah mir direkt in die Augen. Ich öffnete den Mund, um zu antworten, doch blieb stumm.
Er hielt ihn mir etwas näher hin als Geste, dass ich ihn nehmen durfte. Überrascht hob ich kurz meinen Blick, doch griff dann langsam danach. Sobald ich ihn auf meine Handfläche legte, bildeten sich kleine Risse. Wie aus einem Instinkt heraus hob ich ihn höher und blies leicht darauf. Wie erwartet flog die dünne schwarze Schicht in kleinen Teilchen davon und zurück blieb ein weiß leuchtender Ring. Überwältigt beobachtete ich, wie sich die Farbe in ein mattes Hellgrün verwandelte und von braunen Streifen durchzogen wurde, die sich mit Grün vermischten. Nun realisierte ich erst wieder, dass Legolas direkt vor mir stand und sah kurz zu ihm auf. Auch er lächelte zufrieden. Auffordernd nickte er mir zu. Verwirrt sah ich hin und her. Er wollte wirklich, dass ich ihn benutzte? Das war doch unglaublich gefährlich! Was, wenn ich Úmea zeigte, dass ich den Ring hatte und dass er im Düsterwald auf sie wartete. Doch genauso reizte es mich, es auszuprobieren.
„Ich sollte ihn erst im Wald testen", sagte ich leise und führte ihn wieder zurück zu der Schatulle. Legolas klappte sie zu und hielt sie mir hin. „Ihr gebt ihn mir? Einfach so?", fragte ich verwirrt, doch nahm sie vorsichtig an. „Ich denke ich sollte anfangen dir ein wenig zu vertrauen. Außerdem werden deine Fähigkeiten stärker und es kann nicht schaden dich auf meiner Seite zu haben", lächelte er amüsiert und drehte sich um. Ich dachte kurz nach, doch lächelte dann auch. Vermutlich meinte er das zu einem Teil auch ernst, doch wie er es gesagt hatte, sah er mich auch wie eine Freundin an, was mich freute.
"Du willst damit wirklich nicht zu einem Heiler?", fragte er und kam mit einem länglichen Stück Stoff wieder auf mich zu. Ich war etwas unempfindlich für Verletzungen geworden, doch trotzdem tat es natürlich noch weh. „Wie soll ich es denn erklären?", antwortete ich und ließ ihn, wenn auch etwas überrascht, meinen Arm verbinden. „Wie hast du denn damals Merils Verletzung erklärt?", lächelte er und sah mich kurz an. Ich musterte ihn. Er hatte sich wirklich für sie interessiert, sobald sie zurück in den Hallen waren. Ich wusste nicht ganz, wie ich das finden sollte.
„Ich habe nur gesagt, sie hat sich beim Training verletzt und dann angefangen zu weinen, damit sie Mitleid haben und mich nicht fragen", erklärte ich, worauf er tatsächlich kurz lachte und dann einen Knoten machte. „Ich glaube das wird dieses Mal nicht mehr so gut funktionieren", lachte er und trat wieder einen Schritt zurück. „Es ist nicht sonderlich tief, aber es könnte sich entzünden", sagte er dann ernster und sah mich fest an.
„Ich werde schon damit zurechtkommen." „Der Ring wird dir dabei aber nicht viel helfen können", warnte Legolas mich eindringlich und ging dann zu einer der Fackeln, die an der Wand hingen. Er zündete sie an und öffnete dann die Tür hinter dem Teppich. „Ich zeige dir den besten Weg zurück", sagte er bloß und nickte mir zu. Ich lief ihm schnell hinterher, doch war immer noch verwirrt. Ich hatte nicht gedacht, dass ein Einbruch in das Zimmer eines Prinzens so einfach zu vergessen war. Gerade noch hatte er mich wütend angeschrien und nun das? Vielleicht hatte er jetzt wirklich etwas Respekt mir gegenüber. Irgendwann würde ich immerhin wirklich mächtiger als er sein, vor allem, wenn er mir nun einfach den Ring aushändigte.
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