Zwei
Der überfüllte Bus hielt an und Klara stieg müde und schlecht gelaunt ein. Es war Montag und sie war absolut nicht motiviert in die Schule zu gehen. Doch schwänzen wollte sie nicht. Irgendwann, da war sie sich sicher, würde der Zeitpunkt kommen an dem sie schwänzen würde, nur eben nicht jetzt. Dem Busfahrer musste Klara ihre Fahrkarte gar nicht erst zeigen. Sie fuhr jeden Tag, seit mitlerweile 7 Jahren die gleiche Linie zur Schule. Und es war stets der gleiche Busfahrer geblieben. Da sich kein Platz für Klara bot, stellte sie sich einfach in den Mittelgang und stellte die Musik auf ihren Ohren lauter. Einfach alles und jeden um sie herum ignorieren. So wie immer.
An der Schule angekommen, ging Klara wie automatisiert in die Klasse und setzte sich schnell auf ihren Platz neben dem Fenster. Neben ihr saß auch schon Markus und man sah ihm den Kater noch deutlich an. Markus war einer der cooleren Jungs aus dem Jahrgang. Fast jeder kannte ihn. Er kam mit jedem gut zurecht, sodass Klara ihm wahrscheinlich zu langweilig war. Außer Mathehausaufgaben wollte er nichts von ihr. Dabei hatte Klara vor einiger Zeit sogar mal etwas von ihm geschwärmt. Mit seinen braunen, verwuschelten Haaren und dem äußerst hübschen Gesicht sah er nicht schlecht aus. Dazu war er groß und breit gebaut. Doch Klara hatte schnell erfahren müssen, dass er nicht auf jemanden wie sie stand. Klara hatte zwar blonde, lange Haare, doch sie war auch klein und zierlich gebaut. Fast alle anderen Mädchen in ihrem Jahrgang waren etwas üppiger proportioniert und so fand Klara, dass coole Jungs sich niemals jemanden wie Klara aussuchen würden, wenn sie auch jemand anderen, hübscheren, an jeder Ecke finden konnten.
Eigentlich war Klara es gewohnt, bis zum Unterrichtsbeginn schweigend auf ihrem Platz zu sitzen und unauffällig ein paar Gespräche von anderen Mitschülern anzuhören, doch diesmal drehte sich Markus unerwartet zu ihr um.
"War ganz gut die Party von Anna, hm?", verwirrt blickte Klara sich um, um sicherzugehen,dass er auch wirklich mit ihr sprach. Als sie niemanden hinter sich erkennen konnte, der seinen Kopf in Markus' Richtung gedreht hatte, drehte sie sich wieder zu dem Jungen vor ihr und nickte nur. Doch er sprach unbeirrt weiter:"Ich habe wohl am Samstag etwas viel getrunken...", er kratzte sich verlegen am Kopf. Langsam wurde Klara neugierig und neigte ihren Oberkörper komplett in seine Richtung.
"Nun ja... Ich weiß noch, dass ich dich irgendwie aufhalten wollte zu gehen und etwas grob zu dir war... Dafür wollte ich mich entschuldigen. Ich bin eigentlich nicht so.", beendete er.
Klara war sich sicher, dass man ihr ihre Verwunderung deutlich ansehen konnte. Auch Klara war total voll gewesen an dem Abend und hatte ihn grob weggestoßen. Aber dafür entschuldigt hätte sie sich nie. Sie hatte sowieso nicht gedacht, dass er sich noch groß an den Abend und vorallem an ihr Aufeinander treffen erinnern konnte. Das konnte sonst niemand.
"Schon gut, ich war auch etwas grob.", antwortete Klara wahrheitsgemäß. Sie war kein nachtragender oder verbitterter Mensch. Wenn sich jemand entschuldigte, war die Sache gegessen. Offensichtlich etwas verwirrt über die Reaktion von Klara, machte Markus große Augen, beherrschte sich aber schnell wieder und murmelte ein: "Danke."
Damit war das Gespräch dann aber auch beendet und Klara musste die darauffolgende Stunde immer wieder über Markus nachdenken. Klar, sie war einmal etwas verliebt in ihn gewesen, doch wie mit jeder Schwärmerei endete sie damit, dass man sich klar machen musste, dass der Junge ja doch kein Interesse für einen zeigte und man früher oder später über ihn hinweg kam. Doch in all den Jahren, die Klara Markus nun schon kannte, hatte er nie mehr als zwei Sätze mit ihr geredet. Er hatte sie immer gemieden. Dieses plötzliche Gespräch zwischen ihnen verunsicherte Klara. Er war fast der erste Mensch auf dieser Schule, der ernsthaft von sich aus ein Gespräch aufbauen wollte. Soetwas kannte sie nicht. Es war neu für sie.
Den ganzen Schultag über spielte Klara wieder das schüchterne, in sich gekehrte Mädchen und trottete hinter ihrer Clique hinterher. In den Pausen gingen sie zum Fußballfeld, wie immer. Doch diesmal war es irgendwie anders. Sie hielt Ausschau nach jemandem. Doch sie konnte Markus nicht unter den spielenden Jungs erkennen. Und auf einmal war sie sich auch gar nicht mehr sicher, ob er überhaupt in den Pausen auf dem Platz kickte. Sie lief einfach nicht mit offenen Augen durch die Gegend, sondern versteckte sich stets hinter irgendjemandem oder wurde schlicht und einfach von jemand "Wichtigererem" verdeckt.
Auf dem Nachhauseweg nahm Klara nie den Bus. Mittags war es immer viel voller und stickiger in dem Bus auf ihrer Linie. Außerdem tat ihr der Fußmarsch einfach gut. Ein wenig frische Luft und Zeit für sich. Zuhause hatte sie mit ihren zwei kleinen Geschwistern nicht oft ihre eigenen Minuten für sich. Zudem waren ihre Eltern beide berufstätig, sodass sie oft auf die Kleinen aufpassen musste. Während sie die Musik auf ihren Ohren lauter stellte, beschleunigte sie ihren Gang. Sie hatte noch Mathe zu lernen. Obwohl sie gar nicht mal schlecht war in dem Fach, tat ihr ein wenig Übung sicherlich gut für die morgige Arbeit.
Sie ging noch ein wenig schneller, doch plötzlich hörte Klara Jemanden laut schreien. Durch die Musik auf ihren Ohren konnte sie nicht verstehen, was dieser Jemand rief, doch die Tonlage deutete auf eine ziemlich saure Männerstimme hin.
Ruckartig zog Klara die Kopfhörer aus ihren Ohren und schaute in die kleine Gasse auf ihrer Linken, die zu ein paar Reihenhäusern führte.
"Nie wirst du etwas erreichen in deinem Leben!", schrie die Stimme nun noch lauter und Klara zuckte zusammen. Wer zum Teufel hatte es verdient, so angeschrien zu werden? Sie zog die Bänder an ihrem Rucksack etwas fester und wollte wieder weitergehen. Sie sollte hier nicht sein. Wahrscheinlich stritt sich gerade irgendwer und da sollte eigentlich niemand zuhören.
Doch als der nächste Schrei ertönte, konnte sie ihre Füße nicht mehr weiterbewegen.
"Es ist verdammt noch mal mein Leben!", schrie dieser jemand und mit einem Schag wurde Klara klar, wem diese Stimme gehörte. Es war ganz offensichtlich die Stimme von Markus. Seine Stimme klang tief, männlich und bedrohlich. Jetzt war eigentlich nicht der Zeitpunkt um weiter hier stehen zu bleiben. Wenn Markus wüsste, dass Klara den Streit mit angehört hatte, wäre ihm das sicherlich sehr unangenehm. Klara wollte weitergehen, doch irgendwie konnte sie nicht. Sie stand einfach wie angewurzelt vor dem Eingang der kleinen Gasse und hielt mit ihren Händen die Gurte ihres Rucksackes fest umklammert.
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