Vogel
NACH UNSEREM BESUCH in der Grotte kehren wir ins Schloss zurück. Die Sonne steht schon beinahe in ihrem Zenit und das bedeutet, dass der Rat in Kürze zusammentritt. Frauen gibt es in den Reihen der Ratsmitglieder keine, deshalb werde ich Kaspian dorthin nicht begleiten. So verabschieden wir uns am Absatz der Treppen in der Eingangshalle. Kaspian legt eine Hand an meine Wange.
» Verzeih, dass ich dich nun allein lasse. Die Pflicht ruft «, meint er entschuldigend,
» Aber wir sollten diesen Ausflug bald widerholen «. Ich lächle sanft und hauche ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen
» Geh nur, lass die Pflicht nicht warten «. Ein schelmisches Grinsen – vermischt mit etwas, das mich beinahe an Wehmut erinnert – huscht über Kaspians Gesicht. Dann wendet er sich ab und eilt nach oben, während ich ihm einen Augenblick nachsehe. Auch wenn es meist nicht den Eindruck macht, aber die Krone wiegt schwer auf ihm und sie wird immer an erster Stelle stehen – denn das ist das Leben eines Königs. Zum wiederholten Mal frage ich mich in Gedanken selbst, ob ich überhaupt dort hineinpasse, ob ich den Aufgaben einer Königin gewachsen bin...und wie die Male zuvor habe ich auch jetzt keine Antwort darauf.
Im Verlauf des Nachmittags widme ich mich – nun, wo Feryn endlich weg ist – den Assassinen. Auf dem Übungsplatz und im Areal der Baracken herrscht das gewohnte Treiben, doch es scheint eine gewisse Ruhe eingekehrt zu sein. Ich erkundige mich nach aktuellen Aufträgen, vergebe neue und nehme Berichte entgegen. Danach sehe ich nach den Trainierenden auf dem Übungsplatz und stelle einige meiner alten Ordnungen, die Feryn außer Kraft gesetzt hat, wieder her. Dazu gehört nicht nur ein Ausbildungs- und Übungsplan, sondern auch die Sauberkeit und Ordnung der Baracken. Zwar hat mein Vertreter ebenfalls Regelungen für die Aus- bzw. Weiterbildung der Assassinen aufgestellt, doch – und das, obwohl mein Plan ein strenger ist – hat Feryn das Maß deutlich überzogen. Bestrafungen werden also wieder abgeschafft und das Mentorenprogramm wieder eingeführt. Dieses Programm bedeutet nichts Anderes, als dass erfahrenere Assassinen den jüngeren und den Neuzugängen als direkte Ansprechpartner und Lehrer zugeteilt werden. Im Großen und Ganzen ist das alles natürlich meine Aufgabe, aber ich kann auch nicht immer überall sein. Außerdem statte ich den Kranken und Verletzen einen Besuch ab. Kirea und Galor sind im Moment zum Glück die einzigen mit ernsthaften Verletzungen. Die beiden müssen bis auf weiteres auch in den Heilkammern bleiben. Durch Feryns Behandlung haben etliche Assassinen Wunden davongetragen, viele davon sind bereits wieder verheilt, andere werden regelmäßig von Fana und den anderen Heilern begutachtet. Allerdings werden manche Schäden für immer bleiben und diese Tatsache schürt meine Wut auf Feryn nur noch weiter. Doch ich muss sie hinunterschlucken, denn Wut ist kein guter Ratgeber.
Als alles zu meiner Zufriedenheit geregelt ist, begebe ich mich nach draußen in den Garten. Auch wenn ich schon vor mehreren Jahren meinen Lehrer, den Zentauren Chiron, verlassen habe, werde ich doch nie vergessen, dass ich meine gesamte Kindheit in der Natur verbracht habe. Bei dem Gedanken an Chiron und meine Freundin Nalenya, die Wassernymphe, legt sich ein Lächeln auf meine Lippen. Vielleicht ist es an der Zeit, sie einmal zu besuchen – am besten noch vor meiner Hochzeit mit Kaspian. Ich beschließe, auf jeden Fall mit ihm darüber zu sprechen.
» Ah, Lady Luna, seid gegrüßt «, spricht mich da eine sanfte Stimme von der Seite an. Ich sitze auf einer marmornen Bank an einem Springbrunnen im Herzen eines kleinen Labyrinths aus Hecken und Sträuchern. Die Stimme gehört Lady Valess, die lautlos herangetreten ist und sich nun anmutig neben mir niederlässt.
» Lady Valess «, grüße ich die Dame und neige respektvoll den Kopf,
» Verzeiht meine Unachtsamkeit, ich war in Gedanken «. Daraufhin ertönt glockenhelles Lachen und Lady Valess erwidert sanft
» Sind wir das nicht alle hin und wieder? «, schon mit dem nächsten Atemzug fragt sie,
» Ich hoffe, es stört Euch nicht, wenn ich Euch ein wenig Gesellschaft leiste? «.
» Natürlich nicht, Milady «, sage ich wahrheitsgemäß,
» Ganz im Gegenteil «. So sitzen wir eine Weile schweigend da und genießen die Ruhe und Idylle des königlichen Gartens von Feeneden.
» Gestattet Ihr mir eine Frage? «, will die Dame leise wissen und sieht mich aus großen Augen an. Ich erwidere ihren Blick und nicke ermunternd.
» Wie habt Ihr König Kaspian kennengelernt und...wenn Euch das nicht zu persönlich ist, woher wusstet Ihr, dass es Liebe ist? «, stellt sie also ihre Frage. Ich überlege kurz und erzähle schließlich von Kaspians Rettung aus den Verließen in Miraz' Schloss, vom Krieg der Narnianen gegen die Telmarer, Miraz' Tod und der Flucht der Telmarer zur Furt von Beruna, wo sie eine Brücke errichtet hatten. Dort fand die zweite Schlacht bei Beruna statt, die durch Aslans Erscheinen beendet wurde. Schließlich spreche ich kurz von Kaspians Krönung, wo Lady Valess sicher selbst zugegen war, und davon, dass ich seit diesem Tag kaum von seiner Seite gewichen bin.
» Was Eure zweite Frage betrifft, so kennt Ihr die Antwort darauf doch bestimmt am besten «, sage ich vorsichtig,
» So erzählte man es mir «. Lady Valess hat die ganze Zeit über aufmerksam meinen Worten gelauscht. Dabei haben sich ihre feinen Gesichtszüge entspannt und etwas von dem ihr eigenen melancholischen Ausdruck verloren. Nun kehrt dieser jedoch in aller Deutlichkeit zurück.
» Erzählt man das? «, murmelt die Adelige nachdenklich vor sich, während sich ihr Blick in der Ferne verliert. Plötzlich wendet sie sich mit einem Ruck wieder mir zu
» Kann ich Euch etwas anvertrauen? «, ohne auf meine Antwort zu warten, fährt sie fort,
» Ja, ich denke, das kann ich «. Ihre blauen Augen mustern mich einige Sekunden und ich habe fast das Gefühl, als könnten sie jeden meiner Gedanken an mir ablesen.
» Mein Mann starb vor gut fünf Jahren nach etwa zwei Jahren Ehe «, beginnt Lady Valess,
» Man sagt, wir waren glücklich, und das waren wir auch. Nicht aber, weil ich ihn geliebt habe, nein, sondern weil er ein guter Mann war. Gütig, hilfsbereit und ehrenhaft... «, mein Gegenüber lächelt leicht,
» Ja, das war er. Doch Liebe fühlte ich nicht. Vielleicht hätte ich ihn liebgewinnen können, wenn ich ihn ohne das Zutun meiner Eltern und die rasche Hochzeit kennengelernt hätte... «, sie bricht ab und legt mir eine Hand auf die Schulter, als wolle sie mir sagen, dass dies alles vertraulich ist.
» Lady Valess, das... «, setze ich an, werde jedoch unterbrochen,
» Nun, das ist alles lange her. Ich erzähle Euch das, weil ich das Gefühl habe, Euch trauen zu können. Ihr seid stark und mutig und Euer Leben ist so...abenteuerlich. Und doch seid Ihr und der König ein so liebevolles Paar «, nun lächelt Lady Valess wieder und ihre Augen glänzen,
» Deshalb, bitte versteht meine Frage nicht als Eindringen in Eure Privatsphäre, sondern vielmehr als unwissende Neugierde «. Überrascht brauche ich einige Zeit bis ich begriffen habe, was für ein Geheimnis mir Lady Valess, die mich doch eigentlich gar nicht wirklich kennt, gerade anvertraut hat. Tatsächlich habe ich das Gefühl, als würde ich einen kleinen Vogel in Händen halten, der das Fliegen noch nicht gelernt hat und deshalb aus seinem Nest gefallen ist.
» Ich habe es lange nicht begriffen, obwohl es andere bereits erraten hatten «, sage ich also,
» Eigentlich wusste ich es nicht bis er mir seine Liebe gestand... «. Verträumt denke ich an den Moment auf der Morgenröte zurück, der wahrscheinlich für immer in mein Herz eingebrannt sein wird. Ein kühler Wind kommt auf, der die Wärme des Tages vertreibt und das Land für die Nacht vorbereitet. Vögel, die bis jetzt immer wieder ihre Stimmen zu einem trällernden Chor angehoben haben, verstummen nach und nach. In den Fenstern von Feeneden werden Kerzen angezündet, welche die Räume trotz der rasch einsetzenden Dämmerung erhellen.
» Und dann, von einem Moment auf den anderen, fühltet Ihr es «, flüstert Lady Valess,
» Nicht wahr? «. Meine Augen wandern zurück zu der Dame neben mir und unsere Blicke treffen sich. Wir verstehen uns ohne Worte. Wie alte Freundinnen erheben wir uns von der Bank und streifen Arm und Arm zurück zum Schloss.
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