
Verhandlung
ETWA EINE HALBE Stunde später überqueren wir auf einem kleinen Schiff die Meerenge zwischen den Inseln Avra und Doorn. Ich schweige vor mich hin und geselle mich nicht zu den anderen. Zum einen, weil ich noch nie der geselligste Mensch war. Zum anderen, weil sowieso nicht viel gesprochen wird. Melian meinte, ich solle mich einer Dame – und vor allem einer Dame meines Standes – angemessen kleiden, doch ich habe so freundlich wie möglich abgelehnt. Auch wenn das Kleid, das die Herrin des Hauses für mich ausgesucht hat, wirklich schön war. Jetzt stehe ich also in meiner gewohnten Tracht an der Reling und schaue auf das Wasser. Am liebsten würde ich einfach über Bord springen und zu Berns Hof zurückschwimmen. Alles scheint mir besser als mich erneut in die Gesellschaft der Adeligen begeben zu müssen – und das unter diesen unvorteilhaften Umständen. Ich weiß nicht wie sie auf die Neuigkeit von Kaspians und meiner Verlobung reagiert haben. Ich weiß auch nicht, ob Kaspian dies absichtlich zu diesem Zeitpunkt gesagt hat oder ob es ihm herausgerutscht ist. Wie dem auch sei, es ist jetzt wie es eben ist.
» Was ist los? «, fragt eine leise Stimme an meinem Ohr und ein starker Arm legt sich um meine Taille. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht.
» Nichts, es... «, ich sehe in Kaspians aufmerksame Augen,
» Es ist nur, einerseits fürchte ich das Urteil der Leute. Andererseits habe ich mir noch nie über die Meinung anderer Gedanken gemacht, das ist neu für mich «.
» DU fürchtest etwas? «, fragt er lächelnd nach und wird wieder ernst,
» Warum? Wieso fürchtest du dieses Urteil? «. Ich wende meinen Blick ab und wieder zum Meer hin.
» Weil das, was ich wirklich fürchte, damit einhergeht «, murmle ich ehrlich. Kaspian legt eine Hand unter mein Kinn und dreht mein Gesicht zu ihm.
» Sag mir, wovor du dich fürchtest, mein Herz «, bittet er leise und lässt seine Fingerspitzen über meine Wangen gleiten. Ich sehe ihn lange an und schlage schließlich die Augen nieder.
» Davor, nicht gut genug zu sein «, flüstere ich und betrachte die Holzplanken unter unseren Füßen. Nun ist das ausgesprochen, was schon einige Zeit in der Tiefe meiner Seele nagt. Was wird er dazu sagen? Eine Weile ist es still. Ich zwinge mich, regelmäßig ein- und auszuatmen. Die Luft füllt meine Lungen, aber mein schnell klopfendes Herz kann das nicht beruhigen.
» Du kannst nicht gut genug sein «, meint Kaspian endlich und mein Herz bleibt abrupt stehen,
» Du bist zu gut, zu...aufrichtig und loyal, liebevoll und stark und...schön «, unsere Blicke finden wieder zueinander und das dunkle Braun seiner Augen nimmt mich wie so oft schon gefangen.
» Liebste «, flüstert er und zieht mich eng an sich,
» Man mag sagen, ein König habe alle Macht über ein Land, doch das ist nicht wahr. Die Königin hat das Herz des Königs und damit so viel mehr Macht. Du hast diese Macht, Luna, und das schon lange «. Unwillkürlich lege ich eine Hand auf die Stelle seiner Brust, an der ich seinen Herzschlag fühlen kann. Mir wird klar, dass ich ohne diesen Herzschlag nicht mehr leben will. In diesem einen Moment vereinen sich jene beiden Dinge, die mich anfangs abhielten, mich Kaspian hinzugeben. Die Kämpferin und die Liebende werden eins. Eins für ihn, eins, um an seiner Seite zu sein.
» Aber einem König gehört das Herz der Königin und das scheint vielleicht einem Rubin zu gleichen, doch es ist zart und zerbrechlich «, füge ich leise an und ziehe ihn in einen Kuss. Daraufhin legt er seine Stirn an meine.
» Ich werde es wie einen Schatz hüten, das verspreche ich, denn ein Schatz ist es. Wertvoller als alle Edelsteine Narnias. Der Rubin kann zerbrechen, niemals aber soll das Herz zerbrechen «, raunt er und verschließt unsere Lippen erneut.
Bald darauf erreichen wir Enghafen und gehen von Bord. Lord Bern führt uns die gepflasterte Hauptstraße hinauf. Ich war schon einmal hier. Damals waren meine Hände hinter dem Rücken gefesselt und Lucy ging neben mir her. Wir kommen auch an der Gasse vorbei, durch die der Sklavenhändler und Pirat Pug Kaspian und Edmund von unserer Gruppe trennte. Unwillkürlich schließt sich meine Rechte um den Schwertknauf, obwohl von den Sklavenhändlern keine Spur mehr ist und auf der Straße reges Treiben herrscht. Dennoch lässt mich das unangenehme Gefühl des Eingezwängt-Seins nicht los, die Einsame Insel Doorn ist für mich eben von derlei Erinnerungen geprägt. Kaspian und Lord Bern gehen ein Stück vor mir und unterhalten sich leise. Valanya und Sanna haben sich an meiner Seite eingefunden, wobei wir Sanna in die Mitte genommen haben. Es scheint, als hätte sie das Geschehene recht gut verkraftet, aber ganz sicher bin ich mir da nicht. Sie ist doch ein zartes Mädchen. Nach einer Weile überqueren wir einen großen Marktplatz – nicht jenen, auf dem Lucy, Reepicheep, Eustachius, Mael, viele andere und ich damals feilgeboten wurden – und betreten durch einen Torbogen den Vorhof eines Anwesens. Wie fast alle Häuser hier ist auch dieses aus rotbraunem Lehm und Ziegeln erbaut und mit braunen Schindeln gedeckt. Im Vorhof führen mehrere Kieswege um die gründlich angelegten Blumenbeete herum zum Eingang. Vor den steinernen Treppen, die zur säulenbewährten Veranda hinaufführt, wurde eine Sänfte abgesetzt. Vier muskulöse Männer warten daneben im Schatten. Ein weiterer Mann – braungebrannt und in eine grüne Tunika gehüllt – scheint uns zu erwarten.
» Milords, Miladies «, begrüßt er uns und verbeugt sich,
» Hättet Ihr mir Eure Ankunft mitgeteilt, hätte ich Euch selbstverständlich auch eine Sänfte geschickt «.
» Das ist doch nicht nötig, Mirjo «, entgegnet der Lord,
» Erwartet man uns bereits? «. Mirjo schüttelt den Kopf
» Nein, Milord, es sind noch nicht alle eingetroffen. Lord und Lady Benchheim sind bei Lord Ronan Benchheims Zelle und die Gebrüder Archibald und Grenovad spazieren durch die Wassergärten bis zum Beginn der Anhörung «.
» Gut, führe auch unsere Gäste in die Gärten, ich werde die anderen zum Saal begleiten «, ordert Lord Bern. Mirjo verbeugt sich erneut und winkt uns lächelnd zu
» Folgt mir, Milords, Miladies «. Drinian macht ein verdrießliches Gesicht – vermutlich wünscht er sich, in der Nähe der Morgenröte geblieben zu sein. Stattdessen ließ er Rynelf, den ersten Maat, dort zurück.
Die Wassergärten werden ihrem Namen wahrlich gerecht. Mirjo führt uns durch die weitläufige Anlage, die von Bächen durchzogen ist und deren üppige Grünfläche überall von Springbrunnen, Becken und Teichen unterbrochen wird. Wir erfahren, dass dies der Gouverneurspalast war und nun als Gästeresidenz dient. Außerdem sind hier Soldaten im Dienst untergebracht und vorübergehend jene Leute, die als Opfer des Nebels zurückkehrten und kein eigenes Zuhause haben. Das Gefängnis befindet sich ebenfalls auf diesem Grundstück. Nachdem Sir Archibald und Grenovad zu uns gestoßen sind, haben wir nicht mehr viel Zeit, um die Schönheit dieses Ortes zu bewundern und uns zu unterhalten. Die Anhörung beginnt und wir werden in einen Saal gebracht. Auf einem Podest am hiesigen Ende des Saals stehen ein großer und ein kleinerer Thron. Kaspian wird auf den größeren gebeten, während Lord Bern als der neue Gouverneur der Inseln auf dem kleineren platznimmt. An den Wänden entlang sitzen die Zuschauer – einige Gesichter sind mir vom Fest bekannt. Am Fuß der Treppen des Podestes wurde ein weiterer Stuhl platziert, auf dem Lord Ronan Benchheim lehnt – links und rechts von einem Soldaten flankiert. Valanya dirigiert Sanna und mich zu noch freien Stühlen, auf denen wir uns niederlassen. Drinian kommt neben mir zum Sitzen und lehnt sich sogleich unbehaglich zurück.
» Was ist los? «, frage ich den Kapitän leise. Dieser wirft mir einen skeptischen Blick zu
» Ich halte nichts hiervon, der Kerl ist schuldig. Punkt «. Als Lord Bern um Ruhe bittet, wenden wir uns dem Geschehen in der Mitte des Raumes zu.
» Milords, Miladies, wir sind heute hier, um das Urteil über Lord Ronan Benchheim zu fällen. Am vergangenen Tag hat er sich beinahe an meiner Tochter Sanna vergriffen «, dem Lord ist anzusehen, dass er seine Wut hinunterschlucken muss,
» Wir wollen nun die Verteidigung von Lord Benchheim hören «.
» Moment, wollt Ihr nicht zunächst die Zeugen befragen? «, fragt da die unverkennbare Stimme von Lady Benchheim,
» Vielleicht seht Ihr dann, dass das alles ein Missverständnis ist «. Ein Missverständnis? Hat diese Frau denn gar keinen Anstand? Gemurmel wird laut.
» Es haben alle gesehen, was passiert ist «, ruft jemand, doch Lady Benchheim kontert
» Tatsächlich? Habt Ihr gesehen, was mein Sohn angeblich getan haben soll? Ihr habt nur gesehen, wie dieser... «, sie wirft Kaspian einen ängstlichen Blick zu, verkneift sich die Bezeichnung 'Bauerntrampel' und deutet anklagend auf mich,
» Wie sie meinen Sohn fast erwürgt hat. Wieso sitzt nicht sie auf diesem Stuhl? «.
» Lady Luna hat ehrenhaft gehandelt, wieso sollte sie dafür angeklagt werden? «, fragt Lord Bern.
» Ehrenhaft, ja? «, giftet Lady Benchheim,
» Und wer kann das bezeugen? «. Sie wirft mir einen gehässigen Blick zu und ich kneife die Augen zusammen.
» Ich kann das «, sagt Valanya deutlich.
» Und ich auch «, meint Sanna etwas kleinlaut. Sie werden daraufhin beide aufgefordert, die Ereignisse zu schildern. Anschließend werde ich gebeten, dasselbe zu tun.
» Als mich Lord Benchheim daraufhin angriff, habe ich mich gewehrt «, erzähle ich.
» Gewehrt? Du...Ihr habt ihn fast umgebracht! «, ruft Lady Benchheim aus.
» Milady «, richtet Lord Bern das Wort an sie,
» Bitte lasst Lady Luna sagen, was sie zu sagen hat, und sprecht nur, wenn Ihr dazu aufgefordert werdet «. Lady Benchheim ignoriert den neuen Gouverneur geflissentlich und sieht mich abwartend an. Bemüht freundlich wende ich mich der Frau zu
» Nein, Euer Sohn wäre nicht gestorben, sondern hätte lediglich das Bewusstein verloren. Ich weiß sehr genau, was ich tue «.
» Ja, natürlich, das sagt Ihr jetzt. Ist das alles, was Ihr zu Eurer Verteidigung vorzubringen habt? «, will sie wissen. Ich gehe nicht darauf ein und suche stattdessen Kaspians Blick. Er schüttelt unmerklich den Kopf und sogleich verraucht ein Teil meiner Wut.
» Lady Benchheim, mit Verlaub, aber es geht hier um Euren Sohn und nicht um Lady Luna «, unterbricht Lord Tristan. Er ist ein fülliger Mann mit gutmütigem Gesicht.
» Es geht sehr wohl darum, sie hat Ronan immerhin verletzt «, entgegnet die Lady scharf. Ich lehne mich ein wenig vor, um sie besser sehen zu können. In ihren Augen funkelt Unsicherheit auf und sie sieht zu ihrem Gatten, der sich in dieser Angelegenheit auffallend still verhält.
» Und Euer Sohn hat Lady Luna verletzt «, schaltet sich nun Kaspian ein, der das Ganze bisher lediglich beobachtet hat,
» Milady, so kommen wir nicht weiter «.
» In der Tat nicht! Ihr schützt Lady Luna, Eure Majestät, dann ist vor dem Gesetz wohl doch nicht jeder gleich! «, meint Lady Benchheim,
» Sie ist vor jedem Urteilsspruch gefeit, nein, sie wird nicht einmal für schuldig befunden. Und das nur, weil sie in Eurer Gunst steht! «. Als die Frau Beifall heischend in die Runde schaut, ballen sich meine Hände zu Fäusten. Kaspian hebt den Kopf – eine strenge Miene aufgesetzt, die Edelleute beginnen zu diskutieren, andere Anwesende schütteln die Köpfe, deuten auf Ronan Benchheim, seine Mutter, Sanna oder mich.
» Es steht außer Frage, dass Lady Luna... «, beginnt Lord Bern, um die angespannte Situation ein wenig zu entladen, doch Lady Benchheim unterbricht ihn,
» Verzeiht, Milord, aber wieso rechtfertigt sie sich nicht selbst? «. Da platzt mir der Kragen. Mit einem Ruck stehe ich auf, die Aufmerksamkeit aller liegt sofort auf mir und die letzten Gespräche ersterben.
» Mich rechtfertigen? «, donnere ich und schüttle Sannas Hand auf meinem Arm ab. Ich trete einige Schritte in den Raum hinein und bewege mich auf Lady Benchheim zu.
» Wofür sollte ich mich rechtfertigen? Dafür, dass ich einem Mädchen, das von Eurem Sohn bedrängt wurde, geholfen habe? Dafür, dass ich mich gewehrt habe, als ich angegriffen wurde? «, ich halte kurz Inne und sehe der Lady direkt in die Augen,
» Nein, Milady, ich bin Euch keine Rechenschaft schuldig. Schuldig ist Euer Sohn und verdient hätte er womöglich den Galgen «, verblüfft starren mich die Anwesenden an und einige schnappen nach Luft. Die kochende Wut flaut ab und ich fühle mich seltsam ruhig als ich fortfahre
» Doch König Kaspian ist ein guter und gerechter König, der die Seinen schützt. Er wird ein gnädiges Urteil über Euren Sohn sprechen «. Ohne ihn anzusehen, weiß ich, dass Kaspian lächelt. Mein Blick streift Lady Oreanna und Lord Maurice Merling, sie nicken mir zu. Vorbei ist es dennoch nicht.
» Gerecht und gnädig? «, kreischt Lady Benchheim,
» Nicht mein Sohn ist es, der sich vor diesem Gericht verantworten muss, sondern Ihr! «. Sie springt auf, der blanke Hass funkelt in ihren Augen. Ob auf mich, Kaspian oder jemand anderen ist schwer zu sagen, womöglich auf allesamt.
» Lady Benchheim «, ruft Kaspian sie zur Ordnung, doch sie beachtet ihn nicht und schreit mir entgegen
» Ihr seid eine falsche Schlange! Königin wollt Ihr werden? Pah! «, sie wendet sich an Kaspian,
» Und Ihr wollt ein König sein? Ich hörte, Ihr seid ein Telmarer. Habt Ihr und Euresgleichen nicht Narnia verwüstet? Und nun spielt Ihr Euch als der große Befreier auf? Ihr seid kein Befreier, sondern ein Eroberer! Bevor Ihr gekommen seid, waren die Einsamen Inseln besser dran! «. Mit einigen schnellen Schritten stehe ich direkt vor der dünnen, großgewachsenen Frau, die Hand am Griff meines Schwertes. Sie sieht mich mit geweiteten Augen an.
» Ihr verlangt, dass ich mich verantworte? Vor wem? Etwa vor Euch? «, frage ich bedrohlich leise,
» Ich muss mich nicht verantworten, vor keinem Menschen und schon gar nicht vor Euch. Eines Tages werden wir uns alle verantworten müssen. Vor Aslan, dem Herrn der Herren. Bis dahin solltet Ihr Euch gut überlegen, was Ihr jetzt noch sagt. Ihr habt meinen König beleidigt, Lady Sanna und Lady Valanya der Lüge bezichtigt und verlangt Dinge, die Euch nicht zustehen. An Eurer Stelle würde ich nun schweigen oder meine Worte mit Bedacht wählen «. Lady Benchheim schielt unbehaglich auf mein Schwert hinunter, doch ich schenke ihr keine Beachtung mehr, drehe mich um und verlasse den Saal.
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