Fangen
DAS WARME BAD ist wirklich wohltuend und duftet herrlich nach Thymian und Melisse. Elena hat zusätzlich noch einige Rosenblätter auf der Wasseroberfläche verteilt. Eigentlich bin ich das gar nicht gewohnt. In Narnia habe ich weder eine Zofe noch bade ich in solch teuren Ölen. Als Kriegerin und Heerführerin führt man eben ein Leben mit vielen Entbehrungen und ist hart im Nehmen. Nachdenklich streiche ich mir die nassen Haare aus dem Gesicht und fange ein Rosenblatt, das sich vor mir im Wasser leicht hin und her wiegt. Verweichliche ich etwa? Diese Frage geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Selbst als ich aus der Wanne steige, mich in ein weiches Handtuch hülle und mir Elena schließlich beim Ankleiden hilft, bleibt mir der Nachhall des Gedankens in Erinnerung. Die Magd kleidet mich allerdings nicht in mein gewöhnliches – etwas verschlissenes Gewand – sondern in ein bodenlanges Kleid. Es ist in hellen Blau- und Grüntönen gehalten und besitzt einen orangen Gürtel. Alles in allem sehr einfach.
» Für heute Abend hat Lady Melian ein anderes Kleid für Euch vorbereitet. Ich helfe Euch später beim Umkleiden «, meint Elena, während sie das Mieder am Rücken zuschnürt. Ich nicke lediglich und will zu meinem Schwertgürtel greifen, doch die Magd hält mich vorsichtig zurück.
» Das werdet Ihr nicht brauchen, Herrin «, sagt sie sanft. Also befestige ich einen kurzen Dolch an meinem Gürtel. Damit scheint sie zufrieden und delegiert mich zum Tisch. Dort muss ich mich auf dem Stuhl niederlassen und Elena kümmert sich um meine Haare. Sie kämmt die langen Strähnen und flechtet sie schließlich zu einem Zopf.
» So, wollt Ihr Euch nun etwas ausruhen? «, fragt sie.
» Danke, aber ich würde mir ehrlich gesagt lieber den Garten ansehen. Ist das möglich? «, erwidere ich.
» Selbstverständlich, Herrin «, meint Elena,
» Ich führe Euch hin «. Gesagt, getan. Wir verlassen das Gemach, durchqueren den Gang und verlassen das Haus durch das Esszimmer. Durch einen offenen Türbogen gelangen wir in einen Saal, der wohl einem Ballsaal in Narnia sehr ähnlich ist. In beiden Räumen herrscht geschäftiges Treiben. Diener befestigen weitere Girlanden an den Wänden, putzen jeden Fingerbreit des Bodens und anderer Flächen. Im Esszimmer wird die lange Tafel gedeckt und mit Blumen, Muscheln und glänzenden Steinen dekoriert. Auf dem Weg durch den Saal begegnen wir einer Gruppe Musiker, die ihre Instrumente auf ihre Plätze tragen. Die fünf Männer und die Frau lachen fröhlich und albern miteinander herum.
» Es ist das erste richtige Fest seit Jahren «, erklärt Elena mit einem scheuen Lächeln in Richtung der Musikanten,
» Anlässlich des Besuchs des Königs sind die Adeligen der Einsamen Inseln geladen. Es werden also viele Gäste anwesend sein «. Das kann ich mir vorstellen. Lord Bern, seine Familie und die Familien der Adeligen. Außerdem Kaspian und sein Gefolge und die Diener und Mägde. Ja, selbst letztere. Es ist hier Tradition, dass auch die Angestellten mitfeiern dürfen. Ich finde, in Narnia könnte sich das auch noch ein wenig mehr durchsetzen.
» Gibt es hier viele Adelsfamilien? «, frage ich interessiert.
» Oh nein, Herrin, nur ein paar «, entgegnet Elena. Mittlerweile sind wir am anderen Ende des Saals angelangt und sie hält mir die Glastür auf, die auf eine steinerne Veranda führt. Auch hier stehen viele Pflanzen in Vasen und bemalten Töpfen. Eine Treppe führt in den weitläufigen Garten hinab, durch den sich nicht nur der schmale Kiesweg schlängelt, sondern auch ein plätschernder Bach. Die Büsche und Hecken sind säuberlich zurechtgestutzt und die Bäume sichtlich gehegt und gepflegt. In den grünen Kronen hängen einige Laternen und ein paar Diener sind gerade dabei, überall Lampions aufzuhängen. Unter manchem Baum steht eine Bank und an der einen oder anderen Stelle sind Stauen aufgerichtet worden. Alle diese Bildnisse bestehen aus Marmor, der wohl ehemals weiß gewesen ist. Nun aber ein wenig verwittert und dementsprechend verfärbt. Während mir Elena den Garten zeigt, zählt sie mir die Namen der Adeligen auf.
» Also, zunächst ist da Lord Bern mit seiner Familie. Hier auf Avra gibt es sonst keine weiteren. Auf Felimath gab es früher einmal eine Adelsfamilie, aber heute ist es gänzlich unbewohnt. Doorn ist im Grunde der Mittelpunkt der Inseln. Dort leben vier höhergestellte Familien: Lord Tristans, Lord Merlings, Sir Archibald und Grenovads, das sind Brüder, und Lord Benchheims «, erklärt die Magd,
» Ihr werdet sie alle noch kennenlernen «. Nachdem ich ihr zugestimmt habe, schweigen wir beide. Ich denke, dass die Lords in den nächsten Tagen wohl noch öfter zusammenkommen werden. Bestimmt wollen sie mit dem König einige Dinge besprechen und sich ein Bild von ihrem neuen Herrscher machen.
Als wir den entlegensten Teil des Gartens erreichen, entdecke ich einen überdachten Pavillon, an dessen Säulen Kletterrosen emporwachsen. An dem kleinen Holztisch im Inneren sitzen die zwei älteren Töchter Lord Berns, während die jüngeren ausgelassen durch den Garten toben und scheinbar fangenspielen. Als die beiden Elena entdecken, ziehen sie die Magd einfach lachend mit sich. Diese lässt die Mädchen gewähren und spielt mit ihnen mit. Ich sehe ihnen lächelnd hinterher und überlege, was ich jetzt tun soll. Diese Entscheidung wird mir von Sanna abgenommen, der zweitältesten Tochter. Sie winkt mir zu, steht auf und kommt bis zum Absatz der drei Stufen, die zum Pavillon hinaufführen.
» Es ist schön, Euch zu sehen «, begrüßt sie mich,
» Kommt, setzt Euch doch zu uns «. Sie lächelt mir aufmunternd zu, während ich ihrer Bitte Folge leiste und mich am Tisch niederlasse. Die andere Tochter, Valanya ist ihr Name, schickt mir einen eher skeptischen Blick.
» Ich glaube, wir wurden uns gar nicht vorgestellt «, meint Sanna nun,
» Bitte, verratet uns Euren Namen «.
» Nennt mich Luna «, erwidere ich und lasse mich von Valanyas ablehnender Haltung möglichst nicht verunsichern.
» Ach, dann nenne uns einfach Valanya «, sie weist auf ihre Schwester, was dieser nicht sonderlich zu behagen scheint,
» Und Sanna «, sie deutet auf sich selbst und lächelt noch breiter. Das Mädchen ist wohl ein richtiger Sonnenschein und wirkt – im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester – recht unbeschwert. Sie hat schulterlanges, dunkelbraunes Haar und eine gebräunte Haut. Die Augen sind dieselben wie die ihrer Mutter. Die Gesichtszüge ebenso: eine Stupsnase und ein kleiner, aber wohlgeformter Mund sitzen in einem rundlichen Gesicht, das einige wenige Sommersprossen aufweist.
» Erlaube mir die Frage, aber wie kommt es, dass du die einzige Frau auf der Morgenröte bist? «, fragt Sanna neugierig.
» Nun, ich habe mich freiwillig gemeldet als jeder Narniane die Möglichkeit dazu hatte «, antworte ich vage. Es ist so nicht falsch, aber im Grunde wäre die passendste Antwort, dass ich einfach nicht lange von Kaspian getrennt sein wollte. Mag sein, dass mir das zu der Zeit noch nicht wirklich bewusst gewesen ist, aber jetzt ist es das auf jeden Fall.
» Oh, ist Narnia ein schönes Land? Ist es ganz anders als hier? «, fragt sie aufgeregt weiter, lässt mich allerdings gar nicht zu Wort kommen,
» Vater sagt, wir dürfen es einmal besuchen. Ich kann es kaum noch erwarten! «. Ich lache
» Narnia ist sogar ein sehr schönes Land und bietet viel Abwechslung. Wenn Ihr... «, auf Sannas Stirnrunzeln hin, verbessere ich mich,
» ...du dort bist, gibt es viel zu sehen. Langweilig wird dir bestimmt nicht «.
» Wundervoll «, meint sie ehrlich begeistert und klatscht in die Hände. In diesem Moment kommen drei Matrosen der Morgenröte vorbei – es sind Elrik, Fandir und Gerard.
» Milady «, murmeln sie im Chor und verbeugen sich leicht. Dann setzen sie ihren Weg fort als wäre nichts gewesen. Überrascht sehe ich ihnen nach. Das müssen sie doch nicht tun! Valanyas melodische Stimme reißt mich aus meinen Überlegungen.
» Dann sind die Gerüchte also wahr...! «, flüstert sie und beide Schwestern sehen mich mit großen Augen an.
» Welche Gerüchte? «, frage ich ein wenig überrumpelt.
» Du...Ihr seid die zukünftige Königin «, entgegnet die ältere beinahe ehrfürchtig und schlägt die Augen nieder. Zunächst weiß ich nicht, wie ich reagieren soll. Dann huscht ein Lächeln über mein Gesicht.
» Bleiben wir beim Du «, biete ich an.
» Ich danke...dir «, meint Valanya schuldbewusst,
» Vergebt mir meinen Unmut, das ist die Nervosität «. Da klatscht Sanna wieder in die Hände
» Oh ja, du triffst ihn heute auf dem Ball! Wann verlobt ihr euch denn bloß endlich?! «. Die ältere errötet. Ungeachtet dessen, erklärt mir die jüngere, worum es sich handelt.
» Valanya und Lord Tristans Sohn Tarion wollen nämlich heiraten, aber unsere Eltern wissen von all dem noch gar nichts und... «, das scharf gezischte 'Pssst' von Seiten Valanya unterbricht den Redefluss ihrer jüngeren Schwester.
» Bitte «, sie wendet sich an mich,
» Erzähle meinen Eltern nichts davon. Es...wir...ich weiß nicht, ob Tarion bald um meine Hand anhält «, ihre Wangen färben sich noch mehr.
» Meine Lippen sind versiegelt «, verspreche ich und ernte ein erleichtertes Lächeln.
» Danke «, murmelt Valanya und schlägt sich die Hände vors Gesicht,
» Himmel, war Eu...deine Verlobung auch so...aufregend? «. Ich zögere. Es hat sehr lange gedauert, bis Kaspian und ich uns unsere Gefühle gestanden und in eine Heirat eingewilligt haben, aber richtig verlobt sind wir eigentlich noch nicht. Als ich mir über diese Tatsache klar werde, bin ich nicht sicher, ob ich lachen oder weinen soll. Mein Blick schweift zur anderen Seite des Pavillons, von der aus man auf das Meer hinausblicken kann. Erfreut stelle ich fest, dass die Sonne dem Horizont immer näher entgegenwandert, und das bringt auch Kaspians Rückkehr näher. Mein Herz schlägt bei diesem Gedanken augenblicklich höher. Glücklicherweise erlöst mich Elena davon, Rede und Antwort stehen zu müssen. Die Magd kommt schweratmend zu uns gelaufen und lässt sich nach einem Kopfnicken Valanyas neben eben diese auf die Bank fallen. Die jüngsten Mädchen sind ihr dicht auf den Fersen.
» Teona, Noemi! Lasst die Arme doch wieder zu Atem kommen! «, mahnt die älteste Schwester und gehorsam setzen sich die zwei zu Sanna.
Nachdem wir noch einige Zeit zusammengesessen und geplaudert haben, hüpft Noemi von der Bank und zupft an meinem Ärmel. Ich wende mich dem Lockenköpfchen zu. Das Mädchen lächelt verlegen, stellt sich auf die Zehenspitzen, um mit mir auf Augenhöhe zu sein, und fragt leise, als wäre es ein vertrauliches Geheimnis
» Spielst du mit mir? «. Ich erwidere das Lächeln. Bevor Valanya zu einer weiteren Mahnung ansetzen kann, nicke ich zustimmend.
» Aber gerne. Was möchtest du denn spielen? «, antworte ich mit gedämpfter Stimme. Noemi beginnt zu strahlen, nimmt meine Hand und zieht mich aus dem Pavillon und auf die Wiese. Die anderen folgen uns natürlich.
» Fangen «, seufzt die Jüngste dann aufgeregt und sieht mich erwartungsvoll an. Ich nicke ihr ermutigend zu. Teona hüpft um mich herum.
» Ich bin der Fänger! «, ruft sie fröhlich.
» Und wo ist die Pause? «, fragt Elena noch immer etwas außer Atem. Sanna deutet auf eine Statue
» Wie wär's mit den Bänken und den Statuen? Von denen gibt es nicht so viele im Garten, aber genug «. Der Vorschlag wird einstimmig angenommen und schon beginnt das Spiel. Wir raffen unsere Röcke zusammen, um besser laufen zu können, und verteilen uns ein wenig. Teona zählt bis drei, dann rennt sie los. Sie jagt Valanya um einen Baum herum und fängt sie schließlich. Diese zögert einen Moment und setzt dann Sanna nach. Sie erwischt ihre jüngere Schwester allerdings nicht und versucht sich an Elena. Es gelingt ihr, die Magd am Ellenbogen anzutippen, dreht sich um und läuft zur nächsten Bank. Elena scheucht zunächst Noemi und Teona ein wenig auf, erwischt beinahe Sanna und gibt den Fänger schließlich an Teona weiter. Diese holt Noemi ein und springt lachend davon. Die Jüngste versucht sich ebenfalls an Sanna, aber diese hat nicht vor, sich fangen zu lassen. Also dreht die Kleine ab und saust auf mich zu. Ich wirble herum und bringe mich außer Reichweite. Allerdings immer nur ein wenig, sodass Noemi aufholen kann. Schließlich bekommt sie den Saum meines Kleides zu fassen – es ist auch wirklich nicht einfach, darin zu rennen – und läuft dann fröhlich quietschend vor mir davon. Ich setze ihr nach bis sie eine Statue erreicht und sich daran festklammert. Also lasse ich sie sich erholen und jage stattdessen Sanna einmal quer durch den Garten, um eine Hecke herum und fange sie schließlich. So geht das eine Weile bis Valanya und Elena keuchend und sich die Seite halten auf einer Bank sitzen bleiben. Daher setzen wir uns rund um die Bank ins Gras, kommen wieder zu Atem und lachen. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, in der ich nicht mehr so befreit gelacht, geschweige denn gespielt habe. Als die Dämmerung einsetzt, haben sich die älteste Schwester und die Magd wieder einigermaßen erholt.
» Ihr solltet Euch jetzt ein wenig ausruhen, Herrin, und Euch dann für das Fest vorbereiten «, meint Elena und sieht die Mädchen an,
» Ihr auch, Miladies «. Valanya ist sofort auf den Beinen und auch Sanna scheint sich auf das Fest zu freuen. Teona und Noemi sind allerdings weniger begeistert. Widerwillig trotten sie hinter uns her. Auf der Veranda erwartet uns Melian. Sie kann sich bei unserem Anblick ein Lächeln nicht verkneifen.
» Hattet Ihr einen angenehmen Tag? «, fragt sie mich sogleich.
» Oh ja, vielen Dank. Auch für das Kleid «, antworte ich wahrheitsgemäß und streiche verlegen über den Stoff.
» Ihr habt Euer Abendkleid noch nicht gesehen «, murmelt Elena und kichert. Die Hausherrin lacht
» Nichts zu danken, Luna, Ihr sollt Euch schließlich wohlfühlen «.
» Mama, ich will aber nicht auf den Ball! «, jammert Teona,
» Das Kleid ist so eng und ich darf nie essen, was ich will! «.
» Und langweilig ist es auch «, fügt Noemi der Liste ihrer Schwester hinzu,
» Alle reden über so komische Sachen und keiner spielt Fangen mit uns «. Melian seufzt leise und sieht ratlos auf ihre jüngsten Kinder. Ich beuge mich zu den beiden hinunter.
» Wenn ihr euch jetzt schön umzieht und brav seid, spielen wir ein großes Fangenspiel, ja? «, flüstere ich ihnen zu.
» Heute? Mit ganz vielen Leuten? Der König auch? «, fragen sie leise – sofort Feuer und Flamme. Ich überlege. Kann ich dieses Versprechen wirklich geben? Ein weiterer Blick in die vier kugelrunden Kinderaugen genügt und ich stimme ergeben zu.
» Aber bis dahin bleibt das ein Geheimnis «, mahne ich vielversprechend, die Mädchen nicken eifrig und folgen Melian ins Haus.
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