Blume
DIE EINZELNEN REDEN zur Belastung oder Verteidigung Lord Rivens und Lord Balrens sind lang und ermüdend, denn die jeweiligen Sprecher halten sich nicht gerade kurz. Es folgen Diskussionen der Ratsmitglieder und Lords, die dem König schließlich für jeden der beiden Lords ein Urteil empfehlen – und sie ernten damit sogar Zuspruch des Volkes. Die Empfehlung lautet: Tod den Verrätern. Als Kaspian, der sich bisher kaum eine Regung anmerken ließ, die Stirn krauszieht, stecken seine Berater nochmals die Köpfe zusammen. Nachdem Lord Dandren etwas in das Ohr des Königs geflüstert hat, nickt dieser langsam und steht mit einem Ruck von seinem Thron auf. Die Stille ist zum Zerreißen gespannt. Ein falsches Wort würde genügen und jeder würde anfangen zu reden – manchen sieht man deutlich an, dass ihnen ein Kommentar auf der Zunge liegt. Meine Aufmerksamkeit liegt ausschließlich auf Kaspian. Sein Blick schweift über die Menge hinweg und bleibt einen Moment an mir hängen. Ich nicke unmerklich und versuche mich an einem flüchtigen Lächeln. Kaspian macht einen Schritt nach vorn und strafft die Schultern. Seine königliche Autorität überstrahlt alles andere und die Lords zu seiner Linken und Rechten sind regelrecht unscheinbar dagegen. Auch sie haben sich von ihren Plätzen erhoben und die beiden Angeklagten werden ebenfalls auf die Füße gezogen. Dann erhebt der König seine Stimme.
» Wir haben nun gehört, was Lord Riven und Lord Balren zur Last gelegt wird. In Anbetracht der Beweisführung erkläre ich sie hiermit für schuldig «, Kaspian macht eine Pause und seine Augen wandern zur Decke empor, bevor sie sich auf die Schuldigen richten,
» Lord Riven «, er spricht den jüngeren Lord direkt an und dieser hebt langsam den Kopf, den er bisher demütig gesenkt hielt,
» Euer Urteil lautet wie folgt: Ihr werdet Eures Adelstitels enthoben und des königlichen Hofes verwiesen. Solltet Ihr Euch nochmals etwas zu Schulden kommen lassen, werdet Ihr als vogelfrei gelten. Ansonsten genießt ihr kein Vertrauen mehr. Von niemandem. Nehmt Euer Leben und bewirkt damit etwas Gutes, um Eure Schuld wiedergutzumachen «. Erleichterung flackert in den Augen des gerade Verurteilten und er verbeugt sich tief. Lord Balren wirft seinem Komplizen einen verachtenden Blick zu und lacht auf.
» Lord Balren «, sagt Kaspian langsam und der arrogante Lord starrt ihn an,
» Eure Taten sprechen für sich und Ihr wisst, welche Strafe auf Verrat – wie ihr ihn begangen habt – folgt «. Getuschel kommt auf wie eine sachte Windböe. Der Lord scheint bei jedem Wort ein wenig zusammengeschrumpft zu sein. Er sieht nun nicht mehr höhnisch zum König auf, nein, sondern ängstlich. So hat er ausgesehen, als er am Abend des Festes von Kaspians Rückkehr um sein Leben flehte.
» A-aber, Eure Majestät «, bringt Lord Balren hervor und faltet die Hände,
» Lord Riven habt Ihr doch auch verschont und i-... «, die steinerne Miene Kaspians bringt ihn zum Verstummen. Die Wachen neben Lord Balren spannen sichtlich die Muskeln, jederzeit bereit, den Gefangenen niederzuringen.
» Lord Rivens Urteil ist gesprochen «, stellt Kaspian klar,
» Das Eure ist der Tod. Morgen bei Sonnenaufgang werdet Ihr am Galgen Euren letzten Atemzug tun «. Das war der Stein, der die Lawine auslöst. Etliche Stimmen füllen nun den Raum, die ihrem Nebenmann ihre Meinung über das Urteil mitteilen oder dem König bestätigend zurufen. Lord Balren will nochmal etwas sagen, doch seine Worte gehen in dem Getöse unter. Ich löse meinen Blick nicht von Kaspian. Selbst dann nicht, als Doktor Cornelius zu sprechen beginnt.
» Das ist ein weises Urteil «, nickt er und streicht sich über den weißen Bart,
» Indem er den einen verschont, zeigt König Kaspian Gnade. Die Hinrichtung des anderen beweist seine Macht und stellt klar, dass Verrat nicht toleriert wird «. Er hat Recht. Allerdings hat es seit Langem keine Hinrichtung mehr gegeben. Sehr lange nicht. Wenn ich mich recht entsinne, fand die letzte nicht einmal ein halbes Jahr nach Kaspians Krönung statt. Damals brach ein Anhänger Miraz' mit der Absicht, den jungen König zu meucheln, in dessen Gemächer ein. Glücklicherweise wurde Kaspian wach, kurz darauf haben mich die Wachen alarmiert. Der Übeltäter wurde in den Kerker geworfen und wenige Tage drauf ereilte ihn dieselbe Strafe, die nun auf Lord Balren wartet. Seitdem hatte der Scharfrichter keine Gelegenheit mehr, sein Amt auszuüben. Das wird sich morgen ändern.
Kaspian lässt die Leute eine Weile sprechen und tuscheln, dann hebt er die Hand.
» Die Verhandlung ist hiermit beendet «, verkündet er und wendet sich an die Wachen,
» Bringt die Gefangenen zurück in ihre Zellen. Lord Riven wird morgen früh freigelassen «. Diese tun wie ihnen geheißen und führen die Verurteilten weg. Sobald sie den Thronsaal verlassen haben, verpufft die Anspannung. Fenster werden geöffnet und die Atmosphäre hellt deutlich auf. Auch ich entspanne mich langsam und lasse die hochgezogenen Schultern sinken.
» Er hat dieselbe Ausstrahlung wie sein Vater «, bemerkt Lord Argoz und die anderen drei nicken zustimmend. Ich lächle leicht. Das hält allerdings nicht lange. Nachdem die Verhandlung vorüber ist und sich der König mit den Ratsmitgliedern im Gespräch befindet, werde ich zum Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit. Mir scheint, jede meiner Bewegungen wird genauestens verfolgt. Am liebsten würde ich diesen Ort auf der Stelle verlassen, dieses Kleid gegen Bluse und Hose tauschen und mit dem Schwert an meiner Seite den Übungsplatz aufsuchen. Da ich mir das vermutlich nicht erlauben sollte, bleibe ich schön bei Doktor Cornelius, Lord Argoz, Lord Revilian, Lord Rhoop und Lord Mavramorn. Die fünf älteren Herren sind auch so freundlich und unterhalten sich ununterbrochen, sodass es unhöflich wäre, wenn uns jemand unterbräche. Eine ganze Weile geht das gut. Bis sich mir drei Damen nähern – zwei jüngere und eine ältere – die ich bereits einmal in den Gängen des Schlosses getroffen habe. Ihre Namen sind mir zwar nicht geläufig, aber ich weiß noch, dass ich nur mit Müh und Not von ihnen losgekommen bin.
» Meine Herren «, sage ich deshalb und bewege mich aus dem Kreis,
» Bitte entschuldigt mich «. Ich schiebe mich hinter die fünf, um sie als eine Art Schild zu nutzen und tauche dann in die Menge ein. Kurzerhand beschließe ich, nach Valess zu suchen. Zu meinem Unglück laufe ich jemand anderem direkt in die Arme.
» Lady Luna «, begrüßt mich König Cornan ein wenig ungehalten. Tja, Flucht war noch nie eine Strategie, die ich oft nutze. Dementsprechend schaffe ich es auch, vom Regen in die Traufe zu stolpern. Von meinem Unmut lasse ich mir möglichst nichts anmerken.
» Eure Majestät «, erwidere ich und knickse höflich. Er nickt mir knapp zu, während ich die Hände hinter dem Rücken verschränke und die Augen niederschlage.
» Was haltet Ihr vom Ausgang dieser Verhandlung? «, fragt der König von Archenland – etwas Lauerndes, nein, eher etwas Prüfendes liegt in seiner Stimme.
» Nun... «, ich lege mir die richtigen Worte zurecht,
» Es ist gut so, wie es gekommen ist. König Kaspian hat recht geurteilt «.
» Ja, ja, das hat er «, bestätigt König Cornan,
» Ich hätte es nicht besser machen können «.
» Luna! «, ertönt da die Stimme der Prinzessin und kurz darauf tritt sie neben mich, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen.
» Adeline «, grüße ich und lege den Kopf leicht schief – eine stumme Frage nach ihrem Wohlbefinden. Sie lächelt noch breiter – wenn das denn überhaupt möglich ist – und nickt leicht, was mich nach der tränenreichen letzten Nacht verwundert. König Cornan mustert uns beide mit ernster Miene.
» Ach Vater «, seufzt Adeline und legt eine Hand auf seinen Arm,
» Die Verhandlung ist vorüber und einem Nachmittag in angenehmer Gesellschaft steht nichts entgegen, sei doch nicht so streng «. Da stielt sich ein Lächeln auf das Gesicht des archenländischen Königs und er tätschelt die Hand seiner Tochter sanft.
» Du hast ja Recht, mein Kind «, meint er und lächelt nun auch mir zu – alles Prüfende ist vorerst aus seinem Auftreten verschwunden. Allerdings werde ich mich in Zukunft vor ihm in Acht nehmen. Ich habe zwar nicht den Eindruck gewonnen, dass er mir schaden möchte, aber ich muss vorsichtig sein, was mir über die Lippen kommt. Vor allem, da ich mit keinem Wort die Beziehung zwischen Adeline und Lord Elmas aufdecken will. Das soll das Paar – das die beiden hoffentlich bald sein können – selbst tun.
Im Verlauf des Nachmittages scheint der Thronsaal immer mehr zu schrumpfen. Nicht lange vor dem Abendessen wird es mir zu bunt. Es kommt mir so vor, als würde ich in der Menge ertrinken und die mehr oder weniger durchwachte Nacht macht sich ebenso bemerkbar. Glücklicherweise habe ich Valess zuvor bereits entdeckt und seitdem ist sie nicht mehr von meiner Seite gewichen. Wir stehen gerade inmitten der adeligen Damen, die ich großteils bereits kennengelernt habe. Als sich die Gespräche auf ein anderes Thema verlagern, lehne ich mich ein wenig zu Valess hinüber und flüstere
» Bitte entschuldige mich, ich brauche etwas frische Luft «. Sie nickt verständnisvoll, mustert mich besorgt und bedeutet mir, zu gehen. Das tue ich nur zu gerne. Wie ein Schatten gleite ich aus dem Thronsaal hinaus in den Korridor und schließlich in den Garten. Sobald ich unter freiem Himmel stehe, atme ich mit geschlossenen Augen ein paar Mal tief ein. Zweierlei – komplett konträre – Wünsche überkommen mich in diesem Moment. Einerseits möchte ich mich an Ort und Stelle hinlegen, andererseits würde ich auch gerne einfach losrennen – mich bewegen, die frische Luft einatmen und die unangenehme Bedrücktheit abschütteln. Ich gebe keinem von beiden nach. Stattdessen wandere ich gemächlich durch den Garten, bis ich zu einer Bank an einem Brunnen gelange, die von der Krone eines mächtigen Ahorns überdacht wird. Hier bin ich schon oft gewesen. Es ist einer der Plätze, die ich in freien Stunden oft aufzusuchen pflege. Doch meine Rastlosigkeit treibt mich weiter zum Strand hinunter. Dort bleibe ich eine ganze Weile und sehe zu, wie sich die Dämmerung über das Land legt – und mit ihr ziehen schwere Wolken vom Meer herauf, welche die untergehende Sonne verdecken. Rasch kommen sie näher und es dauert nicht lange, da fühle ich bereits die ersten Regenspritzer auf meiner Haut. Ich kümmere mich jedoch nicht darum, sondern beobachte das Meer. Vom Wind aufgepeitscht, branden die dunklen Wellen immer höher an den Sand und lassen glatte Flächen zurück. Als der Regen dichter und die einzelnen Tropfen dicker werden, verlasse ich meinen Platz und mache mich auf den Weg zurück. Ich setze meine Schritte ohne Eile, deshalb durchnässt mich das fallende Wasser nach und nach.
Gerade als ich den Brunnen beim Ahornbaum erreiche, kommt mir jemand entgegen. Kaspian hat die Hände hinter dem Rücken verschränkt und nähert sich schnellen Schrittes. Obwohl er die Augen gegen den Regen zusammengekniffen hat, lächelt er.
» Woher wusstest du, dass ich hier bin? «, frage ich und erwidere sein Lächeln. Bevor er antwortet, greift er nach meinem Arm und führt mich zur Bank unter dem Ahorn. Der Regen dringt nicht durch das dichte Blätterdach und so lassen wir uns darunter nieder.
» Ach, Lady Valess war so freundlich, mir einen Hinweis auf deinen Verbleib zu geben «, meint er leichthin und streicht mir über die nasse Wange. Dann kommt seine andere Hand hinter seinem Rücken hervor und hält mir eine Blume hin. Es ist eine blassblaue Freesie, von denen wachsen hier viele. Vorsichtig nehme ich die Blüte entgegen und betrachte sie eingehend.
» Nachdem mich heute jemand fragte, welche Blumen bei unserer Hochzeit als Dekoration verwendet werden sollen... «, Kaspian sieht mich fragend an,
» Was hältst du von diesen? «. Bei der Erwähnung unserer Hochzeit schlägt mein Herz augenblicklich höher. Der genaue Tag ist zwar noch nicht festgesetzt, aber er rückt dennoch immer näher.
» Ich halte das für eine gute Idee «, antworte ich, lege eine Hand auf Kaspians Schulter und gebe ihm einen flüchtigen Kuss.
» Hm, ich auch «, murmelt er, schlingt die Arme um meine Taille, zieht mich fest an sich und versiegelt unsere Lippen.
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