Berns Hof
ES DAUERT EINIGE Wochen bis wir die Einsamen Inseln erreichen. Es ist eine glückliche Zeit mit vielem Lachen und Vorfreude auf Narnia. Avra, Felimath und Doorns sanfte grüne Hügel grüßen uns schon von fern. Als Drinian die Morgenröte in den Hafen von Doorn steuert, hat sich dort bereits eine Menge versammelt und unzählige Hände winken uns zu und man bejubelt den König. Die Narnianen an Bord, die der grüne Nebel einst von hier verschleppt hatte, jubeln ebenfalls und fallen einander in die Arme. Sie können es kaum erwarten bis das Schiff anlegt, deshalb stehen sie den Matrosen tatkräftig zur Seite. Kaspian und ich stehen bei Drinian am Steuerrad und beobachten die Szenerie aufmerksam. Der König Narnias lächelt gutmütig, während der Kapitän eine unbewegte Miene wahrt. Lediglich sein rechter Mundwinkel zuckt ein wenig nach oben. Ich selbst sehe unserem Aufenthalt zweigeteilt entgegen. Die Erinnerung an unsere erste Landung hier gefällt mir gar nicht. Andererseits ist es schön mitanzusehen, wie die Bewohner der Inseln ihr Leben wieder aufbauen und der Schrecken der Sklavenhändler, Piraten und des Nebels verblasst.
Nachdem fast alle Passagiere die Morgenröte verlassen haben – darunter auch Daphne mit ihren beiden Kindern Naya und Romé – kommt Lord Bern an Bord, um uns angemessen zu begrüßen.
» Es ist wunderbar, mein König, dass Ihr unversehrt zurückgekehrt seid «, sagt er und deutet eine Verbeugung an,
» Ich kann mit Freuden berichten, dass sich die Zustände hier bereits deutlich verbessert haben. Wir haben auch schon mit Eurem Regenten Kontakt aufgenommen «.
» Gut so «, erwidert Kaspian und neigt den Kopf,
» Ich bin sicher, Trumpkin macht seine Sache gut und Ihr ebenso «. Daraufhin beginnt Lord Bern eifrig zu erläutern, was in den vergangenen Monaten geschehen ist und was gemacht wurde. Nach einer Weile sieht er sich auf dem Deck um.
» Majestät, habt Ihr vor, länger hierzubleiben? «, fragt er hoffnungsvoll. Kaspian zögert und wirft zunächst einen Blick auf die Matrosen, dann auf mich.
» Wir werden ein paar Tage bleiben, Lord Bern, aber ich möchte die Mannschaft und die verbleibenden Opfer des Nebels nicht noch länger von ihrem Zuhause fernhalten «, antwortet er schließlich diplomatisch. Der Lord nickt verstehend.
» Wenn das so ist, wäre es eine Ehre, Euch als Gäste in meinem Haus begrüßen zu dürfen. Dort ist genug Platz für Euch, Eure Männer und für Euch, Milady «, bietet er an und Kaspian schlägt das Angebot nicht aus. Bevor die Morgenröte jedoch die Meerenge überquert, meint Kaspian
» Milord, wir haben noch jemanden mitgebracht, den Ihr sicher treffen wollt «. Lord Bern sieht erstaunt auf. Als ein Matrose Lord Rhoop, Lord Argoz, Lord Revilian und Lord Mavramorn an Deck führt, stehen sich die ehemaligen Gefährten eine Weile schweigend gegenüber und mustern einander von Kopf bis Fuß. Dann beginnen sie plötzlich zu lachen und sich mit Worten wie
» Ah, mein alter Freund « und einigen Schulterklopfern und Umarmungen zu begrüßen. So kommt es, dass Kaspian, die vier älteren Lords, Drinian, der Großteil der Männer und ich auf Lord Berns Anwesen auf der Insel Avra untergebracht werden, während die Morgenröte im Hafen – der den Namen 'Berns Hof' trägt – vor Anker geht.
Das Anwesen ist groß, bescheiden eingerichtet und dennoch wunderhübsch. Lord Berns Gemahlin und ihre vier Töchter – die älteste vielleicht neunzehn, die jüngste etwa acht Jahre alt – heißen uns willkommen.
» Es ehrt uns, Euch hier empfangen zu dürfen «, meint die Herrin des Hauses und überrascht mich mit ihrer samtenen Stimme. Sie ist eine zierliche Frau, die das ebenholzfarbene, mit weißen Strähnen durchzogene Haar hochgesteckt hat. Ihre Haut ist braun und die Augen grün wie ein Fichtenwald. Trotz der Fältchen um Augen und Mund ist sie eine wahre Schönheit. Ihre Töchter stehen ihr darin in nichts nach. Alle vier sehen ihr sehr ähnlich, doch jede hat ein anderes Merkmal ihres Vaters geerbt.
» Ja, nicht wahr? «, stimmt Lord Bern seiner Gattin zu und haucht ihr zärtlich einen Kuss auf den Handrücken,
» Ich sagte das auch «.
» Das ist Melian, meine Frau «, stellt er sie vor und deutet dann nacheinander auf seine Töchter,
» Und das sind unsere Töchter Valanya, Sanna, Teona und Noemi «. Kaspian verbeugt sich höflich.
» Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Miladies «, sagt er und richtet sich wieder auf. Während Melian ergeben den Kopf neigt, kichern die vier Mädchen verlegen und werfen sich verstohlene Blicke zu. Lord Bern räuspert sich und bringt uns durch die hohen Flügeltüren ins Innere des Anwesens. In der Vorhalle führt eine breite Treppe nach oben. Geradeaus öffnet eine Tür den Weg in ein Esszimmer, links in die Küche – in der geschäftiges Treiben herrscht – und rechts in einen Salon. Alle Räume sind mit hohen Fenstern ausgestattet und wirken dementsprechend hell und freundlich. Überall stehen Blumenvasen mit den verschiedensten Blüten darin.
» Sie sind aus unserem Garten «, erklärt mir Melian, die neben mir steht,
» Das ist eine kleine Leidenschaft von mir «. Sie lächelt und zwinkert mir zu. Zwei Diener und eine Magd eilen an uns vorüber, die Arme voll mit Girlanden aus glitzernden Muscheln, Blumen und kleinen Blättern.
» Heute Abend wird ein Fest gefeiert «, kommentiert die Hausherrin.
» Ist heute ein besonderer Tag? «, frage ich verwundert und beobachte die Diener wie sie eine der Girlanden über dem Kamin aufhängen.
» Nun, kein Feiertag, wenn Ihr das meint. Ein Fest zu Ehren des Königs «, meint Melian und kichert. Ich spüre ihren Blick auf mir ruhen und streiche mir verlegen eine Strähne hinters Ohr.
» Gut, dann brechen wir in einer Stunde auf «, sagt Kaspian und lässt mich damit hellhörig werden.
» Wohin brechen wir auf? «, frage ich nach und sehe ihn erwartungsvoll an. Lord Bern und er sehen bei meinen Worten auf und kommen zu uns herüber. Kaspian legt mir die Hände auf die Schultern, während sich Lord Bern und seine Frau zurückziehen.
» WIR gehen nirgendwohin, DU bleibst hier und kommst auf andere Gedanken «, antwortet er. Ich starre ihn ungläubig an.
» Wieso? «, will ich wissen,
» Denkst du, ich verkrafte es nicht, den Markt zu sehen? «. Kaspian schüttelt den Kopf und sieht mich ernst an
» Nein, ich denke, dass du dir einen freien Tag mehr als verdient hast «.
» Aber... «, mit einer Handbewegung lässt er mich verstummen,
» Kein Aber, Luna «. Ich seufze und schlage ergeben die Augen nieder. Er lacht leise auf und nimmt die Hände von meinen Schultern. Stattdessen streicht er über meine Hand und flüstert mir ins Ohr
» Bis heute Abend, meine Königin «. Das jagt mir einen Schauer über den Rücken und ich wünschte, er wäre jetzt schon wieder zurück. Bevor er sich jedoch abwenden kann, ziehe ich ihn nochmals zurück und hauche ihm einen Kuss auf die Wange. Anschließend verlassen wir zusammen den Salon und streben nach draußen, wo der Lord und Melian auf uns warten. Sie und ich folgen den Männern den flachen Hang hinunter zum Ufer und sehen dem kleinen Schiff nach, das vorher neben der Morgenröte vertäut lag. Ein seltsames Gefühl überkommt mich. In den letzten Jahren bin ich kaum von der Seite meines Königs gewichen, jetzt stehe ich hier und er fährt nach Enghafen – die auf Doorn gelegene Hauptstadt der Einsamen Inseln – hinüber.
» Kommt, meine Liebe «, sagt Melian und legt mir sachte eine Hand auf den Arm,
» Ich zeige Euch euer Gemach, dort könnt Ihr euch frischmachen «. Gesagt, getan. Sie leitet mich zurück ins Haus, die Treppen hinauf und den Gang hinunter. Die vierte Tür auf der linken Seite ist unser Ziel. Auf dem Weg dorthin begegnen wir einigen Männern der Besatzung der Morgenröte, die zufrieden herumspazieren und ihre freie Zeit und den Landgang genießen.
Als wir eintreten, wartet bereits jemand auf uns. Eine junge Frau in der Tracht der Mägde. Sie knickst höflich.
» Das ist Elena «, meint Melian,
» Ich war so frei und habe sie Euch als Magd für Euren Aufenthalt zugeteilt. Außerdem haben wir eine Auswahl an Kleidern vorbereitet. Ich hoffe, es ist alles zu Eurer Zufriedenheit, Milady «. Zunächst erwidere ich nichts, sondern sehe mich neugierig im Raum um. Wie die anderen, die ich bisher gesehen habe, ist auch er von hellem Tageslicht erfüllt. Ein großes Bett, ein kunstvoll geschnitzter Schreibtisch mit einem Stuhl, ein Schrank und ein Paravent sind geschmackvoll im Zimmer platziert. Die Wände sind mit blumigen Tapeten bedeckt und der Holzboden mit einem weichen Teppich belegt. Neben dem Paravent, das ebenfalls mit Blumenmustern versehen ist, befindet sich eine weitere Tür.
» Ich danke Euch «, sage ich, sobald ich das alles in Augenschein genommen habe, und wende mich der Hausherrin zu,
» Aber bitte, nennt mich einfach Luna «.
» Es freut mich, wenn es Euch zusagt, Luna. Nennt mich doch dann lediglich Melian «, sie schenkt mir ein strahlendes Lächeln und neigt das Haupt,
» Ich überlasse Euch nun Elenas Obhut. Sie wird Euch alles bringen, was Ihr wünscht. Fühlt Euch frei, Euch in Haus und Garten zu bewegen. Ich werde später wieder nach Euch sehen, jetzt kümmere ich mich um die Vorbereitungen für das Fest «.
» Oh, braucht Ihr noch Hilfe? «, frage ich schnell als sie sich zum Gehen wendet.
» Vielen Dank, aber Ihr seid ein Gast. Genießt den Nachmittag, Luna «, erwidert sie, die Hand schon auf der Klinke. Dann ist sie fort.
» Soll ich Euch ein Bad bereiten, Milady? «, fragt die Magd schließlich vorsichtig. Ich wiege den Kopf hin und her und beschließe, mich meinem Schicksal zu ergeben.
» Das würde mir guttun, danke Elena «, antworte ich schließlich und schon eilt sie zu der zweiten Tür.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro