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DIE ZEIT VERGEHT und wir haben den Großen Fluss erreicht, dessen Lauf wir bis nach Feeneden folgen werden, wo er schließlich ins Meer mündet. Der Weg am Ufer entlang gestaltet sich ein wenig einfacher, da die Straßen besser ausgebaut und gepflegt sind. Unser Tross kommt etwas schneller voran als auf den Pfaden über Wiesen, Hügel und kurze Waldstrecken. Die Bewohner des Eulenwaldes bleiben dicht beisammen. Sie haben es so arrangiert, dass die Frauen mit den Kindern in der Mitte des Zuges gehen. Gleich dahinter kommen die wenigen Kranken und Verletzten, gefolgt von den Alten. Die Männer, die kräftig genug sind, um eine Waffe zu führen, unterstehen Neros' Anweisungen. Der große Minotaur hat die meisten von ihnen zum Schutz der anderen um die Gruppe herum verteilt, die übrigen helfen beim Ziehen des Karrens oder beim Tragen der Bündel. Ich habe bereits angeboten, dass Donnerwind den Wagen zieht, doch dieser Vorschlag wurde freundlich abgelehnt. Sie flüsterten etwas davon, dass eine Königin doch nicht zu Fuß gehen kann. Das ist natürlich Unsinn, aber die drei jungen Satyrn, die den Karren nun vorwärtsbewegen, haben es sich eben so in den Kopf gesetzt. Immerhin fügen sich Neros und Lion meinen Befehlen. Allerdings mische ich mich nicht sonderlich ein. Ich gebe Ratschläge, wenn dies gewünscht wird. Ansonsten patrouilliere ich einmal vor dem Tross, einmal dahinter. Eingreifen werde ich lediglich, wenn wir tatsächlich angegriffen werden sollten oder es aus anderen Gründen erforderlich ist.
Der Tag neigt sich bereits seinem Ende entgegen und wir machen in der Nähe einer seichten Uferbank des Großen Flusses Rast. An dieser Stelle werden wir auch die Nacht verbringen. Möglicherweise könnten wir noch heute das Schloss erreichen – weit nach Einbruch der Dunkelheit, vielleicht erst bei Morgengrauen – aber das ist gar nicht so wichtig. Wir haben die Gefahr hinter uns gelassen – zumindest vorerst – und das ist im Moment alles, was zählt. Jetzt, nach dem langen und anstrengenden Marsch, haben wir uns alle eine Pause verdient. Morgen gelangen wir an unser Ziel und das ist auch gut so. Kaspian wird zu diesem Zeitpunkt hoffentlich bereits informiert sein. Sobald wir am Fluss ankamen, habe ich einen Minotauren und einen Zentauren losgeschickt, um ihm die Botschaft unserer baldigen Ankunft zu überbringen.
Als am nächsten Morgen die Sonne aufgeht, erhebe ich mich von meinem Platz auf einem Felsen am Rande des Lagers. Auch die zweite Nacht unter den Sternen war ruhig und erholsam. Nach dem Frühstück machen sich alle bereit, unsere Wanderung etwas gestärkt und ausgeruht fortzusetzen. Mit Donnerwind am Halfter sehe ich zu, wie sich der Tross unter Lions Führung in Bewegung setzt und langsam an mir vorüberzieht. Es sind traurige Gestalten und dieser Anblick bricht mir das Herz – und doch brennt noch Hoffnung in diesen Seelen. Chiron hat Recht. Trotzdem bin ich in diesem Moment unsagbar froh, eine Aufgabe zu haben. Ich behalte die Umgebung im Auge. Auch wenn es mit jeder Meile, die wir zurücklegen, unwahrscheinlicher wird, dass Feryn uns zu nahekommt, möchte ich wissen, was um uns herum vorgeht. Den Bewohnern des Eulenwaldes darf nicht noch mehr Schlimmes widerfahren, dafür werde ich sorgen. Dies ist meine Familie, viele von ihnen kenne ich schon mein ganzes Leben lang. Es ist meine Pflicht, ihnen zu helfen, wo ich kann – nicht nur das, ich muss sie schützen. Ich entdecke Nalenya, die einer geschwächten Dryade auf den Karren hilft. Doch ich bemerke, dass auch meine Freundin auf sehr wackeligen Beinen steht. Kurzerhand begebe ich mich mit Donnerwind zu ihr hinüber.
» Komm «, sage ich sanft,
» Lass du dich auch ein Stück tragen «. Nalenya sieht mich mit einem halbherzigen Lächeln an, doch sie schüttelt abwehrend den Kopf,
» Lieb von dir, danke, aber was ist dann mit dir? «.
» Keine Sorge «, winke ich ab,
» Ich halte schon mit euch Schritt «. Ein leises Kichern entkommt ihren Lippen und sie lässt sich von mir in den Sattel helfen. Mit einem ermutigenden Nicken reiche ich ihr die Zügel und streiche flüchtig über Donnerwinds Hals.
» Pass gut auf sie auf «, flüstere ich dem schwarzen Hengst zu, der leise wiehernd die Nüstern bläht. Zufrieden trete ich einen Schritt zurück
» Guter Junge «.
Die Sonne hat ihren Zenit schon wieder verlassen und wir setzen nach einer kurzen Rast unseren Weg fort, da ertönen plötzlich Hörner. Der schallende Ton klingt zu uns und lässt den Tross anhalten. Ich kenne dieses Geräusch, sehr gut sogar. Es sind keine Jagdhörner, wie sie die Adeligen bei ihren Ausritten benutzen. Dies sind die Hörner der königlichen Garde. Hat Kaspian Hilfe geschickt? Es dauert nicht lange und einige Reiter kommen in Sicht und tatsächlich – das Banner, der Löwe, Narnias strahlt uns von den Rüstungen der Soldaten entgegen. Etwa ein Dutzend sind es, die uns bald erreicht haben und ihre Rösser zügeln. Da ich mich relativ am Ende des Zuges befinde, sehe ich lediglich, dass Lion mit den Neuankömmlingen spricht. Die meisten Reiter steigen von ihren Pferden und beginnen, die Habseligkeiten der Flüchtlinge auf den Rücken der Tiere festzuschnüren. Auch wenn wir bisher allein zurechtgekommen sind, ist diese Hilfe mehr als willkommen. Erleichtert überblicke ich das Geschehen und setze das Bündel – ein rotes, mit weißen Punkten versehenes und zu einem Sack umfunktioniertes Tuch – ab, das ich selbst für eine ältere Frau namens Meria trage.
» Danke, Kind «, murmelt diese und tätschelt meinen Arm. Sie wirkt zwar müde, aber ihre Augen sind wach und lebendig – trotz ihres Verlustes. Ihr Mann war einer der wenigen, die in dem Feuer umkamen. Sie sagte zu mir, dass es Aslans unumstößlicher Wille gewesen sei und sie jetzt eben für ihre Freunde da sein würde – und das bis Aslan sie nach Hause ruft, wo sie wieder mit ihrem Mann vereint sein wird.
» Es ist mir eine Ehre, Meria «, erwidere ich lächelnd. Da nehme ich das Gemurmel wahr.
» Er ist gekommen «, flüstert jemand in meiner Nähe,
» Der König! «, meint ein anderer. Ich spüre die sich auf mich richtenden Blicke förmlich. Und da richte ich mich kerzengerade auf, mein Herz stolpert, nur, um dann doppelt so schnell weiterzuschlagen. Kaspian ist hier! Natürlich ist er selbst gekommen, das hätte ich mir nun wirklich denken können. Doch das spielt keine Rolle. Suchend richte ich meine Aufmerksamkeit nach vorne und kneife die Augen ein wenig zusammen, um mehr erkennen zu können. Dort steht er, von Dalia etwas vor der Menge abgeschirmt. Auch er hat den Kopf gehoben und lässt seinen Blick schweifen. Donnerwinds freudiges Wiehern lenkt mich ab. Der Hengst trabt – samt der Nymphe im Sattel – in Richtung Dalia und Kaspian. Dieser fährt herum und erstarrt einen Moment, als er bemerkt, dass nicht ich dort angeritten komme. Ich lächle unwillkürlich, denn nun hilft er Nalenya vom Pferd. Sobald diese festen Boden unter den Füßen hat, sieht sich der König forschend um.
» Na los, ab mit dir «, Meria lächelt wissend und lässt mich los. Ich neige den Kopf vor ihr, wende mich um und schiebe mich an den Bewohnern des Eulenwaldes vorbei nach vorne, meinem Kaspian entgegen. Meine Augen weichen nicht von ihm ab und nach und nach weicht die Menge zurück und bildet eine Gasse für mich. Bei dieser durchgehenden Unruhe, deren Zentrum ich bin, entdeckt mich nun auch Kaspian und unsere Blicke treffen sich endlich. Es ist, als würde die Welt um mich herum ganz still. Ich sehe nur noch ihn und blende den Rest vollkommen aus. Meine Füße können mich gar nicht schnell genug zu ihm bringen. Er lächelt erleichtert, breitet die Arme aus und fängt mich auf, hält mich ganz fest an seine Brust gedrückt. Ich verschränke die Hände in seinem Nacken und lächle ebenfalls. Wortlos legt er eine Hand an meine Wange und lehnt seine Stirn an meine. Von einem Moment auf den anderen erfüllen mich vollkommene Ruhe und Geborgenheit und ich schließe die Augen.
» Geht es dir gut? «, fragt Kaspian nach einer Weile leise und mustert mich besorgt. Ich lächle müde zu ihm hinauf und nicke. Er atmet tief ein uns aus und streicht sanft über meine Wange, dann drückt er einen flüchtigen Kuss auf meine Stirn.
» Aslan sei Dank «, murmelt er,
» Als deine Boten ankamen, fürchtete ich um dich «. Seine Augen flackern und die eisige Faust der Schuldgefühle legt sich um mein Herz.
» Mach dir doch nicht so viele Sorgen um mich «, erwidere ich und umfasse sein Gesicht,
» Es geht mir gut und meiner Familie auch «. Ich lasse meinen Blick über Kaspians Schulter hinweg über die einzelnen Gesichter wandern.
» Nun... «, füge ich traurig hinzu und senke den Kopf,
» ...den meisten von ihnen «. Kaspian legt eine Hand unter mein Kinn und zwingt mich, ihn anzusehen.
» Ich liebe dich und deswegen werde ich mir immer Sorgen machen, wenn du nicht an meiner Seite bist «, sagt er,
» Du bist nicht unverwundbar «, an dieser Stelle wandern seine Gedanken für einen Augenblick sichtlich weit weg,
» Es bedarf nur eines einzigen Pfeils, Luna «.
» Das weiß ich «, entgegne ich leise,
» Und doch sind die Dinge, die ich tue, das Risiko wert. Jedes Mal «. Kaspian lächelt milde
» Ich wusste, dass du das sagen würdest «, er zieht mich nochmals fest an sich,
» Bleib jetzt bei mir und lass uns deine Familie in ein neues Leben führen «.
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