Kapitel 72
„Süße, du schaust nun schon zum dreiundvierzigsten Mal zu ihm", informierte Mary mich wenige Tage nach meiner böswilligen Rache an den drei Slytherins im Zauberkunstunterricht.
Mit „ihm" war zweifellos James gemeint. James und Holly.
„Was findet er nur an ihr? Sie ist so eine verlogene, blöde Kuh", murmelte ich, ohne dabei auf Marys Kommentar einzugehen.
Meine Freundin seufzte.
„Wie wär's, wenn du das ihn und nicht mich fragst?", gab sie genervt zur Antwort.
Normalerweise war Mary die Geduld in Person, aber mittlerweile ging ihr meine unglückliche Verliebtheit in James ziemlich auf den Keks, wie sie mir heute Morgen mitgeteilt hatte. Ihrer Meinung nach war die Sache nicht annähernd so aussichtslos, wie ich dachte.
„Es ist mehr Holly, die ihm auf den Pelz rückt. James lässt es sich zwar gefallen, aber den ersten Schritt macht er nie", hatte sie mir erklärt.
„Reicht doch schon, dass er es sich gefallen lässt", hatte ich nur gegrummelt, bevor ich damit fortgefahren war, mich über Hollys engelsgleiches Auftreten zu beschweren.
Bis jetzt hatte ich immer noch nicht damit aufgehört.
Doch Marys Worte ließen mich entgeistert den Kopf schütteln.
„Wenn ich ihn darauf anspreche, merkt er sofort, dass ich eifersüchtig bin, und dann korbt er mich und das ertrage ich nicht."
„Und so wie es jetzt ist, das erträgst du, ja?" Marys Stimme troff nur so vor Sarkasmus.
„Sei nicht so zynisch! Die Sache ist nicht so einfach."
„Sie wird aber auch nicht durchs Nichtstun einfacher. Und mal ehrlich, die Ausrede, dass du dir nicht sicher mit deinen Gefühlen bist oder was auch immer, zieht nicht mehr. Jeder Blinde würde sehen, wie verschossen du in ihn bist!"
Gegen Ende hin wurde sie immer lauter, weshalb ich hektisch mit den Händen in der Luft rumwedelte und so energisch „Pschscht!"-e, dass einige Spucketröpfchen auf der Tischplatte landeten.
Angeekelt zog Mary ihr Blatt Pergament näher zu sich heran.
„Ihh, Lily, pass doch auf."
„Pass selbst auf, mit deiner Tonlage!"
Mary seufzte resigniert. Mit einer Hand fuhr sie sich müde über die Stirn, mit der anderen wischte sie die Wassertropfen von unserem Tisch.
„Okay, tut mir ja leid. Ich meine, ich verstehe dich ja ein Stück weit. Aber Lily, Holly und James sind nicht zusammen-"
„Noch nicht", warf ich ein.
Mary verdrehte die Augen. „Meinetwegen, noch nicht. Dann hast du im Moment noch die Chance, das zu verhindern! James ist dir jahrelang hinterhergelaufen, solche Gefühle verschwinden nicht einfach, das kannst du mir nicht erzählen. Warum fragst du ihn nicht einfach heute Abend auf der Patrouille nach einem Treffen oder so?"
Ich starrte sie mit großen Augen an.
Das klang ziemlich nach Selbstmord.
Doch Mary zuckte nur mit den Schultern. „Warum denn nicht, Lily? Wovor hast du bitte solche Angst?"
Tja, wovor?
Genau vor dem, was Snape zu mir gesagt hatte: Dass ich unbedeutend für James war. Dass ich nur durch mein Desinteresse an ihm etwas Besonderes geworden war.
Und wenn ich James meine Gefühle quasi auf dem Präsentierteller servierte, dann würde ich auch noch diesen einen einzigen Faktor, der mich anziehend machte, verlieren.
Bisher hatte ich diesen Gedankengang nie laut ausgesprochen.
Aber aus irgendeinem Grund teilte ich ihn leise flüsternd Mary mit, um ihre Frage zu beantworten.
Mit jedem meiner Worte wurden ihre Augen größer und größer, und als ich am Ende angelangt war, schaute sie mich traurig an.
Betreten wartete ich auf ihr Urteil.
Sie seufzte nochmal, bevor sie ihre Hand auf meinen Unterarm legte und mir fest in die Augen blickte.
„Lils, denkst du das wirklich?", fragte sie mit leiser Stimme.
Zögerlich nickte ich.
Zu meiner Überraschung umarmte sie mich fest und kurz.
„Lass dir das nicht von irgendwem einreden, erst recht nicht von Snape. Er ist ein Idiot. James hatte – oder hat- Interesse an dir, weil du einfach wundervoll bist, okay? Und du hast es gar nicht nötig dich auf irgendeine Weise interessant machen zu müssen! Hör endlich auf, James die kalte Schulter zu zeigen, und rede mit ihm!"
„Meinst du echt?", nuschelte ich, immer noch skeptisch, in ihre blonden Haare.
Mary bejahte. Wie um ihre Aussage zu bestätigen, drückte sie mich nochmal fest an sich. Erst dann ließ sie mich los.
„Sei eine Gryffindor, okay? Heute Abend bei der Patrouille machst du einen Verschlag zu irgendeinem Treffen. Demnächst ist wieder ein Hogsmeade-Wochenende. Oder ihr trefft euch in der Küche auf einen heißen, winterlichen Kakao.
Mir egal. Hauptsache, du tust endlich was!"
Ich umarmte Mary stürmisch. „Danke, dass du mir immer Mut machst. Du bist einfach die Beste."
Sie grinste verschmitzt, womit sie mich fast ein bisschen an Sirius erinnerte.
„Ich weiß."
Als ich später am Abend mit James durch die dunklen Gänge wanderte, versuchte ich, mir Marys Zuversicht zu bewahren.
Mein ganzer Körper kribbelte vor Aufregung, mein Gehirn lief auf Hochtouren, um sich die perfekten Monologe für James auszudenken, und gleichzeitig versuchte ich so oft wie möglich unauffällig einen Blick auf ihn zu erhaschen.
Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass er nicht verdammt niedlich aussah, wie er da mit seinem Zauberstab in der Hand die Karte des Rumtreibers erleuchtete, die Stirn bei dem Versuch, etwas zu entziffern, angestrengt gekräuselt.
„Wir hätten die Schriftzüge größer drucken sollen", murmelte er vor sich hin. „Ich bin einfach blind wie ein Maulwurf."
Die Vorstellung von James als ein kleines Tierchen mit Schaufelarmen war einfach zu komisch. Ich musste lachen.
„Und ich dachte, du wärst ein stattlicher Hirsch", neckte ich ihn.
Grinsend schüttelte James sein wie immer zerzaustes Haar. „Klar, sieht man das nicht?"
Ich schnaubte nur zweifelnd.
„Hey!" Er pikste mich in die Seite, lächelte aber dabei ganz warm.
Wir liefen eine Weile schweigend weiter, wobei wir uns immer mehr dem Schulsprecherbad und der Küche näherten.
Ich spähte zu James hinüber.
Dieser lächelte zufrieden in sich hinein.
War das der Zeitpunkt? Sollte ich es endlich wagen?
Oh Gott. Alles in mir schrie nein, doch ein kleiner Teil von mir sehnte sich auch nach Klarheit.
Also holte ich tief Luft, hielt James am Ärmel fest und brachte ihn endgültig zum Stehenbleiben, indem ich mich vor ihn stellte.
Überrascht guckte er auf mich hinunter.
Ich widerstand der Versuchung, mich auf die Zehenspitzen zu stellen und ihm einen kleinen Kuss auf seine leicht geöffneten Lippen zu geben.
„Ähm, James?", fragte ich rasch.
„Ja?", erwiderte er völlig ahnungslos.
Oh, Merlin, konnte mein Herz bitte aufhören, einen Marathon zu laufen?
Ich rieb mir nervös die verschwitzten Hände an meinem Rock ab, bevor ich fortfuhr und im Laufe meines Monologs immer schneller wurde: „Also, hättest du ... wie würdest du es finden, wenn wir einen kleinen Abstecher in der Küche machen und uns mit ganz vielen Süßigkeiten und heißer Schokolade eindecken und dann setzen wir uns ins Schulsprecherbad und...."
Ich war gerade dabei, zu dem „Weil ich dich nämlich mag"- Teil zu kommen, als James mich mit versteinerter Miene unterbrach.
„Ich glaube, das wird nichts, Lily. Ehrlich gesagt wartet Holly im Schulsprecherbad auf mich. Aber... wenn du willst, kannst du dich ja dazu setzen."
Entgeistert starrte ich ihn an.
Nein, nein, nein.
Das konnte er nicht im Ernst gesagt haben.
Wow. Meine rechte Hand schwitzte immer noch, nun aber eher aus dem Verlangen heraus, James eine saftige Ohrfeige zu geben.
„Mich ... dazu setzten? Dazu setzten?!"
Ganz ehrlich, ich versuchte ruhig zu bleiben. Doch ich konnte es einfach nicht verhindern, dass meine Tonlage ins Hysterische rutschte.
Es war doch wirklich unglaublich.
James hatte mich allen Ernstes dazu eingeladen, das dritte Rad am Wagen zu spielen.
Ich atmete tief durch.
Okay, Lily. Du wurdest gerade verdammt hart gekorbt.
Nicht die Nerven verlieren.
Mein Stolz konnte es einfach nicht zulassen, dass ich jetzt anfing zu heulen.
Nicht vor James.
Daher atmete ich ein paar Mal tief durch. Erst danach konnte ich es über mich bringen, Mr Arschloch Potter wieder in die Augen zu gucken.
„Nein, danke, ich verzichte auf die Gesellschaft von Little Miss Perfect! Und auf deine gleich dazu!", spuckte ich ihm entgegen.
Ruckartig drehte ich mich um, bevor er die verräterischen Tränen sehen konnte, die sich augenblicklich gebildet hatten.
Völlig aufgelöst stürmte ich davon, James' verzweifelte Rufe („Lily! Du sollst nachts nicht allein rumlaufen!"- Unglaublich, was war ich, ein Kleinkind?!) einfach ignorierend.
Kurz nach Mitternacht kam ich vor dem Schlafsaal meiner Freundinnen an.
Mary öffnete mir die Tür. Sie brauchte nur mein Gesicht zu sehen, und schon zog sie mich hinunter in den Gemeinschaftsraum, wo zu dieser Uhrzeit keiner mehr Hausaufgaben machte oder seine Späße trieb.
„Jungs sind scheiße", flüsterte sie mitfühlend, wozu ich schniefend nickte.
Sie nahm mich ganz fest in den Arm.
Bitte nicht weinen, Leute.
Das ist nämlich nicht das letzte Kapitel für heute!
Genauer gesagt erst das erste von drei. Mir ist schon klar, dass das ein echt fieses Ende wäre und außerdem nähern wir uns (unglaublich!!!) den 100K!
Und ich will euch nicht mehr warten lassen also ja ... Freut euch auf drei Kapitel heute, hehe.
Danke für alles, ihr seid die Besten!
Karla
❤️
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