Kapitel 12
Ich bestand darauf, dass wir noch heute in die Winkelgasse gingen, um unsere Schulsachen zu besorgen. „Immer diese Streber", grummelte Sirius, als wir uns zu dritt im Wohnzimmer der Potters aufstellten, um per Seit- an- seit- apparieren nach London zu kommen.
Er konnte nicht wissen, dass ich unbedingt mal hier raus wollte. Klar, es war nicht soooo schlimm mit den beiden, wie ich es mir ausgemalt hatte, doch ich musste dringend mal auf andere Gedanken kommen. Und wie sollte das besser gehen als beim Shoppen? „Sei still, Bla – Sirius. Je eher wir die Sachen besorgen, desto eher haben wir es hinter uns, oder?", versuchte ich ihm die Sache schmackhaft zu machen.
„Wohl eher: ... desto eher kann Lily Evans den gesamten Inhalt der Schulbücher auswendig lernen", brummte Sirius in seinen nicht vorhandenen Bart. Von James kam ein unterdrücktes Geräusch, des wohl einen Huster darstellen sollte, aber eindeutig ein Kichern war. Ich funkelte böse zu ihm hoch.
„Das findest du witzig, was? Vergiss nicht, dass ich immer noch sauer auf dich bin!", erinnerte ich ihn. Die Worte schienen James in die Gegenwart zurückzuholen, zumindest kühlte sein Gesichtsausdruck merklich ab. Er erwiderte meinen Blick durch seine Brillengläser hindurch. Seine Augenbrauen waren ein wenig spöttisch nach oben gezogen, was im Gegensatz zu dem bitteren Ausdruck in seinen Augen stand.
„Du hast zwar keinen wirklichen Grund dazu, aber ... schon klar", sagte er zynisch. Was war denn jetzt los? War er etwa sauer auf mich? Ich schüttelte den Kopf. Was kümmerten mich Potters Stimmungsschwankungen (Und ja, ich hatte mich immer noch nicht an dieses Namen- Dings gewöhnt).
Sirius und James stellten sich je links und rechts von mir auf. Ich widerstand der Versuchung, mich auf die Zehenspitzen zu stellen. Ich kam mir vor, als wäre ich zwischen Riesen eingekeilt. Vermutlich sah es auch genauso aus.
James schien denselben Gedanken zu haben. Er grinste schadenfroh zu mir herunter. „Na, Evans, du Krümel?" „Für dich Lily", gab ich süßlich zurück. Grrr, wie viele grässliche Spitznamen wollten die mir noch geben?
„Komm schon, Lily, sei nicht so empfindlich", meinte James beschwichtigend, und hielt mir seinen Arm hin. Widerwillig hakte ich mich bei beiden unter. Sie hoben ihre Zauberstäbe, woraufhin ich schnell die Augen zusammenpresste, bevor mich das unangenehme Gefühle des Apparierens überkam.
Mein Körper wurde unglaublich fest zusammengedrückt, bis ich glaubte, zu explodieren. Ich konzentrierte mich auf die warmen Unterarme an meinen, um das klaustrophobische Gefühl auszublenden.
Dann war es auch schon wieder vorbei. Sofort ließ ich die Arme der beiden los, ohne auf James' abfälliges Schnauben zu achten („Sind wir etwa eine ansteckende Krankheit?"). Hier stand ich also wieder vor dem Tropfenden Kessel, wenn auch aus einem völlig unterschiedlichem Grund als beim letzten Mal.
Ich folgte Sirius und James durch den heruntergekommenen Pub bis in den Hinterhof. Sirius zählte die Backsteine ab: Drei nach oben, zwei zu Seite. Den richtigen Stein klopfte er drei Mal mit der Spitze seines Zauberstabs an.
Die Backsteinmauer setzte sich in Bewegung. Ein Stein schob sich in den anderen, bis ein solider Torbogen entstand, der den Blick auf die bunte, belebte Winkelgasse freigab. Ich bewunderte diesen Zauber immer wieder auf's Neue. Als ich zum ersten Mal als elfjähriges kleines Mädchen hergekommen war, begleitet von einem erwachsenen Zauberer, der mich in die magische Welt einführen sollte, hatte das alles so unglaublich und faszinierend auf mich gewirkt. Bis heute hatte sich daran nichts geändert.
„Krümel, wo bleibst du?", riefen James und Sirius. Sie standen bereits auf dem Kopfsteinpflaster der Straße, die Gesichter mir zugewandt.
Hastig raffte ich meine Tasche, die mir vor lauter Staunen über die Schulter gerutscht war, wieder hoch, bevor ich ihnen hinterher stürmte.
„Nennt mich nie wieder Krümel, ihr Schwachmate!"
Ihr unbeschwertes Lachen hallte durch die Gasse.
Mit einem erleichterten Seufzer ließ ich mich auf einen Sessel in meinem liebsten Bücherladen plumpsen. Endlich allein! Meinen Einkaufsbummel hatte ich mir wirklich anders vorgestellt, doch die Jungs hatten sich einfach nicht davon abbringen lassen, mich regelrecht zu beschatten. Sogar, als ich in ein Kleidungsgeschäft geflüchtet war, weil ich dachte, dass kein Junge freiwillig mit einem Mädchen Klamotten kaufen wollte, waren sie mir gefolgt. Sie hatten sogar wahnsinnig Spaß dabei gehabt, indem sie mir die hässlichsten Roben und Hüte andrehten und dann schreckliche Fotos mit James' Kamera von mir schossen. Merlin, diese beiden würden mir bis zum Rest meines Lebens ein Rätsel sein.
Letztendlich hatte ich es dann aber doch geschafft, sie loszuwerden: Die beiden waren in einem Laden für Besenzubehör verschwunden, während ich versprochen hatte, ihre Bücher für sie rauszusuchen.
„Die sind ja schlimmer als jedes Kleinkind", murmelte ich vor mich hin. Dabei suchte ich mit frischer Energie unsere Schulbücher heraus. Bücher hatten einfach eine beruhigende Wirkung auf mich. Der Geruch von Papier oder auch Pergament, das raschelnde Geräusch beim Umblättern der Seiten... himmlisch!
Da ich mehr Fächer als die zwei selbsternannten Rumtreiber belegt hatte, musste ich noch eine Wendeltreppe emporsteigen, um in die Abteilung für alles was mit Alten Runen zutun hatte zu gelangen.
Schwankend versuchte ich, die Stufen zu erklimmen, was sich als überraschend schwer herausstellte, wenn man einen beachtlichen Bücherturm ausbalancieren musste. Vielleicht hätte ich doch ein paar unten lassen sollen ...
„Kann man dir behilflich sein?" Eine freundliche Stimme ließ mich herumfahren. Prompt purzelten ein paar Bücher die Treppe hinunter.
Ich wurde knallrot unter dem missbilligenden Blick der Kassenfrau und antwortete, ohne zu schauen, wer mich da überhaupt angesprochen hatte, mit einem atemlosen „Ja!".
„Dankeschön", lächelte ich außer Atmen, als ich alle Bücher wieder in meinen Armen hielt. Ich hob den Kopf zu meinem Helfer. Beinahe hätte ich erschrocken aufgequietscht. Oh mein Gott, das war Frank Longbottom! Der Frank, mit dem ich in der vierten Klasse mal für drei Monate gegangen war, bis uns beiden klarwurde, dass er unsterblich in Alice Prewett verliebt war, und ich ihn ein wenig beleidigt hatte gehen lassen. Mittlerweile trug Alice den Namen Longbottom und sie und ihr Ehemann waren in der Aurorenausbildung.
Der Turm aus Büchern begann wieder zu wackeln, als ich ein wenig taumelte. Warum nur musste ich mich in letzter Zeit vor allen lächerlich machen?
In Gedanken ärgerte ich mich über meine Tollpatschigkeit. Schnell lief ich die letzten Stufen nach oben, stellte meine Bücher ab und drehte mich wieder zu Frank um.
Er lächelte mich seelenruhig an. Frank hatte sich seit seinem Hogwartsabschluss nicht wirklich verändert: Er war immer noch groß und gutaussehend, auch wenn ich glaubte, dass seine Kleidung ein wenig mehr über seinem Oberkörper spannte. Wer wusste schon, wie hart das Aurorentraining war...
Plötzlich wurde mir peinlich bewusst, dass ich knallrot sein musste, meine Haare total zerzaust waren und noch dazu hatte sich der süße Geschmack meines Zwischenimbisses bei Florean Fortescue zu einem unangenehmen, pelzigen Gefühl in der Mundgegend verwandelt. Verdammt.
„Hallo Frank!", sagte ich, und strich mir unauffällig ein wenig über meine rote Mähne.
„Hey Lily", erwiderte er entspannt. „Du liest immer noch so wahnsinnig viel?" Er deutete zu dem riesigen Stapel am Treppengeländer.
„Oh, nein, ich meine, ja schon", stammelte ich, mich in Gedanken verfluchend, „aber die Bücher sind nicht alle meine. Ich sollte die für Pott... James Potter und Sirius Black mitkaufen."
Meine Güte, was hatte ich eigentlich? Das mit Frank und mir war schon lange vorbei und ich trauerte ihm auch überhaupt nicht nach – warum war ich dann so zerstreut?
Frank verschränkte belustigt seine Arme vor der Brust. „Seit wann gibst du dich mit James und Sirius ab? Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich schon gesehen habe, wie du ihn zur Schnecke machst!" Frank lachte, ein tiefes grollendes Geräusch, und ich stimmte ein. „Das ist eine lange Geschichte."
„Ja, allerdings", sagte auf einmal jemand hinter Frank. Gleich darauf tauchten Sirius und James auf. Während Sirius Frank freundlich begrüßte, sah James eher weniger begeistert aus. Er quittierte Franks herzlichen Gruß nur mit einem knappen Nicken. Verwundert musterte ich ihn. Er und Frank waren zu seiner Schulzeit immer gut miteinander ausgekommen, was hatte er denn jetzt?
James schaute auf und erwiderte meinen Blick kühl, bevor er demonstrativ die Arme kreuzte und seine Aufmerksamkeit dem Bücherregal hinter mir widmete.
Was hatte der denn jetzt bitte? Diesen Jungen musste man nicht verstehen.
Wir plauderten noch ein bisschen mit Frank und tauschten alte Geschichten aus. Das heißt, Sirius und ich taten das. James spielte – warum auch immer- die beleidigte Leberwurst und beteiligte sich nicht weiter an unserem Gespräch.
Schließlich verabschiedete Frank sich und bald darauf verließen auch wir Flourish and Blotts.
„Was war das denn", knurrte Potter mich an, ohne mich dabei anzusehen. Misstrauisch runzelte ich die Stirn. „Was war was?"
„Flirtest du etwa mit verheirateten Männern?" Mir verschlug es die Sprache. Flirten? Ich hatte nicht geflirtet! Was bitte war denn Potters Problem?
„Wie bitte?! Ich habe lediglich mit einem alten Bekannten geredet!", ereiferte ich mich prompt. Mal ehrlich, man konnte es auch übertreiben.
„Alter Bekannter..." James lachte ein kaltes Lachen, den Blick immer noch stur geradeaus gerichtet. „Du meinst wohl eher Exfreund."
Für einen Moment starrte ich ihn verdutzt an. Dann dämmerte es mir allmählich.
„Ahh", machte ich langsam, „bist du etwa eifersüchtig?!"
Sofort nahm er eine abweisende Haltung ein, und schaute mir zum ersten Mal in die Augen. Ich schluckte. Genauso gut hätte ich einen Eisberg anstarren können.
„Natürlich nicht!", stritt James sofort ab. Sirius und ich tauschten einen vielsagenden Blick, woraufhin James seinen Freund wütend anfunkelte. „Es gehört sich einfach nicht, sich an seinen Exfreund ranzumachen, wenn er inzwischen verheiratet ist!"
Empört stemmte ich beide Hände in die Hüfte. „Ich habe mich nicht an Frank rangemacht! Es ist nicht mein Problem, wenn du eine zivilisierte Unterhaltung nicht von einer Anmache unterscheiden kannst, Potter!"
Potter strich sich übertrieben durch sein dichtes Haar und nahm eine feminine Pose ein. „Uuh, Frank, du bist ja so witzig, hahaha!", äffte er mich nach.
„Ich geh dann mal lieber", murmelte Sirius, mit einem entschuldigenden Blick in meine Richtung. Wutschnaubend stampfte ich mit dem Fuß auf. „Hör auf dich hier zum Idioten zu machen, Potter!"
„Ich mache mich zum Idioten, Ich?", gab er genauso erzürnt zurück. „Tja, Evans, vielleicht hat das ja wirklich nach einer normalen Unterhaltung für dich ausgesehen, was dann wahrscheinlich daran liegt, dass mit dir normalerweise keiner flirtet!"
Das hatte gesessen.
Wir standen uns gegenüber, in abneigender Körperhaltung, die Augen funkelnd vor Wut und den jeweiligen anderen im Visier.
„Du bist so ein ... so ein ...", flüsterte ich, doch mir fehlten einfach die Worte. Ich warf meine langen roten Haare in den Nacken und drehte mich auf dem Absatz um.
Wütend und verletzt stürmte ich davon.
„Evans! Lily! Bitte, es tut mir leid!" Blind vor Zorn ignorierte ich seine Rufe und die schnellen Schritte hinter meinen. Tränen hatten sich in meinen Augen gebildet, ob vor Wut oder Schmerz wusste ich nicht. Sie behinderten meine Sicht, sodass ich an einem herausstehenden Stein hängenblieb und fast gefallen wäre, hätte Potter nicht rechtzeitig mein Handgelenk gepackt und mich zurückgezogen.
Er packte mich an den Schultern und drehte mich zu sich um. Ich hielt den Kopf beharrlich gesenkt, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Tut mir leid, Lily, wirklich. Sicher gibt es jede Menge Leute, die mit dir flirten wollen", sagte er sanft. Ich wagte einen kurzen Blick. Die Reue war ihm ins Gesicht geschrieben.
Das änderte allerdings nichts an seinen Worten. Und erst recht nichts daran, dass er leider recht hatte. Das Interesse an Strebern wie mir war ziemlich gering.
„Hey, bitte, Krümel. Das war nicht so gemeint."
Ich schüttelte nur den Kopf und riss meine Schulter aus seinen Händen.
Von Potter kam ein Seufzen.
„Eigentlich wollte ich dir nur ein Geschenk machen."
Sorry für dieses etwas längere Kapitel... xD
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro