Die Rache
„Mein Herr, es ist so weit", sagte Rathrankars Leibgardist. Der Elfenkönig nickte müde und gleichzeitig war er aufs Höchste gespannt. Der Brustpanzer ermöglichte ihm nur schnelle, flache Atemzüge und das Schwert und der Schild rissen sein Gewicht mit zu Boden. Ein Pferd wurde vor ihn geführt. Ein weißer Rappe.
Rathrankar setzte sich den Helm auf und schloss die Gesichtsklappe. Neben ihm stiegen nun auch seine besten Krieger auf. Sie zogen sich die Gurte der Schilde um ihre Unterarme straff. Auch die verbliebenen Feldherren begleiteten den König. Rathrankar war sich siegessicher. Zwar hatte er für den Sieg mit vielen Elfenleben bezahlen müssen, doch nun waren die Menschen endgültig zurückgetrieben und ihnen war ein so heftiger Schlag zugesetzt worden, von dem sie sich nicht mehr erholen konnten.
„Wo ist Irkandir?", fragte Rathrankar an Ghloriel gewandt. „Er ist spurlos verschwunden, als seine Kriegerin Areen fiel. Auch sie war nach mehreren Minuten nicht mehr aufzufinden. Er muss sie mit sich genommen haben", antwortete sie. Rathrankar nickte. „Ihr seid meine treuesten Krieger! Beweist euren Mut und zieht mit mir aus, um die Schlacht endgültig zu gewinnen! Wir werden die Brücke halten, den König der Menschen töten und das Volk der Menschen vernichten! Steht ihr zu mir?", rief er und die Krieger nickten. „Dann reitet. Reitet mit mir, hinab auf jenen Platz, wo so viele ihren Tod fanden!", fuhr er fort, gab seinem Pferd die Sporen und der Zug setzte sich in Bewegung.
Rathrankar ignorierte den ekelerregenden, metallischen Geruch vom Blut. Er wollte sich diese Schrecken nicht merken. Vielstimmiges Kreischen erklang und augenblicklich spannten sich Rathrankars Muskeln erneut an. Die Feuerschwänze. Sie kamen nun, um sich zu rächen. Die letzten Minuten seines Lebens waren gezählt. Wieso war er so töricht gewesen und war hinausgeritten, hinaus aus seinem geschützten und bewachten Lager?
~
Mothruit legte die Flügel an und landete in der Menge. Von oben gesehen waren nur noch eine Handvoll Menschen und Elfen übrig, die gegeneinander kämpften. Die Feuerschwänze umzingelten den Elfenkönig und seine Gefährten unauffällig. Sie zogen den Kreis immer enger, bis sie vor ihm standen. Vor jenem Elfen, der das schreckliche Leben der Feuerschwänze und deren schlechten Ruf heraufbeschworen hatte. Vor Rathrankar.
Er saß stocksteif auf seinem Pferd, die Krieger um ihn herum rückten näher an ihn heran. Sie waren bereit, für ihren Herrn ihr Leben zu lassen. Reglos starrten die Feuerschwänze die Elfen an, bis Lhakhr als erste angriff.
Sie schlug ein Pferd so leicht von den Beinen, als wäre es ein kleines Kind. Der Elf, der auf dem gestürzten Gaul gesessen hatte, rollte sich ab, wurde aber von einer der mächtigen Schwingen Lhakhrs von den Beinen gerissen. Sie riss mit einer ihrer Klauen eine große Wunde in des Elfen Brust und wandte sich dann an den nächsten.
Mothruit webte währenddessen Magie und schoss eine Lichtkugel auf den Kopf eines Elfen. Geschockt fasste er sich an das Loch in seiner glatten Stirn, dann kippte er rücklings vom Pferd. Die Elfen schafften es, während ihres Sterbens Feuerschwänze zu verletzen. Immer wieder schrie eines der mächtigen Geschöpfe auf und ging dann zu Boden. Am Ende waren nur noch Mothruit und Rathrankar übrig. Die Kämpfe um sie herum waren verstummt. Die Elfen hatten sich zurückgezogen, die Menschen waren vorgedrungen.
Langsam umkreisten sich Rathrankar und Mothruit. Das weiße Pferd, das abseits von ihnen auf dem Boden lag, wieherte ängstlich. Mothruit spürte, wie seine Gestalt verschwamm und zu dem Körper Irkandirs wurde. „Das ist also die Lösung aller Rätsel", sagte Rathrankar mit enttäuschter Stimme. „Irkandir."
Mothruit fauchte. Seine Stimme hatte sich nicht geändert, war aber dafür für alle hörbar. „Du schicktest uns in die Verbannung, Rathrankar! Warum? Warum hast du unseren Namen schlecht geredet? Warum greifst du nach allem, und setzt dafür alles aufs Spiel? Warum bist du zu jenem Elfen geworden, der du jetzt bist?", fragte er. Seine Stimme war ruhig, klang dafür aber umso bedrohlicher mit ihrem dunklen, grollenden Unterton.
Rathrankar nahm sich seinen Helm vom Kopf. „Du kennst die Lösung", sagte er. Der Elfenkönig breitete die Arme aus und fiel vor Mothruit auf die Knie. „Töte mich. Ich habe nichts Besseres verdient", sagte er. Elfen und Menschen versammelten sich um Rathrankar und Mothruit. Sie kämpften nicht mehr. Sie hielten sich gegenseitig aus. Es war Rathrankar, der die beiden Völker gegeneinander aufgehetzt hatte.
Mothruit trat dem Elfenkönig so heftig gegen den Brustkorb, dass dieser nach hinten stürzte. Rückwärts kroch er vor Mothruit davon, aber dieser trat ihm auf die Brust. „Du hast es nicht verdient zu sterben!", zischte der Feuerschwanz. Eine Gestalt löste sich aus dem Hintergrund, den Mothruit in seinem Zorn nur verschwommen wahrnahm. Dennoch erkannte er, dass die Gestalt eine Frau war und ihre zweifarbigen Augen leuchtend vor Hohn aufblitzten. Er hatte gewusst, dass die legendäre Kriegerin sich nicht in ein Dorf zurückziehen und dort namenslos untergehen würde.
Rathrankar blickte zu ihm empor. „Also habe ich deiner Meinung nach verdient zu leben?", fragte er und Mothruit schüttelte langsam den Kopf. In seine Augen traten Tränen. „Wärst du nicht gewesen, hätte ich nicht meine Geschwister verloren, nicht Areen, nicht Henry zum Feind gehabt!", sagte er mit erstickter Stimme. Navèst trat in die Menge der Schaulustigen und reichte Mothruit ein Schwert. Er nickte ihr zu. Er hatte sie geheilt. Heimlich. Und er mochte sie. Sie hatte ihn nicht verraten.
„Du kennst dieses Schwert, Rathrankar! Du weißt, wozu es erschaffen worden ist. Nun sollst du durch diese Klinge sterben!", sagte Mothruit und hob das Schwert. Es war eines von den Göttern, sie schmiedeten es für jene Elfen, die es nicht verdient hatten, wiedergeboren zu werden. Fiel man als Elf durch diese Klinge, so fand die Seele nicht den Frieden, einen neuen Körper zu erhalten, sondern wurde in dieser Klinge festgehalten. Rathrankar hustete und Blut troff von seinen Lippen.
„Noch letzte Abschiedsworte, Bastard?", fragte Mothruit und ließ langsam das Schwert sinken. Rathrankar lachte heiser und sagte dann: „Ich bin mit mir im Reinen, wie steht's um dich?" Mothruit schrie und rammte der verdammten Missgeburt das Schwert in die Brust. Er spürte, wie die Rippen brachen und sich das Schwert immer weiter ins Fleisch grub. Heiße Tränen rannen ihm über das Gesicht und neben all den verhassten Gedanken, dachte er nur an Eine: an Areen.
~
Mit leerem Blick sah Mothruit zu, wie der Körper Rathrankars erschlaffte. Seine Hände hatten sich in den Boden gekrallt, Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gesammelt, bis die letzte Kraft aus seinen Gliedern wich und Rathrankars Körper zurücksank. Die Menschen und Elfen um Mothruit jubelten, doch er selbst fühlte keinerlei Hochgefühl. Menschen lachten und Elfen umarmten sich gegenseitig. Die Menschen schüttelten den Elfen die Hände, diese legten ihre Schwerter mit dem Griff zu den Menschen auf den Boden. Mothruit wandte sich nach einer gefühlten Ewigkeit von der Leiche Rathrankars ab. Er drehte sich um und sah Navèst. Sie lächelte ihm zu. Sie war die einzige, die noch bei ihm war, alle anderen hatten den Rückzug begonnen.
Navèst brauchte nichts sagen, Mothruit verstand sie auch so. Sie nahm ihn in die Arme, er ließ es geschehen. Er schloss die Augen und atmete ihren Duft ein. Sein Lebenszweck war erfüllt, er durfte sich jetzt niederlassen und für all jene trauern, die es nicht geschafft hatten.
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