Der Götterpfeil
Mothruit trat als letzter Elf auf die Brücke. Areen lief neben ihm und gab ihm Deckung. Mothruit schlug einen Pfeil aus dessen Flugbahn und verhinderte so einen tödlichen Treffer für seine erwählte Kriegerin. Er nickte ihr zu, parierte den Stich eines Menschen und schlug mit geballter Faust an dessen Kiefer. Ein unangenehmes Knirschen erklang, dann sackte das Menschenskind zu Boden.
Mothruit griff nach dem Speer eines Toten und stach damit auf seinen nächsten Feind ein. Dann schleuderte er den Speer in die Menge. Die Brücke war lang, der Weg zum anderen Ufer schien weit fern, doch Areen und Mothruit tänzelten so leichtfüßig über die glatte Oberfläche der Brücke, als hätten sie in ihrem Leben nichts anderes getan. Der erste Mensch betrat die Brücke, rutschte weg und fiel kopfüber in den alles mit sich reißenden Strom Ihamin. Weitere Menschen folgten, doch auch diese hatten keinen Halt. Sie bildeten Ketten, zwei von ihnen schafften es zu den Elfen, die die Menschen mit Pfeilen begrüßten. Die Menschen schrien, es war ohrenbetäubend laut.
Die feindlichen Krieger überquerten die Brücke nun auf allen Vieren und gelangten so relativ schnell auf die andere Seite. Mothruit schoss jene Lichtkugeln, die er damals Irkandir gelehrt hatte, in die Menschenmengen, doch diese prallten ab. Schockiert sah Mothruit auf die Elfenhände seines nun nur allzu bekannten Körpers.
„Die Götter!", schrie Areen und deutete auf jene großen Gestalten, die aus dem Menschenmeer stachen wie Bäume. Mothruit verstand. Die Götter hatten Zauber auf die Rüstungen ihrer Kinder gelegt. Der Boden zitterte plötzlich auf. „Was ist das?", schrie er zu Navèst hinüber, die sich um die Verletzten kümmerte. Diese sah auf und sagte dann mit rauer Stimme: „Die Rache meiner Geschwister."
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Schnell spielte Navèst der verletzten Elfenfrau die restliche Magie zu, die sie brauchte, um zu heilen, dann erhob die Göttin sich. Sie rief ihre Geschwister zusammen, oder jedenfalls jene, die sich auf die Seite der Elfen gestellt hatten.
„Kämpft gegen unsere Schwestern und Brüder! Sie kamen um zu morden, wir um zu heilen!", schrie sie und wurde von einer unsichtbaren Macht nach hinten gerissen. Sie prallte hart auf die Erde auf. Die Menschen und Elfen unterschätzten die Macht der Göttermagie. Sie schadete den Völkern nicht, sie schadete ihren Hütern. Navèst schloss ihre Augen und öffnete die Sicht auf die magischen Auren. Sie bemerkte einen Flugkörper, der in rasantem Tempo auf sie zuflog. Navèst duckte sich instinktiv, zu langsam. Ein etwa fingergroßer, tiefroter Stern streifte ihren Oberkörper und flammende Hitze breitete sich in ihr aus.
„Zruí", hauchte Navèst, als sich einer ihrer Brüder zu ihr hinabbeugte. Nicodur. Die Hitze zog sich ins Unerträgliche, sie schien Navèst die Haut von den Knochen schmelzen zu lassen. Nicodur nickte, nahm sie auf die Arme und redete mit anderen Göttern, doch seine Stimme verschwamm zu einem unverständlichen Gemurmel. Dann sackte Navèst in einen tiefen Schlaf voller Schmerzen und wusste, dass es für sie kaum noch Rettung gab.
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„Navèst stirbt!", schrie eine Stimme. Rathrankar horchte auf. Das konnte jetzt doch nicht wahr sein! Wie konnte Navèst sterben? Er hatte sie immer als die Stärkste unter den ihren gesehen. „Bringt sie zu mir!", erwiderte Rathrankar. „Nein! Komm du zu uns!", rief Nicodur. Rathrankar konnte den Gott nicht ausstehen. Er hatte die Feuerschwänze erschaffen. Geschöpfe, die die Welt der Elfen bedrohten!
Trotzdem trat er zu Nicodur, der Navèst auf den harten Erdboden gelegt hatte. Sie atmete flach, Blut benetzte ihre Lippen. „Wir müssen sie heilen!", rief Rathrankar aufgebracht und legte seine Hände auf Navèsts Stirn. Sie war furchtbar heiß. „Wenn sie nicht lebt, dann ist die Schlacht verloren!", fuhr er panisch fort, als Nicodur immer noch nichts gesagt hatte. „Wir können sie nicht retten. Wir brauchen unsere Kräfte für unseresgleichen. Wir müssen unsere Geschwister, die zuständig für die Menschen sind, töten. Das fordert Kraft, und wir haben nicht so viel davon, dass wir Navèst heilen können", erwiderte er.
Rathrankar sah ihn fassungslos an. Ihm war es egal, wer gerade in der Nähe war und mitbekam, wie er gerade sein Gesicht verlor. „Aber sie muss leben!", forderte der Elfenkönig. Nicodur hob seine Hand und trat ein paar Schritte zurück. „Die einzigen, die uns jetzt noch helfen können, sind die Feuerschwänze", entgegnete er dann, wandte sich ab und war binnen Sekunden in der Menge verschwunden.
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Mothruit focht wie ein Irrer. Er schonte seine magischen Kräfte und die seiner Umgebung, denn Schaden anrichten konnte er damit eh nicht. Er wirbelte im Kreis, hielt Areen dabei an der Hand. Es war wie damals auf Jimdays Totenfeier, nur dieses Mal war es ein wilder Tanz. Jeder Mensch, der ihnen zu nahe kam, wurde niedergestreckt. Areen hatte ihr Gesicht mit dem braunen Saft bemalt. Hier, mitten in dem Schlachtgetümmel, sah sie so schön aus wie nur möglich. Ihre Bemalungen im Gesicht zeigten einen Wolfskopf, ihr wildes Haar trug sie in zwei langen, geflochtenen Zöpfen. Ihre hellweiße Rüstung zeugte vom Kampf, aber nicht von dem ganzen Blut, das während des Fechtens auf sie gespritzt war. Kein dunkler Fleck verunzierte das Kleidungsstück. Areen war wie ein Sonnenschein zwischen all den dunklen Wolken an jenen Tagen, an denen das Lachen schwerfiel.
Er und die Elfe waren während des Kampfes weit zurückgedrängt worden, jetzt hatten sie sich wieder vorgekämpft und das Ufer erreicht. Die Menschen schossen mit Pfeilen und Speeren, doch sie konnten Mothruit nicht treffen. Er war zu schnell für sie. Im Kampfeslärm vernahm der Feuerschwanz ein leises Lachen. Ein alter Mann lag am Ufer mit einer schweren Brustverletzung. Ein Mensch. Er lachte, hustete und spuckte Blut. „Was ist so lustig?", zischte Mothruit in der Menschensprache, die er während seines Aufenthaltes in Mussling gelernt hatte. „Ablenkung", sagte der Mann leise und lachte erneut. Dann fielen ihm die Augenlieder zu. Als Mothruit sich abwenden wollte, schrie Areen auf: „Weg da!"
Verwirrt drehte er sich um und sah gerade noch einen Pfeil auf sich zufliegen. Erstarrt verfolgte er die Fulgbahn der Waffe, unfähig, sich zu bewegen. Aus seinen Augenwinkeln vernahm Mothruit, dass Areens Augen sich entsetzt weiteten, als sie Mothruits Starre bemerkte. Irgendetwas hinderte ihn an der nur kleinsten Bewegung, ein Zauber vielleicht. Es fühlte sich an wie eine Kette, die ihn unbarmherzig an der Stelle hielt.
Dem Feuerschwanz wurde schlecht, er spannte all seine Muskeln an, wollte sich losreißen, aber er brachte nichts weiter zu Stande als ein heftiges Zittern, das seinen Körper überkam.
Er spürte eine Berührung an seinem tauben Arm, Areens Versuch, ihn beiseite zu schieben, misslang kläglich. Stattdessen schob sie sich vor ihn, woraufhin keinen Atemzug später der Pfeil, der für Mothruit bestimmt gewesen war, ihre Brust durchdrang.
Augenblicklich löste sich Mothruits Starre auf und er sank mit Areen zu Boden. Er glitt auf die schmutzige Erde, beinahe meinte er, schlimmer getroffen geworden zu sein als seine Kriegerin.
Areens Augenlider flatterten. „Verdammter Götterpfeil", murmelte sie und schaute auf ihren zertrümmerten Brustpanzer. Eigentlich hätte kein Pfeil ihn zu durchbrechen vermocht. Nur ein Götterpfeil, einer, dessen Magie stärker war als Areens Panzer, könnte so etwas anrichten.
„Verdammte scheiße", fluchte Mothruit, als sein Blick auf die große Blutlache fiel, die sich langsam unter Areen ausbreitete.
Sie lächelte mit tränenerfüllten Augen. „Es war doch absehbar, dass unsere Geschichte nicht gut enden kann. Lass uns wenigstens das nachholen, was wir nie machen konnten", flüsterte sie, ihre Stimme war bereits versagt.
Mothruit schüttelte den Kopf. Er wollte das alles nicht wahrhaben, wollte nicht glauben, was hier gerade passierte.
„Na los", Areen lächelte ihm aufmunternd zu. Mothruit hob seinen Kopf, sah verzweifelt in das Gemtzel, hoffte auf Hilfe, aber keine kam.
Er biss sich auf die Lippen, sah seine Kriegerin verzweifelt an.
„Würdest du den letzten Wunsch einer Sterbenden ausschlagen?", fragte sie heiser und ihre eiskalten Hände berührten flüchtig Mothruits Unterarm.
Dem Feuerschwanz entwich seine ganze aufgestaute Luft, dann beugte er sich über sie und presste seine Lippen auf ihre. Fordernd drückte er seinen Mund gegen ihren, hauchte ihr seinen Atem ein, während seine Zunge mit ihrer schwachen spielte. Ihre letzte Energie legte Areen in diesen Kuss, bis sie sich irgendwann wieder voneinander lösten.
„Ich liebe dich", hauchte sie, ehe das Licht aus ihren Augen schwand und ihre Hände kraftlos zu Boden sanken.
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