
Prinzessin oder bloß Ziehtochter?
Die königliche Waffenkammer befand sich in einer verwinkelten Ecke und wurde rund um die Uhr von mehreren Wachen bewacht. Ausschließlich die Königsfamilie hatte Zugang dazu. Ich hatte mich den Großteil meines Lebens einfach davon ferngehalten, da ich mir nicht sicher war, wie sehr ich von allen anderen akzeptiert wurde, doch inzwischen wusste ich, dass ich auch ohne königliches Blut, den Rang der Prinzessin hatte, auch wenn ich ihn nicht sonderlich oft nutzte.
Ich nickte den Wachen kurz zu, welche schnell zur Seite traten und mich die Tür aufsperren ließen. Legolas, Thranduil und ich hatten alle einen eigenen, auch wenn wir ihn so gut wie nie benutzten. Wozu auch? Hier waren bloß Andenken und das ein oder andere berühmte Schwert. Es war zwar nicht unbedingt gern gesehen, wenn ich diesen Raum betrat, doch trotzdem traute sich nie jemand etwas zu sagen.
Ich zündete die Fackel an und trat bis zu der Stelle, an der der Dolch sich befinden sollte. Auf den ersten Blick fehlte ansonsten keine Waffe, doch das sollte Legolas schon genauer überprüft haben und wäre direkt zu uns gekommen, wenn noch eine gefehlt hätte.
Also befestigte ich den Dolch einfach wieder in der Halterung. Ich konnte es nicht lassen, einen langen Blick auf die anderen Waffen meines Großvaters zu werfen. Legolas und ich hatten ihn nie kennengelernt.
Schließlich riss ich mich doch los und verließ den Raum, welcher voller Erinnerungen war, vielleicht nicht meine, doch die des Königs auf jeden Fall.
Ich versicherte mich, dass ich auch wirklich abgeschlossen hatte und ging dann wieder zurück in Richtung meines Zimmers. Inzwischen war es ruhiger geworden im Palast, mal davon abgesehen, dass es in diesem Trakt die meiste Zeit still war - zumindest auf den Gängen.
„Herrin Níniel!", rief plötzlich jemand hinter mir. Ich blieb stehen und drehte mich etwas überrascht zu Lagornem um. Was tat er denn hier?
Doch direkt hinter ihm eilte bereits eine Wache hinterher, welche anscheinend etwas Schwierigkeiten hatte, ihm zu folgen. Er hatte wohl unbedingt mit mir sprechen wollen.
Der Elb wusste, dass er mich nicht so ansprechen musste. Es war weitgehend bekannt, dass ich nicht auf diesen Titel bestand und gerade bei jemandem wie ihm, den ich eigentlich kannte, war das nicht nötig. Das hieß er wollte etwas von mir.
„Hat Nengwe mit dir gesprochen?", fragte ich überrascht, als er etwas außer Atem bei mir angekommen war. Er schüttelte bloß den Kopf, um kurz nach Luft zu schnappen.
„Nicht direkt, aber er hat gesagt, dass er ihn von anderen Schülern hat und er nichts sagen darf", keuchte er und schien sich endlich zu erholen. Ich verschränkte genervt meine Arme.
„Dann muss er eben entscheiden, was ihm wichtiger ist: Sein Leben oder die Freundschaft zu ein paar anderen Schülern", antwortete ich ernst. Mein Gegenüber sah mich unschlüssig an.
„Das ist keine Flasche Wein, die sie irgendwo geklaut haben! Wir beide wissen woher diese Waffe stammt und davon abgesehen aus welchem Raum sie kommt, ist sie auch noch von König Oropher!", rief ich aufgebracht. Er musste doch endlich mal den Ernst der Lage erkennen!
Lagornem warf der Wache einen kurzen Blick zu und starrte dann zu Boden. Es schien ihm unangenehm zu sein, doch das hatte hier nichts zu suchen. Schließlich wollte er so unbedingt mit mir sprechen.
„Ich weiß. Habt Ihr bereits mit König Thranduil gesprochen?", fragte er vorsichtig und sah mich nur flüchtig an. Ich beruhigte mich wieder ein wenig und lockerte meine Haltung.
„Ja", antwortete ich mit immer noch demselben ernsten Tonfall, „es ist noch nichts entschieden. Bis morgen hat er Zeit zu reden", fügte ich gleich hinzu und hatte nicht vor auf eine Antwort zu warten. „Níniel", wurde ich jedoch aufgehalten, weshalb ich ihn erwartungsvoll ansah, „er ist doch noch ein Kind." Er sagte es nicht flehend, mehr als würde er selbst nicht glauben können. Ich spürte, wie sich eine schwere Last auf mir niederließ. Ich war keine Königin, ich war es nicht gewohnt solche Entscheidungen zu treffen! Für Thranduil war Nengwe bloß ein Kind von vielen, er beschäftigte sich nicht näher mit ihm, doch ich hatte ihn im Unterricht gehabt, ich kannte ihn!
Ich nickte ihm kurz zu und drehte mich nun doch um. Ich wusste nicht, welche Antwort in diesem Moment passend gewesen wäre. Was sollte ich bloß tun? Wodurch würde er es lernen? Ich wollte ihn nicht verbannen, geschweige denn umbringen, aber wenn ich ihn vom Training ausschloss, hatte er genauso wenig Zukunftsperspektiven.
Eigentlich wollte ich diese wichtige Aufgabe selber erledigen, doch ich wollte mir auch nicht direkt Feinde machen. Also wäre es vermutlich wirklich das Beste, wenn ich es mit Legolas besprach.
Ich hoffte ihn in seinem Zimmer aufzufinden. Um diese Zeit arbeitete er normalerweise nicht mehr und ich bezweifelte, dass er sich gerade heute mit Freunden treffen wollte. Ich wusste, dass auch ihn die Sache mit dem Dolch beschäftigte. Er kannte Lagornem um einiges besser als ich.
Doch als ich an einem der Versammlungsräume vorbeikam, hörte ich Stimmen. Thranduil würde heute garantiert niemanden mehr empfangen, wer war das also?
Ich klopfte und öffnete die Tür. Überrascht sah ich mich Legolas entgegen, der schnell auf mich zukam. Hinter ihm konnte ich zwei mir bekannte Elben erkennen. Ich meinte, dass sie die Eltern von Lagornem, also auch Nengwe waren. Doch hatte Legolas nicht gesagt, ich sollte mich mit ihnen unterhalten?
„Brauchst du etwas?", fragte er und stellte sich absichtlich direkt vor mich. „Ich dachte ich soll mit den beiden reden?", fragte ich verwirrt und neigte mich ein wenig zur Seite, sodass ich hineinsehen konnte. Sie sahen ziemlich aufgebracht aus.
„Ich denke es ist besser, wenn du einfach gehst", zischte Legolas mir zu und versperrte mir abermals die Sicht. Ich musterte ihn kurz. Hier ging es wieder um seinen Beschützerinstinkt. Er wollte mir nicht dieses Gespräch aufladen. Für ihn war es immerhin Alltag, wobei dieser spezielle Fall auch nicht unbedingt oft vorkam.
„Ich denke, dass ich dabei sein sollte", antwortete ich ernst und sah ihn fest an. Immerhin musste ich letztendlich die Entscheidung treffen und da war es auch ganz gut, mal die Sicht der Eltern mitzubekommen. „Da bin ich mir nicht so sicher", antwortete er gedämpft, doch es war schon entschieden. Die beiden Elben hinter ihm hatten mich bereits bemerkt und identifiziert.
„Níniel! Vielleicht könnt Ihr dem Prinzen erklären, dass unserem Sohn dieser Dolch untergeschoben wurde!", rief die Mutter und trat auf die Seite in mein Sichtfeld. Meine gewöhnliche Antwort wäre wohl eine gewesen, mit der ich mich schnellstmöglich davonmachen konnte, doch diesmal ging das nicht so einfach.
„Hat Nengwe das gesagt?", fragte ich ruhig, wonach auch Legolas etwas genervt zur Seite trat und mich hineinließ. „Nengwe würde so etwas niemals tun! Das ist bloß ein Missverständnis", rief die Elbin aufgebracht. Ihr Mann legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter und murmelte ihr etwas zu. „Nein, ich werde das nicht akzeptieren!", beschwerte sie sich weiter und verschränkte wütend ihre Arme. „Euer Sohn soll sagen, wo er den Dolch herhat, ansonsten wird er aus diesem Königreich verbannt", sprach ich mit klarer Stimme. Mein Bruder warf mir einen etwas überraschten Blick zu.
„Das war doch bloß ein Streich von seinen Klassenkameraden. Er ist noch ein Schüler, er kann nicht verbannt werden", antwortete sie sofort. Ich ließ mich nicht aus dem Konzept bringen. „Willst du den Wert einer der persönlichen Waffen von König Oropher in Frage stellen?", fragte ich und hob ein wenig mein Kinn an. Ich fühlte mich nicht unbedingt gut dabei, mich so über sie zu erheben, doch in diesem Fall ging es nicht anders. Sie hätte mir auch nicht so gegenübertreten sollen. Ich war vielleicht nicht unbedingt stolz auf meinen Prinzessinnentitel, aber ich war bereit meine Autorität zu zeigen, wenn es notwendig war. Ich hatte es nicht nötig so mit mir reden zu lassen.
Die Mutter schwieg und sah hilfesuchend ihren Mann an. „Wir werden nochmal mit ihm reden. Wir hatten nur auf ein paar Stunden mehr Zeit gehofft", sprach dieser bemerkenswert ruhig. Ich neigte den Kopf. Das gefiel mir schon um einiges besser. „Bei Sonnenaufgang wird die Entscheidung fallen", sprach ich, worauf sich zunächst nur der Elb knapp verneigte. Seine Frau tat es ihm schnell gleich, als sie es merkte. In dieser Angelegenheit war ich nun einmal die Entscheidungsträgerin und wollte mit dementsprechender Würde behandelt werden.
„Was ist bei Vater passiert?", fragte Legolas zutiefst verwirrt, als die beiden verschwunden waren. Ich lächelte amüsiert und lockerte meine Haltung wieder ein wenig. „Ich soll entscheiden was mit Nengwe passiert", antwortete ich und wartete gespannt auf seine Reaktion. Seine Augenbraun hoben sich überrascht. „Er hat dir diese Aufgabe einfach so übertragen?", fragte er ungläubig und musterte mich. „Mehr oder weniger", antwortete ich bloß und zuckte kurz mit den Schultern. „Na dann, Prinzessin Níniel, was ist der Plan?" Ich zögerte kurz. Nun schien es nicht mehr so einfach ihn nach Rat zu fragen. Abgesehen von ein paar Angriffen, die ich angeführt hatte, hatte ich nie über das Leben eines Elben entschieden, doch trotzdem wollte ich zeigen, dass ich dazu fähig war.
„Wenn er redet, kann er in diesem Königreich bleiben", antwortete ich schließlich ernst. Legolas lächelte leicht und sah mich ungläubig an. „Und wie glaubst du wird Vater darauf reagieren?", fragte er und verschränkte seine Arme. „Ich sagte im Königreich. Er wird aus dem Palast verbannt", erklärte ich und wandte mich ab. Das schien mir eine gerechte Strafe. Ich konnte ihn nicht einfach hierlassen, aber eine Verbannung war auch etwas übertrieben.
„Seine ganze Familie ist hier und er ist noch ein Kind, wie stellst du dir das vor?", rief er mir noch schnell hinterher. „Ich kann ihm nicht einfach erlauben hierzubleiben! Was würdest du tun?", fragte ich und fuhr herum. „Meinen Vater entscheiden lassen", antwortete er seelenruhig mit einem kleinen vorwurfsvollen Glitzern in den Augen. „Sei einfach vorsichtig, wenn du Adlige verärgerst", fügte er hinzu und ging ebenfalls auf die Tür zu.
„Das ist nicht fair! Du triffst solche Entscheidungen jeden Tag, warum ist auf dich nie jemand böse?", fragte ich aufgebracht und bewegte mich nicht vom Fleck. Er drehte sich überraschend schnell wieder zu mir um. „Weil meine Aufgabe es ist, alle glücklich zu machen und nach den Wünschen des Königs zu handeln! Ich bin bloß ein Rädchen im System und kein Entscheidungsträger!", rief er und breitete seine Arme aus, um dem Ausdruck zu verleihen. Ich schluckte eine Erwiderung hinunter und wandte den Blick ab. So genau hatte ich nie darüber nachgedacht.
„Deswegen hat Vater dir nie die Aufgaben erteilt, die ich bekomme, weil man dafür geboren sein muss ein Prinz zu sein! Ich wusste, seit ich denken kann, was meine Aufgaben sind und du hast die Hälfte deines Lebens verdrängt, wer du eigentlich bist! Selbst jetzt ist es dir unangenehm, wenn sich Wachen vor dir verbeugen! Du kannst nicht am einen Tag sagen, dass du bloß irgendeine Elbin bist, die vom König bevorzugt wird und am nächsten bist du die große Prinzessin, die Entscheidungen trifft und Leute herumkommandiert! Wenn du das sein willst, dann gerne. Du weißt, dass ich dir sofort alles zeigen würde. Das was du von meiner Arbeit mitbekommst ist nicht einmal ein Bruchteil. Du läufst lieber in den Wäldern herum oder reist nach Lothlórien und das ist auch in Ordnung so, nur musst du dann auch akzeptieren, was damit einherkommt", rief Legolas aufgebracht. Seine Worte trafen mich tief. Ich konnte klar heraushören, wie viel sie ihm bedeuteten.
„Ich bin hierhergekommen, um Hilfe zu holen! Um dich nach Rat zu fragen, aber ich kann nicht sagen, dass es mich nicht reizt das zu sein, was du bist! Es geht mir nicht um Respekt oder Befehlsgewalt, ich-", ich schluckte schwer und hinterfragte noch einmal, ob ich das wirklich sagen wollte, „all die Jahre habe ich jeden Tag gelernt, wie verantwortungsvoll ich als Tochter des Königs doch sein muss, obwohl mir das niemals vorbestimmt war, aber ich will es sein. Ich will, dass Vater stolz ist, mich nicht nur als die kleine Ziehtochter ansieht, ich will, dass er weiß, dass ich auch Verantwortung übernehmen kann, dass er mir vertrauen kann. Er überträgt mir niemals irgendwelche Aufgaben. Ich weiß, dass ihr deswegen nicht unbedingt das beste Verhältnis habt, aber du merkst nicht, was er in dir sieht! Du bist das goldene Kind, der einzige Sohn, der Frau, die er über alles geliebt hat! Jeden Tag sehe ich meine Familie um mich herum, die sich um das Königreich kümmert und ich sitze bloß daneben und sehe zu, als wäre ich kein Teil davon, aber ich kenne doch nichts anderes, ich weiß nicht wer ich sein soll!", antwortete ich, wobei mir Tränen in die Augen stiegen. Ich wandte mich ab und wollte sie mir wegstreichen, doch Legolas trat vor und öffnete seine Arme. Ich zögerte nicht länger und begab mich in die innige Umarmung.
„Du bist ein Teil davon, Ní", flüsterte er leise und strich mir sanft über meinen Rücken, wobei er seine Finger unter meine langen Haare schob.
Ich schniefte leise und legte mein Kinn auf seiner Schulter ab.
„Er erteilt dir keine Aufgaben, weil er nicht will, dass du so wirst wie ich", fuhr er fort und trennte sich so weit von mir, dass er mir in die Augen sehen konnte. „Du bist die einzige Person, die er hat, seit Mutter gestorben ist. Er vertraut dir mehr als jedem anderem und hat Angst das zu zerstören. Wenn er mit dir redet, dann redet er mit seiner Tochter und du mit ihm, wie mit deinem Vater. Du erwartest nichts von ihm, nur Ehrlichkeit. Ich bin für das Königreich wichtig, du für ihn", erklärte er sanft und legte eine Hand an meine Wange. Ich lächelte leicht. „Du bedeutest ihm auch viel, Legolas, er hat bloß Angst etwas falsch zu machen", flüsterte ich und nickte knapp zur Bekräftigung. Mein Bruder legte seinen Kopf ein wenig schief und lächelte. „Ich werde mich mal mit ihm zusammensetzen, wenn die Bedrohung aus dem Wald vertrieben ist und seine Gedanken wieder frei sind", versprach er sanft, was mich in dem Moment unfassbar freute. Ich hatte zwar keine Ahnung, wann das der Fall sein würde, doch Elben hatten keinen Stress bei diesen Dingen. Zumindest hatten gab es mal einen Zeitpunkt.
„Also was ist jetzt mit diesem Schüler, Nengwe war es, nicht wahr?", lächelte er amüsiert. Ich seufzte leicht und nickte kurz. Man musste eine Niederlage eingestehen können, wenn es offensichtlich war. Vielleicht war es für jetzt wirklich besser einfach die Tochter von Thranduil zu sein und nicht die Prinzessin.
„Ich kann die Aufgabe nicht einfach abtreten. Wirst du du mir helfen?", fragte ich zögerlich, worauf Legolas bloß lächelte.
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