Nächtliche Gespräche
Ich hatte den Kopf in meine Hand gestützt, während ich meine Aufzeichnungen der letzten Monate noch einmal überflog.
Tag 6
Heute habe ich ein zweites Nest ausfindig machen können. Es wurde von denen im ersten angegriffen. Zunächst dachte ich, dass es ein normaler Revierkampf wäre, doch dann haben sie sich unterworfen und...
Ich blätterte wieder um. Es fühlte sich an, als würde mir eine wichtige Information fehlen, etwas, das ich übersah und irgendwo in meinem Hinterkopf hauste.
Tag 32
Ich bin mir endlich sicher, was die Hierarchie betrifft. Die Ältesten werden, (ganz im Gegensatz dazu, wie die Wölfe sich in dieser Hinsicht verhalten), vertrieben oder umgebracht und die Kinder werden mit dem versorgt, was sie brauchen. Die Sucher haben das Kommando, sobald sie zurückkehren, nur manchmal...
Ich seufzte schwer. Sucher, Späher, Jäger, Nesthüter, da war es schwer den Überblick zu behalten, wenn man das alles eigentlich aus seinem Gedächtnis verdrängen wollte. Meine Augen wanderten zu der großen Karte vor mir, wo ich alle bekannten Nester eingezeichnet hatte. Bis vor ein paar Tagen war sie noch aktuell gewesen, doch nun, da Tithen von dem drohenden Angriff wusste, konnte sich einiges geändert haben.
Ein letztes Mal blätterte ich einige Seiten weiter und blieb an einer Zerknitterten stehen. Nur flüchtig überflogen meine Augen die wenigen Zeilen:
Tag 67
Ich habe heute herausgefunden, dass es eine weitere Aufgabe gibt, die immer nur eine Spinne pro Nest übernimmt. Zwischen manchen Kolonien herrscht ständiger Kontakt, wodurch sie sich sicherer fühlen und sorgloser benehmen. Dieses Ausmaß an Intelligenz überrascht mich.
-> Potenzielle Schwäche, wenn Botschafter ausgeschaltet werden
„Botschafter", murmelte ich vor mich hin und kniff kurz die Augen zusammen. Bevor ich Tithen kennengelernt hatte, waren sie die perfekte Möglichkeit gewesen, neue Nester zu finden, doch das hatte ich komplett aus den Augen verloren.
Schon etwas mehr zufrieden schrieb ich es gleich nieder und änderte meinen Plan ein wenig ab. Es musste alles perfekt sein, wenn es funktionieren sollte. Diese Spinnen waren eine Bedrohung für mein Reich und das würde ich nicht akzeptieren. Ich zögerte.
Es klopfte. Verwirrt sah ich zu meiner Tür, doch stand noch nicht auf. Es war mitten in der Nacht. Ich hatte nicht schlafen können und da ich demnächst immer noch diesen Angriff gegen die Spinnen anführen musste, hatte ich mich einfach daran gemacht, einen Plan auszuarbeiten.
Um diese Zeit waren eigentlich keine Besucher gestattet.
Abermals klopfte es. Nun erhob ich mich doch und sperrte auf. Ich hatte mich wieder umgezogen, als ich mich ans Arbeiten gemacht hatte.
Sprachlos starrte ich in die grünen Augen Lagornems. „Diese späte Störung ist mir mehr als nur unangenehm, glaubt mir, doch es ist wichtig", sprach er etwas aufregt. Hinter ihm konnte ich wieder eine Wache erkennen, die sich im Hintergrund hielt.
„Und warum hast du ihn hier hineingelassen?", fragte ich und neigte mich ein wenig zur Seite, um den Elben hinter Lagornem anzusehen. Er lief sofort ein wenig rot an. „Verzeiht, er sagte er kennt Euch und es wäre ein Notfall", erklärte er hastig. Ich lächelte belustigt. „Und ihr beide seid befreundet, nicht wahr?", fragte ich, worauf sich die beiden einen schuldbewussten Blick zuwarfen.
„Schon gut, was ist denn der Notfall?", fragte ich und lehnte mich am Türstock an. „Nengwe, er hat gesagt, dass er Euch etwas Wichtiges zu erzählen hat, aber er wird es nur jetzt tun", erklärte der große Bruder und sah mich flehend an. Ich wog kurz ab, ob es die Diskussion wert war, doch entschied mich dann dagegen. Als aufmüpfiger Schüler hatte man wohl kaum das Recht zu sagen, dass man nur gerade jetzt, mitten in der Nacht mit der Prinzessin sprechen wollte, doch morgen war er sowieso verbannt und ich war auf die Geschichte gespannt, also nickte ich kurz und holte mir schnell einen Mantel, bevor ich den beiden folgte.
„Wie hast du es denn geschafft, dass er plötzlich reden will?", fragte ich interessiert, während ich noch meine Haare aus dem Mantel zog und zwischen ihm und der Wache ging. Ich war recht selten bei Nacht unterwegs.
„Ich weiß es nicht, er hatte ein ziemlich langes Gespräch mit unseren Eltern und mir, bis ihm wohl endlich aufgefallen ist, dass er wirklich verbannt werden könnte", erklärte Lagornem ratlos. Ich nickte verstehend. Die Erklärung zu hören, würde wirklich spannend werden. Ich vermutete, dass noch mehr dahintersteckte als bloß die Angst vor irgendwelchen Mitschülern.
„Ich kann nicht oft genug sagen, wie unangenehm es mir ist, Euch so spät zu holen", murmelte er peinlich berührt nach einer kurzen Stille, als wir den königlichen Trakt und die Wache hinter uns gelassen hatten. Solange das hier nur einmal geschah, würde niemand etwas zu befürchten haben. Mir war es auch ziemlich egal, wenn ich so spät geweckt wurde. Bloß hatte Thranduil seine Regeln, die auch verständlich waren. In der Nacht waren nun einmal weniger Leute wach, die ihn bei einem Angriff verteidigen könnten.
„Es ist wirklich in Ordnung. Wie du siehst, habe ich sowieso noch nicht geschlafen und die Geschichte von ihm interessiert mich, also", lächelte ich. Es fühlte sich gut an, endlich wieder die alte Níniel zu sein, die Fehler verzeihen durfte.
Mein Begleiter seufzte erleichtert und schlug den Weg Richtung Schülertrakt ein. So still hatte ich ihn selten erlebt. Man traute sich schon fast nicht zu sprechen. Bloß ein paar wenige magische Lampen an den Wänden, erleuchteten den Weg. Der ganze Palast war von ihnen erfüllt.
Auch Lagornem schien die erdrückende Stille aufzufallen, denn bis wir bei dem Zimmer seines Bruders angekommen waren, blieben wir beide schweigsam.
Vorsichtig traten wir ein, wobei trotzdem ein Knacken ertönte, das durch den langen Gang widerhallte. Wir verschwanden einfach schnell im sicheren, erleuchteten Zimmer und standen Nengwe gegenüber, welcher schnell aufsprang und uns entgegenkam.
„Ich habe gehört du hast etwas zu sagen?", fragte ich erwartungsvoll. „Ja, ich ähm, ein Freund hat gesagt, dass er diese besondere Waffe hat und ich dachte mir, dass das schon genügen würde und habe sie mir einfach geholt. Ich habe nicht gewusst, dass das so etwas Besonderes ist, es tut mir leid", sprach er und sah mit großen Augen zu mir auf. Ich wartete kurz, ob da noch was kam und verschränkte dann etwas genervt meine Arme.
„Weiter?", fragte ich, als er immer noch nicht erklären wollte, was das alles hier sollte.
„Ich will nicht verbannt werden, bitte. Ich wusste doch gar nicht, was das ist!", rief er verzweifelt und sah mich flehend an. „Das ist schön, dass es dir leidtut, aber das ändert nichts an dem Fakt, dass du ihn hattest." Der Kleine wurde nun auch langsam beleidigt. „Ich habe erst heute gehört, dass es der Dolch von diesem König war", ich verkniff mir einen bösen Kommentar und warf Lagornem einen Blick zu, welcher einfach wütend auf seinen kleinen Bruder starrte. „Ich bin mir sicher ihr habt das gelernt", antwortete ich schließlich und versuchte zu ignorieren, wie er gerade über meinen Großvater und ehemaligen Herrscher dieses Reiches gesprochen hatte.
„Ihr wisst doch, wie das ist. Man lernt diese Dinge nur für den Test", versuchte er sich zu verteidigen. „Das ist keine Ausrede! Du hast selbst gesagt, dass du wusstest, dass es eine verbotene Waffe ist. Du hättest sie erst gar nicht berühren dürfen und schon gar nicht behalten. Was wolltest du eigentlich damit?", antwortete ich hart. Langsam machte es mich ein wenig wütend, dass man wirklich kaum etwas aus diesem Schüler herausbrachte.
„Das kann ich wirklich nicht sagen, bei allem Respekt." Ich schnaubte abwertend. Respekt, der Kleine hatte doch keine Ahnung von Respekt!
Ich deutete Lagornem, dass er mir kurz folgen sollte und führte uns einige Meter weg.
„Was würdest du an meiner Stelle tun?", fragte ich interessiert und sah ihn an. Er blickte verwirrt zurück. „Was?", antwortete er bloß. „Wenn du nicht mit ihm verwandt wärst und die Entscheidung fällen müsstest, was mit ihm passieren soll, was würdest du tun?", wiederholte ich. Er zögerte lange und als ich fast schon dachte, dass da nichts mehr kommen würde, setzte er zu einer Antwort an: „Ihn verbannen, vermutlich." Ich lächelte zufrieden. So schlimm würde es ihn wahrscheinlich nicht treffen, aber es war gut zu wissen, dass er verstand, warum ich es tat.
„Danke, für deine Ehrlichkeit", murmelte ich schnell und ging wieder zurück zu Nengwe. Lagornem sah mir immer noch überrascht und verwirrt nach. Vermutlich wollte ich auch ein wenig die Bestätigung, dass ich das Richtige tat, obwohl ich gestern noch ziemlich lange mit meinem Bruder gesprochen hatte.
„Was würde es denn bringen, wenn ich dir den Namen dieses Freundes sage?", fragte Nengwe und setzte ein Gesicht auf, als könnte er mit mir darüber verhandeln. „Du dürftest vielleicht in diesem Königreich verweilen", antwortete ich ruhig.
„Im Königreich? Das heißt ich würde vom Palast verbannt werden?", fragte er verwirrt, woraufhin ich leicht lächelte. Er hatte es immerhin schneller als Legolas verstanden.
„Das wird sich nicht vermeiden lassen", antwortete ich und warf seinem Bruder einen Blick zu, welcher nachdenklich ein wenig abgewandt neben uns stand. Der Schüler sah mich mit großen Augen an. „Aber ich muss hierbleiben! Ich, ich mache alles!", rief er außer sich. Endlich schien er die Situation vollends begriffen zu haben.
„Dann solltest du mal damit anfangen, zu erklären, wer dir diesen Dolch angeboten und warum du ihn an dich genommen hast", knurrte Lagornem, der inzwischen auch ziemlich genervt schien und seinen Bruder mit eisigem Blick anstarrte.
„Er heißt Sirion und ist in einer der Abschlussklassen, aber wenn er herausfindet, dass ich ihn verraten habe, bekomme ich wirklich große Probleme!", erklärte der Kleine und knetete unruhig seine Hände. „Und warum hast du ihn angenommen?", nahm Lagornem mir das andauernde Nachfragen ab, worüber ich gar nicht so unglücklich war. Er kannte Nengwe schließlich am besten.
Nun machte sich schiere Panik im Gesicht seines kleinen Bruders breit. „Das kann ich wirklich nicht sagen! Er würde mich umbringen!", stotterte er und sah unsicher zwischen uns beiden hin und her. Ich musterte in misstrauisch.
„Wer würde dich umbringen?", fragte Lagornem eindringlich nach. Mir war klar, dass er darauf keine Antwort erhalten würde. Er hatte seinen Punkt klargemacht. Aber was konnte ich schon tun? Er durfte nicht einfach im Palast bleiben, nur, weil er von irgendwem bedroht wurde.
„Du hast noch ein paar Stunden Zeit, es dir zu überlegen", knurrte ich, als Nengwe wie erwartet keine Antwort von sich gab und machte mich auf in Richtung Tür. Ich war mir nicht ganz sicher, was der Sinn dieses nächtlichen Treffens gewesen war, immerhin hätte der Kleine das auch einfach bei Sonnenaufgang sagen können, doch er war nervös angesichts seiner drohenden Verbannung, weshalb ich es erst einmal ruhen ließ.
Alles war noch einmal um einiges stiller, als ich alleine durch die Gänge und über einige Brücken in der Haupthalle schritt. Hin und wieder begegnete ich einigen Wachen, die mich etwas überrascht und ohne viele Worte grüßten und dann ihres Weges gingen.
Sobald ich den königlichen Teil des Palastes betrat, kam ich nicht umhin, mich ein wenig sicherer zu fühlen, obwohl mir davor auch nicht viel hätte passieren können. Mir ging die Panik nicht mehr aus dem Kopf, die sich auf Nengwes Gesicht ausgebreitet hatte. Ich bezweifelte, dass nur die Angst vor diesem Sirion dafür verantwortlich war. War es wirklich so schlau, die einzige Möglichkeit an den ursprünglichen Dieb des Dolches heranzukommen, zu verbannen?
Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer und trat ein. Kurz zögerte ich, als sich ein schlechtes Gefühl in meiner Magengegend breitmachte.
Ich kniff misstrauisch meine Augen zusammen und steckte kurz meinen Kopf in alle Zimmer, um mich zu versichern, dass mich mein Gefühl trügte. Alles war so still, wie ich es zurückgelassen hatte. Auch auf meinem Schreibtisch war alles beim Alten.
Ich seufzte leise und entschloss mich, mich noch einmal hinzulegen.
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