6. Me and you and... Steve
Die Daheimgebliebenen beschlossen, mit ihrer Erkundungstour durch New York, die unter Garantie mit exzessiven Shoppingorgien enden würde, solange zu warten, bis Lucia von ihrem ersten Arbeitstag zurückkommen würde.
Lucia hatte hoch und heilig versprochen, dass es sich nur um ein Bekanntmachen des Betriebes handeln würde und sie bereits am frühen Nachmittag zurück sein würde.
Bis dahin machten sich die drei Freunde in der Wohnung zu schaffen: Damian erkundete sämtliche Räume, da er an der gestrigen Führung nicht teilgenommen hatte, Clara ging die verschiedenen Regale im Wohnzimmer durch und entdeckte zu ihrer Freude einige alte Ausgaben von Sherlock Holmes, die sie sofort in ihr Zimmer brachte, um sie später zu verschlingen und Roxy schlug ihrerseits die Zeit tot, indem sie anfing, die Möbel in ihrem Zimmer zu verrücken, um dann festzustellen, dass die Ausgangsordnung doch die beste gewesen sei.
Zum Schluss fanden sich alle im Wohnzimmer wieder, wo sie sich auf dem Sofa lümmelten und versuchten, etwas von den englischsprachigen Nachrichten zu verstehen, bis Damian auf die geniale Idee kam, Lucia vom Bahnhof abzuholen, um sofort Manhattan zu durchforsten. Und so standen alle, Lucia im Schlepptau, Punkt halb drei an der Brooklyn Bridge und diskutierten.
"Wir sollten erst nach Chinatown gehen, wenn wir Hunger haben! Ich hab keine Lust, von der chinesischen Mafia entführt zu werden!"
"Und genau das ist der Grund, warum wir zuerst nach Chinatown gehen sollten!", widersprach Clara ihrer Freundin. "Wenn wir da mit den ganzen Einkaufstüten aufkreuzen, werden wir garantiert überfallen!"
Roxy ließ sich davon nicht abbringen. "Aber da hätten wir vorher Zeit, uns Waffen zu kaufen!"
"Herrscht garade Zombieapokalypse oder warum glaubt ihr, dass euch alle umbringen wollen?", mischte Damian sich in das Gespräch ein.
"Wer redet von Zombies? Das sind Chinamänner! Die sind viel gefährlicher!"
Roxy sah sich nach allen Seiten um.
"Ach, werden wir jetzt auch noch rassistisch?" Clara stemmte ihre Hände in die Hüften und betrachtete Roxy von oben nach unten.
"Was kann ich dafür, wenn das alles Ninjas sind und alle aussehen wie Jackie Chan! Und die sind so klein!"
"Nein!", Damian schüttelte entschieden den Kopf. "Das ist nicht rassistisch! Niemals!"
Lucia schnaubte durch die Nase: "Auch wenn es niemanden interessiert, wir haben noch fünf Tage, bevor die Uni losgeht! Also entweder wir teilen uns auf odet wir verschieben Chinatown auf morgen!" Damian brummte: "Mit Teilen hab ichs nicht so!"
"Ich weiß!", Lucia warf ihm einen giftigen Blick zu. "Also gehen wir erstmal einkaufen!" Die drei anderen verstummten. Bei Lucia kam ein solcher Tonfall einem Wutanfall mit zerstörten Möbeln gleich.
Da niemand etwas entgegnete, schulterte sie ihre Tasche, stellte sich neben den Straßenrand und begann, heftig zu winken.
Die anderen sahen ihr eine Weile zu.
"Was machst du da?", fragte Damian schließlich halbherzig. Lucia ließ den Arm fallen und sah ihm mit gerötetem Gesicht an.
"Ich hol ein Taxi!", sagte sie.
"Lass das mal den Meister machen!" Roxy schob sie unsanft beiseite.
"Schließlich war ich schon mal in New York!"
Tatsächlich hielt kaum eine Minute später ein Taxi, in dem sich die Vier auf die Rückbank quetschten. Nach mehrfachem Wiederholen ihres Ziels reihte sich der Fahrer wieder in die Straße ein.
Während der zehnminütigen Fahrt diskutierten Damian und Roxy über die Notwendigkeit von Haarspülung, bis Clara sie antippte und mit offenem Mund aus dem Fenster wies, vor dem sich die spiegelenden Wände der Wolkenkratzer sich endlos aneinanderreihten.
"Wow!", hauchte Lucia. "Die sind ja noch viel hässlicher, als ich dachte!"
Damian verpasste ihr trotz der Enge der Kabine einen Stoß. "Was würde dein Bruder jetzt wohl sagen?", feixte er. Georg studierte irgendwo in der Welt Architektur mit den besten und schenkte seiner kleinen Schwester jedes Jahr ein Puzzle mit einer neuen Scheußlichkeit. Trotzdem setzte Lucia beharrlich die Teile zusammen und hing sie in ihrem Elternhaus in den Flur.
Jetzt verstummte sie und starrte abwesend aus dem Fenster, sodass es Damian fast leid tat.
Die Ecke, die Roxy dem Taxifahrer genannt hatte, war goldrichtig für eine Shoppingtour. Und obwohl Damian ununterbrochen behauptete, sie hätten ihn nur zum Tütenschleppen mitgebracht, ließ er keine Gelegenheit aus, um die ausgewählten Kleidungsstücke zu kommentieren und verführte geradezu zum Kauf.
"Will jemand Kaffee?", fragte Roxy plötzlich. Ein Blick auf die Uhr und sie fühlte sich ausgelaugt.
"Schwarz, mit Zucker!" Damian hob abschätzig einen Strickpullover hoch. "Der stammt noch aus Großmuttis Zeiten!", kommentierte er.
"Ich habe nicht gesagt...", setzte Roxy an.
"Kannst Du mir einen Latte Macchiato mitbringen?", fragte Clara erfreut und stand mit zwei unterschiedlichen Schuhen an den Füßen neben ihr, die beide weit über ihrer Gehaltsklasse lagen.
Roxy gab sich geschlagen.
"Möchtest du auch was, Lucia?", rief sie und die Italienerin lugte aus der Kabine hervor.
"Soll ich mitkommen, ich zieh mich nur schnell um...", redete sie hastig los.
"Sag mir einfach, was du willst!" Unwirsch sah Roxy sie an. Dafür war es jetzt etwas zu spät.
"E-ein Cappucino wär toll!", stotterte Lucia verunsichert. "Bist du s...?"
Roxy drehte sich um und rauschte graziös davon.
Der nächste Coffeeshop, auf den sie stieß, war klein, dämmrig und sah nach Hipster aus. Roxy ignorierte die dümmliche Türklingel, blieb an der Theke stehen und ratterte ihre Liste herunter.
"To Go!", setzte sie noch nach und starrte den Verkäufer grimmig an, der sie verschreckt ansah.
"Ja, Ma'am!"
Der Mann mit einer beeindruckenden Anzahl von Piercings machte sich an die Arbeit und Roxy trat einen Schritt zurück, die Fäuste in den Hüften.
"Sie brauchen so viel Kaffee?", ertönte eine überraschte Stimme neben ihr.
Roxy drehte sich um und sah Gottes größte Schöpfung vor sich:
Groß, dunkelblonde Haare, wundervolle blaue Augen und zugegebenermaßen einfach gutaussehend. Ihr Kopf setzte aus.
"Entschuldigung?", fragte sie verdutzt. Seit wann gab es Engel auf der Erde?
"Vier große Becher Kaffee!" Der Fremde wirkte sichtlich beeindruckt.
"Sie denken, ich trinke vier Kaffee alleine?" Roxy starrte ihn an, ihre Gedanken hatten einen Sprung.
Der Mann senkte den Blick. Nein! Seine Augen!
"Entschuldigung ich wollte nicht..."
"Sie wollten nicht was?", hakte Roxy nach, in der Hoffnung, ihren Kopf neuststarten zu können. Der Fremde schüttelte den Kopf. Er sah unglaublich aus.
"Entschuldigen Sie die Störung!", murmelte er und drehte sich um.
Geh nicht! Roxy sah ihm hingerissen hinterher. Wie hielt sie ihn auf?
"Stop!", rief sie laut und der Fremde drehte sich um, Verwirrung im Blick.
Roxy nickte mit dem Kopf in Richtung Theke.
"Noch einen Kaffee!", rief sie aus. Was machte sie da? Der Verkäufer gehorchte sofort.
Roxy schätzte den fremden Mann ab.
"Milch, ohne Zucker!" Sie hoffte, dass sie sich nicht irrte. Dem verwirrten Gesicht des Mannes zu urteilen, ja.
Er kam zurück.
"Was..." Oh, Gott, jetzt wird er sie für dumm erklären.
"Jetzt trinke ich den Kaffee nicht alleine!", unterbrach sie ihn. Der Logik sei gedankt, er lächelt!
Der Verkäufer an der Theke überreicht ihnen den Kaffe und Roxy legt ihm einen Zwanzig-Dollar-Schein auf die Tresen. Ihr Tag hat sich gerade verbessert.
Sie suchte ihren Becher und nahm einen Schluck.
Der Mann neben ihr räusperte sich.
"Sie trinken den Kaffee nicht alleine!", meinte er schüchtern. "Sie haben ihn für Ihre Kollegen gekauft."
Er wirkte beschämt und Roxy konnte sich ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen.
"Der Groschen ist gefallen!", sagte sie und ging voraus.
Der Mann stutzte, starrte seinen heißen Kaffee an und setzte dann hinter ihr her.
"E-eigentlich sollte ich Ihnen einen Kaffee spendieren!" Er lief neben ihr her.
"Aber dafür waren Sie etwas zu langsam!" Roxy grinste ihn an und hob ihren Kaffee. "Zum Wohl!"
Der Mann nickte und nahm einen Schluck. Sollte sie ihn nach...
"Ich heiße Steve!", kam der Fremde ihr zuvor. Roxy blieb stehen und schüttelte die dargebotene Hand. Sie war groß und warm.
"Roxana.", erwiederte sie und rollte bei Steve verwirrtem Blick innerlich die Augen. Die Reaktion auf ihren sonderlichen Namen kannte sie gut.
"'Morgenröte' auf persisch!", sagte Steve. "Ich habe noch nie jemanden mit diesem Namen kennengelernt." Bitte was? Roxy sah ihn überrascht an. "Das ist nicht die übliche Reaktion!", sagte sie. "Woher wissen Sie das?"
Steve lachte auf: "Die Frau Alexander des Großen hieß so.", antwortete er und nahm einen Schluck.
"Richtig!" Roxy erinnerte sich daran, wie ihr Geschichtslehrer sie immer damit aufgezogen hatte. "Die erste von vielen!", setzte sie hinzu. Sie spürte Steves überraschten Blick von der Seite. "Sowas lernt man doch noch in der Schule?"
Warte, wie alt war er? Für wie alt hielt er sie? Roxy schätzte ihn allemal Anfang dreißig, das machte zwar einen Unterschied, aber nicht soviel, dass er wie ein alter Mann sprach.
"Wie alt sind Sie?", fragte sie. Ob das zu forsch war? Das war Roxy völlig egal. Er sah gut aus!
"Ähm..." Steve räusperte sich. "... zweiundreißig..." Roxy überlegte, ob er sich während des Zögerns ein paar Jahre jünger oder älter gemacht hatte. Sie erkannte, dass es ihr egal war. Wie gesagt, er sah nicht schlecht aus und sie spürte immer noch seinen festen Händedruck.
"Also in den paar Jahren hat sich die Schule nicht so viel verändert.", meinte sie, als ihr Handy aufsummte. Innerlich aufstöhnend griff Roxy in ihre Tasche. Damian hatte ein Händchen für unpassenste Anrufe.
"Hey Rox!", rief der Pole in den Hörer. "Wir sind alle am Stark-Tower angelangt. Frag nicht wie! Weißt du wie der aussieht?"
Roxy runzelte die Stirn: "Denkst du etwa, ich trag euren blöden Kaffee...?"
"Danke, ich liebe dich!"
Klick, aufgelegt. Roxy starrte das Handy in ihrer Hand an und wünschte sich, sie könnte ihren Freund eine knallen.
"War das...", Steve zögerte. "... Ihr Verlobter?"
Roxy wollte anfangen zu lachen, bis sie merkte, dass er Damians letzten Satz gehört haben musste. Jetzt wünschte sie, sie könnte Damian umbringen.
"Nein!", sagte sie. "Nur ein sehr nerviger und sehr anhänglicher Freund." Steve nickte, was Roxy als positives Zeichen auffasste.
"Zum Stark-Tower?", fragte er stirnrunzelnd. "Ihre Freunde haben sich aber ziemlich verirrt!"
Roxy sah ihn fragend an: "Wie weit ist es bis dahin?"
Steve dachte nach: "Vielleicht zehn Minuten. Ich begleite Sie!"
Das hat er nicht... Roxy flippte aus. Innerlich, vorerst.
"Ist es ein Problem für Sie?", Steve sah sie fragend an. Hatte sie mit der Antwort zu lange gewartet? Roxy schüttelte den den Kopf:
"Nein, gar nicht!"
~¤~
Sie trafen die anderen am Eisstand gegenüber des Stark Towers.
Die drei hatten sich in die Sonne gesetzt und leckten an ihren Eistüten. Clara und Lucia waren in ein lebhaftes Gespräch verwickelt, sodass
Damian sie als Erster bemerkte und ihnen zuwinkte. Er drehte den Kopf und sagte etwas zu den beiden anderen, wurde aber gefllissentlich ignoriert.
"Hast du den Kaffee?"
Roxy war kurz davor, ihn mit der Palette zu bewerfen.
"Nein!", sagte sie trocken und hielt ihm seinen Becher hin.
Lucia hörte auf, an ihrem Eis zu lecken und sah Steve nachdenklich an:
"Sie sind größer als Roxy!", stellte sie fest.
"Tatsache!" Damian wich verblüfft einen Schritt zurück: "Stellt euch nebeneinander!", kommandierte er und schob beide zusammen. Clara sah ebenfalls erstaunt vom einen zum andern: "Das stimmt!", rief sie aus. "Mindestens ein halber Kopf Unterschied!"
"Super!", meinte sich Roxy sakastisch. "Jetzt gibt es tatsächlich einen Menschen auf diesem Planeten, der größer ist als ich!"
"Wir müssen Foto machen!", rief Clara begeistert und schob beide in Nullkommanichts wieder nebeneinander und sprang einen Schritt zurück. Die zwei Giganten hatten gerade noch Zeit, verblüfft zu lächeln, da klickte schon der Auslöser.
"Stimmt nicht ganz!", widersprach Damian, der sich ebenfalls ein Magnum stibitzt hatte, Roxys vorheriger Aussage. "Torsten ist auch ein Stück größer als du!"
Roxy starrte ihn verwirrt an: "Wer ist Torsten?"
"Na, der eine neue Mieter!", Damian runzelte die Stirn.
"Der hieß doch so? Torsten und Lukas!"
Clara schüttelte nachdenklich an ihrem Eis lutschend den Kopf:
"Nein, ich glaube die hießen anders!"
Damian zuckte gelangweilt mit den Schultern:
"Ist auch egal! Wann kommen die eigentlich wieder?"
Roxy spürte ihre Ohren rot werden. Wie konnten die drei sie so blamieren und Steve komplett ignorieren.
"Sorry, meine Kristallkugel ist kaputt! Ansonsten hätte ich es dir jetzt sagen können.", meinte Clara bedauerend.
Damian näherte sich Lucia und brüllte ihr im Flüsterton ins Ohr: "Ich hab dir doch gesagt, sie ist eine Hexe!"
"Guck mal, ein Hündchen!", quitschte die Brünette begeistert. Damian sah sie vorwurfsvoll an: "Hast du mir überhaupt zugehört?"
Sie sah ihn mit großen Augen an: "Ja! Clara ist das Böse! Wir sollten einen Exorzisten holen!"
Ihr Freund nickte befriedigt:
"Das ist mein Mädchen!"
"Ihr habt es geschafft, dass ich nicht weiß, was ich von euch halten soll!", meinte Steve wie aus dem Nichts und die drei starrten ihn an, als wäre er ihnen aus einer Wolke Zuckerwatte unter himmlischen Gesängen erschienen.
Roxy beschloß, die Situation zu retten und nickte zustimmend: "Das haben unsere Lehrer auch immer gesagt!"
Plötzlich summte von irgendwo her ein Mobiltelefon.
Clara, Roxy und Damian sahen sich auf Kommando an und fragten gleichzeitig: "Ist das meins?" Sogar Lucia sah betroffen auf ihr Handy, auf dem sie gerade in Pinterest herumstöberte.
Steve schüttelte hastig den Kopf und fischte aus seiner Hosentasche sein Handy:
"Nein, meins!", grinste er und warf einen Blick darauf. Dann runzelte er die Stirn. "Ich fürchte, ich muss mich verabschieden!", sagte er verlegen.
Sofort erntete er ein bedauerliches"Ooooooch!", "Waruuuum?" und ein weinerliches "Aber wir haben uns doch eben erst kennengelernt!" von Damian.
Roxy hätte im Erdboden versinken können, aber Steve zuckte übertrieben seufzend mit den Achseln: "Die Pflicht ruft!" Und wandte sich zum Gehen. DER AUSERWÄHLTE LIEF WEG! Roxys Kopf lief Amok.
"Warte!"
Mit Entsetzen sah Roxy zu, wie Damian hinter Steve hersprintete, kurz mit ihm redete und ihm anschließend etwas auf die Handfläche kritzelte. Steve schien genauso peinlich berührt zu sein, wie Roxy, aber Damian lachte nur und schlug ihm auf die Schulter.
"Was hast du gemacht?", fauchte Roxy ihn an, als er zu ihnen zurückkehrte und schlug ihm gegen die Schulter.
"Aua!", Damian sprang zurück. "Ein Dankeschön wäre schon angebracht!" In ihr flatterte es.
"DU HAST IHM MEINE NUMMER GEGEBEN?", schrie Roxy und schlug fester zu.
"AUA...JA!", schrie Damian und wich zurück. Jetzt tat es Roxy ein klein wenig leid.
"Warum machst Du für mich nie sowas?", fragte Clara beleidigt.
"NOCH ein Hund!", rief Lucia begeistert. "Ein Shiba!"
Roxy griff sich mit beiden Händen an den Kopf und wünschte sich ganz weit weg, als ihr Handy vibrierte.
Eine Nachricht von einer unbekannten Nummer:
"Hi, hier ist Steve"
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