Kapitel 40 - Eine neue Allianz
»Genau so, Zosia!«, rief Witold Jorski begeistert und reichte seiner Tochter eine Schale voller Ingwerwurzeln. »Was musst du mit denen machen?«
»Erst zerstückeln und dann langsam erwärmen«, antwortete Zosia und zwinkerte ihrem Vater zu. »So wie es der heilige Libatius Borage auch gemacht hat.«
»Mach dich nicht über Libatius Borage lustig«, erwiderte Herr Jorski entrüstet. »Ohne ihn müssten wir immer noch Drachenklauen in solche Tränke werfen.«
Er zog zwei besonders krumme Ingwerwurzeln aus der Schale und bewegte sie über die Tischplatte auf seine Tochter zu, als wären sie der Fuß eines Norwegischen Stachelbuckels. Lachend nahm Zosia die Wurzeln aus seiner Hand und beförderte sie auf ein Schneidbrett, wo sie den Ingwer mit einem langen Messer geschickt zersäbelte.
»Ich mache mich doch gar nicht über ihn lustig. Aber findest du es nicht etwas albern, die Wurzeln mit einem Messer kleinzuschneiden, nur weil der entsprechende Zauber zu seiner Zeit noch nicht erfunden war und er ihn deshalb noch nicht genutzt hat?«
»Der entsprechende Zauber ist auch heute noch nicht erfunden«, korrigierte Herr Jorski. »Eure Schneidezauber, die ihr in Durmstrang verwendet, verändern die magischen Eigenschaften von Ingwer.«
»Aber die Tränke haben doch trotzdem funktioniert.«
Betont kräftig zerschlug Zosia das letzte große Stück ihrer Ingwerwurzel in zwei Teile.
»Nicht so gut, wie dieser hier«, widersprach Herr Jorski und reichte ihr die nächste Wurzel. In diesem Moment klopfte es an seiner Tür.
»Komm rein, Schatz«, rief er in Richtung der Tür. Er wusste, dass es niemand anderes als seine Frau sein konnte. Wenn er im Labor beschäftigt war, ließ sie niemandem zu ihm – zumindest nicht, ohne es vorher anzukündigen.
»Witold, hier ist ein Gast für dich«, bestätigte ihre Stimme kurz darauf seine Vermutung. »Er sagt, es sei dringend.«
»Jozefs Aufgaben sind immer dringend«, scherzte Herr Jorski. »Er könnte mal damit anfangen, mich zu rufen, bevor der Zauberstab gebrochen ist.«
»Es ist nicht der Minister. Es ist Georg Tuplantis aus Deutschland. Und er sagt, er braucht dich jetzt sofort – unverzüglich.«
Herr Jorski betrachtete unzufrieden den angefangenen Trank vor sich. Mit einem entschuldigenden Blick sah er zu seiner Tochter.
»Kannst du den Trank so aufräumen, dass ihm über Nacht nichts passiert und wir ihn morgen fertig machen können? Morgen mache ich das mit dir – auch wenn die Welt untergeht. Aber heute muss ich Georg helfen. Ich habe da ein ganz ungutes Gefühl.«
»Aber verlieren die Florfliegen nicht ihre Wirkung, wenn wir sie über Nacht stehen lassen?«, fragte Zosia nachdenklich. »Darf ich den Trank nicht einfach alleine zu Ende brauen?«
»Das ist viel zu gefährlich«, erwiderte Herr Jorski. »Denk doch nur, was alles beim Mörsern der Ingwerwurzeln passieren kann.«
»Beim Mörsern der Ingwerwurzeln?«, fragte Zosia. »Aber ich dachte, die würden gar nicht gemörsert. Es wird doch nur ihr Extrakt benötigt.«
Herr Jorski grinste seine Tochter an.
»Du hast den Test bestanden«, meinte er augenzwinkernd. »Ich wollte nur prüfen, ob du weißt, was du tun musst. Und das ist ganz offensichtlich der Fall. Viel Erfolg dir! Und sei vorsichtig!«
Er schenkte seiner Tochter eine Umarmung und einen Kuss auf die Stirn, dann stieg er die Treppe aus dem Labor in die Diele hinauf. Neben der Tür hing er seinen Kittel und seine Schutzbrille auf, bevor er sich seiner Frau zuwandte, die ihn mit ernstem Gesichtsausdruck ansah.
»Herr Tuplantis wartet im Flur«, sagte sie. »Er meinte, wenn er eintritt, ist die Versuchung zu groß, dass er einen Kaffee annimmt und länger bleibt.«
»Und nicht einmal du konntest ihn zu einem Kaffee überreden?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich bin gespannt, was er zu sagen hat«, meinte er und machte sich auf den Weg in den Flur. »Vielen Dank dir!«
Wenige Schritte später fand Herr Jorski heraus, dass Herr Tuplantis nicht einmal wirklich im Flur stand. Er stand im Türrahmen und er sah gestresst aus. Sein sonst so perfekt sitzendes, gewelltes Haar fiel in Strähnen über seine Stirn.
»Georg!«, grüßte Herr Jorski den Gast überrascht auf Deutsch. »Was führt dich zu mir?«
»Ich brauche dich«, sagte der Schulleiter unverblümt. »Zwei meiner Schüler sind entführt worden und Assmann weigert sich, sie zu befreien.«
»Zwei Schüler?«, wiederholte der Auror entsetzt. »Wer ist es?«
»Marina Johansen und Jan Maisner.«
Herrn Jorskis Gesicht füllte sich zuerst mit Trauer, dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck langsam in Ärger.
»Und Assmann weigert sich, ihnen zu helfen? Es ist ihr Pflicht als Zaubereiministerin, ihre Bürger – vor allem die jungen – zu schützen!«
»Ihrer Meinung nach ist es von oberster Priorität, den Hochsicherheitstrakt zu schützen«, erwiderte Tuplantis. »Sie meint, dass mehr als nur zwei Leben auf dem Spiel stehen, wenn die Phiole der Horkruxe noch einen Tag länger existiert. Sie soll heute zerstört werden und dabei sollen strengste Sicherheitsvorkehrungen herrschen.«
Herr Jorski sah seinen Besucher ungläubig an.
»Und sie hat nicht genügend Auroren, um sich um den Hochsicherheitstrank und die beiden Schüler zu kümmern?«
»Doch das hat sie«, erwiderte Herr Tuplantis. »Aber zur Befreiung der Schüler kann sie nicht einfach irgendwelche Auroren losschicken. Sie braucht die besten, wenn sie das Wohl der beiden Schüler nicht gefährden will. Aber sie weigert sich, wenigstens einen von Dreyer oder Marell zur Befreiung der Schüler loszuschicken.«
»Und du denkst, niemand anderes kann Jan und Marina finden?«
»Das Finden hätte ich ihnen noch zugetraut. Aber sie müssen nicht mehr gefunden werden. Sie müssen nur noch befreit werden. Gestern Abend ist ein Zeuge zu Christoph Marell gekommen, der das Hauptquartier von Pettigrew verraten hat.«
»Und Christoph ist sich sicher, dass es keine Falle ist?«
Herr Tuplantis schüttelte den Kopf.
»Das kann man nie ausschließen. Deswegen darf Assmann nicht irgendwelche Auroren zur Befreiung schicken«, antwortete er. »Niemand weiß, was sie erwartet.«
Herr Jorski zog einen Mundwinkel nach oben, als er erkannte, was sein Besucher plante.
»Und deswegen musst du jetzt zum Weltretter werden?«
»Ich will zwar die Welt retten, aber ein Weltretter möchte ich keiner werden«, erwiderte Herr Tuplantis. »Und eigentlich würde es mir auch schon reichen, die beiden Schüler zu retten. Aber du hast schon recht, es besteht die vielleicht einmalige Gelegenheit, Pettigrew das Handwerk zu legen.«
»Wo genau ist denn Pettigrews Hauptquartier?«, fragte Herr Jorski nach einer Weile.
»Sagt dir der Erkstag etwas?«
Auf Herrn Jorskis Stirn bildeten sich Falten.
»Der Erkstag? Ist das nicht ein Märchen?«
»Leider nein«, erwiderte Herr Tuplantis. »Es ist ein ehemaliges Gefängnis, in dem sich Pettigrew nun verschanzt hat.«
»Und du bist sicher, dass Pettigrew hält die Schüler dort versteckt?«
»Einige meiner Kollegen haben den Verdacht untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass die beiden tatsächlich im Erkstag sind.«
»Ich komme mit, Georg!«, bestätigte Herr Jorski. »Ich komme mit und gemeinsam werden wir Jan und Marina befreien.«
Herr Tuplantis breitete die Arme aus und schenkte Herrn Jorski eine kräftige Umarmung.
»Danke, Witold! Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann.«
»Wenn unser Plan aufgeht, schaffen wir es unbemerkt durch den Erkstag bis zu Jan und Marina«, fuhr der Schulleiter fort, als sie sich wieder gegenüberstanden. »Wenn unser Plan nicht aufgeht, wäre es gut, ein paar Auroren zu haben, die uns unterstützen können. Und falls wir der Meinung sind, dass die Lage geeignet ist, um Pettigrew das Handwerk zu legen, bin ich über Verstärkung ebenfalls sehr dankbar. Bis jetzt ist unser Team allerdings noch recht klein. Hast du noch ein paar Kontakte, die uns helfen könnten?«
»Wen habt ihr denn bereits rekrutieren können?«
»Christoph Marell versucht Svea Dreyer den Rücken freizuhalten, damit sie uns unterstützen kann. Zwei ihrer Leute trauen sie zu, uns bei dieser Mission zu unterstützen. Svea ist gerade mit ihnen in der Aurorenzentrale. Da beraten sie sich mit Flavia Widmer – auch sie wird uns unterstützen. Herr Goldenberg und Herr Lurcus haben darauf bestanden, ebenfalls mitzukommen. Und ich habe meine Kontakte spielen lassen und Rüdiger Repertor überredet, uns zu unterstützen.«
»Rüdiger Repertor?«, wiederholte Herr Jorski ungläubig. »Der Chef von MuggelMag? Aber er zeigt sich nie der Öffentlichkeit!«
»Er ist zutiefst verärgert über Pettigrews Angriffe auf MuggelMag-Läden und dessen allgemein sehr skeptische Haltung gegenüber MuggelMag«, sagte Tuplantis. »Dass Frau Hof auf Pettigrews Seite steht, hat das Fass für ihn zum Überlaufen gebracht. Sie hat sich schließlich seit ihrem Amtsantritt für ein Verbot von MuggelMag ausgesprochen. Er möchte zwar nicht aktiv mitkämpfen, aber uns vor Ort mit seinen Erfindungen unterstützen.«
Herr Jorski nickte beeindruckt.
»Ihr habt ein starkes Team auf die Beine gestellt. Ich kann versuchen, meine internationalen Kontakte um Hilfe zu bitten. Nach Pettigrews Angriffen letztes Jahr Skandinavien hat eine gemeinsame Eingreiftruppe unter Leitung von Frida Angeldahl gegründet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie uns helfen werden. Und dann könnten wir es mit Großbritannien versuchen. Ich weiß, dass Harry Potter sich ebenso wenig wie du um den Status eines Helden schert, aber ein Sieg über Pettigrew würde ihn endgültig zur Legende machen. Angesichts seiner Haltung zu Peter Pettigrew könnte ich mir gut vorstellen, dass er nicht abgeneigt ist, uns zu helfen.«
»Das klingt hervorragend, Witold«, meinte Herr Tuplantis beeindruckt. »Ich wünsche dir viel Erfolg. Sobald du alle gefragt hast, kannst du zur Aurorenzentrale kommen und dich am Schalter nach einer Frau Pfeiffer erkundigen. Sie weiß Bescheid und bringt dich zu unserer kleinen Allianz. Aber verkleide dich am besten. Wir wollen nicht, dass Assmann irgendetwas mitbekommt.«
»Ich liebe Verkleiden«, erwiderte Herr Jorski mit einem Augenzwinkern. »Bist du sicher, dass du nicht mit zu Angeldahl und Potter kommen möchtest?«
»Ich muss noch einmal mit Günther Haas sprechen«, erklärte Herr Tuplantis. »Er war guter Dinge, dass er auch noch ein paar Kontakte spielen lassen kann.«
Herr Jorski nickte verständnisvoll.
»Dann sehen wir uns später in der Aurorenzentrale. Lassen wir Europa zusammenkommen!«
»Lassen wir Europa zusammenkommen«, wiederholte Herr Tuplantis langsam. »Jetzt oder nie!«
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