»Jawoll Levi! Weiter so!«, brüllte Filio begeistert und klatschte laut in die Hände. Sein Umhang aus Buchenblättern raschelte dabei laut. Jan stimmte in seinen Jubel mit ein und fuhr seinen Stuhl ein Stück nach oben. Er saß auf einem der Plätze, die der Grund für Filios Abwesenheit in der letzten Woche gewesen waren. Gemeinsam mit Anna und Herrn Jeffer hatte er eine Mini-Tribüne gebaut, auf der sie die via modernster Muggel-Mag-Technologie übertragenen Spiele verfolgen konnten. Um sowohl für Anna, die aufgrund ihrer Höhenangst die Spiele, wenn überhaupt, vom Boden aus verfolgte, und für Marina, die gerne von oben einen Überblick auf das Geschehen hatte, eine ideale Sitzposition zu ermöglichen, hatte Filio höhenverstellbare Sitze eingebaut.
Auch wenn Levi bei den Haistra-Spielen natürlich nicht bei ihnen sitzen konnte, hatte er sieben Plätze eingebaut, für den Fall, dass sie auch mal ein Spiel ohne Haistra-Beteiligung schauen wollten. Heute war Levis Platz von Julius eingenommen worden, dem Ehura, der bei Jans erster Fahrt in einem Carl neben ihm gesessen hatte. Lina hatte es ganz offensichtlich vorgezogen, mit Max' Freunden das Spiel zu verfolgen und so saß heute Leif auf ihrem Platz. Seitdem Marina Jan über ihr Verhältnis mit dem stets lächelnden Ehura aufgeklärt hatte, konnte Jan die gemeinsame Zeit mit ihm wieder wirklich genießen. Eigentlich mochte er den jungen Dänen, der für jeden ein gutes Wort oder einen lustigen Spruch parat hatte und es war befreiend, ihn endlich wieder vorbehaltslos als Freund ansehen zu können.
Da Ehura nicht mitspielte, hielten sie in diesem Spiel mit Jan und seinen Hauskameraden zu Haistra. Ein gelegentliches »Das hätte unser Jäger jetzt aber besser hinbekommen« konnte Leif sich allerdings nicht immer verkneifen. Viel Gelegenheit, das zu sagen, hatte er allerdings nicht, denn Haistra legte ein mehr als ordentliches Spiel ab. Gerade passte Levi zu seinem Bruder Noah, der an zwei Jägern der Furhos vorbeiflog und dann auf die gegnerischen Torringe zuraste. Als der letzte Furho-Jäger ihm gefährlich nahekam, spielte er zu Amelie Beck ab, die nicht lange überlegte und aus weiter Entfernung abwarf. Der Ball landete mittig im rechten Ring und überraschte die Hüterin der Furhos – Tor! Es stand 210 : 80.
»Weiter so! Weiter so!«, rief Filio begeistert und auch Jan fiel in das laute Jubeln der Haistras mit ein. Das Spiel war eindeutig. Jetzt musste nur noch der Schnatz gefangen werden – vom richtigen Team. Um den Sieg auch im Falle eines gegnerischen Schatzfangs sicher zu haben, brauchte Haistra noch zwei Tore.
Doch aktuell griffen wieder die Gegner an. Durch geschicktes Passspiel tricksten sie die Jäger der Haistras aus und gelangten schnell wieder vor deren Torringe. Doch diese wurden von Levi bewacht, als wäre er ein Drache, der sein Ei beschützt. Trotz einer gemeinen Finte war er zur richtigen Zeit am richtigen Ring und fing den Quaffel souverän auf.
Wieder ertönte Jubel auf dem Hof und auf Filios Tribüne.
Jan sah wie Julius' Stuhl auf seine Höhe anstieg.
»Levis Paraden sind Weltklasse!«, meinte er anerkennend. »Es ist beeindruckend, wie wir uns alle in diesem einen Jahr nur verbessert haben. Und so schade, dass es dieses Jahr keine Quidditchwochen gibt.«
»Das wäre wirklich spannend geworden«, stimmte Jan zu. »Und wir haben ja noch eine Rechnung offen. Unser Spiel letztes Jahr ist ja nicht einmal zu Ende gespielt worden.«
Julius legte nachdenklich den Kopf schief.
»Stimmt, so war das«, erinnerte er sich. »Da hatten die Lehrer dann bemerkt, dass der Bann manipuliert worden ist und uns sofort in die Burg geholt.« Er schüttelte den Kopf bei der Erinnerung an diese Zeiten. »Unvorstellbar, dass das erst ein Jahr her ist. Es fühlt sich irgendwie so an, als wären wir schon immer in Nurmengard gewesen.«
»Ja, irgendwie schon. Anfangs hätte ich nie gedacht, dass man sich hier einleben kann. Aber mittlerweile finde ich es hier fast schöner als in Winterfels.«
»Obwohl es manche Sachen gibt, die ich nach wie vor vermisse«, mischte sich Leif ein, der seinen Stuhl ebenfalls auf ihre Höhe befördert hatte. »Natürlich ist Filios Tribüne hier eine großartige Erfindung, aber nichts geht über das Piratenschiff in Winterfels.«
»Das fandest du so toll, dass du mich überredet hast, mitten in der Nacht mit dir dorthin zu fliegen«, erinnerte sich Marina. Jan zuckte erschrocken zusammen, als er ihre Stimme hörte. Er hatte gar nicht gemerkt, wie sie ihren Stuhl ein Stück nach unten zu ihnen gefahren hatte.
»Ich habe es vorgeschlagen«, korrigierte Leif. »Du warst so begeistert von der Idee, dass da gar kein Überreden möglich war.«
Beide lachten laut bei der Erinnerung an dieses Ereignis. Und Jan merkte, wie gut es tat, sich einfach mit ihnen freuen zu können. Die nächsten Worte von Marina gingen allerdings in einem ohrenbetäubenden Lärm unter.
Als Jan seinen Blick wieder auf das Spielgeschehen richtete, sah er den Grund dafür. Das Hologramm von Fiete Beck flog mit einem Schnatz in den Händen durch den Innenhof und streckte jubelnd die Faust in die Höhe.
»350 : 80«, stellte Julius beeindruckt fest. »Das ist ein ordentliches Ergebnis.«
»Und entscheidend für den Quidditchpokal«, erinnerte ihn Marina. »Weil ihr gestern gegen Kesten gewonnen habt, sind wieder alle Karten offen. Die nächsten zwei Spiele werden die Entscheidung bringen.«
Allerdings gab es schon zwei Wochen danach das nächste Ergebnis. Eines, das bei weiten bedeutender war als der Ausgang der Partie Haistra gegen Ehura. Am 22. Februar wurde ein neues Zaubereiministerium gewählt – und ein neuer Zaubereiminister. Und im Vorfeld konnte niemand sagen, wer gewinnen würde. Je nachdem, welche Umfrage man sich ansah, war mal Haas und mal Assmann vorne. Und bis zum letzten Wahlkampftag wurde um Stimmen gerungen. Besonderes Aufsehen erregte der eindeutig magisch ausgeübte Anschlag auf ein Muggelgebiet in Hamburg. Während Assmann Haas politisches Versagen nachsagte, unterstellte der ihr, mit den Verantwortlichen zusammenzuarbeiten, um an die Macht zu kommen.
Und so erwarteten nicht wenige in Nurmengard mit Spannung am Sonntagmorgen nach dem Wahltag die tägliche Eule. Während Nora und Leander die Zeitung noch aufhingen, warfen bereits die ersten Schüler einen Blick über deren Schulter. Selbst Jan, der noch im Türrahmen zum Kiosk-Korridor stand, konnte hören, was danach verkündet wurde.
»Haas hat gewonnen!«, rief ein Viertklässler aus Kesten. Die Schüler im Gang wiederholten seine Worte, als wären sie sein Echo. Und Jan hörte sie noch lange in seinem Kopf. Haas hatte gewonnen. Es würde alles beim Alten bleiben.
Dass Politik nicht so einfach funktionierte lernte er am Mittwoch im MaPoWi. Natürlich analysierte Herr Wolff mit ihnen das Ergebnis der Wahl. Zuerst gingen sie die Expertenmeinungen zu den möglichen Gründen für Haas' überraschend klaren Sieg durch. Dass das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen ausgefallen war, verwunderte einige. Mit 42,3 % hatte Haas' Lindjon-Partei gut zehn Prozent mehr geholt als die Neue Zukunft.
»Man kann davon ausgehen, dass die Menschen in Krisenzeiten, wie wir sie aktuell erleben, ihre Stimmen eher der Lindjon-Partei anvertrauen, die sie auch in der Vergangenheit schon durch schwere Krisen geführt hat«, fasste Herr Wolff den ersten Teil der Doppelstunde zusammen. »Ob Umfragen gefälscht worden sind, wie zum aktuellen Zeitpunkt von Teilen der Medienlandschaft vermutet wird, ist noch reine Spekulation.«
Doch danach fing der komplizierte Teil der Wahl an. Obwohl Haas zwar klar gewonnen hatte, fehlte ihm eine absolute Mehrheit.
»Um Zaubereiminister zu werden, braucht man mindestens 50 % der Sitze im Ministeriumsrat hinter sich«, erklärte Herr Wolff und ließ mit seinem Zauberstab ein Schaubild an der Tafel entstehen. Es zeigte 50 weiße Punkte. »Da Lindjon nur 21 der 50 Sitze zur Verfügung stehen, sind sie auf eine Koalition angewiesen. Eine andere Partei muss mit ihnen zusammen die Regierung stellen.«
Er fuhr mit dem Zauberstab über das Schaubild und färbte 21 der Punkte hellgrün. Dabei wirkte er mit seinem blauen Anzug wie der Finanzvorstand eines großen Unternehmens, der gerade die Geschäftszahlen für das zurückliegende Quartal verkündete.
»Hat jemand von euch eine Idee, welche Partei das übernehmen könnte?«, fragte er. Einige Hände schossen nach oben. Jan hingegen beobachtete noch nachdenklich das Schaubild und versuchte zu verstehen, was es bedeutete. Musste Haas sich jetzt etwa mit Assmann zusammentun, um Zaubereiminister zu werden?
»Er könnte mit der PDZ zusammen regieren«, schlug Marina vor. »Das macht er schließlich schon seit Jahren.«
»Lindjon macht das schon seit 2000, um genau zu sein«, bestätigte Herr Wolff und färbte 10 der verbleibenden Punkte grau. Der Strich, der die Hälfte der Punkte markierte, war nun deutlich überschritten. »Das ist auch die mit Abstand realistischste Koalition. Natürlich wäre in der Theorie auch noch eine Zusammenarbeit mit der Neuen Zukunft möglich. Aber nach der Schlammschlacht, die die beiden Parteien sich im Wahlkampf geleistet haben, würde mich das doch sehr überraschen.«
Um den Sachverhalt zu demonstrieren ließ er dennoch die zehn grauen Punkte verschwinden und ersetzte sie durch sechszehn blaue Punkte. In der Reihe vor Jan hob eine der Kestens die Hand.
»Wäre es nicht auch möglich, dass die Neue Zukunft sich mit der PDZ zusammenschließt?«, fragte sie nachdenklich. »Dann kämen sie doch auch auf 26 Punkte.«
Herr Wolff nickte und färbte das Tafelbild entsprechend.
»Sehr guter Einwand«, sagte er und deutete auf das Bild, das nun gänzlich ohne grüne Punkte die Hälfte der Stimmen überschritt. »Das ist vermutlich der Alptraum von Herrn Haas. Da seine Lindjon in dem Fall nicht an der Regierung beteiligt wäre, würde sie auch nicht den Zaubereiminister stellen, sondern die Neue Zukunft. In der Theorie könnte Assmann also nach wie vor Zaubereiministerin werden. Aber kein Politikwissenschaftler hält dieses Szenario für realistisch – auch ich nicht. Was für einen Nutzen hätte es für die PDZ denn, eine Koalition mit der Neuen Zukunft einzugehen?«
»Was für einen Nutzen hätte es für die PDZ denn, eine Koalition mit der Neuen Zukunft einzugehen?«, fragte Matthias Eisenthal, schlug den Klitterer zu und warf ihn auf dem Tisch. Der Leiter der Abteilung für Wirtschaft wirkte höchst aufgebracht. »Dieses dämliche Magazin schreibt wochenlang über nicht existente Tierwesen und jetzt auf einmal, meint es über unsere Politik Gerüchte verbreiten zu müssen.«
»Nun, ich denke anhand der Geschichten über Schlafhörnige Schrumpfler, oder wie auch immer sie nun heißen, können wir erkennen, welchen Wahrheitsgehalt dieses Heftchen hat«, erwiderte Günther Haas, doch selbst das Schmunzeln, dass beim Namen des höchstwahrscheinlich erfundenen Tierwesens über sein Gesicht huschte, konnte die besorgten Falten nicht von seiner Stirn vertreiben. »Und spätestens nachdem sie in ihrer letzten Aussage geschrieben haben, dass Erklinge Vampire sind, die von einem Werwolf gebissen worden sind, sollte auch die Bevölkerung wissen, dass ihnen nicht zu trauen ist.«
Eisenthal sah den Zaubereiminister mit großen Augen an.
»Du liest dieses Blättchen?«
»In letzter Zeit habe ich alle Zeitungen gelesen, die ich finden konnte. Ich wollte wissen, welche Schandtat mir wieder unterstellt wird oder welcher Journalist mich für unfähig oder überfordert erklärt.«
»Hat der Klitterer auch berichtet, du wärst korrupt? Oder hättest in deiner Schulzeit muggelfeindliche Aussagen gemacht?«
»Interessanterweise ist es der Klitterer gewesen, der keinerlei haltlose Anschuldigungen gegen mich vorgebracht haben, während die anderen Zeitungen ... nun ja, Geschichten über mich herausgefunden haben, die ich selbst noch nicht kannte. Das Einzige, was der Klitterer zur Wahl geschrieben hat, war eine Steckbriefseite zu allen Spitzenkandidaten, wo mir unterstellt wurde, mein Lieblingsessen sei die Linsensuppe aus dem Tropfenden Kessel.«
Seien Mundwinkel zuckten, während er sich an diese Kuriosität erinnerte.
»Aber warum sollte der Klitterer ausgerechnet jetzt etwas Politisches schreiben?«, fragte Eisenthal und sah zerknirscht auf das Magazin.
»Du glaubst dem Artikel, nicht wahr«, fragte Haas und sah seinem Parteifreund tief in die Augen.
Eisenthal nickte kaum merklich.
»Als Tom Riddle 1995 zurückgekehrt ist, war es der Klitterer, der ein Interview mit Harry Potter geführt hat und die Wahrheit abgedruckt hat. Ich habe Angst, dass die Geschichte sich wiederholt. Vor allem, weil Vogel und seine ganze Partei heute nicht zu den Sondierungsgesprächen gekommen sind.«
»Ich finde es auch merkwürdig, dass Mark nicht aufgetaucht ist«, stimmte Haas zu. »Aber seien wir ehrlich, was an seinem Verhalten in den letzten Jahren war schon normal? Ich hatte so sehr gehofft, dass wir es endlich schaffen würden, eine Regierung ohne die PDZ stellen zu können. Aber da haben uns die Medien einen Strich durch die Rechnung gemacht.«
»Nun, angesichts des Wahlergebnisses müssen wir der PDZ gegenüber andere Töne einschlagen, denn wir sind auf sie angewiesen«, erinnerte ihn Eisenthal. »Wir hoffen, dass Vogel morgen die Sondierungen mit uns wieder fortsetzt.«
»Genau das machen wir«, bestätigte Haas. »Er ist nun eben manchmal wirklich ein komischer Vogel.«
Er zuckte leicht zusammen, als es kräftig an der Tür klopfte.
»Herein!«, rief Haas mit klarer Stimme.
Die Tür öffnete sich und eine junge Frau mit rotbraunen Locken und einem schicken, kobaltblauen Blazer betrat den Raum.
Haas erkannte sie sofort, so wie er alle seine Parteimitglieder erkennen würde. Alessia Marell. Sie hatte erst im letzten Jahr ihren Schulabschluss gemacht, war danach Lindjon beigetreten und hatte eine Ausbildung im Ministerium begonnen. Sie war mehr als eifrig bei der Arbeit und Haas traute ihr bei gleichbleibendem Engagement in ferner Zukunft durchaus das Amt der Zaubereiministerin zu. Doch ihr Gesichtsausdruck passte nicht zu der Alessia, die Haas kennen und schätzen gelernt hatte. Sie wirkte verunsichert und besorgt.
»Es tut mir leid, Sie stören zu müssen«, begann sie unsicher und sah zwischen Haas und Eisenthal hin und her. Auch das passte nicht zu ihr. Sie klang viel förmlicher und angespannter als sonst. »Aber auch Sie sollten wissen, dass Assmann und Vogel gerade eine Pressekonferenz gegeben haben.«
»Nun, dann kann Vogel auf jeden Fall schon einmal nicht krank gewesen sein«, stellte Eisenthal fest und schüttelte den Kopf. Doch mitten in der Bewegung erstarrte er. Es schien, als sei ihm auf einmal klar geworden, was Alessia erzählt hatte. »Eine gemeinsame Pressekonferenz?«
»Eine gemeinsame Pressekonferenz«, bestätigte das junge Parteimitglied. »Sie haben Sondierungsgespräche zwischen Neuer Zukunft und PDZ bestätigt.«
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