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Ich hob den Kopf und sah nur eine Silhouette. Das Licht des Bildschirms warf einen riesigen Schatten an die Wand hinter dem Mann, dessen Stimme mir sehr vertraut war und wie gewohnt eine Ganzkörpergänsehaut bei mir hinterliess.
„Oh, du siehst mich ja nicht. Warte."murmelte er.
Zong, ging das Licht an und ich blinzelte. Da stand er, Dr. Melas, wieder mal im dunklen Anzug und seinem oberfiesen Blick, der meine Knie weich werden liess. Wenn er nur nicht so ein Arsch wäre...Ich sass am Boden, völlig geschockt und er hielt den Stromprüfer in der Hand. Ich nickte. Was blieb mir denn übrig? Karma was a bitch!
„Ich wollte nur die Arbeit fertig bekommen, bevor sie zurück sind!"hauchte ich. „Deshalb bin ich eingestiegen und hab sie ausgeloggt. Das Fenster war auf Kipp, aber der Sturm...hat es mir aus der Hand gerissen. Tut mir leid. Ehrlich. Feuern sie mich."
„Das muss ich wohl..."murmelte er, er schien jedoch über irgendetwas nachzudenken.
Und wenn er überrascht war, mich zu sehen, zeigte er es nicht. Mein Boss sah zum Bildschirm des Rechners, der war wieder schwarz. Er ging hin, legte den Stromprüfer ab und tippte eine Taste an. Ich versuchte, langsam aufzustehen, doch Melas war in einer Sekunde bei mir. Sportlich, eben! Er zog das Kissen samt Seil in den Raum, ich flehte: „Bitte, es war totaler Zufall, dass ich das Passwort rausbekommen hab. Ich habe einfach gera...Bitte, nein!"
Der ältere Mann hatte mich auf das Kissen am Boden gedrückt und begann, das dicke Seil um mich zu wickeln. Ich strampelte und schrie, er setzte sich auf meine Beine und hielt mir den Mund zu. Sein Blick war auf mich gerichtet, während er in seinen Taschen nach etwas wühlte. Ich spürte, dass ich ruhiger wurde, mein rasendes Herz etwas langsamer, trotzdem schnaufte ich gegen seine Handfläche. Nun zauberte Melas ein Taschentuch aus seinem Jackett hervor und wickelte es mir fest um den Kopf, bevor ich wieder losschreien konnte. Es drückte sich so sehr zwischen meine Lippen, dass mir noch übler wurde, während er mich mühelos hin- und her drehte und kunstvoll einwickelte, fast, als wäre er ein Bondage- Fetischist, bis ich vollkommen bewegungsunfähig war. Ich wehrte mich schon längst nicht mehr, wie gesagt, war ich irgendwie jenseits der Panik, was mich wirklich wunderte. Er zog mich zu dem massiven Schreibtisch und band mich aufrecht hockend, auf dem weichen Kissen, daran fest. Dann kniete Dr. Melas sich vor mich- noch niemals war er mir so nahe wie jetzt gewesen, niemals hatte er mich überhaupt angefasst, wenn es nur eine andere Situation wäre!- und raunte:„Verkaufen sie mich nicht für dumm, Melanie. Ich weiß, dass sie längst kapiert haben, wer ich bin. Die Ordner standen verkehrt herum. Sie haben sich alles genau angesehen und haben die Fakten zusammen geführt, denn wie sonst sollten sie auf das Passwort gekommen sein?"
Ich konnte ja nicht antworten, also schüttelte ich den Kopf. Er schaute mich einen Moment nachdenklich an, dann stand er auf und schloss das Fenster. So, dass es dicht war, nicht, wie ich es zurück gelassen hatte, nun, dass er sehr kräftig war, hatte ich eben gerade am eigenen Leib erfahren! Melas zog die Vorhänge zu, obwohl es albern war, und verließ den Raum, ich schnaufte laut, doch er reagierte nicht. Einen Moment später hörte ich, wie er draußen das Gitter vor den Schacht schob. Als der Doktor wieder zurück in sein Büro kam, hatte er meinen Rucksack dabei. Er legte ihn neben mich und öffnete ihn. Holte meinen Fahrradschlüssel heraus, ich schnaubte wieder...was hatte er vor? Dr. Melas schaute mich nicht an und ging wieder. Immerhin hatte er das Licht angelassen und ich sass weich, trotzdem musste ich Pipi. Von dem anderen ganz zu schweigen! Es war ekelig, in der roten Soße zu hocken, und wenn er mich jetzt hier versauern ließ, würde ich irgendwann anfangen, zu stinken! Ich begann, leise zu weinen. Jetzt, wo mein Boss fort war, wallte die Angst wieder auf und ich war mir sicher, dass er mich töten würde, denn nicht mal Inge wußte, dass ich hier war. Dabei würde mir doch sowieso niemand glauben! Ich glaubte es nicht mal selbst, dass er wirklich der Gott Hades war. Vielleicht waren alle männlichen Nachkommen seiner Familie schizophren? Ich wußte nicht, was schlimmer war. Dass er verrückt war und mich töten wollte, oder dass er nicht verrückt war und mich in die Unterwelt schicken wollte!
Ich schniefte laut und lehnte mich an den Schreibtisch. Etwas klapperte. Moment... Ich beugte mich vor, so weit, wie es ging, und nahm Anschwung, dann stiess ich kräftig mit dem Rücken gegen den Tisch. Natürlich war das Ding robust, ich versuchte es trotzdem noch mal und dann hörte ich etwas anrollen. Und nochmal stossen. Das Rollen dauerte ewig und es war nicht gesagt, dass der Stromprüfer genau so fiel, dass ich ihn erreichen konnte, aber ich musste es wenigstens versuchen! Endlich plumpste er runter, landete rechts von mir. Hinter dem Schreibtisch, aber nicht weit weg, ich machte den Rücken krumm und schob die Hände soweit nach hinten, wie mir möglich war. Das Seil schnitt in meine Handgelenke, endlich fühlte ich den Griff des Stromprüfers unter meinen Fingern. Nur nicht wegschieben, dachte ich. Mir tat mittlerweile alles weh! Doch zeigte Karma sich gnädig und liess zu, dass ich das lange Ding in meinen Ärmel schieben konnte. Mit einer Hand rieb ich die Spitze des Prüfers am Seil, vielleicht könnte ich es durchscheuern? Dann hörte ich, wie etwas im Flur klapperte, schnell hielt ich still und lehnte mich wieder an. Melas schob mein Rad in den Raum, es war zu komisch. Er stellte es an die Wand und hockte sich wieder vor mich. Schaute mich fast verzweifelt an, so hatte ich ihn noch nie gesehen!
„Niemand ist bisher dahinter gekommen, Melanie. Jedenfalls nicht hier...Alle halten sich brav daran, diesen Raum nicht zu betreten. Geschweige denn, einzubrechen, nur, um deinen Job zu machen?"fragte er zweifelnd. „Ich habe dieses Geheimnis über Jahrhunderte gehütet, und nun kommst du und schaffst es in einer Nacht, darüber zu stolpern! Das Problem ist, dass da draußen gerade zu viele Kids rumhängen. So muss ich dich erstmal hier lassen...verdammt. Ich habe so lange niemanden mehr beseitigen müssen, warum tust du mir das an?"knurrte er düster.
Er fuhr hektisch hoch, als hätte er Angst vor mir und verliess den Raum eilig. Nicht, ohne vorher das Licht zu löschen, doch der Rechner brummte noch leise vor sich hin, der Bildschirm war aber aus. Zum Glück hatte er ihn nicht angerührt, dann hätte er vielleicht den fehlenden Stromprüfer bemerkt, mit dem ich nun wieder am Rubbeln war. Ich war ruhiger geworden. Nachdem er es ausgesprochen hatte, war es irgendwie einfacher geworden, zu handeln, wenn ich meine Hände erstmal frei hätte, könnte ich mich wehren und ihn verletzen. Dr. Melas war zwar stark, ja, aber das waren viele Männer. Besonders die, die sich für Götter hielten! Doch es gab keine Götter. Nicht hier in meiner kuscheligen Kleinstadt!
Es war mittlerweile so still, dass mein leises Schaben den ganzen Raum erfüllte. Meine linke Hand konnte ich bereits drehen, ich zerrte und zog und zum Glück hatte ich schmale Hand- und Fußgelenke. Nach einer gefühlten Stunde hatte ich beide Hände frei, doch die Arme waren noch hinter meinem Rücken gefesselt, meine Füße hatten an den Händen gehangen, aber die Unterschenkel noch an die Oberschenkel gewickelt, Himmel, was hatte er sich Mühe gegeben! Bestimmt stand er auf sowas. Christian Melas! Aber dass ich seine Ana gab, konnte er voll knicken! Obwohl es schon irgendwie heiss wäre...Apropos heiss, anscheinend gab der PC so viel Wärme ab, dass mir der Schweiss runter lief. Aber zum Glück hatte Melas mich nicht ausgezogen, denn einschneidende Seile auf nackter Haut waren ne ganz andere Nummer. Im Nu war ich unten herum frei, weil meine Jogginghose so weit und rutschig war. Natürlich musste ich mich total verbiegen, auch noch das Hoody mitsamt Seilen über meinen Kopf zu ziehen, aber da half wieder herum das bisschen Yoga, dass ich übte, wenn ich mal Zeit und Lust hatte! Ich überlegte, ob ich meine Klamotten aus dem verknoteten Seil tüddeln sollte, denn nun hatte ich nur noch das lange Shirt an, aber egal, es war warm genug und das einzige, was ich machte, war, die Sneaker wieder anzuziehen, ich hatte bei der Strampelei nicht mitbekommen, dass er sie mir ausgezogen hatte. Wenn ich es recht erinnerte, war es beim Fesseln so gewesen, als hätte Melas plötzlich sehr viele Arme gehabt, wie ein Kraken, aber das war sicher eingebildet. Natürlich, ich hatte Panik gehabt!
Wie weiter? Durch den Schacht zu klettern, war unmöglich. Falls mein Boss noch hier war, würde er das Klappern des Gitters hören. Ich könnte zwar gleich zum Wintergarten rennen und klopfen, aber ob mich da jemand hörte...der Zaun zur Schule war zu hoch, um rüber zu klettern und das Fabrikgebäude alarmgesichert. Ich konnte der Polizei schlecht erklären, dass mein Boss dachte, er sei ein Gott und mich töten wollte, sie würden sich kaputt lachen! Und die Tür hatte Melas bestimmt abgeschlossen. Hatte er? Ich schlich hin, hoffte, nicht im Dunkeln gegen irgendetwas zu stossen, aber ich hatte mir den Weg zur Tür an den Regalen vorbei ziemlich gut eingeprägt. Drückte die Klinke runter und hätte fast aufgeschrien vor Glück- sie war auf! Natürlich hat der Idiot gedacht, ich sei prima verschnürt und könne nicht türmen! Ich überlegte kurz, ob ich meinen Rucksack holen sollte und lauschte in den Flur, es war ganz still. Also wagte ich es, noch einmal zurück zu schleichen, den Rucksack zu ertasten, er lag noch da, wo er ihn hingeworfen hatte, ich lobte mich still für meine Aufmerksamkeit, trotz der Angst, und suchte mein Handy. Es war nicht da! Meinen Fahrradschlüssel hatte er auch mitgenommen, der an dem Bund befestigt war, an dem alle meine Schlüssel waren. Nur der Bibliothekschlüssel war in meiner Hosentasche, also suchte ich ihn aus dem Seil- Kissen- Klamotten- Gewusel und liess den Rest liegen. Portemonnaie und Ausweis hatte ich eh zuhause gelassen.
Nun wurde es kompliziert. Und unheimlich- im Stockdunkel durch den Flur! Ich umklammerte Schlüssel und Stromprüfer, bereit, mich mit beiden Dingen zu verteidigen, so es denn sein musste. Tapste Schritt für Schritt, mich an der Wand entlang tastend in Richtung Treppe, obwohl ich mir dieses Mal nicht sicher war, richtig abgebogen zu sein. Und ja, plötzlich nahm ich den moderigen Geruch der antiken Abteilung wahr. Ich erschauderte, denn erstens hatte ich mich schon fast gerettet gesehen und zweitens war es hier noch unheimlicher als in Melas' Büro! Und erkennen konnte ich rein gar nichts, nicht mal einen Schatten, unter mir der knirschende Parkettboden und ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie der Raum aufgeteilt war, auf jeden Fall konnte ich nicht gerade erst durch den Türbogen gelaufen sein, denn der Eingang war etwas verwinkelt und führte durch zwei Türbögen, hinter dem ersten waren noch keine Regale. Das Treppenhaus lag auch hinter so einem Bogen und so musste ich den Falschen ertastet haben, aber zufällig die Kurve richtig genommen haben, um nicht gegen den Türrahmen zu knallen! Und ich war mir so sicher gewesen, gleich mit dem Fuß an den Treppenabsatz zu stossen!
Ich fröstelte und drehte mich um, um wieder zurück zu laufen, plötzlich berührte mich etwas am Unterarm und ich schrie panisch auf, holte aus, traf etwas Federiges und hörte einen kreischenden, in den Ohren schmerzenden Schrei neben mir. Ich sprang nach vorne und knallte gegen ein Regal, Bücher fielen heraus und eine Scheibe vibrierte, der Schrei war verstummt und nach dem letzten „Plumps" war es plötzlich unheimlich still. Ich machte einen Schritt und stiess gegen etwas Hartes am Boden, stolperte und fiel hin. Und dann ging das Licht an, es blendete mich furchtbar und ich konnte nun deshalb nichts sehen, hörte leise Schritte aus Richtung Flur. Jemand musste die Bewegungsmelder eingeschaltet haben. Es konnte ja nur Melas sein! Endlich hatten sich meine Augen an das Helle gewöhnt und ich schaute mich hektisch um. Gleich würde er feststellen, dass ich nicht mehr gefesselt an seinem Schreibtisch hockte und nach mir suchen... Mein Hals war wie zugeschnürt, mein Herz klopfte so laut, dass ich befürchtete, er könne es hören. Ich vernahm, dass seine Bürotür geöffnet wurde, ein leises Quietschen verriet es. Dann entdeckte ich eine kleine, viereckige Schachttür am Ende des Raumes, halb verdeckt von einem Schrank, der in einiger Entfernung davor stand. Nachdem ich aufgestanden war und leise die Bücher zurück stellte- Melas war jetzt in seinem Büro, ich würde bestimmt hören, wenn er näher kam und so flog ich vielleicht nicht gleich auf- erkannte ich das Ungetüm, das mich berührt hatte- ein ausgestopfter Turmfalke mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Eisengestell, das das schreiende Geräusch gemacht hatte, weil ich es wohl in meiner Panik verschoben hatte! Ich liess es so stehen und lief zu der kleinen Tür, sie war nicht verschlossen, dahinter gähnende Dunkelheit und ich passte gerade so, sitzend in geduckter Haltung, hinein, blieb direkt hinter der Tür und hielt den Griff fest. Ich zitterte, der Betonboden unter mir war kalt und feucht, immer noch hatte ich die blutgetränkte Binde um und rümpfte meine Nase, weil sich zu dem modrigen Gestank mein Blutgeruch vermischte. Ich betete, dass der Boss diese Tür nicht auf dem Schirm hatte. Aber wo sollte ich sonst sein? Er wird gesehen haben, dass ich nicht durch das Fenster getürmt war. Wenn er die ganze Zeit im Erdgeschoss gewesen war, hätte er mitbekommen, wenn ich die Treppe genommen hatte, falls die Kellertür überhaupt unverschlossen gewesen war- wenn, hatte ich ja noch meinen Schlüssel. Warum hatte er nur meinen Haustürschlüssel weg genommen? Weil das hier sein Reich ist. Und er sich sicher ist, dass du niemals heraus...
„Melanie."unterbrach er meine Gedanken. „Machen sie es nicht komplizierter, als es ist. Kommen sie heraus."
Ich schwieg, natürlich.
„Zugegeben, ich hätte nicht gedacht, dass sie sich so schnell befreien können. Nun kommen sie schon, es hat keinen Sinn. Früher oder später finde ich sie und dann..."er stockte.
Die Schritte kamen näher. Ich krallte mich mit einer Hand an dem Griff fest, die andere hielt den Stromprüfer, den Schlüssel hatte ich neben mich gelegt. Melas schien umzudrehen, das Knirschen des Bodens wurde leiser. Etwas machte ein schleifendes Geräusch. Hier gab es einige Möglichkeiten, sich zu verstecken. Alte Kommoden, ein Globus, Vitrinen und natürlich ein Dutzend Regale. Wenn ich mich erinnerte, war irgendwo ein roter Samtvorhang, den hatte er vielleicht gerade aufgezogen.
„Melanie!"rief er und ich zuckte zusammen. „Schluss mit dem Unfug!"
Glaubste, ich hab keinen Überlebenswillen, oder was?
Doch dann spürte ich etwas Weiches an meinem Oberschenkel, nur eine Sekunde, in der nächsten einen scharfen Schmerz und ich schrie auf, schlug nach dem Ding, es fiepte. Eine Ratte hatte mich gebissen! Während ich sie loszuwerden versuchte, zog Melas an der Tür und entriss sie mir, doch ich war eh in Panik, die Ratte kreischte, als ich sie mit dem Fuss erwischte und wegstiess, Melas packte meinen Arm, ich drehte mich in seine Richtung und stieß den Stromprüfer mit voller Kraft irgendwo hin, wo es weich war. Er gab ein leises „Uff" von sich, nun passierten mehrere Dinge gleichzeitig- der Griff des Stromprüfers, den ich noch umklammert hielt, wurde kochend heiss und schmolz in meiner Hand, dazu griff die Ratte wieder an und wollte zum Blut, in dem ich sass, ich ließ den Griff los und wich nach hinten, plötzlich verlor ich den Halt, mein Fuß rutschte ab, die Ratte biss mich erneut und ich schlug nach ihr. Nun rutschte ich noch tiefer, als wäre hinter mir ein Abgrund, ich warf die Ratte hinein und drohte, selbst zu fallen. Versuchte, den Rand der Tür zu greifen, aber sie war zu weit weg, nun wusste ich, dass dieser Gang nicht gerade in die Wand führte, sondern abfiel, unter dem rechten Fuß hatte ich schon keinen Halt mehr, hing mit dem Bauch auf der Kante und ja, einfacher konnte Melas es nicht haben, mich los zu werden! Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis ich fiel.
Und in der ewigen Dunkelheit verschwand.
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