Kap. 76 Wilde Fahrt
Roran pov
Von lautem Rauschen begleitet wurden wir, nur mit ein paar alten Brettern unter den Füßen, einen Kanal entlang gespült, der eigentlich eher einem reißenden Bergbach oder sogar Wasserfall ähnelte. Es war mir ein Rätsel, wie diese paar rostigen Nägel das Ganze zusammen und uns alle über Wasser halten konnten, aber ich entschied, dass es besser war, sie würden einfach unerforscht ihre Arbeit tun, als würde man sich damit beschäftigen und deshalb ihrer Funktion schaden. Ich hatte oft das Gefühl, dass Dinge nur deshalb nicht mehr funktionierten, weil man versuchte, ihren Zustand ausfindig zu machen. Quantenphysik! Der Kanal verlief absolut gerade und nicht viel breiter als die Barken. Wenn sich also eine quer stellen sollte, würde sie sofort stecken bleiben und in Stücke gerissen werden. Irgendwie ein unwürdiger Untergang. Bei diesem Plan konnte so viel schief gehen, da wäre es schon ein klein wenig lächerlich, auf genau diese Weise draufzugehen.
Neben mir auf dem ersten Kahn hockten unsere zwei Begleiter, aus denen ich noch immer nicht wirklich schlau wurde. Ohne einen Kommentar hatten sie sich an die Seiten des ersten Bootes unserer Kette gehockt und waren seitdem fast bewegungslos verharrt. Selbst als die Flutwelle uns ergriffen hatte, war das einzige sichtbare gewesen, dass sie ihr Gewicht verlagert hatten. Ich meine, wie schnell muss man denn bitte auf jede noch so kleine Veränderung reagieren, damit das klappt. Sicher, auch enorme Kraft war dafür nötig, aber das konnte man schließlich trainieren. Wie schon gesagt, ich wurde nicht schlau daraus.
Ich stellte mich aufrecht hin, um über den Bug schauen zu können und zu sehen, wie nah wir schon waren. Beim ersten Mal gelang es mir nicht. Der Fahrtwind blies mich einfach um und ließ mich wie ein kleines Kind, das gerade laufen lernt, nach hinten umkippen. Ich wäre vermutlich rittlings gestürzt und hätte mir den Hinterkopf aufgeschlagen, aber in dem Moment, in dem meine Instinkte mir sagten, ich müsste aufschlagen, packten zwei Hände mich nahezu synchron an meinen Schultern und hinderte mich so an einer unsanften Landung.
Ich wurde wieder auf die Beine gestellt und sah mich um. Frank und Thalia standen neben mir und zogen gerade ihre Arme zurück. Ich nickte ihnen dankbar zu und versuchte erneut, dieses Mal aber vorsichtiger, einen Blick auf die vor uns liegende Strecke zu erhaschen. Offenbar hatten meine Überlegungen über die Art, wie diejenigen, die mich soeben aufgefangen hatten, so still auf einem so schnell fahrenden Boot hocken konnten, viel mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich erwartet hatte. Es sah so aus, als würden wir tatsächlich in wenigen Sekunden hoffentlich das stählerne Gitter einrammen.
Ich machte mich zum Aufprall bereit. Mit einer Hand klammerte ich mich so fest, wie ich nur irgendwie konnte, ein herausragendes Stück Holz neben mir kam dazu wie gerufen, und mit dem anderen Arm bedeckte ich meinen Kopf. Ich traute dem sich bereits darauf befindlichen Blech nicht zu, mich vor einer herabfallenden Schieferplatte zu schützen. Ich sah, wie meine Finger vor Spannung weiß wurden, aber ich minderte die Kraft, mit der ich mich an das Holzteil klammerte, nicht im geringsten. Ich warf einen letzten schnellen Blick über die Schulter und sah, dass fast alle anderen etwas ähnliches taten.
Dann kam der Einschlag. Es krachte. Es gab ein widerliches Kratzen von Metall auf Schiefer. Wir wurden alle nach vorne geschleudert. Ich konnte mich weitestgehend festhalten, so dass ich nicht mit dem Kopf gegen die Steinplatten flog, aber am Ende rutschte ich trotzdem ab und fiel einige Meter weiter vorne auf das Deck. Das Krachen verstummte, aber dafür wurde das Kratzen intensiver. Ich blickte auf und wusste sofort, dass ich so gut wie verloren war. Metall und Schiefer hatten sich so verkeilt, dass das langsam vorantreibende Boot mit dem Metall einen Hebel bildete, der die tonnenschweren Platten nach hinten und über mich drüber schob.
Sie waren kurz davor abzustürzen und ich spürte schon wieder dieses Gefühl von Hilflosigkeit, das mich auch in Belatona ergriffen hatte. Was ich auch tun würde, ich hätte keinen Ausweg und würde sterben. Trotzdem, ich hatte mir damals ein Versprechen gegeben. Ich würde niemals wieder aufgeben. Selbst wenn ich vielleicht nicht mehr entkommen konnte, ich würde es doch versuchen.
Hinter mir gab mir jemand den unfassbaren hilfreichen Hinweis, dessen Inhalt ich definitiv noch nicht mitbekommen hatte. „Hammerfaust, Achtung, die Steine!" Nach einer schnellen Drehung machte ich zwei Schritte, um Schwung zu bekommen, und dann einen Hechtsprung, um die weitest mögliche Distanz zwischen mich und den Haufen zu bringen. Ich rollte mich ab und dabei schlug mein Hammer an meinem Gürtel sehr unangenehm gegen meine Rippen. Nichts desto trotz kam ich mehr oder weniger flüssig auf die Beine und blickte über meine Schulter, nur um eine riesige steinerne Wand, die durchaus Potential hatte, durch den ganzen Rumpf zu schlagen, auf meinen Kopf zurasen zu sehen. Ich war zu weit aus dem Gleichgewicht, um einen weiteren Hechtsprung hinzulegen.
Ich erwartete den Aufschlag, aber schon zum zweiten beziehungsweise eigentlich dritten Mal, wenn man Belatona mitzählt, wo ich zumindest einen gewissen Einfluss gehabt hatte, passierte nichts. Ich hatte nicht die Zeit gehabt, theatralisch mit meinem Leben abzuschließen und die Augen zu schließen und so sah ich, wie der Stein vor mir immer langsamer wurde. Ich atmete gerade erleichtert auf, als die Stimme einer Frau schrie: „Roran, weg da. Sofort!"
Ich konnte mit ziemlicher Sicherheit sagen, wer gerufen hatte, aber es erschien mir in dem Augenblick wichtiger, diese Anweisung umzusetzen. Ich rannte erneut los und hörte nach ein paar Schritten das Geräusch von etwas, das gerade zerbrach, gefolgt von einem dieses Mal sehr männlich klingenden Ruf: „Spring!" Ich tat wie mir geheißen und wiederholte den Ablauf von Hechtsprung und Rolle, den ich eben bereits versucht hatte. Ich kam auf die Beine und lehnte mich nach vorne. Gerade dieser letzte Teil hatte, wie ich sehen sollte, mir das Leben oder zumindest meine Einsatzfähigkeit gerettet. Ein letztes Mal ertönte ein lautes Krachen hinter mir und Holzspäne und ähnliches flogen gegen meine Waden. Ich drehte mich um und sah eine meterlange Steinplatte, die das gesamte Deck von irgendwo kurz hinter dem Bug bis zu meiner Hacke überdeckte. Am anderen Ende stand Thalia mit einem großen Stück der Platte in den Händen, das so aussah, als wäre etwas davon abgebrochen. Irgendwo in der Mitte stand Frank in einem Loch im Stein. Auf seinen Schultern lagen kleine Steine, aber im allgemeinen wirkte er nicht so, als sei für ihn irgendetwas passiert.
Ich wusste nicht, ob mir das Szenario, was sich in meinem Kopf aus diesem Bild und meiner Wahrnehmung formte, gefiel oder nicht, aber ich konnte mit Sicherheit sagen, dass es gut war, dass die beiden auf unserer Seite waren. Erneut dachte ich, nun wären wir für den Moment halbwegs sicher, aber ein weiteres Mal sollte ich mich täuschen. Es gab ein lautes Geräusch von berstendem Holz und dann sackte die Spitze des Kahns mitsamt der Schieferplatten ins Wasser ab. Ausnahmsweise nichts für mich potentiell tödliches, aber dennoch unerwartet und ein Grund zum Schreck.
Es zeigte sich nun allerdings, dass dieser Schreck es definitiv wert war. Die Platten bildeten nun einen recht wackligen, aber direkten Weg zum Steg, wo normalerweise die Lieferungen von Getreide aus der Mühle landen würden. Das einzige was nun landen sollte, waren eine Horde Krieger, die im Begriff waren, die gesamte Stadt einzunehmen. Die Vermutung lag nahe, dass Mehllieferungen gerade lieber gesehen gewesen wären.
Auf den Stegen standen nur wenige Wachen. Diese waren zu unserem Glück zu verwirrt von dem gewesen, was sie gerade gesehen hatten, um uns sofort zu beschießen. Ich hob meinen Hammer und stieß einen Schlachtruf aus. Von hinter mir war vielfaches Schleifen zu hören, als die Männer unter meinem Kommando ihre Waffen zogen und den Ruf erwiderten. Das erzeugte zwar Elan, resultierend aus einem Gefühl der Verbundenheit, aber leider riss es auch die Verteidiger aus der Starre. Ich stürmte allen voran über unsere außerplanmäßig gebaute Brücke. Das war aus zwei Gründen grundsätzlich keine gute Idee. Erstens waren die Steine definitiv nicht professionell verlegt, sodass theoretisch durchaus einer der Steine ab und ins Wasser rutschen könnte und zweitens hatten unsere Gegner Bögen. Ich weiß nicht, was man hätte besser machen sollen, aber frontal auf Bogenschützen zu zu rennen, war nur sehr selten eine gute Idee.
Das erste Problem blieb zum Glück aus, offenbar hatten wir an diesem Punkt viel Glück gehabt, sodass der Schiefer an Ort und Stelle blieb. Als die Soldaten ihre Bögen zogen, rief Carn hinter mir ein Wort, das ich nicht verstand, jedoch auch nicht nach unserer Sprache klang. Ich konnte nur hoffen, dass es der Zauber war, der uns auch damals bei dem Einsatz geholfen hatte, der mir eine Strafe aus Dutzenden Peitschenhieben eingebracht hatte.
War es glücklicherweise, wie sich herausstellte. Die Pfeile wurden aus ihren Bahnen gebracht und bohrten sich zu größten Teilen in Wände oder Bretter. Ein paar wenige wurden sogar so sehr abgelenkt, dass sie die Verbündeten der Schützen trafen, aber das waren wirklich nicht viele. Der Magier hatte mir bereits damals erklärt, dass er diese Magie nur für begrenzte Zeit aufrecht erhalten konnte, also entschloss ich mich, den Zauber so schnell wie möglich überflüssig zu machen. Ich stürzte mich ins Gefecht und unter fast jedem meiner Schläge zerbrach entweder ein Schädel, ein Arm, oder irgendein anderes für den Kampf essentielles Körperteil oder einer beziehungsweise mehre Knochen.
Wie so oft war ich derjenige, der sich am schnellsten durch die Reihen der Feinde schlug, was leider den unangenehmen Nebeneffekt haben konnte, dass ich umzingelt war. Vier Soldaten standen um mich herum, ich hatte einen Hammer und einen Schild. Nicht die beste Ausgangslage. Nichtsdestotrotz schlug ich dem Ersten in Kopfrichtung und als ich sah, dass er seinen Schild rechtzeitig heben würde, senkte ich die Richtung meines Schlages so weit ab, dass ich die Unterkante des Schildes traf und sie ihm zur Hälfte gegen das Kinn und zur anderen Hälfte in den Hals schlug. Der Mann brach zusammen, aber ich hatte nicht die Zeit nachzusehen, ob er tot oder nur extrem schwer verletzt war. Die Feinde links und rechts von mir stachen beide nach mir. Ich konnte den einen mit meinem Schild abblocken und dem anderen Ausweichen, aber ich wusste, dass ich das auf Dauer wohl kaum schaffen würde.
Mein Motto vom Boot behielt ich nichtsdestotrotz bei. Nicht aufgeben, bis zum Ende. Den Schwung des Rückstoßes aus meinem Schild nutzte ich und verwendete ihn für einen Tritt, direkt auf der rechten Seite unter die Rippen. Er sank stöhnend in die Knie und ich hatte nur noch zwei Gegner vor beziehungsweise neben beziehungsweise hinter mir. Warum der hinter mir mir nicht schon längst das Genick in zwei Teile geschlagen hatte, wusste ich nicht, aber solange es so blieb, war es mir herzlich egal. Vielleicht war er von der frühen Stunde noch etwas müde.
Nachdem ich mit meinem Schild einen weiteren Schlag des anderen abgewehrt hatte, schlug ich auch ihm mit vollem Schwung die Schädeldecke ein. Ich drehte mich um und sah, dass der letzte mich wohl sehr dringend selbst erledigt haben wollte. Genau als mein Hammer am weitesten von mir weg und mein Gleichgewicht davon so gestört war, dass ich meinen Schild nicht heben konnte, ließ er sein Schwert von oben auf mich nieder rasen. Der nächste in einer langen Reihe Nahtodmomente. Von hinten wurde sein Schädel in zwei Hälften geschnitten und das freundliche Lächeln von Frank dahinter ließ mich fast über den unfassbar widerlichen Anblick hinweg sehen. Ich erspare euch jetzt Details, aber es handelte sich nicht um eine normale Wunde sondern eher um eine vollständige Öffnung.
Jedenfalls war es mir nun, da das Schwert nicht mehr schneller wurde, sondern nur noch herab fiel, gerade so noch möglich, den Schild hochzureißen und mich somit gerade noch vor Schaden zu bewahren.
Als kaum eine Minute später die Kampfhandlungen zum Erliegen kamen, sah ich nur sechs der regungslos am Boden Liegenden in unseren Kettenhemden, mit unseren Wämsern oder unseren Helmzierden. Zeit sie zu bestatten hatten wir jedoch nicht. Um irgendwie auf eine erfolgreiche Weise diese Operation beenden zu können, mussten wir unbemerkt in die Oberstadt kommen. Wenn diese ihre Tore schließen sollte, stünde endgültig fest, dass wir zurück zu den Varden kehren und von dort weitreichende Verstärkung holen müssten. Mit unserer aktuellen Situation könnten wir niemals diese noch viel besser geschützten Mauern erklimmen. Ich wies also meine Männer an, mir zu folgen und dabei möglichst leise zu sein.
Aroughs Straßen waren wie leergefegt. Vermutlich weil es noch so früh am Morgen war, dass die nächtliche Ausgangssperre erst in einigen Minuten enden würde. Mit ein wenig Glück konnten wir in dieser Zeit bis zu den Wachhäuschen, von denen aus sich die Öffnung der Tore steuern ließ, durchdringen. Diese waren logischerweise auf der Innenseite, wären die Tore einmal geschlossen, hatten wir also keine Chance mehr. Ich hatte mir vor dem Aufbruch grob den Plan der Stadt eingeprägt. Nicht jede einzelne Straße, aber ich wusste grob wo wir lang mussten.
Als wir den weitestgehend unterirdisch gelegenen Hafenbereich verlassen hatten, lag vor uns ein kleiner Platz, von dem mehrere Straßen abgingen. In meinem Kopf glich ich diese mit der schematischen Zeichnung der Stadt ab. Grob erkannte ich das Schema wieder und wusste, welchen Weg wir einschlagen mussten. Gefolgt von mehreren hundert Kriegern steuerte ich auf die entsprechende Gasse zu.
Wenn meine Erinnerungen an die Größe der Stadt mich nicht vollständig im Stich ließen, war unser einziger Zwischenfall auf etwa zwei Dritteln der Strecke zur inneren Mauer. Als ich dort an einer der vielen hölzernen Türen vorbei lief, schwang diese auf und ein sehr verschlafen wirkender Mann trat heraus. Er hielt ein Bündel mit Werkzeug in der Hand, was bedeuten musste, dass er Handwerker war und sich gerade auf den Weg zu seinem Laden machte. Anders als in Carvahall schien hier nicht jeder selbst oberhalb seines Geschäftes zu leben. Er öffnete schon den Mund um entweder etwas zu sagen, oder, was wahrscheinlicher war, loszuschreien, aber ich hielt im schnell den Mund zu und erklärte drohend: „Wenn du schreist, ist das dein Tod. Wenn du um Hilfe rufst, ist das dein Tod. Wenn du versuchst wegzurennen, ist das dein Tod. Verstanden?" Er nickte vorsichtig, aber vor allem ängstlich. Ich wünschte, es wäre nicht das, was wir verbreiten mussten, aber leider war es so.
Ich wollte gerade Carn bitten, ihn einschlafen zu lassen, aber dann trat Frank ungefragt vor und blickte dem Mann in die Augen. Dieser verlor augenblicklich jede Körperhaltung und sank einen Sekundenbruchteil später in sich zusammen. Aus den Reihen hinter mir hörte ich leises Geflüster, demzufolge viele glaubten, dass Frank hier gerade Mord begangen hatte. In beschwichtigendem Ton sagte dieser jedoch: „Beruhigt euch, ich habe ihn lediglich einschlafen lassen." Wie zur Bestätigung kam von dem auf dem Boden Liegenden ein lautes Schnarchen und so entschied ich, ehe wir noch entdeckt werden sollten, Gott bewahre, dass er aus dem Weg musste. Auf mein Zeichen fassten zwei unserer Männer ihn an den Armen beziehungsweise Beinen und trugen ihn hinter seine eigene Tür. Dort würde man ihn nur finden, wenn man suchen würde.
„Wir beeilen uns lieber", rief ich allen Anwesenden halblaut zu, ehe ich zügigen Schrittes weiter lief. Wir schlichen durch Gassen, viele Minuten lang und wenn ich nicht wissen würde, dass es hier keine Rundwege gab, hätte man denken können, wir würden im Kreis laufen.
Als wir schließlich an den großen Vorplatz zum Tor zum Bezirk der reichen kamen, war dieses noch geschlossen. Wir verschanzten uns hinter einer Ecke im Schatten und ich spähte daran vorbei auf das Tor. Zuerst hatte ich Angst, dass die Botschaft über unser eindringen bereits bis hierhin vorgedrungen war, aber dann fiel mir ein, dass alle Tore über Nacht geschlossen wurden. Vermutlich würde es gleich geöffnet werden. Hoffentlich.
Die nachfolgenden Minuten waren zermürbender als kaum etwas in meinem Leben zuvor. Nichtmal das warten in dem schwarzen Zelt hinter dem Schandpfahl auf 50 Peitschenhiebe hatte sich so lange angefühlt. Jeder Nerv lag blank, aber wir konnten nichts tun bis die Tore offen waren. Bis dahin waren wir in einer fremden Stadt, drei zu eins in der Unterzahl, wurden ganz eindeutig als Feinde angesehen und jeder Soldat hatte oder hätte den Befehl, uns zu töten. Was für ein Himmelfahrtskommando.
Die Erleichterung, als wir das hölzerne Knarren hörten, welches wohl bei jeder Bewegung eines Gebildes dieser Größenordnung ertönen sollte, war kaum in Worte zu fassen. Sobald ich sah, dass sich die Tore bewegten, drehte ich mich zu meinen Männer. „Jetzt wird es entscheidend", rief ich nicht besonders laut, aber doch so, dass mich jeder der sollte, hören konnte. „Wenn unsere Informationen stimmen, sind links und rechts hinter den Toren zwei Aufgänge zu Wachräume in den Mauern. Unser gesamter Erfolg hängt davon ab, ob wir in diese eindringen können. Ich werde zusammen mit dreien von euch die Linke Seite übernehmen. Für die Rechte hätte ich gerne...", ich wollte gerade auf fünf der Männer zeigen, die mir in der Arbeit in den letzten Tagen besonders positiv aufgefallen waren, aber bevor ich sie ansprechen konnte, hob Thalia die Hand und unterbrach mich:
„Überlass uns das doch, sonst gehen wir ein weiteres Risiko ein." Ich hatte sie schon oft genug kämpfen gesehen, um a zu wissen, dass sie es absolut sicher schaffen würde, und b, dass das kein Vorschlag sondern ein Befehl gewesen war. Leider waren die meisten anderen hier nicht so wissend und hatten grundsätzlich starke Tendenzen zum Bild der Frau in dieser Welt. „Warum sollte sie das machen? Diese Aufgabe ist doch viel zu wichtig für ein Weib", kam es aus der Menge getönt. Ich konnte nicht sehen von wem, aber Thalia scheinbar sehr wohl. So schnell, dass ich ihr kaum mit meinen Augen folgen konnte, schob sie sich durch die Menge zu dem Mann und hielt ihm ihr Schwert an die Kehle. „Weil, wenn wir es nicht schaffen könnten, du es garnicht erst versuchen bräuchtest. Deshalb!"
Der Unselige hätte sich damit zufrieden geben sollen, aber zu seinem leid tat er das nicht. Er versuchte dem Schwert nach unten auszuweichen und dabei nach ihr zu treten, während er rief: „Warum solltest du das besser können? Du bist nur eine Frau." Beim letzten Mal hatte sie vorher vor solchen Sätzen gewarnt. Nun sah man, was passiert wäre, wenn sie es nicht getan hätte. Sie wich dem Tritt aus, griff einen seiner Arme und verdrehte ihn solange, bis er mit einem schmerzerfüllten Stöhnen erst auf die Knie und dann flach auf den Boden sank. Sie setzte ein Knie auf seinen Rücken und drückte seinen Kopf seitlich auf den Boden. „Entschuldige dich angemessen und sag nie wieder etwas derartiges. Du hast zehn Sekunden, dann war's das mit deinem Arm. Eins!"
Man konnte sehen, wie schmerzhaft das für den Tor war, aber noch weigerte er sich. Unbeeindruckt davon zählte Thalia langsam weiter und zog den Arm dabei von Sekunde zu Sekunde in eine üblere Position. Bei sieben machte sie nochmal einen starken Ruck und verlagerte ihr Gewicht sichtbar vom Boden weg auf seinen Rücken. Er schrie auf doch sie hielt ihm so schnell den Mund zu, dass man nichts hörte, um uns nicht zu verraten. Scheinbar unberührt sagte sie: „Acht", was dem auf dem Boden Liegenden noch einen Schrei entlockte, den sie ebenfalls unterdrückte. Dann jedoch sah er endlich ein, was der einzig vernünftige Ausgang aus dieser Situation war. „Verflucht! ... vergebt mir Herrin, ich habe etwas falsches gesagt. Ich werde es nie wieder tun, bitte tötet mich nicht!"
---------------------------
3207 Wörter
Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro