Kap. 45 Ein kleiner Umweg
Percy pov
Nachdem alle Aufgaben in Tronjheim für uns erledigt waren, dachten wir darüber nach, was wir als Nächstes tun sollten. Im wesentlichen standen eine sofortige Rückkehr zu den Varden und ein kurzer Besuch bei Eragons Lehrmeister zur Auswahl. Zwar würden die Varden Feinster sehr bald angreifen doch solange der junge Reiter nicht wusste, woher die übernatürliche Stärke des Königs kam, war er in einem Kampf noch klarer im Nachteil.
Zur Not könnten wir zwar die Initiative ergreifen doch das wollten wir nach Möglichkeit vermeiden. Ein klein wenig ausnutzen meiner Allwissenheit hatte mir offenbart, dass es sich sowohl bei den bunten Lichtpunkten auf Vroengard, als auch bei den matt grauen in der Zitadelle im Herzen des Imperiums um so genannte ‚Eldunarí' handelte.
Diese ließen sich mit in Edelstein gefangenen Seelen vergleichen. Sie enthielten sowohl das Bewusstsein als auch die Kraft der Drachen und Galbatorix nutzte diese zu seinen egoistischen Zwecken. Quasi professionelle Sklaverei von Toten. Nicht cool! Natürlich hätte ich es Eragon auch erklären können doch nach den Gesetzen des alten Ordens der Drachenreiter war dies die Aufgabe des ältesten lebenden Drachen. Es war klar, dass ich außer einer kleinen Standpauke von Annabeth nichts zu befürchten hätte, sollte ich diese Regel brechen doch erstens hatte ich keinen Nutzen daraus und zweitens würde das für Eragons Ausbildung eine gewisse Gefahr darstellen.
Auch wenn mir Regeln grundsätzlich nicht gefallen, wusste ich doch, dass es in diesem Fall notwendig wäre. Da aber auf keinen Fall die Möglichkeit bestand, dass er gegen den König gewinnen würde, ohne die Quelle von dessen Macht zu kennen, war es unabdingbar, dass er vor Urû'baen nochmal mit Oromis sprach. Und das würde mit voranschreitender Zeit nur um so schwieriger werden.
Aus diesem Grund begleiteten wir ihn in sein Quartier, wo er Nasuada sprechen würde. Es wäre sicherlich hilfreich, wenn wir ihm etwas beim Argumentieren helfen würden. Wir hatten bereits festgestellt, dass der ehemalige Bauernjunge noch nicht besonders gut darin war. Okay, wenn man so will, dann bin ich das auch nur wenn es um das Anrichten von Unsinn geht, aber Annabeth holt das auf jeden Fall wieder raus, da sie schon früher jeden in die Knie argumentieren konnte.
Dabei musste sie nicht mal recht haben. Sie konnte mich auch von Dingen überzeugen, die entweder abwegig oder kompletter Unsinn waren. Ihr hatte man in einer Diskussion nichts und zwar wirklich nichts entgegenzusetzen. Da ich keine Lust hatte mehrere Sekunden, die ganz bestimmt den Unterschied um das Glück in meinem unendlichen Leben machen würden, damit zuzubringen, darauf zu warten, dass Eragon einen Zauber wirken würde, durch den wir mit Nasuada sprechen könnten, machte ich das einfach selbst. Vor uns in der Luft erschien ein schimmerndes Abbild der dunkelhäutigen Anführerin.
Meine Lösung hatte den Vorteil, dass wir auch ihre Umgebung sehen konnten, selbst wenn wir das vorher noch nie getan hatten. Eine Eigenschaft, die der Traumsicht fehlte. Sie saß an einem Schreibtisch und schrieb etwas auf ein Blatt vor ihr. Da ich eigentlich von meiner Legasthenie geheilt war, überflog ich den Text kurz. Zumindest oberflächlich, denn einige alte Lesegewohnheiten brachten das ganze doch durcheinander. ‚Bnappheit von Kogensehnen'!
Mal ehrlich, welches vernünftige, absolut nicht an Politik und so weiter interessierte Wesen kümmert sich denn um sowas? Die Herrin der Varden war so konzentriert, dass sie uns erst durch ein Räuspern auf Seiten von Annabeth bemerkte. Sie sah auf und als sie unsere Gesichter, na gut, vermutlich Eragons, sah, hellte sich ihre Miene eindeutig auf und sie schob die überaus wichtige, nicht, Schriftrolle zur Seite.
Mein Verdacht bestätigte sich als sie im Prinzip nur Eragon wirklich begrüßte und unsere Anwesenheit nur mit einem Nicken zur Kenntnis nahm. Eine weitere Geste, die ich, hätte ich gewollt, als Beleidigung mit Todesstrafe hätte sehen können. Das wäre am ehesten das Vorgehen von Mathew, Octavian und Umbitch gewesen und da ich mich zum einen nicht auf deren Niveau herablassen wollte, zum anderen sowieso nicht besonders behandelt werden wollte und zum letzten sie ja garnichs davon wussten, ließ ich dies einfach so im Raum stehen... oder doch nicht. Warum musste ich ständig solche Überlegungen tätigen, obwohl ich das Ergebnis schon von Anfang an wusste?
Nachdem wir sie alle begrüßt hatten, begann sie zu sprechen. „Was verschafft mir die Freude dieses Gesprächs?" Unvermittelt antwortete Eragon: „Ein einfacher Scherz jedenfalls nicht. Das Ergebnis der Wahl habe ich dir bereits genannt. König Orik wird uns weiterhin unterstützen. Es geht darum, wie es jetzt weitergehen soll. Ich habe dir bereits vor unserer Abreise mitgeteilt, dass ich noch mit meinem Meister in Ellesméra sprechen muss, ehe wir die Hauptstadt erreichen. Damals hast du gesagt, wir besprechen das wann anders. Deshalb..."
Nasuada hob die Hand und brachte ihren jungen Vasallen zum Verstummen . „Ich weiß, was ich gesagt habe, aber das geht jetzt nicht. Wir stehen kurz davor eine der größten Städte des Imperiums anzugreifen und wenn du da nicht dabei bist, wird das zu viel größeren Verlusten führen."
Während ich versuchte, nicht laut loszulachen, sprach sie bereits weiter. Jeder einzelne von uns könnte die Stadt alleine bis auf die Grundfesten niederreißen. „Außerdem, sollten Murtagh oder der König persönlich entscheiden uns anzugreifen, sind wir verloren." Wieder so ein Satz, bei dem ich gerne gelacht hätte. Wenn irgendjemand verloren wäre, dann der Idiot, der uns angreifen würde. Ich denke kaum, dass ein Drache bei einem von Thalia erzeugten Sturm gut fliegen würde. Oder sagen wir, ich bezweifle, dass er das entscheiden würde. Wenn Saphira freundlich fragen würde, ließe sie sie bestimmt frei hindurch gleiten.
Neben mir begann Annabeth zu sprechen. „Und wenn Eragon da ist und einer dieser beiden sich zum Angriff entscheidet, ist noch mehr verloren. Solange er nicht weiß, warum Galbatorix so stark ist, kann er ihn nicht besiegen. Welches Risiko wollt Ihr lieber eingehen? Dass Ihr potentiell viele Männer bei der Eroberung Feinsters verliert oder dass Ihr garantiert alle Männer und Euren Reiter spätestens in Urû'baen verliert? Bereits beim letzten Mal hat Murtagh Eragon ohne Probleme mit Magie festhalten können, und dieses Mal wird er noch stärker sein."
„Zur Not können wir ein wenig nachhelfen, dass eure Feinde wortwörtlich den Abflug machen und dass Eragon etwas früher wieder da ist", ergänzte ich. „Wie soll das gehen? Magie ist von der Distanz abhängig. Wie wollt ihr das tun, während wir in Ellesméra sind?", wollte Eragon wissen. „EURE Magie ist das! Und selbst wenn, wir könnten auch mit eurer Magie einen Zauber von Ellesméra aus wirken, der Feinster in Schutt und Asche legt, aber das ist nicht der Punkt dieses Gesprächs. Außerdem, du solltest lieber nicht versuchen unsere Argumente zu zerreden. Wir helfen dir gerade." Jep, der Typ war definitiv nicht sonderlich bewandert in Sache argumentieren.
Nasuada musterte uns kritisch. „Es fällt mir in der Tat schwer euch zu glauben, dass ihr bei einem Ernstfall eingreifen könntet..." Ehe sie weitersprechen konnte, konzentrierte ich mich ein klein wenig und ließ in einem Bruchteil einer Sekunde Gold und Juwelen in der Erde zusammenrutschen, sich gegenseitig schleifen und als Goldreif mit eingelassenen Edelsteinen aus dem Boden springen.
Noch bevor Nasuada weitere Zweifel aussprechen konnte, landete das Diadem auf ihren Haaren. Sie nahm es verwirrt ab und musterte es entgeistert. „Reicht das als Bestätigung?", fragte ich mit provokant normaler Stimme. Ihr Blick darauf war für mich mindestens so viel wert wie ihr neuer Schmuck. Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, brachte sie mühsam hervor: „Also schön. Ich werde versuchen den Angriff noch einige Tage hinauszuzögern, aber bitte beeilt euch! Je schneller ihr da seid, desto weniger Leben wird diese Belagerung kosten." Dabei blickte sie besonders den jungen Reiter an.
„Danke, Nasuada. Wir werden uns schnellstmöglich auf den Weg machen und so schnell wie möglich zurück kommen." Nachdem sie dies mit einem weiteren Nicken zur Kenntnis genommen hatte, verabschiedeten wir uns. Glücklicherweise auf ein freundliche, aber nicht zu formale Art. Mal ehrlich, nach Politik sind Formalitäten ja wohl absolut das letzte. Ich ließ das Bild vor uns verblassen und sah Eragon an. „Dann machen wir uns wohl am besten mal auf den Weg." Er stimmte uns stumm zu und so machten wir uns auf die Suche nach dem neuen König. Zumindest einmal verabschieden wollten wir uns schon.
Die Unterredung verlief ohne Probleme. Alle Zwerge, denen wir begegneten sahen uns etwas komisch an. Möglicherweise Aber nur ganz vielleicht... lag das daran, dass einer ihrer Götter uns bei der Zeremonie direkt angesprochen hatte und uns um Erlaubnis für etwas gebeten hatte, aber niemand sprach uns darauf an. Orik versicherte uns, dass er in der nächsten Woche mit seiner Streitmacht losziehen würde und so die Varden einige Tage nach ihrem Angriff auf Feinster erreichen würde. Auch gegen unseren Aufbruch hatte er nichts einzuwenden also verabschiedeten wir uns auch von ihm und machten uns auf den Weg durch einen der ewig langen Tunnel.
Wir hatten uns zwar mit unserer Allwissenheit den schnellen auch für Drachen passierbaren Weg ausgesucht doch es dauerte trotzdem fast zehn Stunden bis wir aus dem düsteren Labyrinth traten. Ich schloss meine Augen und genoss kurz den Sonnenschein. Auch wenn Annabeth und ich uns ab und an aus dem Berg teleportiert hatten und durch die Berge gelaufen waren, war das Wissen, dass wir nie mehr oder zumindest nicht in absehbarer Zukunft in irgendwelche labyrinthartigen Katakomben mussten, sehr befreiend.
Nach einigen Sekunden fragte Eragon: „Wie wollt ihr nach Ellesméra kommen? Saphira kann nur zwei Menschen tragen." Ich lächelte freundlich. „Muss sie auch nicht. Wenn sie will, können auch wir sie tragen. Mach dir um uns mal keine Sorgen." Mit diesem Satz war es mal wieder an der Zeit für Eragon, verwirrt auszusehen. Er murmelte leise etwas von dem er dachte, wir könnten es nicht hören. „Unmöglich, wie soll man bitte einen Drachen vom Fleck bewegen wenn dieser nicht will?"
Zu seiner Überraschung bekam er auf diese rhetorische Frage eine Antwort von Annabeth. „Entweder indem man stark genug ist oder in dem man deutlich größer ist... oder beides." Um ihre Worte zu unterstreichen, verwandelte ich mich in die Gestalt eines riesigen Drachen. Als Vorbild nahm ich einen aus einem Film namens „der Hobbit". Nur dass ich noch deutlich größer als Smaug wurde. Saphira knurrte überrascht.
Ich wurde wieder zum Menschen und sah meine Mitreisenden an. Annabeth rollte die Augen. Was hat sie denn? Eragon wirkte wie erstarrt und die Drachendame fletschte weiterhin die Zähne. Okaaaay, vielleicht hatte ich ein klein wenig übertrieben. „Vergessen wir das einfach! Wir werden euch etwas unauffälliger folgen." Der junge Reiter schüttelte sich kurz und nickte dann. Annabeth wurde wieder zur Schneeeule und ich entschied mich für einen Seeadler. Eigentlich wäre eine Möwe am naheliegendsten gewesen, aber diese war mir zu langweilig und zu gewöhnlich.
„Könnt ihr in so kleinen Gestalten denn mein Tempo halten?", wollte Saphira wissen. Ich wollte eigentlich mit einem Grinsen antworten, doch leider gab mein Schnabel das nicht her und es sah eher wie eine Grimasse aus. „Wenn ich möchte können wir auch noch schnell zurück zu den Varden fliegen und uns dort was zu essen holen, ehe du auch nur die Berge verlassen hast. Und sobald wir in etwas dünner besiedelten Gebieten sind, wechseln wir auch auf größere Flügel."
Es schien der Drachendame verständlicherweise überhaupt nicht zu gefallen, dass ich behauptete, dass ich sie derart deklassieren könnte doch sie stieß nur ein weiteres tiefes Knurren aus, wenn sie nicht wüsste, dass das nicht klappen würde, hätte sie mich jetzt vermutlich gefressen, und streckte ihre Flügel aus.
Der Wind, den sie beim Abheben verursachte, erschwerte Annabeth und mir den Start zwar etwas doch wir kamen trotzdem gut in die Luft. Saphira wollte uns provozieren indem sie langsam ihr Tempo erhöhte, doch wir taten als würden wir es nicht bemerken und passten uns an. Irgendwann war natürlich der Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr schneller konnte und so schossen wir eine Zeit lang durch den Himmel.
Als ich bemerkte, wie ihre Flügelschläge langsam langsamer wurden, machte ich ihr in Gedanken ein Angebot. „In Anbetracht der Zeit ist es wichtig, dass wir so schnell wie möglich reisen, aber ich sehe, dass du es am Anfang ein wenig mit dem Tempo übertrieben hast. Wenn du möchtest, gebe ich dir die Kraft um dieses Tempo den gesamten Weg zu halten. Du brauchst nicht ablehnen weil du fürchtest, dass es uns zu viel Kraft kostet. Du musst auch nicht fürchten, dass wir dich deshalb für abhängig oder schwach halten. Es ist nur für den Weg um Zeit zu sparen. Also, was sagst du?"
Sie blickte mich seitlich aus einem großen blauen Auge an. „Du hast eben alle Punkte getroffen, Meeresaugen-mächtig-sonderbar, die mir dabei Gedanken machen würden. Wenn es für dich wirklich keinen Unterschied macht, so schwer ich mir das auch vorstellen kann, wäre es mir eine Ehre, Kraft von dir zu empfangen. Drachen sind eigentlich nicht gerne auf Hilfe angewiesen, aber in Anbetracht der Situation ist es tatsächlich besser, wenn wir sowas hinten anstellen und uns aufs äußerste beeilen."
Ich machte den Versuch mit meinem Adlerkopf zu nicken, was mir auch einigermaßen gelang, wenn auch so ruckartig, dass ich mich fast selbst erstach, und öffnete dann einen winzigen Strom an Kraft, die meinen Geist verließ. Bei meiner gesamten Kraft würde das auch über Wochen hinweg keinen Unterschied machen doch für Saphira war es genug um ihre Geschwindigkeit noch weiter zu erhöhen. Auf ihrem Rücken bekam Eragon einen ziemlichen Schreck und hielt sich stärker an der Halszacke vor ihm fest.
Wir waren inzwischen so schnell, dass man die Landschaft unter uns nur noch schemenhaft erkennen konnte und definitiv schneller als es Saphira jemals zuvor selbst im Kampf gewesen war. Ohne meine Kraftreserven würde sie höchstwahrscheinlich in den nächsten fünf Minuten abstürzen oder zumindest landen müssen... nicht, dass ich darüber nachdenke... nur so ein Gedanke.
Sobald wir dann die letzte Stadt der Zwerge, Tarnag, passiert hatten, verwandelten wir uns zurück in unsere menschlichen Gestalten mit den Flügeln in der Größe, dass sie Saphira nicht mehr um viel nachstanden. Das wurde auch nicht viel später von unseren Mitreisenden bemerkt und in Gedanken hörte ich, wie Saphira feststellte: „Also das meinte Rhunön, als sie von den Flügeln sprach."
„Sie hat euch davon erzählt?", wollte Annabeth überrascht wissen. „Versehentlich. Sie dachte, wir würden schon davon wissen. Mehr hat sie aber auch nicht verraten", erläuterte Eragon, bevor er ergänzte: „Die sehen wunderschön aus!"
Annabeth lächelte und bedankte sich. „Ich glaube trotzdem, dass Saphiras besser zu ihr passen", erwiderte sie. Ein tiefes, wohliges Summen erfüllte die Luft, sodass wir alle wortwörtlich spürten, wie die Freude der Drachendame uns durchdrang. Wir wussten, dass sie sich einiges auf ihr Aussehen einbildete, also warum ihr damit nicht einmal helfen?
Am späten Nachmittag tauchte schließlich in der Ferne ein länglicher See auf. Nicht so groß, dass er auf den noch recht simplen Karten dieses Landes verzeichnet wäre, aber doch groß genug, um für die Überquerung mehr als zehn Minuten zu brauchen. Das Wasser schimmerte blau und ich musste nur einen Blick mit Annabeth wechseln, bis wir uns einig waren. „Fliegt einfach weiter!", trugen wir unseren Schützlingen auf, „Wir stoßen gleich wieder zu euch."
Sobald wir ihre Kenntnisnahme sahen, ließen wir uns beide seitlich abdrehen, bis wir im Sturzflug hinab auf den Strand an der Mündung des Flusses an unserem Ende hinab stürzten. Wir wurden immer schneller und erst als wir bereits unter der Höhe der Baumwipfel waren, streckten wir unsere Flügel mit einem Schlag voll aus. Über eine Falldistanz von nichtmal zwei Metern hinweg wurde aus dem freien Fall ein perfekt waagerechter Flug, in dem wir nun über das Wasser hinweg schossen. Die Spitzen unserer Flügel lagen ganz leicht aneinander.
Ich blickte zu ihr hinüber und die schon tief gesunkene Abendsonne stand so perfekt hinter ihrem Kopf, dass sie genau so sehr strahlte, wie meine Vorstellung das immer für mich ergänzte. Wer braucht schon einen Heiligenschein? Einem glücklichen Gesicht von ihr vertraute ich so viel mehr.
Irgendwann hatte ich dann Lust auf ein kleines Kunststück und so machte ich, obwohl zwischen uns und der Wasseroberfläche kaum mehr als die Länge eines halben Flügels Platz war, eine überdrehte Rolle seitwärts in der Luft, die mich genau unter Annabeth schleuderte. Unter meinem Rücken war jetzt direkt die Freiheit des Wassers und über mir, direkt vor meinem Gesicht, glitt sie entlang und lächelte mir zu.
Ganz langsam sank sie weiter zu mir herab, nein, ich werde das nicht mit einem Engel vergleichen, denn erstens fliegen Engel selten in halsbrecherischstem Tempo über Seen hinweg und zweitens war sie sowieso schöner, bis uns wirklich nur noch eine Hand breit voneinander trennte.
Ich legte meine Hände sanft auf ihren Rücken, genau unter die in diesem Fall seidenweichen Flügel, und als ich sie so auch die letzten Zentimeter an mich heran zog, tat sie das selbe bei mir, nur dass das Gewicht ihrer Hände auf meinen Flügeln lag.
Als wir nun in einem glücklichen, leidenschaftlichen Kuss versanken, war die letzte physische Empfindung, die ich noch wahrnahm, wie ihre Flügel ebenfalls leicht absackten und so bis auf Armlänge Abstand genau auf meinen lagen.
Es war wieder so ein Moment, in dem ich das Gefühl hatte, dass alles in meinem Leben seinen Wert gehabt hatte, dass jedes Leiden, was wir hatten ertragen müssen, am Ende zu diesem Glück geführt hatte, dass jedes Leiden mit einem entsprechend großen Wohl belohnt worden war. Vielleicht ein kitschiger Gedanke, aber er ist meine beste Möglichkeit, mir selbst ein Gefühl von Erfüllung zu geben. Als wären diese ersten siebzehn Jahre nicht sinnloser Schmerz gewesen.
Und auf einmal waren meine Schwingen verschwunden. Nur Annabeths waren noch da und umschlossen uns fast wie ein Kokon, während wir ins Wasser stürzten. Natürlich absichtlich. Ihre Hände lagen nun, wo meine Flügel zuvor im Weg gewesen waren, auf meiner Schulter. „So hat es alles begonnen, Algenhirn!", flüsterte sie.
„Und es wird sich nie etwas daran ändern. Niemals, weises Mädchen!", erwiderte ich ebenso leise wie sanft. „Solange wir zusammen sind!" Dieses Mal zog sie mich vor und ich lehnte meinen Kopf auf ihrer Schulter an ihren an. Ich war so wunschlos glücklich, dass ich in diesem Moment jedes Kindermärchen über das Paradies langweilig gefunden hätte.
Dieses eine Leben war inzwischen so schön, und selbst wenn ich normal altern und nach hundert Jahren auf der Erde sterben würde, warum sollte ich ein Leben danach im Paradies wollen, wenn ich mir das Paradies bereits auf die Erde geholt hatte. Oder genau genommen das Paradies auf Erden mich gefunden hatte.
Das war tatsächlich ein ziemlich grundlegender Gedanke. Ich wusste jetzt, dass das Leben so schön sein konnte, etwas, was ich noch vor zwei Jahren aufs Strengste verleugnet hätte, aber wenn ich wusste, dass meine Chancen, in einem anderen Leben das selbe Glück abzubekommen, zu dem ich mich in diesem durchgekämpft hatte, warum zum Beispiel sollte ich dann meine Vergangenheit ändern oder in meiner Zukunft im Paradies leben wollen? Das eine würde nur mein hier und jetzt gefährden und das andere hatte einfach nichts zu bieten.
So, Manfred, jetzt darfst du. Danke, dass du dir deinen Kommentar gespart hast. Die Anmerkung, dass die beiden doch bestimmt am Ende des Sees gegen einen Baum fliegen, hätte wirklich nicht zur Emotionalität der Szene beigetragen. Damit tue ich ich mich ja schon so schwer. Na schön, ab und an kann ich das auch mal zulassen. So, schönen Sprung in den Abend.
Als der Abend herein brach, hatten wir bereits große Teile des Flachlands zwischen Du Weldenvarden und dem Beor-Gebirge hinter uns gebracht. Auf dem gesamten Weg hatten wir nur einmal halt gemacht, weil Eragon etwas trinken musste und es auch für seinen Drachen angenehmer war, dies ab und zu zu tun. Die Nacht flogen wir einfach durch und so erreichten wir im Morgengrauen, welches um etwa vier Uhr war, die Ausläufer des großen Waldes. Das war natürlich kein Grund langsamer zu werden und so schossen wir mit unverminderter Geschwindigkeit über die Baumwipfel.
Einige Stunden nachdem wir die ersten Bäume passiert hatten, spürte ich das Bewusstsein des uralten Elfen, des Torhüters von Ellesméra, da er uns jedoch nicht beachtete, das heißt, wir uns ihm nicht zeigten, flogen wir einfach weiter. Auch Drache und Reiter wurden durchgelassen doch sie mussten zumindest um Erlaubnis bitten.
Es war eines der merkwürdigeren Phänomene der Elfen. Gilderin der Weise war der Wächter der Hauptstadt. Obgleich er einer der mächtigsten Elfen in der Geschichte war, wäre auch er nicht in der Lage, den gesamten Teil des Waldes zu kontrollieren um nach Eindringlingen zu suchen, geschweige denn unerwünschte Gäste auch rauszuwerfen.
Deshalb nutzte er die vom Menoa Baum ausgehende Magie und Kraft des Waldes um von den einzelnen Bäumen aus seinen Geist ausstrecken zu können, ohne physisch anwesend zu sein. Eine ungemein komplizierte und konzentrationsaufwendige Praxis, aber er hatte sie wahrlich gemeistert.
Die Energie und das Netz aus Verbindungen, welche die Bäume alle verbanden und den Zauberwald, denn so wurde er oft betitelt, zu solcher Größe heranwachsen ließen, waren ebenfalls magischer Natur. Rhunön war die uralte Göttin des Waldes. Ihre Schmiede stand nahe dem Menoa Baum, dem Zentrum von Du Weldenvarden, und ihre Stärke war es, die den gesamten Norden des Landes zusammen hielt. Jeder Baum wurde durch sie mit jedem anderen vernetzt und so hatten einige auserwählte, auch wenn sie nicht wussten, dass die Schmiedin dafür verantwortlich war, die Möglichkeit, eben das zu tun, was Gilderin seit Jahrhunderten tat. Die Reichweite des eigenen Geistes durch die Natur verlängern und dort über die geistigen Fühler Dinge erspüren und Einfluss nehmen.
Das war es auch, wenn wir schon bei einer kleinen Geschichtsstunde sind, was Oromis die Möglichkeit gegeben hatte, Eragon in Farthen Dûr zu kontaktieren und ihm mit seinem mentalen Kampf gegen die Geister des Schattens zu helfen. Es war wirklich faszinierend, wie viel Gutes Rhunön also noch ermöglicht hatte, statt bitter über ihren Verstoß zu werden.
Zurück zum Thema. Durch diesen schnellen Durchlass kam es also, dass wir etwa um acht Uhr die aus lebendigen Pflanzen bestehenden Siedlungen von Ellesméra erreichten. Aus der Luft war dieser Anblick jedes mal wieder beeindruckend. Egal wie genau man hin sah, solange man nicht wusste, wonach man suchen sollte oder meine beziehungsweise Annabeths unfassbar scharfe Augen hatte, war es annähernd unmöglich, die Hauptstadt vom umliegenden Wald zu unterscheiden.
Mangels Zeit setzten wir direkt zum Landeanflug über den Felsklippen, bei denen Oromis und Glaedr lebten, an. Da Saphira ihre Beine jetzt über einen Tag lang fast nicht benutzt hatte, kam sie etwas holprig auf und stolperte einige Schritte, oder wie man das bei tonnenschweren Drachen nennt, nach vorne und ließ sich dort am Bach nieder.
Wir blickten uns auf der Lichtung um und ich konnte gerade so Oromis' Haarschopf in der kleinen Hütte am Rand ausmachen. Sein goldener Gefährte lag bei einem Haufen Steine in der Sonne und schien sich zu wärmen. Von weitem sah er aus wie ein riesiger gezackter Goldbrocken. Es war ein durchaus beeindruckender Anblick, auch wenn ich sowas leider in den letzten Monaten nur noch extrem selten empfinde. Jemanden zu beeindrucken, der Tartarus, mehrere Welten und Chaos Palast Live und in Farbe erlebt hatte, war nicht besonders einfach.
Wir mussten mehr als zwei Minuten warten doch schließlich verließ der silberhaarige Elf seine Hütte. In dieser Zeit hatte ich mich wieder von meinen Flügeln getrennt und die Hand meiner Verlobten ergriffen, welche sich ebenfalls wieder in ihre normale Gestalt gebracht hatte.
Eragons Lehrmeister musterte uns skeptisch: „Arya hat mich über euer kommen unterrichtet doch so früh hatte ich euch nicht erwartet. Wie kommt das?" Einen Augenblick lang zögerte Eragon, woraus ich schloss, dass Saphira nicht alles gesagt hatte, und ich machte eine kleine Andeutung. „Ich würde sagen, wir haben Saphiras Flug ein klein wenig beschleunigt. Den Rest kannst du dir inzwischen wohl denken." Auf höfliches siezen hatte ich gerade absolut keine Lust.
Er wusste, dass ich derjenige war, der die Umgangsform zu bestimmen hatte und so nickte er einfach. Inzwischen schien er sich so leidlich damit abgefunden zu haben, dass der elfische Glaube über die Natur nur begrenzt richtig war und es tatsächlich eine Art Schöpfer gab.
Während sich die beiden Drachen auf der Wiese ausstreckten, gab Oromis uns ein Zeichen, ihm in die Hütte zu folgen und ging voran. Drinnen setzten wir uns um den kleinen Tisch, auf dem eine Schale mit Früchten stand falls jemand Hunger bekommen sollte, und der alte Elf begann zu sprechen. „Ihr seid also tatsächlich noch zurück gekommen. Ich vermute es geht sowohl um persönliche Fragen als auch um allgemeine Dinge, oder?" Während ich mir aus Appetit einen Apfel aus der Schale nahm, bestätigte Eragon Oromis Vermutung. „Allerdings, Meister..."
Thalia pov
Während Rorans Trupp müde und nicht sonderlich motiviert die letzten Tagesmärsche zum Vardenlager zurücklegte, hatte ich fast ununterbrochen gute Laune, was bei mir ja eher selten passiert. Die meisten hatten irgendwelche Verletzungen, die entweder schmerzhaft waren oder sie in ihren Bewegungen einschränkten. Auch die, die den letzten Angriff ohne Schäden überstanden hatten, waren etwas geknickt. Fast ein Drittel unserer Leute war dabei umgekommen und sowas hinterließ Spuren.
Da ich keinen der Gefallenen mehr als namentlich gekannt hatte und bereits viel größere Schlachten gesehen und ausgefochten hatte, berührte mich dieser Vorfall nicht mehr so sehr. Es war nicht so als wäre es mir egal, aber es reichte nunmal nicht, mich von meiner Hochstimmung abzubringen. Ich war nicht in einer kitschigen ‚alles ist toll'-Stimmung, es war eher so einen Grundzufriedenheit die alle Probleme leichter erscheinen ließ und gute Dinge in einem noch besseren Licht anstrahlte.
Ich redete fast ununterbrochen mit Luke und erfuhr auch viele Dinge, von denen ich nur gehört hatte. Teils aus dem Krieg, teils aus der Unterwelt, sogar das ein oder andere aus der Zeit ehe wir uns das erste mal getroffen hatten. Seine Beschreibung von den Gesichtern der Totenrichter, als Hades erschienen war und ihn ins Elysium schickte, war vielleicht der beste Teil daran. Natürlich war nicht alles davon nur glücklich, aber ich hatte das Gefühl, dadurch, dass er darüber sprach, konnte er das alles besser verarbeiten.
In den ersten Tagen war es noch schwierig gewesen, so offen miteinander zu sprechen. Es war zu viel passiert als das wir sofort wieder so frei reden konnten wie wir es getan hatten, ehe ich gebaumt wurde. Dieser Teil ist vielleicht ein wenig merkwürdig, denn immerhin hatten wir es ja geschafft, noch ein Gespräch über Gefühle zu führen, und im Vergleich dazu sollte der Rest ja eigentlich leicht sein. Irrtum!
Je mehr Tage verstrichen, desto kleiner wurde diese Blockade, aber trotzdem brauchte es eine ganze Weile, bis wir sie nahezu vollends abgelegt hatten. Unser Kampf mit den Zombies war inzwischen fast eine Woche her und am Vortag hatte ich es sogar geschafft, mich zu überwinden, über meine Mutter zu sprechen. Das war bisher immer ein Tabuthema gewesen. Selbst mit Jason hatte ich nicht wirklich über sie gesprochen.
Ich muss sagen, dass ich diesen offenen Umgang genoss. Es war viel besser als die ewigen Regeln mit den Jägerinnen, wo man bei jedem Seitenblick von einem Jungen überlegen musste, ob er dafür schon einen Schlag auf die Nase verdient hätte. Definitiv eine Umgewöhnung, aber es hat sich gelohnt. Ich war aus der Monotonie, die mich im Lager ergriffen hatte und auch über größere Strecken den Anfang unseres kleinen Auftrags, herausgekommen und hatte auch das Gefühl, dass ich nicht wieder hinein fallen würde, sobald wir im Lager angekommen wären. Im Notfall könnten Luke und ich ein wenig Unsinn mit dem Zelt von Annabeth anstellen und danach wäre ganz sicher nichts mehr mit monotoner Eintönigkeit.
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4511 Wörter
Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.
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