14. Dezember - Auskundschaften der Konkurrenz
James saß in der Großen Halle, hatte den Kopf auf seine verschränkten Arme gelegt und dachte an Regulus. Wobei, nein, eigentlich dachte er nicht an ihn, sondern versuchte herauszufinden, warum er nicht aufhören konnte, an ihn zu denken. War es die Wette? Er war Rumtreiber, Wetten gewinnen zu wollen, war seine Natur, aber so sehr hatte er sich noch nie darauf fokussiert. In den letzten Tagen, wie es schien, kreisten seine Gedanken um kaum etwas anderes.
"Krone, wenn du Minnie morgen was abgeben willst, solltest du mal aufhören, an Lily zu denken und anfangen, etwas aufzuschreiben."
James sah hoch und Remus böse an, der amüsiert grinste, bevor er zu seinem Aufsatz zurück kehrte.
"Streber", hustete er, bevor er sich aufrichtete und zu seiner Feder griff, in der Hoffnung, dass ihm irgendetwas gutes zu Ganzkörperverwandlungen einfiel. Remus, der in den letzten sechseinhalb Jahren von ihm und den anderen Jungs vermutlich häufiger Streber als Moony genannt worden war, reagierte entsprechend gelassen.
"Ich kann mich nur nicht konzentrieren, weil die Hufflepuffs und ihr dämlicher Theaterkreis so laut sind", maulte James die heutige Ausrede seiner Wahl und sah hinüber zu der kleinen Gruppe, von denen zwei auf dem Hufflepufftisch standen und dramatisch die (im originalen Märchen nicht vorhandene) Duellszene aus der Bühnenversion vom Brunnen des wahren Glücks zum Besten gaben.
Remus sah wieder hoch, aber auf seinem Gesicht war kein Mitleid, höchstens ein bisschen Schadenfreude.
"Tja, du wolltest gegen Marlene wetten, dass du es schaffst, den kompletten Dezember nur Os und Es zu schreiben, ohne einen Fuß in die Bibliothek zu setzen", erinnerte er ihn. James stöhnte erneut genervt auf und ließ seinen Kopf wieder auf seine Arme sinken.
"Ich hatte nicht damit gerechnet, dass man in diesem Schloss nirgendwo sonst seine Ruhe findet", jammerte er. Remus lachte leise und James hörte, wie seine Feder wieder auf dem Pergament zu kratzen begann. Einen Moment suhlte er sich in seinem Neid auf seinen Freund, den nichts und niemand beim Lernen stören konnte (wirklich nichts, James, Peter und Sirius hatten ausführliche Studien durchgeführt!).
Gerade hatte er sich entschlossen, doch mal etwas für Verwandlung zu tun und sogar schon sein Lehrbuch gefunden (oder, naja, nicht gefunden, aber er hatte zumindest angefangen, in seiner Tasche danach zu wühlen), als sich zwei Mädchen von der Tür aus in ihre Richtung bewegten.
James sah ihnen irritiert entgegen, als sie direkt auf ihn und Remus zusteuerten und sich neben Remus zu ihnen an den Tisch setzten. Die eine kannte er, sie war die Kapitänin des Slytherin-Quidditchteams, die andere kam ihm vage bekannt vor, aber ihren Namen kannte er nicht.
"Brittwillow", grüßte er sie mit einem Kopfnicken. Dann glitt sein Blick zur anderen. "Und...?"
"Hawthorne-Beech", erklärte sie mit einem breiten Lächeln und hielt ihm die Hand entgegen. "Alissa."
James schüttelte sie, immer noch schwer irritiert.
"Was gibt's?", fragte er misstrauisch. Beide grinsten.
"Ach, eigentlich nichts", erklärte Alissa. "Eloise und ich wollten nur mal die Konkurrenz auskundschaften."
"Die Konkurrenz?", wiederholte James verwirrt. Das Quidditchspiel gegen die Slytherins war doch erst im Frühjahr! Sie hatten noch das ganze Spiel gegen Hufflepuff, bei dem sie die Strategien der Gryffindors beobachten konnten.
"Ja klar." Eloise schmunzelte. "Schließlich verfolgen wir das ganze auch aus der Ehrenloge." Sie stupste Remus mit ihrer Schulter an. "Welches Team bist du, Lupin?"
Remus sah hoch und musterte sie skeptisch.
"Ich enthalte mich", erklärte er trocken. James sah ihn angegriffen an. Seit wann war Remus nicht mehr für Gryffindor?? Kein Rumtreiber hatte sich jemals beim Quidditch enthalten!
Alissa zog eine Schnute.
"Wie langweilig", meinte sie. Dann grinste sie wieder und lehnte sich verschwörerisch nach vorne Richtung James. "Also, wie würdest du aktuell deine Chancen einschätzen?"
James sah zwischen ihr und Eloise hin und her.
"Äh...", machte er unsicher. "Ziemlich gut? Wir trainieren hart, wir haben gute neue Strategien und unsere Spieler holen das beste aus sich raus." Er sah Eloise ein bisschen verärgert an. "Wieso, seid ihr so schlecht, dass ihr auf billige Spionage zurückfallen müsst?"
Kurz sahen die beiden etwas verwirrt aus, dann musste Alissa laut lachen.
"Oh, Mr Potter", flötete sie übertrieben und legte eine Hand auf seinen Arm. "Niemand interessiert sich gerade für Quidditch!" ("Hey!", protestierte Eloise leise, wurde aber ignoriert.) "Es ist Dezember! Aktuell verfolgen alle gebannt die Lily-Evans-Weihnachtswette!"
James verschluckte sich an dem Kürbissaft, den er gerade getrunken hatte.
"Die was?", fragte er schockiert. Er sah von Alissa zu Eloise und dann zu Remus, der versuchte, schockiert auszusehen, aber seinen schuldbewussten Gesichtsausdruck nicht verbergen konnte. "Moony! Was ist die Lily-Evans-Weihnachtswette?"
Remus räusperte sich leise.
"Wie bereits gesagt", murmelte er, "ich enthalte mich."
James warf ihm einen bösen Blick zu.
"Wie kann es sein, dass du davon weißt, aber nichts gesagt hast?", forderte er. "Ich dachte, wir sind die Rumtreiber und haben keine Geheimnisse voreinander!"
Remus verdrehte die Augen.
"Also erstens würde ich es nicht als Geheimnis bezeichnen, wenn wir dich nicht über jedes bisschen Klatsch informieren, das wir mitbekommen und zweitens - ich schulde dir gar nichts, bevor du nicht zugibst, dass du letztens Schokolade aus meinem Geheimvorrat geklaut hast."
James zog eine Schute.
"Das war ich nicht", log er. Dann drehte er sich wieder an die beiden Slytherins, die amüsiert zugehört hatten. "Was ist denn jetzt diese Lily-Evans-Weihnachtswette?"
Alissa grinste.
"Es ist aktuell das Hogwarts-Event schlechthin", meinte sie, "ich kann nicht glauben, dass du davon nichts mitbekommen hast."
Eloise lehnte sich ein Stück nach vorne und James verschränkte die Arme.
"Es gibt einen großen Wettenpool", erklärte sie, "wie letztes Jahr als Pucey und Hance die Quidditchwette am Laufen hatten, weißt du noch?"
James schnaubte. Natürlich wusste er das noch. Die damaligen Kapitäne und Sucher von Ravenclaw und Gryffindor hatten eine gigantische Wette begonnen, wer von ihnen mehr Schnatze fangen konnte. Es war...ein bisschen ausgeartet, weil die ganze Schule angefangen hatte, Schnatze mit sich herumzutragen und sie freizulassen, sobald die beiden in einem Raum waren. Ein paar Hufflepuff-Fünftklässlerinnen hatten sich als exzellente Organisatoren und Protokollanten für die Einsätze erwiesen. James und Sirius waren vielleicht für den Schwarzmarkt an Schnatzen verantwortlich gewesen (aber niemand würde das je beweisen können).
Ganz Hogwarts hatte einen riesigen Wettenpool begonnen, in den jeder, der wollte, einen Betrag seiner Wahl auf Pucey, Hance oder einen anderen Wettausgang seiner Wahl setzen konnte. Gewonnen hatte ein anderer damaliger Siebtklässler, der darauf gesetzt hatte, dass das ganze mit Schulverweisen oder einer Geldstrafe enden würde. Nachdem ein während der UTZ-Verwandlungsprüfung freigelassener Schnatz ein riesiges Chaos ausgelöst hatte, hatte Professor Dumbledore die Wette offiziell für beendet erklärt und alle Beträge waren an die jeweiligen Wettenden zurückgegeben wurde, sodass dem Sieger wirklich nur die Ehre (und eben seine eigene Geldstrafe fürs Stören einer Prüfung) blieb. Aber Mann, würde er in die Hogwarts-Annalen eingehen!
"Natürlich weiß ich das noch!", erklärte James also etwas schnippisch. Dann übermannte ihn doch die Neugier. "Und, welches Team liegt aktuell vorne?"
Alissa und Eloise tauschten ein Grinsen.
"Also", begann Eloise, "es gibt aktuell vier ziemlich starke Teams."
"Vier?", fragte Remus überrascht. "Ich dachte drei." Eloise schüttelte den Kopf.
"Nein, vier."
"Du hast ziemlich die Nase vorn", beruhigte Alissa James, der nicht anders konnte, als erleichtert zu grinsen. "Was ich vor allem darauf schiebe, dass deine Aktionen alle ziemlich...öffentlich waren. Dafür, dass er sich bisher noch gar nicht für Miss Evans lächerlich gemacht hat, ist Reg dir aber gut auf den Fersen. Ich bin natürlich in seinem Team." Sie lächelte siegessicher. Eloise schnaubte.
"Ich bin das Team, von dem ich hoffe, dass es klein bleibt, damit wir, wenn wir dann gewinnen, möglichst viel Profit machen", erklärte sie. "Team Lily-Evans-Braucht-Keinen-Freund."
Alissa verdrehte die Augen.
"Siehst du, und das macht mich zu einer besseren Freundin als dich", stichelte sie. Eloise beachtete sie nicht wirklich.
"In letzter Zeit hat sich allerdings noch eine ziemlich starke vierte Front geformt", berichtete sie stattdessen. Alissa nickte.
"Team Sirius!"
Remus verschluckte sich und begann zu husten. Und auch James sah die Mädchen ziemlich zweifelnd an.
"Es gibt Leute, die denken, Lily wird mit Sirius zusammenkommen?", fragte er. Alissa und Eloise tauschten einen Blick und ein Schulterzucken.
"Und das sind gar nicht mal so wenige", sagte Eloise.
"Ich meine", räumte Alissa ein, "sie verbringen sehr viel Zeit miteinander seit letztem Jahr und das ist rein zufällig auch fast der gleiche Zeitraum, in dem Mistah Black -", sie sagte seinen Namen in einem übertrieben südenglischen Akzent, wieso auch immer, "- aufgehört hat, zu daten." Sie zuckte mit den Schultern.
James musste ungläubig lachen. Ja, Sirius' Freundschaft mit Lily hatte sich recht parallel zu seiner Beziehung mit Remus aufgebaut (vor allem dadurch, dass Lily die beiden aktiv ermuntert hatte, mehr Zeit miteinander zu verbringen), aber James war nie der Gedanke gekommen, dass Leute das so interpretieren würden, dass die beiden Interesse aneinander hatten.
Allgemein fiel es James schwer, sich Sirius mit ehrlichem Interesse an einem Mädchen vorzustellen, wusste er doch schon seit sie zwölf waren, dass Sirius romantisch sehr, sehr wenig für den weiblichen Teil der Gesellschaft übrig hatte. Dass er sich mit Mädchen sehr gut verstand und die Gerüchteküche das das ein oder andere Mal frei interpretiert hatte, war streng genommen nicht seine Schuld gewesen.
"Ich hoffe mal, da hat niemand von euch allzu viel Geld drauf gesetzt", murmelte er nur. Remus schwieg, sichtlich wenig begeistert vom Gesprächsverlauf.
Es war nicht so, dass die beiden ihre Beziehung wirklich geheim hielten. Aber sie hatten es auch nicht darauf angesetzt, sie vor der ganzen Schule zur Schau zu tragen. Das lag nicht direkt an einer Angst vor irgendwelchen Reaktionen, aber ohnehin legte keiner von ihnen großen Wert auf öffentliche Liebesbekundungen und so beschränkten sie das auf private Räume und sparten sich die Kommentare und Meinungen.
"Also", lenkte Alissa James' Aufmerksamkeit wieder auf sich. "Wie gut siehst du deine Chancen?"
James holte tief Luft. Richtig, für einen Moment hatte er angesichts seiner Begeisterung über eine schulweite Wette vergessen, dass er daran teilnahm.
"Joa", machte er großspurig, obwohl sein Enthusiasmus größtenteils gespielt war, "ich glaube natürlich, dass ich gewinne!"
Aber vielleicht lag es an der Größe der Wette oder daran, dass seit dem Gespräch mit Regulus gestern das schlechte Gewissen an ihm nagte - auf jeden Fall musste er überrascht feststellen, dass ihm ein Date mit Lily gar nicht mehr so wichtig war.
Es gab gestern ein bisschen Verwirrung, mit der ich nicht gerechnet hatte, also fürs Protokoll: ich persönlich gehe NICHT davon aus, dass Severus Snape mit sechzehn genug Legilimentik beherrscht, um Regulus' Gedanken gelesen zu haben. Ich hatte eigentlich gedacht, dass Regulus entweder mal unabsichtlich einen Kommentar gemacht hat oder dass es einfach ein Schuss ins Blaue war. Vor allem aber wollte ich zeigen, dass Regulus' in der ganzen Sache ziemlich Panik schiebt und sein Hirn sich ganz schön abwegige Szenarien überlegt.
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