Regulus saß auf einem Sessel nah am Kamin im Gemeinschaftsraum und schmiss frustriert kleine Stöckchen ins Feuer, die unten heraus gefallen waren. Er war tief in die Kissen hineingerutscht und wenn man es objektiv betrachtete, konnte man das Wort "sitzen" für seine Körperhaltung eigentlich nicht mehr guten Gewissens verwenden.
Das Gespräch mit Eloise am Mittwoch wollte ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Er war ein Slytherin, er hasste es, falsch zu liegen. Aber gleichzeitig verstieß es gegen seinen Slytherin-Ehrgeiz, objektive Argumente abzutun, nur weil sie nicht zu seiner Meinung passten. Und Eloise' Argumente waren wirklich nicht schlecht gewesen.
Nach einem Crashkurs in Genetik verstand er zumindest, dass es nicht förderlich war, immer und immer wieder seine Cousins zu heiraten. Es schien Eloise eine morbide Freude verschafft zu haben, dass die Reinblüter damit auf einem geraden Weg in Richtung Selbstvernichtung standen.
Andererseits schüttelte man nicht einfach so 16 Jahre Erziehung ab. Er war kein Rebell wie Sirius. Vielleicht war der Reinblutwahn zu extrem, aber die magische Gesellschaft bestand nicht nur aus Blut. Was war mit all den Traditionen der Zauberergemeinschaft? Er wusste, dass die wenigsten Ehen, zu denen Halbblüter oder Muggelstämmige gehörten, die alten Sitten lebten. Wenn Reinblüter außerhalb der Gemeinschaft heirateten, kehrten sie dieser oft den Rücken, lebten manchmal sogar unter Muggeln. Die Zauberergemeinschaft zerbröckelte langsam. Musste das nicht verhindert werden?
Eine leise Stimme in seinem Kopf merkte an, dass die meisten Reinblüter die Familien hauptsächlich deshalb zurückließen, weil ihre Partner in den Kreisen nicht erwünscht waren und sie als Blutsverräter angesehen wurden.
Er brummte unzufrieden und beobachtete frustriert, wie die Flammen die kleinen Holzstücke systematisch vernichteten.
"Du siehst ja aus, als hättest du phänomenale Laune", sagte jemand hinter ihm. Dann quetschte sich Alissa auf die Armlehne seines Sessels. "Wie geht es Miss Evans? Ist sie deinem Charme schon verfallen?"
Regulus sah sie böse von unten an, aber sie grinste nur breit. Mit einem Seufzen rappelte er sich auf - es sollte ihm ja niemand nachsagen können, dass er nicht wusste, wie er sich in Gegenwart einer Dame zu verhalten hatte. Selbst wenn es eine so unerhörte wie Alissa Hawthorne-Beech war.
"Noch nicht", gab er zu. "Aber ich habe ja noch zwei Wochen, nicht wahr?"
Alissa grinste, stand von seiner Armlehne auf und ließ sich stattdessen äußerst undamenhaft auf das nächste Sofa fallen.
"Und was hast du bisher getan, um sie zu verführen?", scherzte sie. Regulus verdrehte die Augen. Aber er konnte nicht anders, als dass seine Gedanken zu gestern zurück schweiften und wie sie ihn draußen auf der Nordtreppe aus ihren großen, grünen Augen angeschaut hatte.
Du bist auch wichtig. Pass auf dich auf.
"Es läuft ganz gut", antwortete er etwas patziger als nötig gewesen wäre und eigentlich nicht wirklich auf ihre Frage. Alissa kniff die Augen zusammen.
"Mr Black!", sagte sie dann verschwörerisch, "sehe ich da etwa das Herz des Eisprinzen schmelzen?"
Regulus erwiderte ihren Blick trotzig.
"Alissa", sagte er, so ruhig wie möglich, "es muss wirklich mehr passieren, als dass mich ein Mädchen einmal anblinzelt und sich nett mit mir unterhält, bevor ich ihr verfalle."
Alissas Grinsen wurde nicht ein Stück kleiner.
"Niemand redet von verfallen, Regulus", erklärte sie. "Aber du kannst ihr ja durchaus etwas zugetan sein."
Regulus schob schmollend die Unterlippe nach vorne. Gleichzeitig ratterten in seinem Kopf alle Rädchen.
War er Lily Evans...zugetan? Er konnte nicht leugnen, dass er sie irgendwie in sein Herz geschlossen hatte. Noch vor zwei Wochen war sie ein Mädchen wie jedes andere gewesen. Intelligent? Zweifelsohne. Hübsch? Hm, ja, vermutlich. Definitiv von ihm respektiert auf vielen Ebenen. Aber nicht mehr.
Jetzt? Jetzt kannte er den Schalk, den es brauchte, zwei unerwünschte Verehrer miteinander auf ein Date zu schicken. Er kannte die Heftigkeit, mit der sie für sich einstand, mit der sie keine Kommentare gegen Muggelstämmige durchgehen ließ. Er kannte ihr ansteckendes Grinsen.
Du bist auch wichtig. Pass auf dich auf.
Sie hatte ihm sein Verhalten nicht durchgehen lassen. Sie hatte ihn herausgefordert, umzudenken. Und wer wusste schon so genau, vielleicht hatte sie das sogar geschafft.
Wer hätte gedacht, dass ein Regulus Black, der durch nichts zu bremsen war, von einer Lily Evans zum Taumeln gebracht würde?
"Reg?"
Er fokussierte seinen Blick wieder auf Alissa, die ihn jetzt etwas besorgt ansah.
"Ich bin ihr nicht zugetan", sagte er, auch wenn es nicht halb so selbstbewusst klang, wie er es sich gewünscht hätte.
"Wenn du das sagst."
"Sage ich."
Er mochte keine Mädchen. Damit hatte er sich lange abgefunden. Es war ein Problem, aber es war keins, was sich beheben ließ. Er mochte keine Mädchen.
Oder vielleicht doch?
Mit einem frustrierten Stöhnen vergrub er das Gesicht in den Händen.
Er hörte Alissa leise in sich hinein kichern. Dann ertönte hinter ihnen das leise Knirschen, das darauf hin deutete, dass soeben Leute von draußen den Eingang zum Gemeinschaftsraum geöffnet hatten. Schritte näherten sich, erst klappernd auf dem Steinboden, dann vom dicken Teppich gedämpft, dann hörte er, wie Alissa die Neuankömmlinge freudig begrüßte. Regulus sah hoch. Es waren Eloise, Florence - die dritte Freundin, die zu ihr und Alissa gehörte, und - Regulus' Laune sank weiter - Snape.
"Reggie, Darling, du siehst unglücklich verliebt aus", zwitscherte Eloise und quetschte sich ungefragt zu ihm in den Sessel. "Aber ich bin nicht das Opfer, oder?"
Regulus verdrehte die Augen und zog ihren Spitzhut über ihre Augen.
"Es ist Lily Evans", erklärte Alissa grinsend. "Ladies und Gentlemen, kommt in den Genuss von Regulus Blacks Wette, die spektakulär nach hinten losgeht." Sie machte eine präsentierende Geste mit den Händen.
Regulus versuchte, sie zu treten, aber leider war sie zu weit weg.
"Es ist nicht Lily Evans", protestierte er. "Und ich bin nicht unglücklich verliebt! Ich bin verzweifelt, weil ich so bescheuerte Freunde wie euch habe!"
"Awww." Florence kicherte. "Das ist genau das, was ich sagen würde, wenn ich unglücklich verliebt in Lily Evans wäre."
Regulus schenkte ihr seinen besten Mörderblick.
"Ich bin nicht in Lily Evans verliebt", betonte er noch einmal.
"Das will ich hoffen", mischte sich nun Snape mit ins Gespräch, in dem Tonfall, den man nutzte, wenn etwas scherzhaft klingen sollte, aber absolut nicht scherzhaft gemeint war. Er klang, als hätte man seinen Kiefer mit einem Einfrierzauber festgestellt.
"Wieso?", fragte Alissa zweifelnd. "Du bist doch eh raus. Entweder Evans entscheidet sich für James Potter oder für Regulus."
"Oder sie hat guten Geschmack und pfeift auf beide", ergänzte Eloise grinsend. "Nichts gegen dich, Reg."
"Wie auch immer." Alissa zuckte mit den Schultern. "Du bist auf jeden Fall nicht mehr relevant."
Snape sah aus, als hätte man ihn gezwungen, eine ganze Zitrone zu essen.
"Weder Potter, noch Black haben sie verdient!", entrüstete er sich. "Ich kenne sie schon, seit wir Kinder waren! Ich habe ihr alles über die magische Welt erzählt! Ich war ihr bester Freund!"
Regulus starrte ihn entgeistert an.
"Wie kann man nur so illusorisch sein?", fragte er entsetzt. "In welcher Welt lebst du, dass man sich ein Mädchen verdienen kann?!"
Snape öffnete den Mund, aber Regulus drückte sich aus seinem Sessel hoch und trat nahe an ihn heran.
"Lily Evans ist eine grandiose junge Frau", erklärte er ruhig. "Sie ist intelligent, witzig und vor allem fähig, sich selbst auszusuchen, welchen Typen sie daten will. Nur weil du mal mit ihr befreundet warst, hast du keine Ansprüche an sie! Sie schuldet dir überhaupt nichts!"
Snape kniff die Augen zusammen und Regulus konnte sehen, wie er seine Hand zur Faust ballte.
"Und was ist mit dir?", fragte er leise und bedrohlich. "Du hast dich keinen Deut um sie gekümmert, bis wir diese Wette angefangen haben. Alles, was dich interessiert, ist zu gewinnen! Tu doch nicht so, als würde sie dir irgendwas bedeuten!"
Regulus trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme.
"Weil sie dir so viel bedeutet", erklärte er kühl. "So viel, dass du sie vor der gesamten Schule ein Schlammblut genannt hast."
Bevor er es wirklich kommen gesehen hatte, sauste Snapes Faust auf sein Gesicht zu und von seiner Nase aus breitete sich ein beißender Schmerz aus. Sofort fingen seine Augen an, zu tränen, aber er konnte noch genug sehen, um zurück zu schlagen.
Ehe er es sich versah, hatten sie sich aufeinander gestürzt, stolperten gemeinsam über den kleinen Holztisch neben der Couch, auf der Alissa immer noch saß und spätestens, als sie ineinander verkeilt auf dem Teppich ankamen, war das Ganze zu einer waschechten Prügelei ausgeartet.
Regulus war zwar wohlerzogen, aber er spielte Quidditch. Es war nicht das erste Mal, dass er mit jemandem handgreiflich wurde. Und jetzt hatte er nicht einmal Hemmungen, alle schmutzigen Tricks auszupacken, die er so kannte.
Um sie herum hörte er laute Stimmen, aber er konnte nicht wirklich einordnen, ob es Protest, Entsetzen oder vielleicht sogar Anfeuerungsrufe waren.
Zu seiner Zufriedenheit konnte er ein paar wirklich gute Treffer landen (wenn er auch ein paar einstecken musste), bevor er gewaltsam von Snape weggezerrt wurde.
"Das reicht", erklärte Eloise hinter ihm mit ihrer vollen Quidditch-Kapitänin-Autorität und hielt ihn mit einem eisernen Griff fest, der ihn noch einmal daran erinnerte, dass sie Slytherins beste Treiberin war (und die entsprechende Armmuskulatur besaß). "Habt ihr euer Testosteron jetzt ausreichend genutzt oder muss erst noch jemand im Krankenflügel landen?"
Sie sah zwischen Regulus und Snape hin und her, der von Florence und Eloise fixiert wurde. Regulus brummte unwirsch und fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Ok, seine Nase blutete auf jeden Fall und er war sich auch ziemlich sicher, dass er ein blaues Auge bekommen würde. Immerhin ging es Snape nicht besser. Es verschaffte ihm eine gewisse Genugtuung, dass man ihm diesen Kampf mindestens ein paar Tage ansehen würde.
Madam Pomfrey hatte schon vor Jahren klar gestellt, dass nach von ihr betitelten "Dumme-Jungen-Raufereien" alle Verletzungen als Konsequenzen angenommen werden mussten und sie sie zwar auf Muggelart verarzten, aber nicht magisch heilen würde - Regulus nahm an, dass sie damit Prügeleien verhindern wollte und er musste zugeben, dass die Zahl erheblich zurückgegangen war, seit man die blauen Augen nicht mehr mit dem Schwung eines Zauberstabs loswurde.
Er bereute trotzdem nichts.
Zumindest hatte ihm die ganze Sache an einer Stelle Klarheit gebracht: für Lily Evans würde er sich jederzeit mit Severus Snape prügeln. Das war ja immerhin schon einmal eine Quantifizierung, mit der er arbeiten konnte.
Der*die Autor*in unterstützt keine Gewalt und möchte mit dem vorangegangenen Kapitel nicht implizieren, dass sie eine akzeptable Möglichkeit zur Lösung von Problemen darstellt.
Schönen Samstag euch allen und seid klüger, als diese beiden Sechzehn- und Siebzehnjährigen und prügelt euch nicht. (Außer mit Geschwistern, da ist es ok xD)
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