8.
TW: In diesem Kapitel werden triggernde Inhalte beschrieben. Unter anderem wird das Thema sexueller Missbrauch angerissen. Wer das Kapitel aus Gründen der eigenen seelischen Gesundheit nicht lesen kann oder möchte, kann sich per PN an mich wenden und ich fasse die wesentlichen Inhalte kurz zusammen. Lesen auf eigene Verantwortung!
Ryan starrte mich an, als wäre ich gerade aus einem Ufo gestiegen und hätte dabei laut die Nationalhymne gesungen. Mein Bekenntnis stand zwischen uns wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Mit einem Mal von aller Kraft verlassen, lehnte ich mich gegen eine Wand und schloss die Augen, um Ryan nicht mehr ansehen zu müssen. Ich wusste auch so schon, wie er mich ansehen würde. Sobald Zoe ins Spiel kam, da war ich nicht mehr die unabhängige Frau, die mit sechsundzwanzig Jahren ganz alleine eine Bäckerei leitete, sondern nur noch eine alleinerziehende Mutter, die ihr Kind durchbringen musste. Die ihr Studium abgebrochen hatte, als sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte und sich direkt ins Berufsleben gestürzt hatte. Es gab fast nichts was abschreckender auf Männer wirkte, als ein kleines Kind das einem die ganze Zeit mit einer Frau stahl. Doch ich wollte den Ausdruck auf Ryans Gesicht jetzt nicht sehen. "Wie alt ist sie"?, fragte Ryan leise und ich spürte wie er sich neben mir gegen die Wand lehnte, doch ich hielt meine Augen immer noch geschlossen. "Drei", antwortete ich und konnte beinahe hören, wie sich die Zahnräder in seinem Kopf in Bewegung setzen, als er nachrechnete. "Dann... dann war sie der Grund warum du damals verschwunden bist", schlussfolgerte er und ich öffnete meine Augen doch wieder und massierte meine Schläfen. "Es ist ein bisschen komplizierter als das", widersprach ich erschöpft. "Dann erklär es mir bitte", bat er mich. Ich starrte an ihm vorbei ins Leere, während ich abwägte, ob das eine gute Idee war. Immerhin wusste er jetzt schon von Zoe, da konnte ich ihm eigentlich auch den Rest erzählen. Ich gab mir einen Ruck und stieß mich von der Mauer ab. "Na gut. Aber wir sollten vielleicht irgendwo hingehen, wo es ein bisschen wärmer ist. Das könnte etwas länger dauern!".
Wenig später saßen wir in einem Café, ein paar Blocks weiter. In meine Bäckerei hatte ich nicht gehen wollen und in dem Café traf ich mich seit jeher mit meinen Eltern, wenn sie hierherkamen. Ich war also gewöhnt, mich in diesem Café mit schmerzhaften Gefühlen und Worten auseinanderzusetzen. Gedankenverloren rührte ich in meinem Pfefferminztee, den eine Kellnerin vor mir abgestellt hatte und versank ganz in meinen Erinnerungen. "Erinnerst du dich noch an den Abend, wo wir uns bei diesem beschissenen Partyspiel geküsst haben?", fragte ich und sah Ryan direkt an. "Als könnte ich das jemals vergessen. Das war der letzte Abend an dem zwischen uns alles noch in Ordnung war", erwiderte Ryan und seine Worte klangen bedauernd. Ich nickte. "An diesem Abend hat sich alles für mich verändert", sagte ich. Ich erinnerte mich noch an diese Party, als wäre es gestern gewesen. An den schalen Geschmack von dem billigen Bier, an die laute Musik, das Duftgemisch das die Jugendlichen bildeten und den Kuss. Immer wieder den Kuss. Ryans Lippen auf meinem, das Kribbeln in meinem Bauch und das rauschende Blut in meinen Adern. Und dann der ziehende Schmerz und die eiskalte Enttäuschung, nach seinem überstürzten Abgang. "Nachdem du damals so schnell von der Party verschwunden bist, habe ich den ein oder anderen Drink gekippt". Ein kleines Lachen entglitt meiner Kehle und ein bitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. "Ich war durch den Wind und abgelenkt und habe nicht auf meinen Drink geachtet. Ich habe die beschissene oberste Regel nicht beachtet, die ein Mädchen auf einer Party nie vergessen darf: Lass niemals, UNTER GAR KEINEN UMSTÄNDEN, deinen Drink aus den Augen". Entsetzen breitete sich auf Ryans Gesicht aus, als er zu erahnen schien, worauf das hinauslief. "Das Letzte woran ich mich erinnern kann, ist wie ich mich betrinke und im nächsten Moment wache ich in einem der Gästebetten auf in diesem Haus wo die Party stattfand. Dazwischen ist ein großes, beschissenes Nichts. Eine ganze Nacht einfach aus meinem Gedächtnis gestrichen". Ich wendete den Blick ab, als die Scham in mir hochstieg. "Als ich aufgewacht bin, da hatte ich mein Kleid an, aber es war vollkommen verrutscht und mein BH fehlte. Ich konnte mich an absolut Nichts erinnern und habe gehofft und gebetet, dass nicht meine schlimmsten Befürchtungen wahr waren. Mir tat alles weh und ich habe mich so beschmutzt gefühlt. Aber jegliche Erinnerung war weg und ich habe mich zu sehr geschämt um zur Polizei zu gehen, um einen Drogentest zu machen und Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten. Ich kenne die Statistiken und weiß, wie selten tatsächlich jemand gefasst wird". Ich räusperte mich, weil ich spürte wie meine Stimme wegbrach. "Daran, dass ich eventuell schwanger sein könnte, habe ich lange nicht gedacht, weil ich mich immer noch an der Hoffnung festgeklammert habe, dass es nicht zum Äußersten gekommen war, aber irgendwann konnte ich die Anzeichen nicht mehr ignorieren. Ich weiß nicht einmal, ob der blöde Bastard sich überhaupt darum gekümmert hat zu verhüten oder ob er eine mögliche Schwangerschaft von mir einfach in den Kauf genommen hat, weil er mir jegliche Chance genommen hat mich daran zu erinnern". Ich ballte meine Hand zur Faust und versuchte gleichmäßig zu atmen, während kochend heiße Wut in mir aufbrandete. "Die Schwangerschaft hat schlussendlich den Ausschlag gegeben das Studium abzubrechen, aber es gab auch noch einige andere Gründe, warum ich es nicht länger fortführen konnte", beendete ich meine Erzählung und klammerte mich an meiner Teetasse fest, bis meine Fingerknöchel weiß hervortraten.
Angespannt wartete ich auf Ryans Urteil, auf seine Reaktion, die während ich einen Schluck des mittlerweile kalten Tees trank. Ich hatte schon einige Reaktionen auf die Geschichte bekommen und in den meisten war ich als die Schuldtragende dargestellt worden. Doch er überraschte mich, indem er fragte: "Wo bist du dann hingegangen?". Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle und mein Herz pochte schmerzhaft in meiner Brust, als ich daran zurückdachte. Vollkommen verzweifelt hatte ich vor der Tür meiner Eltern gestanden, weder ein noch aus wissend. Mit einem Kind unterm Herzen tragend, von dem ich nicht wusste ob ich es nicht besser abtreiben sollte, einem geplatzten Zukunftsplan und dem Wunsch irgendjemanden zu haben, der mir das Gefühl gab nicht alleine zu sein. Niemals in meinem ganzen Leben würde ich vergessen, wie meine Mutter reagiert hatte, als ich weinend auf der Couch zusammengebrochen war, nachdem ich ihr die ganze Geschichte erzählt hatte. Das schallende Geräusch der Ohrfeige hallte immer noch in meinen Ohren. Das war der Moment, in dem mir klageworden war, dass ich in den Augen meiner Mutter nur ein Ausstellungsstück war, dass sie stolz in ihr Auslagefenster stellte und dass jetzt kaputt war. Sie hatte mich vor die Wahl gestellt entweder das Kind abzutreiben und das Studium wieder aufzunehmen oder ihre Unterstützung entzogen zu bekommen. Da hatte ich gewusst, dass ich mich niemals in meinem Leben mehr von ihr abhängig machen wollte. "An einen Ort, wo ich nicht willkommen war. Und von da aus dann nach hier, um mir mein eigenes Leben aufzubauen!". Als ich antwortete, war meine Stimme wieder fest und unnachgiebig. Denn ich war keine verzweifelte, verängstigte Studentin mehr, mit einer mehr als schlechten Zukunftsperspektive. Ich war eine selbständige Frau, mit einer tollen Tochter und stand mit beiden Füßen in einem Leben, dass ich mir alleine aufgebaut hatte.
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