V.
Solina blickte in den Strudel. Die Dunkelheit strömte hervor wie Gift, das zunächst die Plattform, dann auch die große Sonne von Christeala erfüllte. Obwohl ihre Gedanken rasten, konnte sie sich nicht bewegen. Zu tief saß der Schreck. Es war nicht ihre Schuld gewesen, dass die Sonne geflackert hatte und abgestürzt war. Aber sie hatte sie hergebracht und damit den Plan des Hüters erfüllt, der der Dunkelheit verfallen war.
Nur eine Sache wurde ihr nicht klar: Warum war sie über ihrem Garten abgestürzt?
„Weg da, Sol!" Aelius stieß sie zur Seite, als plötzlich ein Auswuchs der Dunkelheit auf sie zuraste. Die Freude rollten über den Boden. Sofort sprang der Bäcker wieder auf. Er stürmte auf den Hüter zu, welcher mit zufriedener Miene die Finsternis kontrollierte, und brüllte: „Aufhören!"
Auch Sol kam wieder auf die Beine. Die Worte des Mannes hallten in ihrem Kopf: Weil ich so alles hierher bekommen habe, was ich brauchte: Ein abgestürztes Elixier der Dunkelheit ... Und bald es gibt keine Quelle des Lichts mehr, die mich noch aufhalten kann.
Eine Quelle des Lichts ...
Plötzlich ergab alles einen Sinn: Die übrigen Hüter waren verschwunden, weil der Dunkle ihr Licht bereits vernichtet hatte. Dann hatte er die Sonne abstürzen lassen, um sie herzulocken, denn sie war gutgläubig genug, um der Legende zu glauben. Doch sie würde ihn nicht aufhalten können. Dafür war sie zu schwach. Aber er unterschätzte ihr Licht. Vielleicht war es nur ein Funken - aber es war ein letztes Licht, mit dem sie Christeala noch retten konnte.
„Hey!" Das Mädchen straffte die Schultern. Vielleicht war die Quelle, die sie suchte, gar nicht so weit entfernt, wie sie glaubte, wenn sie nur an sich selbst glaubte.
„Du willst eine Quelle des Lichts? Dann hol sie dir!"
Abermals begann sie zu singen. Ihre Stimme hallte über die Plattform und begann, sie mit Wärme zu erfüllen. Angst wich Vertrauen. Das Licht breitete sich wie ein goldener Strom über ihrem Körper aus und hüllte sie in einen hellen Mantel, der sie vor der Dunkelheit beschützte.
„Ha!" Der Hüter warf die Arme herum, als hätte er nur darauf gewartet. Bald wird es keine Quelle mehr geben. Die Dunkelheit stürzte sich auf sie, um sie endlich zu verschlingen, aber Sol sang noch lauter. Sie kniff die Augen zusammen und erinnerte sich an alle Blumen und ihren Kater Hellsing, die ihr Licht so sehr liebten. Sie erinnerte sich an die tausend Sonnen, die sie bereits gezüchtet hatte. Dieses Licht war auch in ihr. Sie war mehr als ein Funke. Sie war Licht. Als sie die Lider wieder öffnete, flackerte die Dunkelheit. Sie konnte ihr nichts anhaben.
Auch der Hüter schien verwirrt. „Was?!" Perplex stolperte er rückwärts, um Abstand zu gewinnen. Vermutlich hatte er erwartet, sie würde sich weniger wehren oder aufgeben. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sie so stark sein würde.
„Du leuchtest doch nur für dich allein. Wie kannst du ... so scheinen?"
Er drückte mit aller Kraft gegen ihr Licht, sodass er auf wackeligen Beinen stand. Sol nahm Augenkontakt mit Aelius auf, der noch immer hinter ihm stand.
„Ich leuchte nicht für mich allein", erklärte sie ruhig, während ihr Freund sich langsam anschlich. „Ich leuchte für die Sonnen, die tausend Welten erschaffen. Aber scheinbar brauchte ich erst Eure Dunkelheit, um selbst zu erkennen, wie stark mein Licht ist."
Der Hüter brummte angestrengt. Auch Sol schaffte es nur mit Mühe, den Schimmer aufrechtzuerhalten - dann stand Aelius endlich hinter ihm.
„Wie wäre es, wenn Ihr selbst in Eure Dunkelheit geht?" Mit einem Stoß riss er ihn von den Beinen. Der Mann schrie auf - die Dunkelheit schlug wild umher. Solina stürmte vor und schaffte es gerade so, Aelius ebenfalls mit ihrem schützenden Licht zu ummanteln - da erfasste der Strom den Dunklen und saugte ihn selbst gierig ein.
Als die Finsternis den Hüter verschlang, der sie erschaffen hatte, schien sie selbst zu implodieren. Eine Welle aus Schatten und Licht zog über das Land - dann war der Albtraum vorbei.
Langsam richtete sich Solina auf. Ihr Licht erlosch vor Erschöpfung und sie lehnte sich an ihren Freund. Auf dem Turm herrschte Ruhe - lediglich vier schimmernde Gestalten, die die Dunkelheit vermutlich aus dem Hinterhalt überrascht hatte, schliefen im Zentrum auf der Plattform. Sie sahen friedlich aus.
„Du hast es geschafft", flüsterte Aelius. „Die Legende hat sich nicht erfüllt - es scheint, als hättest du die Quelle des Lichts gar nicht suchen müssen, weil sie bereits stark genug in dir war."
„Vielleicht kannst du ja auch leuchten", schlug Solina müde vor. „Warum sollte ich die einzige sein?"
• ☼ • ☼ • ☼ •
Am nächsten Tag war sie wieder in ihrem Garten. Nachdem der Kampf zu Ende gewesen war, hatte sie nur wenig mitbekommen. Aelius hatte sie zu seinem Sonnenwagen gebracht, wo sie eingeschlafen war. Daraufhin war der Bäcker zum Turm zurückgekehrt und hatte die übrigen, guten Hüter aufgeweckt. Ihnen war vom Dunklen tatsächlich eine Falle gestellt worden - doch nun ging es ihnen wieder so gut, dass sie zusammen in ihrem Garten standen und gemeinsam die Sonnenknospen begutachteten.
„Wir brauchen eine neue Sonne", erklärte der Hüter namens Helios, den Sol persönlich kannte, weil er ihr den Brunnen geschenkt hatte. Der Himmel über Christeala war immer noch trist. Zwar sah man das Schimmern ferner Sterne, Galaxien oder der Milchstraße am dunklen Zelt - aber reichte das für eine Lichterwelt?
Schüchtern senkte Solina den Kopf. „Die Sonnenknospen brauchen noch Zeit", gestand sie mit Blick auf die Einschlagstelle in ihrem Garten. „Außerdem brauchen sie Pflege und Sonnenlicht, um neu zu wachsen. Das haben wir leider nicht."
Aelius trat neben sie. Er lächelte. „Sie brauchen vielleicht Licht zum Wachsen, Sol, aber nicht irgendein Licht. Sondern dein Licht. Du bist ihre Sonne, Sol. Leuchte."
Die Hüter nickten sanft. Hellsing miaute zustimmend. Alle traten zurück, um ihr den nötigen Raum zu geben. Die Gärtnerin hielt den Atem an. Nun war es wohl doch kein Geheimnis - irgendwie fühlte sich das gut an.
„Meint ihr, wir können alle eine Quelle des Lichts sein?", fragte sie Helios, nachdem sie ein Lied gesummt und das Leuchten sich über ihren Körper ausgebreitet hatte.
„Gewiss", meinte stattdessen ein Hüter namens Cyrus. „Jeder einzelne trägt das Licht in sich. Aber nur wenige entdecken es und trauen sich, tatsächlich zu leuchten." Er legte eine Hand auf sein Herz, als wäre dort die verborgene Quelle. Und plötzlich meinte Solina wahrzunehmen, dass auch er von Licht umgeben wurde.
Die anderen Hüter taten es ihm gleich. Aelius klappte der Mund auf und Sol ebenso, während die Sonnenknospen sich neugierig aufzurichten und wieder zu schimmern begannen. Eine nach der anderen leuchtete heller und heller, bis der ganze Garten und die Hüter einer einzigen Sonne gleich strahlte und sie blendete.
„Die ist schön", verkündete Helios. Er pflückte die Sonne und schickte sie in die Höhe, wo sie sich auf den Weg machte, die neue Sonne von Christeala zu werden. Auch die anderen Hüter halfen, die übrigen strahlenden Blumen zu ernten und in den Himmel zu schicken. Im Nu gingen über der Lichterwelt dutzend Sonnen auf.
Sol starrte die Hüter an. Sie war nicht allein. Jeder könnte es lernen, sein eigenes Licht in sich zu erwecken.
Helios lächelte bloß. „Nun weißt du Bescheid", sagte er. „Willkommen bei den Hütern von Christeala, Solina Sonnenstern."
Ich hoffe, meine kleine Geschichte hat euch gefallen. Lasst gerne ein paar Sterne und Kommentare da! Ich würde mich freuen.
Insgesamt: 5.021 Wörter
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