Qell Kristall
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„Die groben klimatischen Unterschiede
zwischen den unterschiedlichen Ländern
werden der tiefen magischen Verwurzelung
des Sakella Waldes zugeschrieben. Oder
den Launen von Göttern und Katzen."
- Puriós geographische Phänomene
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Anstatt zu schlafen, lag ich auf meinem Rücken und drehte Jacs Ring zwischen meinen Fingern. Der silbrige Stein fing das Mondlicht ein und malte kleine Reflexionen an die Decke über mir, die ich kaum sah. Das Nachbild der violetten Blüten schimmerte in den dunklen Holzdielen wie ein Bild.
Selbst wenn ich nur an den Abend dachte, kribbelten meine Handflächen. Energisch presste ich die Augen zu und eine einzelne Träne löste sich. Wer in all den Ländern hatte so etwas in den letzten hundert Jahren gesehen? Lebendige Magie. Warm suchte sie sich ihren Weg über meine Wange bis hinunter zu meinem Kinn. Ich umklammerte den Ring fester. Es war für mich gleichzeitig unbegreiflich und so eine Erleichterung, dass ich weinen wollte. Fast, als wäre ein Stück von Moira zurückgekommen.
Es gab keine Worte, mit denen ich Yessi hätte beschreiben können, wie wertvoll sein Geheimnis für mich war. Ein irrationales Verlangen ihn vor der Last seines Lebens zu schützen, überkam mich und wurde genauso schnell wieder unterdrückt.
Mit einem Ruck drehte ich mich auf der Matratze um und drückte mein Gesicht ins Kissen. Er war ein Entführer bitte-dankeschön und mit denen hatten wir kein Mitleid. Er hatte es mit seiner kleinen Kampfansage gegen meine Geheimnisse direkt wieder unter Beweis gestellt.
Meine Frustration entlud sich in einem halblauten Schrei, der noch mehr von meinem Kissen gedämpft wurde. Doch als ich das Gesicht herausnahm, grinste ich immer noch. Magie existierte noch. Und niemand konnte das ändern.
Auf meinem Nachtschrank schimmerte der Dolch, den Yessi mir zur Aufbewahrung gegeben hatte. Müde streckte ich die Finger danach aus und zog ihn aus dem Tuch, in das Yessi ihn eingeschlagen hatte.
Mir fiel der Fehler sofort auf und die Zufriedenheit platzte in mir wie eine Seifenblase. Hektisch warf ich die Beine über die Bettkante und hielt mir den Dolch dichter vor die Nase. Als das Licht nicht reichte, stand ich auf und ging zu dem schmalen Fenster.
Draußen, inmitten des Gartens, blühte noch immer eine Trauerweide. Ihr violettes Licht reichte gerade so aus, um den schmucklosen Griff der Waffe zu beleuchten. Kein Wappen, kein Abzeichen, keine rote Verfärbung durch das Gift.
Mein Magen machte einen Knoten und ich musste mich auf den Stuhl neben dem Fenster setzen.
Das durfte nicht wahr sein. Das war nicht der Dolch, den ich im Moor gefunden hatte. Ich ließ ihn zurück in meinen Schoß sinken und massierte mit der anderen Hand meine Stirn, wo sich zwischen meinen Augenbrauen Kopfschmerzen sammelten.
Jemand hatte den Dolch ausgetauscht. Und wenn ich jemand sagte, dann fielen mir zuerst zwei Personen ein, die es gewesen sein könnten.
Es musste Liona gewesen sein.
Meine Kopfschmerzen wurden stärker. Oder wirklich jeder, der zwischen Liona und Yessis Rückkehr in mein Zimmer geschlichen war. Zumindest würde die Königin sich so aus der Sache herausreden können.
Aus winzigen Augen sah ich den Dolch und Jacs Ring in meinem Schoß an. Dann fiel der zweite Groschen und meine Fingernägel gruben sich in meine Handballen. Ich hatte meine Chance auf das Gegenmittel verloren. Wie sollte ich Yessi das sagen? Mir schauderte ernsthaft davor, ihm nach all meinen Eskapaden noch mehr schlechte Nachrichten zu überbringen.
Ich fand keine Antwort. Dafür fand Schlaf mich einige Stunden später, immer noch auf dem Stuhl sitzend.
Ich erwachte zu Rückenschmerzen und dem Dolch und dem Ring beide am Fußboden. Steif bückte ich mich danach und legte beides auf den Tisch. Dann holte ich meine Waschschüssel und den Krug und begann, mir den Schlaf aus den Augen zu waschen. Ich würde mit Yessi reden müssen. Er würde eine Lösung finden.
Ärgerlich starrte ich mein Spiegelbild im Wasser an. Es war zu leicht für mich, meine Hoffnungen an ihn zu knüpfen. Nur, weil es alle hier taten. Nur weil er das Unmögliche gestern möglich gemacht hatte. Weil er Magie-...
Oh.
Meine Hände fielen in die Wasserschüssel und Tropfen spritzten in alle Richtungen.
Oh. Oh.
Hinter mir öffnete sich die Tür und Lichi schob sich herein. Sie warf mir einen kurzen Blick über dem Kleiderstapel in ihren Armen zu und ging dann hinüber zu meinem Bett, um sie dort auszubreiten.
„Du siehst furchtbar aus", ließ sie mich auf ihre direkte Art wissen.
Ich starrte immer noch auf meine Hände im Wasser. Meine Gedanken waren zu einem jähen Ende gekommen.
„Ich muss mit Yessi sprechen."
Lichi breitete mein Kleid auf dem Bett aus und strich den Rock glatt.
„Andrew wird gleich kommen. Ich habe bereits Tücher und Wasser auf die Zimmer der Kranken bestellt, damit ich dieses Mal nicht tausendfach die Treppe rauf und runter geschickt werde."
„Nein, nicht Andrew. Wir können die Runde später machen", ich nahm die Hände aus dem Wasser und strich mir damit übers Gesicht, „Ich muss zuerst mit Yessi sprechen."
Lichi warf mir einen ärgerlichen Schulterblick zu.
„Unser König hat seine Verpflichtungen und du deine. Er wird dich aufsuchen, wenn er Zeit hat."
Nein, sie verstand nicht. Yessi war vielleicht in Gefahr. Es war relativ simpel, aber wenn ich recht hatte, hatten wir ein Problem. Nur, dass ich ihm versprochen hatte, nichts zu sagen.
„Hat er kein Anhörungszimmer? Keinen Raum, wo die Leute zu ihm kommen können?" Isabellas Vater hatte den gesamten Vormittag in seinem Saal verbracht. Mit Unterhaltung seiner Berater, Häppchen und-...
Ich musste weder den Gedanken zu Ende denken, noch Lichis humorloses Lachen hören, als ich wusste wie blödsinnig das klang. Yessi hätte niemals die Zeit, einen ganzen Vormittag zu sitzen. Wenn die Leute etwas von ihm brauchten, fanden sie ihn. Und sie fanden ihn so viel, dass er nicht einmal Zeit zum Essen hatte.
„Gut", gab ich meinen Versuch vorerst auf, „Dann möchte ich vor meiner Runde aber kurz einen Stopp in der Küche einlegen. Ich habe eine Bitte für Koch."
Mit einer Routine, die ich vor einer Woche noch nicht für möglich gehalten hatte, machte Lichi sich daran, mich umzuziehen. Ich wollte sie nach Cini fragen. Ob sie jemals Anzeichen gemacht hatte, Magie zu besitzen. Doch ihre fest zusammengepressten Lippen sagten jedem, dass sie sich für diesen Morgen genug mit mir unterhalten hatte.
Selbst Andrew, der kurz darauf den Kopf durch die Tür streckte, sparte sich lieber seine Worte. Dabei hätte er mir vielleicht helfen können. Was, wenn Cini auch magisch war? Magisch, wie Moira? Es wäre die erste Verbindung, die eines der Opfer mit dem anderen hätte.
Der Gedanke machte mich so nervös, dass ich kaum in angemessenem Tempo zwischen den Krankenzimmern gehen konnte. Wir hatten eine Vielzahl an jungen und älteren Männern, die sich alle für den bevorstehenden Kampf untersuchen lassen wollten, damit sie in bester Form waren. Mehr als einmal wurde ich gefragt, ob ich ihnen etwas brauen könne, das ihnen mehr Kraft, mehr Ausdauer oder weniger Schmerzempfinden geben könnte. Ich verneinte mit zunehmender Vehemenz.
Noch schlimmer wurde es nur, als wir feststellen mussten, dass das Kind von gestern schlechter geworden war. Es hatte jetzt hohes Fieber und war nicht mehr bei Bewusstsein. Ich hörte, wie Andrew hinter mir mit Lichi über die Krankheit flüsterte. Fieber war eines der ersten Stadien, die einen schlechten Verlauf ankündigten.
Die Tränen der Mutter verfolgten mich bis in Loriks Zimmer. Er war rüpelhaft wie immer, ganz besonders, nachdem ich Andrew seinen Verband wechseln ließ, meine bebenden Hände hinter meinem Rücken verborgen.
Draußen sah ich Yessi mit seinen Männern einen Wagen reparieren. Er stutzte, als ein junges Küchenmädchen mit einem Tablett zu ihm kam, welches sie ihm beinahe schon ängstlich in die Hände drückte. Verwirrt hob er die Abdeckung über einem Teller Suppe und einem geschmierten Brot hoch. Er fragte das Mädchen etwas und sie gestikulierte zurück zum Haus.
„Wir haben noch zwei der Wäscherinnen", unterbrach Lichi meine zufriedene Beobachtung und lotste mich aus Loriks Zimmer, „Sie fragen, ob du dir den Ausschlag an ihren Händen ansehen kannst."
Ich war mir ziemlich sicher, dass keine er beiden Frauen sich freiwillig von mir behandeln lassen wollte, doch mein Kopf war zu voll von Gedanken und so ließ ich mich einfach zu den Waschkellern leiten.
Der Waschkeller war ein hohes Gewölbe unterhalb des nördlichen Teils des Hofes. Die Luft hier unten war warm und beinahe zu feucht zum Atem. Dampf stieg aus zwei großen Zubern auf, in denen träge Wäsche im Kreis schwamm.
Vier Frauen arbeiteten hier unten. Als sie unsere Ankunft bemerkten, hielten sie sofort in ihrer Arbeit inne, eine jede von ihnen bewaffnet mit einem riesigen Löffel, der zum Schleudern der Wäsche genutzt wurde. Sie starrten uns an wie Eindringlinge in ihrem eigenen Königreich.
Mühsam kam die Vorderste von ihnen auf die Beine.
„Lichi, ich habe dir gesagt, du sollst die Hexe von hier fernhalten!" Sie baute sich vor uns auf wie ein Bär.
Ein Bär mit braunen Haaren, die zu einem strengen Knoten in ihrem Nacken gebunden waren und mich so schmerzhaft an Madame Acó erinnerte. Als mein Blick auf ihre freien Unterarme fiel, glaubte ich, mein ganzer Körper ziehe sich zusammen.
Das war kein Ausschlag.
Sie benötigte definitiv meine Hilfe. Ich wusste nur nicht, wie ich ihr helfen sollte. Verzweifelt drehte ich mich zu Andrew um, der bei meinem Blick nur fragend die Brauen zusammenschob.
Mit bebenden Fingern zeichnete ich die Muster auf meinem eigenen Arm nach.
„Das ist Gift."
Der Steward verstand vielleicht nur das eine Wort, doch es reichte, dass er unter seinem schwarzen und grauen Bart bleich wurde. Er reagierte schneller und bestimmter als ich das jemals gekonnt hätte.
„Wer von euch hat diesen Ausschlag?", mit zwei Schritte war er im Raum und zog noch in der Bewegung die erste Wäscherin mit und setzte sie auf einen Schemel.
Lichis Blick flatterte zu mir und das erste Mal, seitdem ich sie kennengelernt hatte, sah sie nervös aus.
„Was ist los?"
Mein Herz klopfte derart stark, dass mir das Atmen schwerfiel, doch Andrews Entschlossenheit zwang auch mich in Bewegung. Ich stellte meine Medizintasche auf eine Bank zwischen zusammengelegte Wäsche und begann darin zu wühlen.
„Kein Ausschlag sieht so aus. Das sind Verätzungen", ich reichte ihr eine Schale und meinen Mörser. Ich hatte diese Muster in anderer Form schon oft gesehen. Willard Roussex versandte so Nachrichten.
„Verätzung?", echote sie, setzte sich jedoch nicht gleich in Bewegung, „Nein, diesen Ausschlag bekommen die Frauen häufiger, wenn sie zu oft in die Waschzuber gefasst haben."
Ich stockte inmitten meiner Bewegung, die Arme Ellenbogentief in meiner Tasche. Meine Ohren rauschten und mir war schwindelig, doch für just diesen einen Moment bot ich all meine Konzentration auf, um ihre Worte in einen sinnvollen Kontext zu bringen.
„Ich hab es selten so schlimm wie heute gesehen, aber es ist schon vorgekomm – Andrew, du machst ihnen Angst!", fuhr Lichi unsicher fort, ging jedoch dazwischen, als der Steward jeder der Frauen die Ärmel hochkrempelte und diese nach den Adern untersuchte.
„Was meinst du mit: Sonst sind sie nicht so schlimm?", kämpfte ich gegen das Pochen zwischen meinen Schläfen an. Zwei Finger an jede Seite gepresst, ließ ich von meiner Tasche ab.
„Dass man sie normalerweise nur sieht, wenn du ausreichend Licht hast. Ich habe sie noch nie so grell gesehen, deshalb habe ich dich geholt." Lichi bemerkte mein Blinzeln, sagte jedoch nichts dazu. „Ist das das Werk der alten Götter?"
Blödsinn. Die alten Götter gab es schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Die Panik ebbte ein winziges bisschen ab. Wenn sie auf etwas reagierten, dann musste das nicht heißen, dass sie nicht unabsichtlich verätzt worden waren.
In den Zubern platzte eine Blase. Ihr Ploppen war beinahe laut in der angespannten Stille, in der mich jeder einzelne in diesem Gewölbe anstarrte. Dampf sammelte sich unter der runden Decke und rann in langen Tropfen an den Wänden wieder herab. Pfützen spiegelten die braunen Steine und hohen Wäscheberge.
„Andrew?", als der Steward seinen Namen hörte, richtete er sich auf wie ein Soldat, „Bring alle hier raus, und zwar sofort." Noch während Lichi für mich übersetzte, nahm ich ihr Schale und Mörser wieder ab und warf beides in meine Tasche.
„Was genau ist los?", die Stimme meiner Kammerzofe hallte schrill von den Wänden zurück und machten die Waschfrauen schneller, als ich es jemals gekonnt hätte. Aufgeregt tuschelnd, rafften sie ihre Röcke und eilten vor dem Steward aus dem Raum.
„Deshalb ist der Junge kranker geworden." Ich hätte mir eine Kopfnuss verpassen können.
„Was?" Lichi versuchte rückwärts vor mir herzurennen, doch ich drehte sie schlicht am Ellenbogen um und schob sie weiter. Ich bildete mir ein, dass der Wasserdampf auf meiner Haut kribbelte, widerstand jedoch dem Bedürfnis ebenfalls meine Arme nach violetten Adern zu untersuchen.
„Sag Andrew, ich muss euren Brunnen sehen."
Wieder drehte sich meine Kammerzofe im Laufen zu mir um. Verwirrung wurde durch Verständnis ersetzt. „Du glaubst, dass etwas mit unserem Wasser nicht stimmt."
Ich brachte nicht mehr als ein Nicken zustande. Tatsächlich ließ meine Aufregung kein weiteres Wort zu, bis wir zu dritt um den Brunnen im Innenhof standen und in das Dunkel hinab starrten. Keiner von uns konnte mehr von dem Grund sehen als ein seichtes Schimmern.
Über uns zogen graue Wolken durch den Himmel. Alles war grau und ausgewaschen in Gican. Das Gras. Die Bäume. Die Häuser und die Menschen darin. Aber der Brunnen war wie ein schwarzes Loch, bereit auch das letzte diffuse Licht zu verschlucken.
Die Krankheit die ähnliche Symptome zu einer Lebensmittelvergiftung hatte? Verätzungen, die sich bei längerem Kontakt mit dem Wasser zeigte? Natürlich konnte es Zufall sein, aber ich hatte Schwierigkeiten daran zu glauben.
„Irgendjemand wird da runtermüssen", stellte Lichi sachlich fest und machte einen demonstrativen Schritt vom Brunnenrand zurück. Sie hatte die Arme fest vor ihrem Oberkörper verschränkt und starrte grimmig auf das Steinwerk vor uns. Regen tränkte ihre blonden Haare und ließen sie in ihrer Stirn kleben.
Andrew verstand auch so, was sie gesagt hatte, aber sein ärgerlicher Blick prallte von ihr ab.
„Was denn? Ich will bestimmt nicht mit diesem giftigen Zeug in Berührung kommen!", rechtfertigte sich die Magd, doch ich war bereits dabei, mein Überkleid auszuziehen.
Als der Steward sah, was ich vorhatte, drehte er sich ruckartig um. Aber die Farbe seines Gesichts sah ich sogar noch in seinen Ohrenspitzen. „Lichi! Sag ihr, dass Yessi mich umbringen wird, wenn ich sie da runtersteigen lasse!" Hektisch begann er seinen breiten Gütel zu lösen, an dem allerlei Werkzeug für seine tägliche Arbeit hing, „Ich werde gehen."
Lichi schnaubte abfälliger, als ich es erwartet hätte und begann, mir zu helfen.
„Und wie stellst du dir vor, bekommen wir beide dich wieder aus dem Brunnen herausgezogen?", sie schüttelte den Kopf, ganz besonders als der Steward ihr einen funkelnden Blick zuwarf, „Sie ist nicht so zart, wie sie aussieht. Sie wird das schaffen."
Ich gab mir Mühe, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich ihre Worte brauchte, die ich eigentlich nicht verstehen durfte. Ich fröstelte im kalten Regen, doch Lichis selbstverständliche Berührungen gaben mir Sicherheit.
Ich war noch nicht im Brunnen, da hatte der Nieselregen mein beiges Leinenunterkleid bereits durchgeweicht. Andrew hatte hundert Einsprüche eingelegt, doch schließlich war er es, der einen Knoten in das dicke Seil um eine Taille machte. Er zeigte mir auch, wie ich meine Füße gegen die glitschige Brunnenwand stemmen musste, um langsam runter und später wieder hochzukommen.
Dann ließen sie mich runter, das Seil in der einen Hand und eine Kerze in der anderen. Ich zitterte vor Kälte und vor Nerven. Mit jedem Rucken des Seiles wurde es dunkler um mich herum und mein Herzschlag lauter in meinen Ohren.
Die runde Öffnung über mir, die mir nur den grauen, wolkenverhangenen Himmel zeigte, wurde schrittweise kleiner bis nur noch die Kerze meinen Augen Licht bot. Ein modriger Geruch empfing mich dick und zäh auf meinen freien Armen.
Ruck für Ruck sackte ich tiefer ab, jede Bewegung ein dumpfer Druck auf meinen Körper. Meine Beine wurden langsam taub. Ich verrenkte mich im Seil, um meinen Untergrund rechtzeitig zu sehen, doch der Brunnen war tiefer, als ich erwartet hätte.
Ich umklammerte die Kerze so stark, dass ich Angst hatte, sie zu zerbrechen. Doch schließlich sah ich ihr trübes Spiegelbild unter mir. Fast schon erleichtert ruckte ich am Seil und mein Abstieg stoppte.
Meine Füße rutschten über die glitschigen Steine, während ich versuchte einen besseren Blick auf das Wasser zu bekommen. Wonach suchte ich überhaupt?
Zuerst fiel mir ein alter zerbrochener Eimer auf, der sich vermutlich irgendwann einmal von seinem Seil gelöst hätte. Er dümpelte fast bewegungslos am Rande des Brunnens. Einzelne Blätter zeugten davon, dass jemand vergessen hatte, die Abdeckung auf den Brunnen zu legen. Doch das erklärte nicht die andauernde Lebensmittelvergiftung der Leute.
Vorsichtig schob ich einen Fuß zur Seite, um mich langsam um meine eigene Achse zu drehen. In einem Anfall von Galgenhumor frage ich mich, was Madame Acó sagen würde, wenn sie mich jetzt in meiner Unterwäsche in einem moosbewachsenen Brunnen sehen würde. Oder Henric.
Oder Yessi.
Bei dem Gedanken wurde ich sofort ein wenig eiliger. Im Wasser selbst schwamm ansonsten nichts. Es war dunkel, aber oben wusste ich, dass es klar im Eimer war. Keine toten Tiere.
Ich schob mich weiter und blieb mit dem Fuß an einer Wurzel hängen, die sich in das Mauerwerk des Brunnens gegraben hatte. Mit einem Ruck rutschte ich ab und mein Fuß platschte ins Wasser. Aus der Balance gebracht, kippte ich nach vorne und mit mir die Kerze.
In einem panischen Versuch, meine einzige Lichtquelle nicht zu verlieren, packte ich mit der anderen Hand die Wurzel und zog mich gegen die Wand. Meine Stirn traf glitschigen Stein und von der Bewegung gelöst, ruckte das Seil noch ein Stück tiefer, bis mein Rocksaum im Wasser hing.
Aber die Kerze war noch an.
Ich tat einen zitternden Atemzug, unfähig, mich zu bewegen. Alles an mir war verkrampft oder bebte. Das kalte Wasser umspülte meine Oberschenkel und machte meine Beine steif und taub. Meine Zähne begannen zu klappern.
Was hatte Yessi noch gesagt? Einatmen, Ausatmen. Ich versuchte mich an den langsamen Rhythmus zu erinnern. Seine Hände auf meinen Schultern und sein Gesicht so nahe, dass ich den dunklen Ring in seinen grauen Augen sah.
Einatmen.
So langsam es mir möglich war, zog ich ein Bein aus dem Wasser und stemmte es vor mich wieder gegen die Wand. Mein Kleid hing wie ein Gewicht an mir und machte die Bewegungen umständlich.
Ausatmen.
Ich kam ins Trudeln, als ich auch das zweite Bein aus dem Wasser zog. Ich hielt die Wurzel umklammert, als hinge mein Leben davon ab. Schwerfällig klemmte ich das Bein zwischen die rötlichen Steine und mich, doch ich rutschte ab.
Mein Schuh riss ein Stück von der Wurzel ab und ich musste loslassen. Rückwärts kippte ich zurück und mit einem Zischen tauchte die Kerze noch vor meinem Kopf ins Wasser ein. Ich prustete und strampelte, schlug mir das Knie an der Wand auf, die plötzlich im Halbdunkel näher war, als ich erwartet hatte.
Ein merkwürdiges violettes Licht erfüllte den Brunnen. Es war nur schwach, aber genug, dass meine Augen sich daran gewöhnen konnten. Mit einem schweren Ruck zog ich meinen Oberkörper wieder hoch.
Eine Hand am Seil, nutzte ich die andere, um meine Augen frei zu reiben.
Es war die Wurzel.
Ich stieß einen halb unterdrückten Fluch aus. Es musste eine von den Trauerweiden sein, die sich ihren Weg bis ganz hierher gesucht hatte. Mein Schuh hatte die äußerste Rinde abgerissen und dumpf leuchtende violette Adern im Holz freigelegt.
In ihrem Licht sah ich weitere Wurzeln. Wie Finger mussten sie sich um die steinernen Wände des Brunnens legen, bis ihre spitzen Enden einen Weg hinein fanden.
Ich fluchte noch einmal und ruckte am Seil. Andrew reagierte sofort. Tropfen prasselte aus meinen Haaren und meinem Kleid, als er mich aus dem Wasser zerrte.
Ich fühlte mich schwer wie ein Mehlsack. Magie konnte keinen Schaden anrichten. Das war ein Naturgesetz. Aber Magie konnte ein Katalysator sein. Ein verdammt starker.
Nevanam waren das beste Beispiel. Wir erlernten, wie man allerlei Krankheiten und Verletzungen heilte, doch Magie machte sie erst zu etwas Besonderem. Moira konnte vielleicht kein Gift durch Magie herstellen, aber wenn sie gewollt hätte, hätte sie selbst milde Dosierungen so viel potenter machen können.
Yessis Magie wanderte durch die Bäume in die Erde und ins Wasser.
Wenn nichts im Brunnen war, dann musste das Grundwasser bereits vergiftet sein und Yessis Magie hatte es gestern Abend verstärkt.
Zug für Zug wurde die Öffnung über mir wieder größer und die Finsternis zurückgetrieben. Ich kniff die Augen zusammen. Die Legenden waren falsch herum. Das Moor hatte nicht die Krankheit gebracht. Die Krankheit musste das ganze Land befallen haben. Aber wie sollte ich den Zweien dort oben erklären, dass das Wasser in ganz Tacia vergiftet war?
Was sollten sie auch tun? Nach Eslaryn auswandern? Ihr Heim und ihr Leben zurücklasse? Ein Gegenmittel gegen etwas erfinden, das...
Meine Gedanken kamen jäh zum Erliegen und machten im Vergleich das Klappern meiner Zähne noch lauter. Was hatte Lorik noch gesagt?
Mehrere Erkenntnisse jagten einander durch meinen Kopf und ließen mich in einer Mischung aus Panik und bodenloser Leere. Das war zu viel Zufall.
Auf einmal fühlte ich mich so müde, dass ich nur noch unter meine Bettdecke kriechen wollte.
Dann hatte ich den Brunnenrand erreicht.
„Was hast du gefunden?" Lichi wartete nicht einmal, bis sie mich ganz über den steinernen Rand gezogen hatten. Nervöse rote Flecken hatten sich auf ihrem Gesicht gebildet und sie hielt mein Überkleid umklammert wie eine Decke.
Mit einem Schnauben zog Andrew es ihr aus den Händen und legte es mir in einer erstaunlich sanften Geste über die Schultern. Mein Zähneklappern ersparte mir glücklicherweise meine erste Antwort.
„Wir sollten sie reinbringen, bevor sie selbst krank wird", bestimmte der Steward und wollte mich bereits zum Haus schieben, doch ich stoppte ihn.
Mit zitternden Fingern holte ich Jacs Ring aus der Tasche meines Kleides.
Er war blass, der Stein viel zu groß. Ich hatte ihn kein einziges Mal getragen. Ein merkwürdiges Geschenk von einem merkwürdigen Jungen. Das letzte Geschenk meines Bruders und sein einziger Hinweis, wohin ich verschwunden war.
Meine gesamte Hoffnung, gerettet zu werden, sammelte sich in diesem Ring. Und ich wusste nicht mal, ob der alte kranke Mann recht gehabt hatte.
Eine Welle der bekannten Atemlosigkeit schwappte in mir hoch. „Für unsere kommenden Abenteuer", hatte er gesagt, bevor meine ganze Welt unterging.
Ich musste mich an dem steinernen Rand festhalten, um nicht einfach in die Knie zu gehen.
„Dein Ring?" Lichis Stimme neben mir war nur ein Flüstern. Ihre Augen waren riesig.
Ich schluckte gegen die Übelkeit an. Mein Weg nach Hause und alles, was ich noch aus meiner Heimat besaß. „Lorik hat gesagt-...", ich schluckte noch einmal, „Sie sind sehr langsam wasserlöslich. Lorik hat gesagt, sie können jedes Wasser in Trinkwasser verwandeln." Sie lassen sich außerdem mit dem Zwillingsstein orten.
Ich spürte Lichis Blick auf meinem Gesicht.
„Das Wasser ist vergiftet?" Sie klang so furchtbar klein neben mir, „Das ganze Wasser?"
Ohne den Blick von dem Ring zu nehmen, nickte ich. Das ganze Land. Es war eine Entscheidung, die mir nicht so schwerfallen sollte. Und dennoch brach sie mir das Herz. Ich konnte sie alle retten. Oder mich selbst.
"Plitsch" - der Qell- Kristall. Jetzt am Boden einens... *hust* sternenlosen *hust* Brunnens.
Mit dem Lied assoziiere ich immer Game of Thrones :D das war gerade zu der Zeit,
als die erste Staffel in Amerika rausgekommen ist. Ich kam 0% mit dem Cliffhanger
der erste Staffel klar und habe anschließend auf Youtube Edits gesuchtet :D
unter anderem eines mit diesem Lied :D
Game of Thrones war übrigens diese eine Serie. Die, die man zu
allererst sieht, versucht alle davon zu überzeugen und am Ende von
Freunden darüber belehrt wird, dass man nur Main-Stream-Dinger schaut xD
Was war euer Buch/Film/Serie bei der es euch so ging?
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