✧Bonus ✧
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Ich war in einer gefährlichen Stimmung und außerdem auf dem Weg zu Lorik Hellsbar. Der Traum war zurückgekehrt, trotz Schlaftrunk. Dieses Mal hatte mich Moira unter den Trauerweiden im Innenhof abgeholt und mir danach wieder exakt dasselbe gezeigt. Ich hatte versucht, die Gestalt im Garten zu erkennen, doch es war zu dunkel.
Heute Morgen hatten Lichi und ich dann gemeinsam dem Hund und Cini die erste Probe der Medizin verabreicht und festgestellt, dass es Wochen dauern würde, bis sie sich soweit erholt hatten, dass ich ihren Tiefschlaf beenden konnte. Und schließlich hatte meine Kammerzofe bemerkt, dass Yessi trotz meiner Anweisung sein Bett verlassen hatte. Was ich bereits wusste und Grund für meine schlechte Laune war.
Ich hatte kein Anrecht. Und ich sollte definitiv nicht so über ihn denken. Bei Kaar, er war verheiratet mit der Frau und es störte mich nicht, wenn er sich wieder mit ihr vertrug.
Aber sich nachts rausschleichen, obwohl ich Bettruhe angeordnet hatte-... Wieso fragte er mich überhaupt nach meiner Meinung, wenn er dann doch tat, was er wollte, hm?
Mit einem abfälligen Schnauben stieß ich die Tür zum Schlafzimmer des alten Veteranen auf. Er hatte sich, wie eigentlich vor jeder meiner Untersuchungen, unter seiner Bettdecke versteckt und versuchte so abwesend wie möglich zu wirken. Gute Entscheidung. Yessi sollte sich diese Finte besser abschauen.
„Lorik, du kannst schon einmal dein Hemd ausziehen. Ich muss deine Atemfunktion abhören", informierte ich ihn, dass ich auch beim sechsten Versuch nicht auf den Trick hereinfiel und räumte meine Tasche aus. Er hatte dank des verlängerten Liegens wegen seines Beinbruchs, eine kleine Lungenentzündung erlitten. Sie besserte sich täglich, doch ich wollte sichergehen, dass das auch so blieb.
„Atemfunktion abhören", brummelte es unter der Decke hervor, „Früher wollten mich die jungen Damen noch aus ganz anderen Gründen ohne Hemd sehen."
Er klang genauso verstimmt, wie ich mich fühlte, doch die Bewegung unter dem Laken verriet, dass er heute einmal nicht mit mir diskutieren würde.
„Davon bin ich überzeugt", erwiderte ich trocken, „Aber ich wäre keine Nevanam, wenn ich mich für männliche Oberkörper ohne Atemprobleme interessieren würde." Eine glatte Lüge, die ich nur dank der Bilder des gestrigen Abends problemlos über die Lippen brachte.
Ein weißer Schopf schob sich ins Freie, dicht gefolgt von einem buschigen Paar Augenbrauen und einem misstrauischen Blick. „Ah. Unser König muss aus seinem Tiefschlaf erwacht sein. Was hat er dieses Mal verbrochen?"
Ich tat unwissend. Was in mir vorging, war kindisch und dumm. Ich hatte keinen Anspruch, eifersüchtig zu sein. Ich war nicht eifersüchtig. Ich war enttäuscht für Lichi, dass er so schlechten Frauengeschmack hatte.
„Er hat meine angeordnete Bettruhe nicht befolgt."
Lorik schnaubte. „Denk immer daran, er ist auch nur ein Idiot. Er wird dich häufiger enttäuschen als du zählen kannst."
Mit einem wissenden Ausdruck reichte er mir sein Hemd und setzte sich weiter in seinem Bett auf, damit ich an seinen Oberkörper kam.
Aber auch Idioten mussten lernen. Warum war Lichi noch einmal verliebt in ihn?
Ich hatte jeden einzelnen mit nicht-medizinischen Problemen in Yessis Richtung weitergeleitet, vielleicht ein ganz klein wenig aus Trotz und um ihm das Leben schwerzumachen.
„Wie optimistisch du heute wieder bist", sagte ich mit sanftem Nachdruck, doch schließlich schüttelte ich den Kopf, „Ich werde ihn ab sofort sowieso nicht mehr so oft sehen, jetzt, wo Marus zurückkehren wird."
Lorik zuckte einmal vor meinen kalten Händen zurück, hatte sich ansonsten aber so weit im Griff, dass er erst antwortete, als ich die Muschel weglegte. „Marus ist kein schlechter Bursche. Leicht zu beeindrucken, aber grundsätzlich seinem Bruder sehr ähnlich. Seine Krankheit setzt ihm sehr zu."
Ich holte eine Schüssel mit einer weißen Paste heraus. Sie beinhaltete ein Gewächs, dessen starker Geruch beinahe wie eine kühle Linderung für Nase und Lunge wirkte und das alle meine bekannten Kräuter in Eslaryn weit in den Schatten stellte.
Ich schmierte sie großzügig auf seine Brust, während ich mir meine nächste Frage gut überlegte.
„Das Personal ist da gespaltener Meinung. Sie sagen, er ist besessen von den alten Göttern."
Lorik befand, dass ich genug auf seiner Haut verteilt hatte und schlug meine Hand weg.
„Blödsinn. Sie wissen nur nicht, was das lila Zeug mit ihm macht. Wäre er nicht der Er-... wäre er nicht der Sohn eines Königs gewesen, hätte man ihm das Leid erspart und im Moor für die Irrlichter ausgesetzt."
Ich kniff die Augen ein klein wenig zusammen. Was das anbelangte... Mir war aufgefallen, dass keiner im Personal von der scheinbar starken Krankheit des Jungen wusste. Bis auf Lichi und Lorik... Ich machte eine mentale Notiz und wollte gerade eine weitere Frage zu dieser Erkrankung stellen, als die Tür geöffnet wurde.
Yessi betrat den Raum und mein Puls verdoppelte sein Tempo. Aus Ärger, selbstverständlich. Er hatte nur die Hälfte seiner Haare hochgebunden, während die andere Hälfte ihm um die Schulter fiel.
Er sah gut aus. Erholt. Ich wollte es rückgängig machen.
Als sein Blick auf mich fiel, kehrte ein Glimmen in seine Augen zurück und sein Mundwinkel zuckte nach oben.
„Ich habe dich gesucht."
Es gab niemanden, den ich heute weniger sehen wollte. Resigniert, dass ich jetzt auch keine Antworten mehr bekommen würde, begann ich meine Sachen wieder zusammenzusuchen. Ich würde Lorik einfach morgen noch einmal darauf ansprechen.
„Es gibt viel zu tun und ich dachte, du bräuchtest nach deinem gestrigen Nachtausflug die Ruhe."
Anscheinend war mein Unterton deutlich genug, denn Lorik hob überrascht die Augenbrauen und tauschte einen Blick mit seinem König, der ihm nur allzu klarmachte, dass er in Schwierigkeiten steckte und er ihm sicher nicht helfen würde. Yessi ging dagegen gar nicht erst auf meinen Seitenhieb ein. Stur blieb er mitten im Raum stehen, sodass ich um ihn herum wuseln musste, was mich viel zu nahe an seinen Körper brachte.
„Wir haben so viele Kranke, dass du mich nicht holen konntest, wenn du damit anfängst, meine Schwester aufzuwecken?"
Lichi musste es ihm gesagt haben. Ich rollte mit den Augen und drückte mich an dem Hünen vorbei durch die Tür. Er folgte mir.
„Sie wird Wochen benötigen, bis ich sie aufwecken kann. Du hast nichts verpasst." Außer, dass Lichi mir alles über euch beide erzählt hat, mich gewissermaßen angefleht hat, die Finger von dir zu lassen und ich dich mit deiner Frau gesehen habe. Vielen Dank für die Alpträume. Aber so sehr ich es mir wünschte, ich hatte nicht die Selbstkontrolle, um meine Zunge im Griff zu behalten. Die hatte ich noch nie besessen.
„War dein Gespräch mit Liona denn erfolgreich?"
Yessi runzelte die Stirn. „Kaliee...", er unterbrach sich und seine Finger schlangen sich um mein Handgelenk und zogen mich zu ihm zurück, „Ich rede jeden Tag mit ihr. Sie ist meine Frau-..."
Ich machte mich mit einem Ruck los. Exakt. Er war verheiratet. Und Lichi liebte ihn noch immer. Also würde er mich auch nicht anfassen. Leider brannte bei seinen Worten irgendeine Synapse in meinem Gehirn durch und ich nutzte den erstbesten Themenwechsel, den ich finden konnte.
„Wusstest du, dass du mit dem Datum für die Infektion deiner Schwester falsch lagst? Fast um zwei Wochen. Kann mal passieren, wenn man versucht, sich ein Alibi zu verschaffen. Aber als Nevanam weiß ich, wie langsam sich manche Gifte ausbreiten."
Yessis Kopf fuhr zu mir herum, als hätte ich ihm ein Messer in den Rücken gerammt. Verwirrung über meinen abrupten Themenwechsel wischte jede Spur des Mitleides fort und hinterließ nichts weiter als eine düstere Ahnung.
„Wie bitte?"
Gut, das hätte ich auch eleganter lösen können. Aber die Frage war mir gestern Abend wieder in den Kopf gekommen. Ich hatte sie viel zu lange herausgezögert, weil ich Yessi mochte und andere Spuren hatte. Doch jetzt gerade... Cini war das erste Opfer gewesen, an dem der Mörder das Gift ausprobiert hatte. Erst danach war er nach Eslaryn gekommen und hatte die Mutter des Wagenkönigs und Moira ermordet.
„Wir haben uns sogar in Hannabas getroffen, zu dem Zeitpunkt, an dem du angeblich auf einem Jagdausritt warst. Also, solange du keinen bösartigen Zwilling in deinem Kleiderschrank versteckst..."
Die Erkenntnis brauchte ein paar Herzschläge, bis sie vollständig in Yessi eingesunken war.
Ich wollte ihn stehen lassen. Mit dem Wissen ein bisschen länger schmoren, dass ich ihn auch bei einer Lüge ertappt hatte. Aber das ließ er nicht zu. Noch ehe ich vollständig kehrt gemacht hatte, erwischte er mich an der Schulter und drehte mich so, dass ich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte.
„Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?"
Etwas an seinem Blick zeichnete brennende Linien über meine Haut. Ein Muskel in meinem Kiefer zuckte.
Das war keine Erklärung. Mit beiden Händen versuchte ich, ihn aus dem Weg zu schubsen.
„Für einen Mann, der so viel auf Ehrlichkeit gibt, ist das schwach."
Er bewegte sich nicht einmal einen Fingerbreit, sondern stützte stattdessen seinen Arm neben meinem Kopf gegen die Wand, um mir effektiv meine Fluchtmöglichkeit zu nehmen.
„Wo habe ich dich schon mal in Hannabas getroffen?"
Er hatte mich mit Schleier tatsächlich nicht erkannt. Das erklärte, warum er bisher nicht weiter über das Treffen nachgebohrt hatte. Und ich würde ihm diesen Hinweis jetzt ganz bestimmt nicht geben. Trotzig schob ich das Kinn vor.
„Wieso hast du über den Zeitpunkt der Jagd gelogen?"
„Ich meine es ernst-..."
„So ein Zufall, ich auch!"
„Kaliee...", da war eine versteckte Warnung in meinem Namen. Um seine eigene Geduld ringend, schloss er die Augen, das ganze Gesicht angestrengt. Als er mich schließlich wieder ansah, waren seine Augen dunkler als zuvor. Er stieß sich von der Wand ab und machte einige Schritte rückwärts von mir fort.
Seine Hand fuhr grob durch seine Haare und er drehte sich weg, ehe er mit einer ganz anderen Stimme sagte: „Ich hatte Angst, dass ich zu lange gewartet hatte. Ich...", er stockte, „Ich hatte Sorge, dass du sagen würdest, dass du ihr schon nicht mehr helfen kannst."
Und mir Vorwürfe machen würdest, so wie ich mir Vorwürfe gemacht habe. Er sagte es nicht, aber ich konnte es aus seinen Worten heraushören. Trotzdem verschränkte ich die Arme. Auch, um mir nach der vorigen Nähe ein bisschen Halt zu geben. Wie hätte er reagiert, wenn ich ihm damals in seinem Zimmer vor dem Angriff gestanden hätte, dass ich keine echte Nevanam war? Dass ich seiner Schwester nicht hätte helfen können, selbst wenn sie nur einen Tag vorher vergiftet worden wäre.
Es gab nur ein winziger Baustein, der an der Geschichte nicht passte. Wenn er sich solche Sorgen gemacht hatte, wieso hatte er erst in alle Ruhe dem Königshaus in Eslaryn einen Besuch abgestattet?
Ich musterte ihn und musste mir eingesehen, dass er nicht mal ein wirklich guter Lügner und Schauspieler war. Selbst jetzt sah ich ihm an, dass er sich mit etwas ganz anderem beschäftigte.
Wahrscheinlich mit Liona.
Unddamit ließ ich ihn stehen.
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"Drückt das Sternchen, damit auch euch ein Licht aufgeht." - Yessi. Nicht der Hellste heute.
Letzter Tag dieses Jahr :O
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