Adraneda Beeren
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„Kaliee?"
Lichis Stimme ließ mich zusammenfahren. Meine Kammerzofe... trug eine Hose? Mein Verstand kam ins Stolpern, als sie versuchten das Bild in einen sinnvollen Kontext zu bringen. Es war so ein nebensächliches Problem, doch dieselbe Panik, die mich daran hinderte von dem Holzstück in meiner Hand ohnmächtig zu werden, brachte auch das komplette logische Gerüst meiner Gedanken durcheinander.
Langsam sah ich von ihr zu dem Loch im Boden und wieder zu ihr zurück. Sie sah wüst aus. Ihre blonden Haare hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und flogen wie ein Heiligenschein um ihren Kopf. Eine schwarze Schramme teilte den Ärmel ihres Oberteils und hatte seine Spuren auf ihrer Haut hinterlassen. Aber mein Gehirn funktionierte noch nicht.
„Warum trägst du kein Kleid?"
„Warum bist du in Yessis Zimmer?", erwiderte meine Kammerzofe ungerührt, sogar ein klein wenig vorwurfsvoll, „Und wo ist Yessi?" Sie marschierte in den Raum, als wäre es das Natürlichste auf der Welt.
Zu diesem Zeitpunkt wollte ich nicht mehr darauf eingehen, dass ich ihn hier hoch verfolgt hatte, bereit, ihm meine dunklen Geheimnisse anzuvertrauen. Mit einem stummen Nicken deutete ich auf das Loch im Boden und die Realität kehrte langsam mit meiner pochenden Hand zurück.
Lichis Augen wurden groß, doch sie behielt einen deutlich kühleren Kopf als ich.
„Wir haben keine Zeit. Bachar hat seinen Angriff gestartet", informierte sie mich und war in zwei Schritten bei mir, um mich auf die Füße zu ziehen. Ich hatte den Verdacht, dass das nicht ihr erster Krieg war. Ihr Blick fiel auf meine Hand und verdüsterte sich. „Das müssen wir da herausbekommen."
„Ich weiß", erinnerte ich sie daran, dass ich an guten Tagen durchaus was von Wunden und Heilen verstand. Hunderte Fragen türmten sich in meinem Kopf, doch ich drängte sie zurück. „Such mir was zum Verbinden. Ich kümmere mich um den Splitter."
Lichi nickte und sprang sofort in Aktion. Mit einem beunruhigenden Maß an Begeisterung öffnete sie Yessis Kleiderschrank und holte ein Leinenhemd heraus.
Ich dagegen benötigte einen kurzen Moment, um mich gegen das Bevorstehende zu wappnen. Das Rausziehen war das kleinste meiner Probleme. Der Schock würde mich noch einige Augenblicke ruhig halten. Doch die Blutung und die zurückbleibenden Holzstückchen beunruhigten mich. Ich hatte keine Zeit sie alle einzeln entfernen.
Um uns herum wurde der Hof laut. Ich hörte draußen Männer brüllen, ihre Kommandos an mich verloren über das Trampeln hunderter Füße. Das ganze Haus ächzte klirrend und knarrend. Wind heulte und durch das Loch in der Decke wurden wir mit feinem Regen besprenkelt.
Hinter mir riss Lichi das Hemd in Streifen. Einen Fetzen verknäulte ich, damit er das Blut auffangen konnte. Dann biss ich die Zähne zusammen und schloss meine Hand um den großen Splitter. Ich wartete nicht, um dann doch zu zögern. Mit einem Ruck war er draußen und trieb mir dennoch die Tränen in die Augen. Allein meine Routine ließ mich nicht den Fokus verlieren. Sofort drückte ich den Stoffklumpen in meine Handfläche und befestigte ihn mit meinem anderen behelfsmäßigen Verband. Der Druck nahm dem Schmerz die Spitze, doch ich konnte kleine Partikel noch unter der Haut spüren.
Mit einem weiteren Schlag zitterte das ganze Haus und ich warf dem Loch über uns einen Blick zu. Doch außer Staub, Regen und kleinen Steinen kam nichts mehr herunter. Stattdessen wurde lautes Klirren und Jubeln unterhalb unseres Fensters laut. Mein Puls beschleunigte sich wieder.
„Was hat Bachar auf uns geworfen?"
Lichi öffnete mir die Tür und begleitete mich auf den Gang hinaus. Ich konnte mich irren, aber die tiefen Linien ihres sonst dauerhaften Ärgers waren ein wenig weicher. Ihre Augen ein klein wenig heller.
„Flug-Echsen. Er hat in seiner Grafschaft einen Sport daraus gemacht, sie abzurichten."
Ich wusste nicht, was Flug-Echsen waren, doch die schiere Größe der schuppigen Kugel, die durch drei Stockwerke gekracht war, hielt mich davon ab, mehr als eine Frage zu stellen.
„Fressen diese Echsen Fleisch?" In halsbrecherischem Tempo folgte ich ihr die Treppe hinunter.
Lichi bremste nicht einmal ab. „Wo wäre sonst der Spaß?" Zwei silbrige Klingen links und rechts ihrer Hüfte blitzten im Licht einer Fackel auf und unterstrichen ihre Worte. Yessis Erwähnung, dass Lichi durchaus in der Lage war einen Attentäter abzuwehren, kam mir spontan in den Sinn. Aber warum? Was hatte sie erlebt, dass sie solche Fähigkeiten benötigte?
Meine Kammerzofe brachte mich auf direktem Weg vor mein Zimmer.
Ich hielt jäh vor der Tür an. Das konnte jetzt nicht ihr Ernst sein. Sie wollte, dass ich mich versteckte?
„Dieser Krieg ist meine Schuld...", setzte ich bereits an, doch Lichi würgte mich ab.
„Kannst du eine Waffe schwingen?" Etwas leuchtete in ihren Augen, das mir Angst machte,
Mein Mund schnappte zu und mein Verstand suchte fieberhaft nach einer passenden Antwort.
„Dachte ich mir", nickte Lichi und stieß die Tür auf, „Also geh und hole deine Medizintasche, ich hatte sie schon aufgeräumt."
Ich stürzte förmlich an ihr vorbei. Hastig kontrollierte ich meine Vorräte und Lichi sprach weiter. „Yessi meint es zwar gut, aber er versteht nicht, dass er nicht jeden beschützen kann. Frauen wie wir...", sie kam ins Stocken, als eine Erinnerung sie aus der Wirklichkeit riss, „Wir haben zu viel erlebt, als dass wir stricken könnten, während andere allen Spaß haben und für uns kämpfen."
Über die Schulter musterte ich für einen kurz ihr Profil. Lichi war... schön, auf eine natürliche Art und Weise. Ihre Haut hatte einen warmen Unterton, obwohl der andauernde Regen in diesem Land sie langsam ausgeblichen hatte. Und erst in diesem Moment sah ich die vielen schmalen Narben, die sich über ihre Hände zogen wie ein silbriges Spinnennetz. Sie waren so fein und gut verheilt, dass sie lediglich das Licht anders widerspiegelten. In ihnen hatte sich eine ganz andere Geschichte gefangen als die einer behüteten Kammerzofe.
„Ich kann noch nicht einmal Stricken", gab ich schlussendlich zu, als ich meine Tasche vom Tisch hob.
Sie zuckte mit den Schultern, doch ein wissender Ausdruck huschte durch ihre dunklen Augen. „Und ich kann nicht singen."
Es war wie eine eisige Dusche aus dem Nichts. Meine Hand gefror in der Bewegung und mein Magen sackte zwei Stockwerke tiefer, in die Nähe der Flug- Eidechsen. Woher wusste sie... das war unmöglich. Erinnerungen von meiner Zeit vor dem Palast jagten einander durch meinen Kopf und ließen mich schwindeln. Zufall. Es konnte nichts anderes als Zufall sein. Ein weiterer unglücklicher Treffer ins Herz.
„Wie bitte?"
Doch Lichi schob sich lediglich an mir vorbei nach draußen auf den Innenhof, die Hände an die Dolche gelegt.
Verwirrt folgte ich ihr in den Lärm eines kleinen Schlachtfeldes.
Regen peitschte mir ins Gesicht. Im ersten Augenblick waren es zu viele Eindrücke, die über mich hinweg spülten und in mir das Bedürfnis zurückließen, die Tür wieder zu schließen. Ich war keine Kriegerin. Ich hatte in meinem Leben noch nie ein Schwert geschwungen. Und ich war ganz sicher keine Freundin von Echsen, die sich auf ihre Hinterläufe aufrichteten und mit ihren gegabelten Zungen Männer anzischten, die ihnen vielleicht nur bis zur Brust gingen.
Es waren insgesamt fünf Stück verteilt über den gesamten Innenhof. Drei von ihnen lagen bereits mit abgetrennten Gliedmaßen im Schlamm, der sich langsam mit der schwarzen Flüssigkeit aus ihren Körpern mischte. Die Schuppen der Echsen schillerten wie Öl, wenn sich die Haut über die kräftigen Muskeln spannte. Ihre Augen waren kaum mehr als leuchtend gelbe Schlitze, die sich gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen bewegen konnten und so begeisterten Männern folgten, die um sie herum wuselten.
Ich verstand es nicht. Niemand lachte mehr, oder riss Witze über den sportlichen Aspekt des Kampfes. Jeder von ihnen war Teil des Chaos, des Lärms, des fürchterlichen Gestanks. Aber ich konnte sehen, wie sie darin auflebten. Wie sie sich in die Schlacht warfen, als gäbe es kein Morgen.
Und ich konnte sehen, wie sie darin starben.
Die Verletzten lagen überall verstreut. Es waren so viele. Zu viele, um ihre Namen aufzuzählen. Um zu erkennen, wessen Blut an den Stufen klebte. Wessen Helm verloren im Busch lag.
Meine Brust zog sich zusammen und schnitt mir den nächsten Atemzug ab. Kaar war besser auf meiner Seite, wenn ich das überleben wollte.
Lichi drehte sich zu mir um. Ihre Haare klebten in ihrem Gesicht und gaben ihr ein wahnsinniges Aussehen.
„Fang mit den noch Lebenden an", sie nickte zu einem neuen Rekruten, der ein wenig abseits gegen die Hauswand lehnte und seinen Bauch umklammert hielt, „Erinnere dich an Yessis Worte und tue dein Bestes. Mehr kann keiner verlangen."
Ich schluckte. Mein Bestes würde nicht gut genug sein. Ein wenig kurzatmig tat ich meinen ersten Schritt hinaus und wurde beinahe von einem neuerlichen Kreischen gelähmt. Die Eidechsen stießen ihn immer wieder aus, bevor sie zum Sprung ansetzten.
Es war, als kratze das Tier über meine Knochen. Seine Gestalt war halb verschwommen im Regen, kaum mehr als ein bedrohlicher Schatten.
Ich raffte meinen Unterrock und presste meinen Kiefer aufeinander. Wenn ich nicht stehen bleiben wollte, musste ich rennen.
Lichi folgte mir, die Dolche inzwischen in den Händen. Sie sah aus wie eine Dämonenreiterin aus der ersten apokalyptischen Schrift, von wilder Entschlossenheit getrieben. Als Echse hätte ich einen Bogen um sie gemacht und lieber jemand anderen gefressen. Zum Beispiel mich.
Meine Brust brannte, als ich neben dem Jungen in die Knie ging. Halb blind versuchte er, von mir fortzurutschen, mich wegzuschieben. Er nuschelte etwas von Beweisen, dass er mitgekämpft hatte. Als seine Hand verrutschte, offenbarte er eine riesige Kratzspur über seinen kompletten Oberkörper.
Zehn.
Er hatte zu viel Blut verloren. Seine Kraft reichte kaum noch aus, um mich auf Abstand zu halten. Also wischte ich seine Arme fort und öffnete meine Tasche. Er wollte leben, also musste er sich jetzt ebenfalls zusammenreißen. Keiner von uns beiden wollte hier sein.
Noch ein Kreischen und das Brüllen eines getroffenen Mannes ließen meine Finger zittern. Der Blick über meine Schulter verriet, dass ich dringender gebraucht wurde, als es mir lieb war. Anscheinend waren diese Viecher widerstandsfähiger, als ihre drei toten Gefährten es glaubend machen wollten.
Neun.
In einer kleinen Phiole hatte ich eine blutstillende Paste angerührt. Sie würde helfen, bis ich Zeit hatte, die Wunde ordentlich zu reinigen. Leider konnte mich ihr fröhliches Blau nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie brannte wie Säure. Ich warf dem Burschen einen entschuldigenden Blick durch den prasselnden Regen zu, ehe ich etwas auf meine Finger gab und sie in den Riss seines Hemds presste.
Er reagierte nicht begeistert. Mit einem gepeinigten Schrei versuchte er, mir mit seinem Ellenbogen einen Schlag gegen die Schläfe zu verpassen, was nur knapp durch meinen panischen Reflex verhindert wurde. Unglücklicherweise nutzte ich dazu meine bandagierte Hand, deren Schmerz so grell vor meinen Augen explodierte, dass ich beinahe bewusstlos geworden wäre.
Acht. ACHT. ACHT!
Der Rekrut klappte noch vor mir zusammen. Und ich war fast ein wenig stolz. Was ich jedoch niemals zugeben würde. Stattdessen überprüfte ich seine Vitalzeichen und bedeutete Lichi, ihn aus dem Dreck ins Innere des Hauses zu bringen.
Sieben.
Der Regen fühlte sich wie scharfkantige Eisspitzen auf meiner Haut an. Mühsam rappelte ich mich ebenfalls auf. Mein Herz fühlte sich an, als wäre ich gerade aus einem Fiebertraum erwacht. Ich konnte meinen Puls deutlich in meiner verletzten Hand spüren.
Mit zusammengepressten Zähnen hob ich meine Tasche hoch und sah mich nach dem nächsten Patienten um. Wind zerrte an meinen Haaren und meinem schweren Rock.
Ich fand jemanden nahe des Trainingszauns zucken und rannte los. Das Chaos schob mich von links nach rechts. Eine Eidechse, die sich abrupt in eine andere Richtung drehte, ließ mich panisch hinter eine Statue springen und dort für mehrere Augenblicke kauern. Aber schließlich erreichte ich den Mann.
Ihm folgten sieben weitere. Alle unterschiedlich lebendig. Alle unterschiedlich glücklich, mich zu sehen. Ich half ihnen, soweit es in meiner Macht stand und Lichi transportierte sie zuverlässig zurück ins Innere des Hauses.
Inzwischen kam mein Atem stoßweise. Dreck klebte in Krusten auf meiner Kleidung und in meinem Gesicht. Mein Kleid war mit fremdem Blut besudelt und mein Verband vollkommen verrutscht.
Mein ganzer Körper bebte, als ich mich ein weiteres Mal aufrichtete, um nach meinem nächsten Patienten zu suchen.
Soldaten hatten Pfeile entzündet und der beißende Geruch von Teer und Rauch füllte die Luft. Unter meinen Füßen gab der Boden feucht nach.
Ich machte mehrere Schnittwunden ähnlich der Ersten aus, jedoch keine so groß und bedrohlich. Stattdessen fing eine Gestalt meinen Blick ein, die auf dem Bauch zwischen den zwei kämpfenden Gruppen lag und sich nicht mehr rührte. Andrew.
Ich rannte, bevor ich meine mentale Zahlenreihe fortsetzen konnte. Kalter Matsch spritze auf und machte jeden Schritt schwer. Die anderen Männer konnten keine Rücksicht auf ihn nehmen, traten auf ihn, stolperten und bemühten sich, ihn wegzuschieben.
Er lag mit dem Gesicht mitten im Schlamm. Es war unmöglich, dass er noch Luft bekam.
Er durfte nicht tot sein.
Bilder meiner Erinnerungen wirbelten die Wirklichkeit auf, als ich versuchte den drückenden und schiebenden Körpern der Soldaten auszuweichen, um zu dem Mann zu gelangen. Es war nichts anderes als auf den Straßen. Sie bewegten sich selbst im Kampf wie eine einzige Masse, die sich nach ihrem eigenen Muster ausdehnte und wieder zusammenzog. Solange ich mich nicht wie ein Fremdkörper anstieß, würde ich nicht niedergetrampelt werden.
„KALIEE, VERSCHWINDE!" Yessi sah mich trotzdem. Er stand direkt neben einem dieser Echsendinger, das gerade versuchte, einen Mann mit seinem Schwanz von den Füßen zu fegen. Irgendwo hatte er eine Waffe herbekommen und Blut war von seinem Gesicht bis zu seinem Fingerspitzen mit Dreck verschmiert. Es war der fürchterlichste Anblick, den ich jemals gesehen hatte und ich musste ihn ignorieren.
Ohne ihm weiter Aufmerksamkeit zu schenken, stürzte ich die letzten Schritte zu Andrew und ging vor ihm in die Hocke.
Wo war ich stehen geblieben? Acht? Sieben? Es machte keinen Unterschied. Meine Muskeln fühlten sich wie Blei an, rückten jedoch jäh in den Hintergrund, als ich beide Hände benötigte, um den Mann auf den Rücken zu drehen. Blut drückte durch meinen dreckigen Verband durch und hinterließ eine rötliche Spur auf Andrews freiem Arm.
Sechs.
Ich musste ihn hier fortbekommen. Zu meiner größten Sorge konnte ich keine offensichtliche Wunde an Andrews Körper sehen. Yessi schlug gerade einer Echse das linke Vorderbein ab und schwarze Flüssigkeit bespritzte alles, was in Wurfweite stand.
Fünf.
Mit einem leisen Schmerzlaut griff ich beide seine Arme und begann zu ziehen. Die kurze Strecke bis zum Haupthaus wurde zu einer kleinen Ewigkeit. Andrew war schwerer, als er aussah und die nasse Erde klebte an ihm, wie ein frühzeitiges Grab. Immer wieder verlor ich den Halt an seinen Händen, oder meine Tasche schlug in sein Gesicht.
Vier.
Eine Echse ging mit einem markerschütternden Schrei zu Boden und Lichi kehrte zurück, um den Steward bis an die Hausmauer zu schleppen. Ich wusste ehrlich nicht, wo sie die Kraft hernahm. Meine Finger zitterten beinahe zu sehr, um noch seinen Puls zu messen. Er war schwach, aber noch da. Und ein ganzer Palast an Gewicht hob sich von meiner Brust.
Andrew musste leben. Es gab einfach keine andere Möglichkeit.
Lichi war es auch, die begann ihm den Schlamm aus der Lunge zu pressen, während ich den Kopf stabilisierte und seine Zunge aus dem Rachen holte.
Drei.
Er reagierte nicht.
Es war gleichgültig, was wir taten, Andrews Puls wurde mit jedem Augenblick langsamer. Sein Körper zeigte keinerlei Reaktion, als hätte ihn sein Geist bereits verlassen.
Das Gefühl in meiner Brust wurde beinahe unerträglich. Es versuchte, meinen Verstand zu lähmen, sodass ich mehrmals mit dem Zählen von vorne beginnen musste. Meine Sicht wurde immer eingeschränkter, bis ich nur noch den Steward vor mir wahrnahm. Der nächste Anfall befand sich nur noch eine feine Zahlenreihe entfernt. Kälte, Die wenig mit Temperatur zu tun hatte, zeichnete Eisblumen über meine Träger werdenden Gedanken.
Kein Atemzug.
Ich nahm meine Hände von Andrews Körper.
Sein Kopf rollte zur Seite, die Lider schwer über seinen Augen.
Auch Lichi zögerte. In ihren Versuchen Druck auf den Brustkorb zu bringen, warf sie mir wiederholt fragende Blicke zu, während ich mich langsam Schritt für Schritt von ihr entfernte.
Ich konnte ihn nicht retten. Ich wusste nicht wie.
Matsch und Blut tropfte von meinen nutzlosen Händen.
„Wir brauchen etwas, das sein Herz beschleunigt, damit sein Körper sich selbst befreien kann." Doch was? Moira hätte es gewusst, doch ich war allei-...
„Etwas, das ihm einen Schock versetzt?", unterbrach Lichi meine Gedanken und ihre Wiederbelebung. Panik zeichnete ihr Gesicht mit harschen Linien und getöteten Augen.
„Ein Adrenalinstoß. Es gibt Tiere die ihre eigene Form von Strom..."
Ein änderte sich im Gesicht der Kammerzofe und sie kam auf die Beine. „Marus bekommt ein Medikament. Ich weiß, wo wir noch welches lagern!" Und damit war sie auf und davon.
Ich hatte nicht einmal Zeit meine Zahlenreihe fortzusetzen. Stumpf kniete ich mich neben Andrew und bettete seinen Kopf seitlich auf meinen Knien. Mit schwachen Fingern strich ich ihm die dunklen Strähnen aus der Stirn und versuchte angestrengt, mir keine Welt ohne ihn vorzustellen. Er war das Nächste, was Yessi zu einer Familie noch hatte. Jemand, mit dem er die Verantwortung für sein Haus teilen konnte.
16 Zählreihen später warf Lichi endlich die Tür einige Schritte von uns entfernt wieder auf, in einer Hand eine grün verglaste Flasche schwenkend. Eine merkwürdige Flüssigkeit zog darin ihre Kreise.
Hastig wühlte ich in meiner Tasche nach einer Spritze. Unter den dritten oder vierten Rippenbogen musste sie gehen, so waren Moiras Anweisungen immer gewesen.
Lichi entkorkte das Gefäß und ich zog den Inhalt auf. Er war violett. Verdächtig bekannt violett.
Meine Hände hielten inne. Das war doch nicht... Lichi würde doch nicht?
„Adraneda Beere. Sie sind erst tödlich, wenn die Substanz rot wird. Ein oder zwei Injektionen werden ihn nicht töten", erriet die Kammerzofe meine Gedanken. Sie hatte keinerlei Zweifel an der Wirkungsweise des Gifts, als hätte man ihr die Dosierung mehrfach eingetrichtert.
„Woher weißt du so etwas?" Wenn Marus wirklich an einer Herzkrankheit litt, war das nichts, was seine Familie breitgetreten hätte. Die Chance auf ein Attentat wäre viel zu groß. In Eslaryn hätte es außerdem zu Zweifeln an der Blutstärke der Krone geführt. Keiner wollte schwächliche Herrscher.
„Yessi hat es mir erzählt", erwiderte das Mädchen ungeduldig. Ihr Blick huschte immer wieder zu Andrew zurück und auch ich spürte, wie die Sandkörner seiner Zeit davongetragen wurden. Er brauchte seine Hilfe sofort. Doch das Risiko war zu groß.
Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange. Meine nächste Frage war nur eine Eingebung, doch wenn ich richtig lag, dann würde ich mit ihr das feine Band der beginnenden Freundschaft zwischen mir und Lichi gefährlich spannen.
„Warum?"
Lichi sah mich an, Ärger und Angst in ihren Augen widerstreitend. Das ging mich nichts an. Wasser rann über ihr Gesicht und ihre Lippen wurden schmal.
„Wir waren mal ein Paar." Da waren keine Tränen. Kein unsicherer Blick in Yessis Richtung, der ein gebrochenes Herz verraten hätte. Nur stiller Zorn, dass ich sie um ein Geheimnis gebracht hatte.
Ein merkwürdiger Stich gesellte sich zu den allgegenwärtigen Schmerzen in meinem Körper. Ich versuchte ihn zu ignorieren. Sie war also die Frau gewesen, von der Cini gehofft hatte, dass Yessi sie heiraten würde.
Mit einem knappen Nicken nahm ich die Spritze und stieß sie in Andrews Gewebe.
Es war nicht nur Schlamm in seinen Atemwegen. Blut und Wasser spülten in hinaus. Mischten sich unter den Dreck und das aufgeweichte Gras, das auf uns allen eine Kruste bildete.
Ich widerstand gerade noch so der Versuchung mich vor Erleichterung, um seinen Hals zu werfen. Rasselnder Atem belohnte unsere Mühe, als er sich auf den Rücken rollte.
Wir hatten es geschafft. Er lebte. Vorerst.
Hinter uns grölten die Männer auf, als auch das letzte Monster zu Boden ging. Ich holte mindestens genauso tief Luft wie Andrew. Ich hatte überlebt. Mein Blick fiel auf Lichi, die mit steinerner Miene auf Andrew runter starrte. Sie war erleichtert. Ich hatte ihre Reaktion gesehen, als Andrews Lider gezuckt hatten. Aber sie hatte sich sofort von mir weggedreht, ihre Schulter als Schild, als erwarte sie den nächsten Angriff von meiner Seite.
Sie hätte es mir niemals gesagt. Und ich verstand das. Niemand außer Jac wusste, wie ich über Henric dachte. Zumindest hoffte ich das. Ein derartiges Geheimnis preiszugeben war wie der Verlust einer Rüstung. Aber ich hatte ihre ehrliche Antwort gebraucht.
„Es tut mir leid." Ich war mir selbst nicht sicher, ob ich meine Vorgehensweise oder das offensichtliche Ende ihrer Beziehung zu Yessi meinte. Er hatte Liona gewählt. Nicht für sich, sondern für seine Leute.
Ihr Zopf löste sich vollständig auf, als sie den Kopf schüttelte. Sie sah mich immer noch nicht an. „Du hast es nicht gewusst."
„Ich werde es keinem erzählen", beteuerte ich. Eher hätte ich mir vier dieser merkwürdigen Spritzen ins Bein gerammt. Was auch immer geschehen war, dass Yessi sich für Liona entschieden hatte, das Ergebnis war offensichtlich. Lichi ertrug tagtäglich die Demütigung, die Frau ihres Geliebten zu bedienen.
Als höre sie meine Gedanken laut und deutlich, drehte sie den Kopf zu mir. Da war keine Erleichterung in ihrem Gesicht.
„Sonst hätte ich es dir nicht gesagt." Ihre Augen schweiften weiter über den restlichen Innenhof, doch ich spürte ihre Aufmerksamkeit weiterhin auf meiner Haut. „Schließlich willst du auch nicht, dass irgendjemand von deiner Vergangenheit als Sängerin des Wagenkönigs erfährt?"
Ich starrte stumpf auf den Verband an meiner Hand, der sich aufgeweicht jetzt vollkommen aufgelöst hatte. Nicht einmal Madame Acó hatte davon gewusst. Und die steckte ihre Nase wirklich in jede Angelegenheit.
Eine Antwort wurde mir vom König aus Tacia erspart. In langsamen Schritten schleifte er sich zu uns. Die Verletzung an seinem Kopf blutete immer noch und verklebte seine Haare, sein komplettes Gesicht und Teile seiner Schulter. Er zog ein Bein hinter scih her und sein Schwert hing nutzlos an seiner Seite. Aber ich war noch nie so erleichtert gewesen, ihn zu sehen.
Ich schluckte. Teile seines Hemdes waren zerrissen und offenbarten einen sehr definierten Oberkörper. Beim Näherkommen fiel sein Blick auf die gerade wieder freigelegte Wunde meiner Hand. Für einen Herzschlag wurden seine Pupillen groß, dann drehten sie sich zurück in seinen Kopf und er kippte um.
Ich wollte aufspringen, doch Andrews schwerer Kopf hinderte mich glücklicherweise. Lichi war sofort an seiner Seite.
„Was ist passiert?", sie bemühte sich um einen gleichgültigen Tonfall, doch wenn man wusste, worauf man achten musste, hörte man den leisen Anflug der Angst.
Ich blinzelte. Blutverlust und-... mein Blick fiel auf meine Hand.
„Er kann keine Wunden sehen."
Meine Kammerzofe schickte mir einen kritischen Blick von der Seite. „Seine Kleidung ist vollgesogen mit Blut."
Ich schluckte.
"Wunden von Menschen, die ihm nahestehen", korrigierte ich mich mit belegter Stimme und drehte den Kopf, damit die verräterische Hitze meiner Wangen nicht zurückkehren konnte.
Ich kann kein Blut sehen. Ich komme aus einer Familie, in der jeder im Krankenhaus arbeitet, außer mir :D
Als Bella Swan ebenfalls kein Blut sehen konnte, kam ich mir für ganze drei Tage cool vor. Aber irgendwie ist noch kein sexy Vampire vorbei gekommen und hat mir gesagt, wie besonders ich bin :D
Aber dann wiederum arbeitet mein Dad im Krankenhaus und muss sich reflexartig ebenfalls übergeben, wenn er Erbrochenes sieht xD Und dann funktioniert auch, wenn TJ ihm eine halbverdaute Maus auf die Fußmatte legt :D
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