8 - Von Blut und Planung
...Einst...
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Es stank nach Blut, Schweiß und Rauch. Schmuddelige rote Flecken schmierten auf denkenden Gesichtern und verdreckter, eingerissener Kleidung. Um einen provisorisch auf umgekippten Baumstämmen und einer halben Tür aufgebauten Tisch, standen Gestalteten. Noch umgeben vom grausigen Duft des Kampfes, den sie erst vor kurzem beendet hatten. Erfolgreich.
Als die Hexen sich erhoben hatten, war es für viele nur ein weiterer Versuch der Rebellion eines Haufens unwürdiger Seelen gewesen. Jedes erbärmliche Aufbäumen der von dämonischer Macht zerfressenen Gestalten, die ihren Platz nicht kannten, war ein ums andere Mal ohne größere Probleme zurückgeschlagen geworden. Fast war es verwunderlich. Da fürchtete man sich so sehr vor ihnen und machte sie zu rechtlosen Sklaven, verteilte sie überall im Land in kleine Lager, in denen sie ihren Herren zu dienen hatten, aber wenn sie sich wirklich bemühten gefährlich zu werden, zertrat man sie wie zappelnde Käfer.
Zumindest bisher. Dieser Aufstand jedoch, war anders. Diesmal waren sie nicht mehr nur ein kleines Messer, das in kopfloser Panik um sich schlug, ehe es wieder zu Boden gerungen wurde. Diesmal waren sie ein Schwert. Eine schneidende, vernichtende Waffe, die nicht brach und die sich nicht wieder auf die Knie zwingen ließ. Sie waren zu einer Einheit geworden. Selbst der König mischte sich langsam ein und schickte royale Truppen in das Randgebiet, in dem die widerspenstigen Hexen sich weigerten, ihre Rollen weiter einzuhalten. Wo die Götter blind zu sein schienen, denn andernfalls, hätten sie dem doch längst ein Ende bereiten müssen.
Im Moment noch kämpften sie nur in dieser Region, aber eines Tages würden sie vor den Toren der Hauptstadt stehen und den Herrscher persönlich bezwingen. Dann würde es niemand mehr wagen, sich ihnen in den Weg zu stellen.
Ioanne sah auf von der Karte auf der Platte und vorbei an den anderen in Diskussionen vertieften Hexen. Drei Frauen und zwei Männer die sich über die erst kürzlich vergangene Schlacht und das weitere Vorgehen unterhielten. Ihr Blick legte sich auf die Jüngste in der Runde. Fast noch ein Mädchen mit runden Wangen und die einzige ohne Schmutz oder Blut einer Schlacht am Leib. Sie kaute unruhig auf ihren Fingernägeln obwohl sie sich selbst immer darüber ärgerte, wenn sie es wieder tat. Angespanntheit sickerte spürbar aus ihrer Haltung und schien selbst den kleinen Wald dazu zu bringen, sich raunend in ihrem Rücken zu bewegen. Als sie Ioannes Blick auf sich spürte, ging ein Rucken in ihren Leib. Wie von einem plötzlichen Gedanken gepackt, setzte sie sich in Bewegung, huschte an den anderen vorbei und griff nach dem Arm der Kampf befleckten Hexe. Ganz so, wie sie es auch schon früher immer getan hatte. Als sie klein und unsicher wie ein Lamm, in den zügigen Raum gebracht worden war und eines der ungewaschenen Betten zugewiesen bekommen hatte. Sie war größer geworden, und ihr Blick hatte über die Jahre an Stärke gewonnen. Ernster, klüger und entschlossener. Aber wenn sie unsicher wurde, griff sie noch immer nach ihrer älteren Schwester, ohne wirklich darüber nachzudenken.
„Wir müssen reden", raunte Keelie eindringlich.
Verwirrt sah Ioanne sie an. Ehe sie jedoch darauf eingehen konnte, kamen zwei Weitere über den moosigen Boden zu ihnen herüber. „Warte noch, wir reden danach." Ioanne schob die Dringlichkeit ihrer Schwester für den Moment zur Seite.
„Das hier ist Meia. Sie ist aus Teralon und meinte sie wüsste, wie wir die Befestigungen umgehen können", erklärte eine Hexe, die eine Andere vor sich herschob.
Inzwischen stießen fast täglich neue Hexen zu ihnen, die sich gegen ihre Meister gestellt hatten oder schon seit längerem verstecken mussten. Manche befreiten sie auch direkt aus der Unterdrückung und nahezu alle schlossen sich ihnen an.
Die junge Frau mit den unordentlichen blonden Haaren, die nun mit großen Augen zu der versammelten Gruppe blickte, trug die Art der Kleidung, wie man sie den Heilern gab. Fast ähnlich einem Priestergewand. Doch schlichter und mit überkreuzten schwarzen Linien, die rings um den Kragen gestickt waren. Ein Symbol für die Dornen der Demut, die sie den verfluchten Seelen aufzwangen. Wenn sie es noch trug, musste sie erst kürzlich zu ihnen gestoßen sein.
„E... Es gibt einen geheimen Zugang. Oder eigentlich... einen Vergessenen", stammelte sie hektisch und aufgeregt, noch ehe man sie überhaupt dazu aufgefordert hatte. „Durch die alten Katakomben."
Interessiert trat Ioanne einen Schritt auf sie zu.
„Und du kennst diesen Zugang... weil?"
Die junge Heilerin biss die Zähne zusammen. Ihre Hände verkrampften sich in einen Knoten und für einen Moment verschwand die Aufgeregtheit aus ihren Zügen um von der Abscheu einer Erinnerung ausgewechselt zu werden. Einen Augenblick später sah sie jedoch bereits wieder entschlossen auf.
„Der Sohn unseres Meisters hatte eine Vorliebe für dunkle Orte und fand einen der alten Gänge durch Zufall. Manchmal nahm er mich mit sich herab. Ich dachte vielleicht könnte ich eines Tages dadurch fliehen, wurde aber zu einem neuen Meister geschickt, ehe ich... mutig genug war." Diesmal war sie es, die einen Schritt weiter auf die Gruppe und auf Ioanne zutrat. „Aber ich kenne den Weg noch, und ich werde euch führen."
Ioanne kratzte sich an einem getrockneten, dunkelroten Fleck auf ihrer Wange. Dann spannte sich ein zufriedenes Lächeln über ihr schmales Gesicht. Eines bei dem sie die Zähne zeigte und sich dunkle Vorfreude in die helle Farbe ihrer Augen schlich.
„Dann werden wir aus dem Boden steigen und sie überrennen noch ehe sie wissen, wie ihnen geschieht."
Zustimmung erhob sich. Die Heilerin Meia schien zu leuchten vor Glück und beeilte sich zu den anderen an den Tisch zu treten, als Ioanne sie zu sich winkte. Die Stadt einzunehmen würde ihnen eine gesicherte Festung in die Hände legen. Bisher schlugen sie ihre Lager in den Bergen, den zerklüfteten Wäldern oder Dörfern auf. Lange bleiben konnten sie nie und Ruhe fehlte ihnen in jedem Moment. Gerade nun, da sie immer größer wurden, war es eine Unmöglichkeit geworden schnell zuzuschlagen und sich wieder zurückzuziehen.
„Da sind nicht nur Soldaten in der Stadt!", meldete sich Keelie zu Wort. Die Miene ihrer kleinen Schwester war sogar noch angespannter geworden als eben schon. Etwas Hartes lag in dem Zug um ihre Lippen, dabei bebten ihre Schultern, als wäre sie ein Topf brodelnder Emotionen.
„Da sind unschuldige in dieser Stadt, die ihr euch nehmen wollt! Menschen, die nie ein Schwert in der Hand hatten und nicht einmal wissen, wozu das Pulver der Pistolen gut ist. Was habt ihr mit ihnen vor?" Ihre Stimme überschlug sich fast.
Ioanne brummte ungeduldig.
„Keelie nicht jetzt. Sie können fliehen und irgendwo anders unterkommen."
„Aus ihrer Heimat?", zischte Keelie.
Ioanne schlug ihre Hände auf die Tischplatte. Härter und rasanter als eigentlich vorgesehen. Das Holz wackelte unter dem Knall.
„Und was ist mit unserer Heimat? Hat auch nur einer dieser Menschen dort in Teralon jemals etwas gesagt über die Art, wie Kinder ihrer Gaben wegen aus ihren Familien gerissen und in Sklavenlager gesteckt werden?"
Keelie schnaubte. „Wir können jetzt nicht einfach dasselbe tun. Du kannst nicht allen Ernstes glauben, dass das richtig ist."
Die Blicke der anderen lagen auf ihr, auf Ioanne. Nicht nur die, derer die direkt neben dem Tisch standen. Zwischen den Bäumen des kleinen Lagers, sahen andere aufmerksam herüber und lauschten jedem Wort, dass sie aufschnappen konnten. Abwartend, beinahe lauernd.
Zweifel, Zerrissenheit und unterschiedliche Wege waren es bisher immer gewesen, die die Aufstände niederschlugen. Die Hexen, die nie gelernt hatten, zusammen zu arbeiten und ihr Leben lang nur Befehle befolgen mussten, sahen ihr größtes Hindernis nicht in den Soldaten des Feindes. Wenn sie uneinig wurden, würden sie an ihren Hoffnungen zerschellen wie Wellen an den Felsen vor einer Küste.
„Wir tun NICHT dasselbe, Keelie." Ioannes Stimme wurde lauter. „Das hier ist Krieg! Und nach Jahrzehnten... nach Jahrhunderten, die sie uns behandelten, als wären wir nicht mehr wert als der Dreck unter ihren Füßen, haben wir jedes Recht uns eine ihrer Städte zu nehmen!"
„Indem wir uns verhalten wie... wie Monster?"
Ioanne griff sich an die Stirn, als müsste sie Kopfschmerzen zurückhalten.
„Wovon redest du? Wir tun was getan werden muss!"
„Sieh dich doch um Ioanne!" Keelie breitete die Arme aus und deutete auf die Umherstehenden. Deutete auf Ioanne in ihrer besudelten Erscheinung. „Das Blut der letzten Toten ist noch gar nicht ganz getrocknet und schon wird gesprochen eine ganze Stadt zu vernichten."
„Es reicht jetzt!" Ioanne trat auf sie zu und trug einen Blick in den Augen, der Keelie erschrocken zurück stolpern ließ. „Ich denke es wäre besser, wenn du jetzt gehst um deinen Kopf abzukühlen. Bevor du noch mehr sagst, dass du bereuen könntest."
Mit bebenden Schultern sahen die Schwestern sich an. Dann senkte Keelie den Blick. Auf ihrem Gesicht war keine Wut, nur Enttäuschung.
Ohne ein weiteres Wort stapfte sie davon und verschwand zwischen den Bäumen. Zwei der anderen Hexen warfen verunsicherte Blicke zwischen einander hin und her. Eine drehte sich schon, um zu folgen.
„Lasst sie gehen, sie beruhigt sich wieder", meinte Ioanne und schüttelte den Kopf. Es stach in ihrer Brust zu sehen wie ihre kleine Schwester ihr den Rücken zu wand, wie sie alles hinterfragte das sie tat, ohne überhaupt zu versuchen zu verstehen. Dann lehnte sie sich wieder über die Tischplatte und sah auf die Karte. Auf ihre verdreckten Finger die darauf lagen.
„Aber es hat mich auf eine Idee gebracht. Angst... Womit wurden wir kontrolliert bisher? Mit Angst. Dann werden sie jetzt dasselbe fühlen." Sie richtete sich auf und hob eine Hand um sich über die befleckte Wange zu streichen. „Bevor wir durch die Katakomben gehen und angreifen, werden wir uns die Gesichter bemalen. Wir kommen bei Nacht, treiben sie aus ihren Betten und in die Flucht. Sollen sie sich fürchten und sollen sie verbreiten, dass die toten Hexen alter Tage aus ihren verscharrten Gräbern unter der Stadt krochen, um ihre Rache über die Menschen zu bringen."
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