15. Längst vergangene Zeiten
Der nächste Morgen ist so heiß wie die vorigen, sodass ich schon nach dem Weg zum Bäcker nassgeschwitzt bin. Aber im Westen über dem Mittelmeer hängen dunkelgraue Wolken, die Regen ankündigen. Hoffnungsvoll blicke ich zu ihnen hinüber. Vielleicht bringen sie ein bisschen Abkühlung in die verstaubten, vor Hitze glühenden Gassen.
Trotzdem bin ich ungewöhnlich glücklich und zufrieden. Ich bin am Leben und mir geht es gut und Stella lebt auch noch. Erstaunlich, wie sehr sich meine Laune nur durch den Badeunfall verändert hat.
Mein Frühstück nehme ich alleine ein. Kate, die Langschläferin, liegt nämlich immer noch im Bett. Gerade als ich nach dem Essen das dreckige Geschirr spüle, klingelt es an der Haustür. Meine Armbanduhr verrät mir, dass es fünf nach acht ist. Wer ist bitteschön sonntags um diese Uhrzeit schon wach und möchte andere Leute besuchen? Sogar für die Kirche sind wir noch zu früh. Nicht, dass ich dort hingegangen wäre, aber Nonna wollte Kate und mich schon ein paar Mal zum Gottesdienst mitnehmen.
Seufzend mache ich mich auf den Weg zur Tür. Draußen steht Lucca. „Was willst du denn hier?", blaffe ich ihn aus Gewohnheit heraus an.
„Dir sagen, dass ich gestern noch bei Stella im Krankenhaus war und dass es ihr gut geht. Ach, und ich will dich fragen, ob du Lust auf eine Spritztour hast", antwortet er mit einem leichten Lächeln auf meine Frage. Mal wieder lässt er sich nicht abweisen.
„Womit?", will ich wissen und verschränke die Arme.
„Damit." Er deutet auf eine Honda, die an der gegenüberliegenden Hauswand lehnt. Obwohl die Verkleidung des Motorrades schon einige Kratzer abbekommen hat und das Modell nicht gerade das Neuste ist, wirkt es, als hätte vor kurzem erst jemand an der Maschine herumgeschraubt. Trotzdem bin ich neugierig, was Lucca vorhat und so willige ich ein. „Klar. Wo soll's hingehen?"
Scheinbar hat Lucca nicht mit dieser Antwort gerechnet, denn er legt die Stirn in Falten. Doch das leichte Lächeln auf seinem Gesicht verwandelt sich in ein breites Grinsen. Dabei wirkt er nicht mehr wie ein Mann Anfang zwanzig, sondern ein bisschen wie ein kleiner Junge.
„Das ist eine Überraschung. Aber ich glaube, es wird dir gefallen."
„Willst du mich entführen und mich in einem dunklen Wald zur Strecke bringen?", frage ich belustigt, „falls du vorhaben solltest, meine Mutter damit zu erpressen, besonders viel Lösegeld kann sie nicht zahlen."
„Ich will dir bloß was zeigen", meint Lucca, „keine Angst, heute Abend bist du wieder zurück zu Hause." Mit diesen Worten schnappt er sich einen Motorradhelm, der neben ihm auf dem Boden steht und hält ihn mir entgegen. Nach kurzem Zögern ergreife ich ihn, schreibe meiner Schwester eine Nachricht, in der ich ihr erkläre, was ich vorhabe und die sie bestimmt nach dem Aufwachen lesen wird. Dann streife ich mir den Helm über den Kopf. Meine Haare verstecke ich darunter.
Lucca wartet nicht lange. Kaum dass ich die Haustür hinter mir zugezogen habe, startet er auch schon den Motor, der ungewöhnlich laut aufheult. Autsch, das klingt nicht gut. Trotzdem versuche ich, mich so unbeschwert wie möglich hinter ihm auf die Honda zu schwingen. Der Sitz vibriert unter meinem Hintern, sodass ich mich an Lucca festhalten muss, um nicht von der Maschine zu fallen.
Grinsend dreht sich Lucca zu mir um. „Los geht's!", brüllt er über den Lärm des Motors hinweg. Dann klappt er den Ständer ein und fährt los.
Ich halte die Luft an und verschränke meine Finger vor Luccas Brust ineinander, um bloß nicht herunterzufallen. Dabei versuche ich, so viel Abstand zu ihm zu halten wie möglich.
In der Stadt fährt das Motorrad ziemlich schlecht. Andauernd holpert es über das Kopfsteinpflaster und ich werde durchgeschüttelt. Dafür ist es auf der Landstraße umso besser. Kaum dass wir das Ortsschild passiert haben, dreht Lucca am Gasgriff. Sofort beschleunigt die Maschine. In den Kurven lässt Lucca das Motorrad zur Seite kippen, sodass seine Knie nur noch wenig Abstand zum Asphalt haben.
Mein Herz schlägt bis zum Hals und mein Magen verkrampft sich vor Angst, doch schließlich entweicht mein angehaltener Atem und der frische Fahrtwind strömt in meine Lungen. Er ist so stark, dass ich im ersten Moment glaube, keine Luft mehr zu bekommen und gleichzeitig so belebend, dass mir ein freies Lachen entweicht. Dass Motorradfahren so berauschend sein kann, habe ich nicht gewusst. Es fühlt sich einfach nur gut an. So echt. So lebendig. Für einen Augenblick fühle ich mich frei, als würde ich über die Straße fliegen. Nichts auf der Welt kann Lucca und mich jetzt aufhalten. Glaube ich zumindest.
Viel zu schnell drosselt Lucca die Geschwindigkeit und biegt auf einen breiten Schotterweg, der geradewegs in die Landstraße mündet, ab. Auf diesem Schotterweg bleibt er schließlich stehen. Ich steige als Erste ab und befreie mich von dem Helm. Die langen Haare fallen wirr über meinen Rücken und meine Füße tänzeln leicht auf der Stelle.
„Das war unglaublich." Meine Stimme überschlägt sich vor Begeisterung und ein breites Grinsen kann ich nicht unterdrücken, selbst wenn ich es gewollt hätte.
„Ich wusste, dass es dir gefällt", meint Lucca, während er das Motorrad an einer niedrigen Steinmauer abstellt.
„Im Ernst, das war die coolste Spontanaktion, die ich je gemacht habe", gestehe ich.
„Du hast wohl noch nicht an vielen Spontanaktionen teilgenommen, oder?", fragt er belustigt, „und diese ist noch nicht vorbei. Komm mit!"
„Nimm das, was ich gesagt habe, doch einfach als Kompliment hin", entgegne ich und rolle die Augen. Er nimmt mich bei der Hand, wogegen ich mich aber prompt wehre.
Erstaunlicher Weise fühlt sich seine Haut glatt und zart an, sowie die eines Babys. Gestern aber war sie noch rau und aufgeplatzt. So schnell undso gut wirkt doch keine Handcreme!
Überrascht sehe ich auf seine Finger hinab. Sie sind nicht mehr aufgeplatzt und auch der lange Kratzer auf seinem Handrücken ist verschwunden. Seltsam. Wie konnte die Wunde so schnell verheilen?
Doch ich schiebe den Gedanken schnell beiseite, da er hier an diesem Tag nur stört. Neugierig folge ich ihm weiter, den Schotterweg entlang. An beiden Seiten des Weges erstrecken sich Reihen von Pfirsichbäumen. Ein paar Kilometer westlich von uns liegt der Hügel mit der Stadt Castiglione della Pescaia. Dahinter beginnt das Meer.
Schließlich endet der Schotterweg und auch die Reihen von Pfirsichbäumen dünnen aus, bis vor uns eine wüstengleiche, sandige Landschaft auftaucht, die in den grünen Toskanahügeln eingebettet ist. Niedrige, gelbbraune Steinwände stoßen aus der Erde hervor. An manchen Stellen kann man sogar Türen und Torbögen zwischen den Wänden erkennen und Umrisse, die vor langer Zeit womöglich mal Häuser gewesen sind.
Ein Teil dieser Ruinenlandschaft ist mit rot-weißem Band abgesperrt und einem Warnschild lässt sich entnehmen, dass hier bis vor Kurzem noch archäologische Ausgrabungen stattgefunden haben. Betreten der Ausgrabungsstätte natürlich nur auf eigene Gefahr.
„Was ist das?", frage ich und sehe Lucca erstaunt von der Seite an. Der lächelt nur. „Die Ruinen von Pergula."
„Pergula? Aber ich dachte, das sei ein Mädchen gewesen? Aus der Legende."
„Ja, das war sie auch. Nach ihrem Tod hat ihr Geliebter Podoeri diese antike Stadt nach ihr benannt."
„Und woher kennst du die Ruinen?"
„Von meinen Eltern." Natürlich. Woher sonst? Darauf hätte ich auch von allein kommen können. Wahrscheinlich war dies oft das Ziel von Sonntagsausflügen, die Lucca und seine Familie unternommen haben.
Die Ruinen von Pergula. Unwillkürlich lassen mich die Überreste der Gebäude, die hier einmal gestanden haben, schaudern. Oder ist es der kühle Wind, der die grauschwarzen Wolken vom Mittelmeer langsam über das Land weht?
Ich frage mich, welche Menschen hier wohl gelebt haben. Vor über zweitausend Jahren. Welche Kleidung haben sie damals getragen, welche Berufe haben sie ausgeübt? Wie waren ihre Häuser eingerichtet? Womit haben sie gekocht? Aber viel interessanter: Wie ging es ihnen wohl? Gab es tatsächlich mal einen Podoeri und eine Pergula? Nur eben ohne Magie. Falls ja, haben sie wirklich hier gelebt, in der Nähe von Castiglione della Pescaia?
„Jede Legende hat einen wahren Ursprung und der von unserer liegt hier", meint Lucca lächelnd, „willst du dir das mal näher ansehen?" Wie hypnotisiert nicke ich. Klar, warum nicht?
„Du glaubst aber nicht daran, dass diese Legenden wahr sind, oder?", frage ich interessiert. Daraufhin lächelt Lucca nur. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht ganz deuten, aber er sagt: „Nein, Brionny. Das ist nur eine Geschichte."
An Luccas Seite schlüpfe ich unter dem Absperrband durch, betrete den historischen Boden der Ruinen und lasse mich auf dem Fluss der Zeiten zurück in eine längst vergangene Epoche tragen.
~
Wir verbringen fast den ganzen Nachmittag bei den Ruinen. Dabei muss ich feststellen, dass man sich mit Lucca ziemlich gut unterhalten kann. So erzählt er mir zum Beispiel, dass er mit seiner Familie zwei Jahre lang in Schottland gelebt hat.
Im Gegenzug dazu erzähle ich ihm von England, Maddie, Kate, Andrew, dem Schwimmteam und von meinem Traum, in London Medizin zu studieren.
Als sich die ersten Regentropfen aus den Wolken am Himmel lösen, nehmen wir unter einem der Pfirsichbäume Platz und warten, bis sich die dunkelgraue Wolkendecke am Himmel wieder in eine weiße verwandelt. Währenddessen essen wir Snacks, die Lucca extra für diesen Ausflug mitgebracht hat.
„Wer ist eigentlich Jeremy?", fragt Lucca in diesem Moment vorsichtig.
Völlig unerwartet überrumpelt mich die Erinnerung an Jeremy. Ich habe tatsächlich seit gestern Morgen kaum an ihn gedacht. Ein kleiner Stich rast durch mein Herz und ich zucke sogar erschrocken zusammen. „Warum willst du das wissen?", erwidere ich kühl. Eigentlich habe ich keine große Lust, über Jeremy zu reden.
„Nun ja, ich habe diese E-Mail von ihm gelesen und ich bin ein bisschen neugierig. So wie er dir geschrieben hat, könnte man darauf schließen, dass zwischen euch mal was lief. Warum hast du nichts von ihm erzählt?"
„Das ist eine längere Geschichte...", beginne ich. Eigentlich habe ich nicht wirklich Lust, darüber zu reden.
„Nun ja. Ich habe jede Menge Zeit", meint Lucca und streckt sich unter einem der Pfirsichbäume aus. „Ich hab Zeit". Das ist so was von ein Standardspruch. Aus Luccas Mund klingt er jedoch nicht abgenutzt, sondern ehrlich.
„Jeremy ist nicht mein Freund", stelle ich klar.
„Aber er war es mal", errät Lucca. Ich seufze und puhle mit dem Finger in dem sandigen Boden herum. Ein Zeichen von Nervosität, ich weiß, aber ich kann in diesem Moment einfach nicht anders. Und bevor ich mich selbst aufhalten kann, erzähle ich Lucca alles, was passiert ist. Zwar in einer milderen, weniger detailreichen Version, aber ich lasse nichts aus.
Damit, wie Jeremy und ich uns kennengelernt haben, beginne ich. Darauf folgt das Schwimmtraining, die ersten Treffen, der erste Kuss, die ersten leisen Andeutungen, dass die Gefühle von uns über eine gute Freundschaft hinausreichen, die Monate zusammen, in denen ich trotz meiner emotionalen Abhängigkeit immer darum bemüht war, Abstand von ihm zu halten und schließlich das abrupte, harte Ende.
Als ich alles erzählt habe, fühle ich mich schlecht und gut zugleich. Schlecht, weil ich einem Menschen, über den ich so wenig weiß und den ich vor knapp vierundzwanzig Stunden kaum ausstehen konnte, so viel von mir verraten habe. Wenn man sich anderen gegenüber öffnet, kann man leicht verletzt werden. Im Gegenzug dazu ist da aber auch ein gutes Gefühl in mir, weil ich endlich mal das, was passiert ist, loswerden konnte. Erst jetzt weiß ich, dass ich mit Jeremy und meinen Gefühlen für ihn abschließen kann.
„Das ist alles nicht so wichtig. Ist halt passiert", füge ich am Ende hinzu.
„Das ist wichtig. Es wäre ja auch schlimm, wenn es nicht so wäre", sagt Lucca und ergreift meine Hand. Unter der Berührung zucke ich erschrocken zusammen. Seine Haut ist wirklich unglaublich weich.
„Ach ja?", frage ich.
„Ja, weil das bedeutet, dass du dich verlieben kannst."
„Was soll daran denn bitteschön gut sein?", frage ich verbittert. Wie oft habe ich mir in den letzten Wochen schon gewünscht, mich niemals verlieben zu können? Aufhören zu lieben, das ist kein Fluch, das ist ein Segen. Denn wenn man nicht liebt, wird man auch nicht verletzt. Lieber keine schönen Momente als das Leid am Ende.
„Alles. Weil Schmerzen bedeuten, dass du lebst. Dass du etwas Gutes gehabt hast, etwas, das dich erfüllt hat. Jetzt hast du es nicht mehr, ja. Aber alles im Leben hat eine gute und eine schlechte Seite. Die Liebe auch."
Ach du liebes bisschen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich eine Konversation dieser Art mit Lucca führen könnte. So leidenschaftlich und ernst, wie er von Liebe spricht, ist er auf jeden Fall davon überzeugt, dass es sie gibt. Fast wie mit seinen Sagen und Legenden.
„Hast du eine Freundin?", will ich wissen und füge schnell hinzu: „oder einen Freund?" Nur ein verliebter Junge kann so reden. Alle anderen Kerle würden mir vermutlich erzählen, ich solle mich nicht so anstellen.
„Nein. Ich war auch noch nie mit jemandem zusammen. Nicht wirklich", gesteht er, „irgendwie hat da immer etwas gefehlt. Und deshalb habe ich die meisten Sachen dann beendet, bevor da etwas Ernstes draus werden konnte."
„Klingt wie jemand, der Angst hat."
„Das sagt die Richtige."
„Was? Wieso?"
„Nun ja, das wirkt irgendwie so. Seit du hier bist, bist du ziemlich abweisend und unfreundlich den meisten Menschen gegenüber. Vielleicht sind Schüchternheit und Reserviertheit nur eine Form von Angst. Angst vor Nähe. Angst davor, zurückgewiesen zu werden. Denk mal darüber nach", meint Lucca und lächelt. Das ist ein Moment, in dem er mich so wütend macht, dass ich ihn am liebsten hier sitzen gelassen hätte. Warum bringt er mich mit seiner besserwisserischen Art immer wieder zum Kochen?
Andererseits treffen mich seine Worte. Vielleicht ist da ja etwas Wahres dran. Vielleicht war ich unfreundlich und abweisend anderen gegenüber, weil ich nicht hier leben möchte. Oder aber weil ich Angst habe. Vor was auch immer.
„Jeremy hat aber auch Angst", pfeffere ich darauf zurück, „zumindest dachte ich das bis gestern. Er wollte keine Fernbeziehung mit mir, aber jetzt hat er eine Freundin, die in den USA lebt. Das passt irgendwie nicht zusammen."
„Das stimmt, das passt nicht zusammen", überlegt Lucca, „vielleicht war er einfach nicht ehrlich zu dir oder er ist es jetzt nicht zu sich selbst. Den wahren Grund für sein Verhalten wirst du vermutlich nie erfahren. Ich glaube, dass nicht mal er sich über seine Absichten im Klaren ist. Ich weiß, dass das schwer ist, aber es bringt nichts, wenn du dir ewig Gedanken darüber machst. Du bist toll. Wenn dich jemand nicht will, dann hat er dich auch nicht verdient. Ich bin mir sicher, dass du jemanden finden wirst, der dir gut tut."
„Ich bin was?" Entsetzt starre ich ihn an. Hat er etwa tatsächlich gesagt, dass er mich mag? Ich kann gar nicht glauben, dass diese Worte tatsächlich aus seinem Mund gekommen sind. Vor lauter Erstaunen entschlüpft mir ein kleines Lachen. „Ich nehme dich beim Wort, wenn ich das nächste Mal die versnobte Engländerin bin."
„Was ich nie gesagt habe", verteidigt sich Lucca.
„Aber gedacht!", erwidere ich darauf.
„Na und. Du hast bestimmt auch so einige Sachen über mich gedacht."
„Und ich denke sie immer noch."
„Hey!" Mit gespielter Empörung richtet Lucca sich auf. Dabei stößt er sich den Kopf an einem niedrig hängenden Ast und wir müssen beide lachen. So lange, bis wir schon fast vergessen haben, worüber wir gerade eigentlich geredet haben. Zum Glück schneidet Lucca schließlich ein neues Thema an und wir lassen Jeremy und die Liebe endlich hinter uns.
„Du Lucca...", beginne ich schließlich, „Pietro hat da was erzählt... er meinte du und deine Freunde ihr wärt... in einer Gang." Es fällt mir ziemlich schwer, ihn darauf anzusprechen. Vor allem, da ich das Gerede von einer Gang nur für üble Gerüchte halte. Aber nachdem sowohl Pietro als auch Stella damit angefangen haben, ist meine Neugier geweckt.
Lucca seufzt. Er sieht mich nicht direkt an und ich merkte, dass ihm das Thema unangenehm ist. Gleichzeitig wirkt er ein bisschen wütend. „Dieser Belluco...", murmelt er, „das ist ein blödes Gerücht. Aber Pietro Belluco wird nicht müde, das weiter zu erzählen, obwohl er genau weiß, dass das nicht stimmt." Nun, das dachte ich mir bereits. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass Lucca mir nicht alles verrät.
„Könnt ihr euch deshalb nicht leiden?", hake ich weiter nach.
„Unter anderem", gibt Lucca zu, „ich habe früher ziemlich viel Mist gebaut. Es ist nie wirklich jemand dabei zu Schaden gekommen und ich habe damit auch aufgehört, aber Pietro kann mich trotzdem nicht leiden deshalb. Aber na ja, so ist das halt." Das Thema scheint Lucca genauso unangenehm zu sein, wie es mir war, über Jeremy zu sprechen. Deshalb beschließe ich, da nicht weiter nach zu fragen. Wenn er nicht möchte, dann muss er nicht darüber sprechen. Außerdem ist es ja egal, was Pietro von Lucca denkt. Wichtig ist, dass ich mir meine eigene Meinung bilde.
„Es regnet nicht mehr", stelle ich mit einem Blick auf den Himmel fest, „komm, lass uns ein bisschen laufen." Nun bin ich diejenige, die Lucca bei der Hand nimmt und ihn auf die Beine zieht. Zusammen laufen wir ein bisschen durch die Ruinen und schließlich wieder durch die Reihen von Pfirsichbäumen
Erst nachdem die Kirchturmuhr Castiglione della Pescaias schon sechs Uhr geschlagen hat, bringt Lucca mich wieder nach Hause. Am liebsten wäre ich noch länger mit ihm bei den Ruinen geblieben, doch mein hungriger Magen verkündet mir, dass es Zeit ist, etwas zu essen.
Bevor wir uns voneinander verabschieden, verabreden wir uns jedoch für den nächsten Dienstag zum Schwimmen und Joggen. Angeblich kennt Lucca nämlich eine super Laufstrecke, die er mir unbedingt zeigen will und auf der er mit seinem Vater mal für einen Halbmarathon trainiert hat.
„Ich wusste gar nicht, dass du auch Sport machst", stelle ich erstaunt fest. Seine schlaksige Figur und das ständige Rauchen lassen nicht gerade darauf schließen, dass er sich viel bewegt. Ich habe ihn eher in die Spalte von Jungs gesteckt, die zocken und Computer spielen. Genau das ist das Problem mit Schubladen. Nicht alle Menschen passen da rein.
„Doch, ich liebe es, mich zu verausgaben. Nur dann bekommt man den Kopf richtig frei", gesteht er.
„Ja, als würde die Welt hinter einem zurückbleiben und für einen Moment alle Sorgen verschlucken", sage ich begeistert. Dass er so denkt, hätte ich niemals erwartet.
„Und danach sieht alles viel besser aus. Selbst die größten Probleme sind dann ein bisschen kleiner", fügt er hinzu.
„Genau."
Zum Abschied geben wir uns freundschaftlich die Hand, dann knattert Lucca auf seinem Motorrad durch die engen Gassen davon. Lächelnd wende ich mich ab und gehe die letzten Schritte zu unserem Haus.
Vor der Haustür begegne ich Kate. „Hey, wo warst du?", begrüße ich sie.
„Am Strand mit Davide und Vittoria, Pietros Geschwistern", sagt sie lächelnd, „wie war dein Tag mit Lucca?"
„Ganz gut, er hat mir die Ruinen von Pergula gezeigt. Du weißt schon, von den Legenden, von denen ich dir gestern erzählt habe."
Daraufhin nickt Kate nur, erwidert aber nichts mehr. Ist sie immer noch sauer, weil ich ihr die Geschichte, sie könnte das Wasser kontrollieren, nicht glaube? Das passt gar nicht zu ihr. Normalerweise kann sie niemandem lange böse sein. Schon nach ein paar Stunden hat sie die heftigsten Streits wieder vergessen.
Es ist der Moment, in dem Kate den Schlüssel ins Türschloss steckt, als ich merke, dass etwas nicht stimmt.
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