Kapitel 121 - Die Konsequenzen - Teil 2
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Rui Ju Fan gähnte als er mal wieder sehr früh am Morgen die Treppenstufen seiner U-Bahn-Station empor stieg. Das Ethikkomitee raubte ihm momentan die letzten Nerven. Im Gegensatz zu seinem besten Kumpel, der sich nur mit der Entwicklung von Raoie beschäftigte, blieben an ihm und einer ganzen Abteilung weiterer Mitarbeiter nur zu oft die unangenehmen Dinge hängen.
Glücklicherweise hatten sie sich in weiser Voraussicht und mit der großen Vorlaufzeit von zwei Jahren und unter Mithilfe einer extra dafür gegründeten Unterabteilung von Anwälten auf alle rechtlichen Bedingungen und Eventualitäten vorbereitet.
Dennoch war ihr Vorstoß eine vollständig eigene Welt mit ihren eigenen Regeln und vor allem, mit ihren eigenen Gesetzen, zu schaffen, kein leichtes Unterfangen. Raoie war so viel realitätsnäher als alles zuvor Dagewesene, dass die entsprechenden Autoritäten rund um den Globus nicht wirklich wussten, wie sie damit umzugehen hatten.
Mit der Weltwirtschaftskrise der 2030er-Jahren, hatte sich viel verändert. Die Welt, die auseinanderbrach und entgegen der Globalisierung in alte Landesmuster zurück fiel, fing sich wenig später erstaunlicherweise. Nicht etwa durch die damaligen Regierungen und Machtsysteme, sondern durch verschiedene Bewegungen die sich landesübergreifend in den verschiedenen Kontinenten dank der einfachen Bevölkerung formierten.
Diese weltweiten Auswirkungen sorgten für einen Umbruch aller Gesellschaften und auf jedweder Ebene. Regierungen wurden neu erfunden, Machthaber gestürzt und politische Richtungen änderten sich beinahe schlagartig. Manche großen Tech-Konzerne verschwanden in der Versenkung, während das Wachstum anderer Kleinunternehmen plötzlich regelrecht explodierte.
TNL war definitiv eins dieser ursprünglichen kleinen Unternehmen, die von diesem Wandel profitierten. Im Schatten der ehemals großen Firmen war die kleine Ideenschmiede zu dem aktuellen Weltkonzern herangewachsen, der sich nun gegen die Führungsetagen der Welt zu behaupten wusste.
Rui Ju Fan war stolz darauf, zu den ursprünglichen zwölf Freunden und Gründern der Firma zu gehören, die überall auf der Welt verteilt ihrer Arbeit nachgingen.
Im Großen und Ganzen gab es zwar eine Vielzahl von Führungspersonen für den Großraum Asien. Aber die wichtigsten Entscheidungen fällten er und sein bester Freund Bai Hui Ning.
Und so kam es, dass er jeden Morgen und sei es auch noch so früh, mit einer gewissen Befriedigung aus der U-Bahn stieg. Während die meisten Führungskräfte ihrer Firma mit ihren Protzkarren samt Chauffeur vorfuhren, kam er die letzten Meter schlicht und einfach zu Fuß. Es war so ein herrlicher Anblick, wenn all die extralangen Limousinen auf dem Vorplatz ihres Firmengeländes sich beeilten einem einsamen Fußgänger Platz zu machen, nur damit sie nicht einen der ausführenden Firmenchefs verärgerten.
Zugegeben, er könnte durchaus darauf verzichten, seinen Untergebenen in dieser Hinsicht das Leben schwer zu machen, aber erwartete man so etwas nicht von einem exzentrischen Boss?
Und zum Teufel damit, dieses eine Laster wollte er genießen. Es drohten ja niemanden ernste Konsequenzen, wenn ihre Fahrer mal nicht schnell genug einen Fluchtweg fanden.
Obwohl, jetzt wo er so darüber nachdachte... Hatte er nicht einmal einen Wagen besonders intensiv angestarrt, nachdem dieser doch ausgerechnet mitten auf seinem Weg zum Haupteingang einen Motorschaden hatte und ihm den Weg versperrte?
Mit einem Schmunzeln musste er daran denken, wie der arme Abteilungsleiter im Eiltempo sämtliche seiner Angestellten hinter dem Wagen versammelt hatte und sie gemeinsam den Wagen zur Seite schoben. Mit den tiefsten Verbeugungen, die Fan je gesehen hatte, entschuldigte sich der arme Abteilungsleiter ununterbrochen, während Fan schließlich seinen Weg zum Haupteingang der Firma fortsetzen konnte, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Er hatte noch Wochen später Entschuldigungspräsente in Form von seltenen Weinen, Schnäpsen, Uhren und Krawatten erhalten.
Sein Spaß endete erst als sich die hausinterne KI, Aoie, einen Spaß daraus machte, dem Abteilungsleiter neben Haar- und Hautpflegemittel auch Gleitgel und ein Exemplar des Kammasutras als bestes Wiedergutmachungsgeschenk empfahl.
Er wusste noch genau, wie er daraufhin durch das ganze Gebäude rannte und wütend und lauthals mit der KI schimpfte, um möglichen Gerüchten zuvor kommen zu können.
„Ha...", seufzte er immer noch schmunzelnd als er oben, am Ende der Treppe, ankam.
Mit einem fröhlichen Pfeifen auf den Lippen setzte er seinen Weg fort und kam keine fünf Minuten später auf dem Vorplatz des Firmengeländes an.
Wie gewohnt machten ihm direkt die ersten Limousinen Platz, die sich noch in seinem Weg befanden und Fan genoss den Respekt, der ihm bei seinen gemächlichen Schritten entgegen gebracht wurde.
Unmittelbar vorm Haupteingang bemerkte er, wie die Angestellten, die das Gebäude verließen, große Augen bekamen als sie ihn erblickten, sofort den Blick senkten und an ihm vorbei stürmten.
Nachdenklich legte Fan die Stirn in Falten. Es war beinahe so, als ob sie ihn meiden würden...
Verwirrt betrat er das Gebäude und stellte fest, dass sich die Reaktion seiner Angestellten hier fortsetzte. Fan wollte schon die nächste Person fragen, was los sei, als sein Blick an der übergroßen Visualisierungsfläche der Eingangshalle hängen blieb.
Wie von allen Geistern verlassen starrte er volle zehn Sekunden auf die dargestellte Projektion, die ihn in seinen Kindheitstagen von vielleicht gerade mal fünf Jahren zeigte, wie er im Adamskostüm zum Rhythmus von Chick Chick von Wang Rollin seinen nackten Hintern schwang und ab und an selbst seinem kleinen Pieselmann in bester Propellermanier durch die Gegend schleuderte.
Um das Dargestellte noch zu perfektionieren prangte in der Animation die Frage: „Hat unser Boss nicht einen begnadeten Hüftschwung?"
Im nächsten Moment zitterte Fan regelrecht vor unterdrückter Wut, ehe er tief Luft holte, die Arme in die Luft streckte und aus voller Kehle schrie: „Arrrgh!"
Seinen Wutanfall nahmen alle in der Nähe befindlichen Angestellten als Grund das Weite zu suchen und einen Augenblick später war nur noch die arme Rezeptionistin hinter ihrem Schalter zu sehen, die ängstlich über die Schalteroberfläche spähte.
Doch Fan beachtete sie gar nicht und schrie stattdessen in den Raum: „Aoie, bring mir sofort den Verantwortlichen hierher! Auf der Stelle!"
Kaum eine Sekunde später erstrahlte auch schon eine Projektion der KI neben ihm. Es war die Gestalt einer jungen Frau von vielleicht zwanzig Jahren, mit wunderschönen und freundlichen Gesichtszügen, die es einem schwer machten, ihr lange böse zu sein. Ihr regenbogenfarbenes Haar rahmte ihr engelsgleiches Gesicht ein, während die Augen, die ihn ansahen, mit der gleichen Farbe strahlten.
„Hallo Fan!", begrüßte ihn die KI überschwänglich fröhlich. „Was kann ich für dich tun?"
„Du sollst mir das Arschloch bringen, das gewagt hat, diese Schweinerei anzurichten!", schrie er sofort aus Leibeskräften und deutete auf die Projektion über ihnen.
„Aber das kann ich nicht", antwortete Aoie prompt.
„Was? Wieso nicht?", herrschte Fan sie an.
„Na, weil du dafür verantwortlich bist!", grinste Aoie ihn an und meinte danach: „Du hast eine Wette verloren, erinnerst du dich?"
Fan entglitten augenblicklich seine Gesichtszüge, als er die Worte der KI vernahm.
Doch Aoie war noch nicht fertig und fügte grinsend und mit einem Augenzwinkern hinzu: „Sieh es als eine Lektion im Mensch sein an."
Dann löste sich ihre Projektion mit einem glockenhellen Lachen in Luft auf und ließ einen vor Wut zitternden Rui Ju Fan zurück, dem gefährlich die Halsschlagader pochte.
Überraschung! Hehe...
Man sollte sich wohl zweimal überleben, ob man wettet oder nicht XD
Und noch ein kurzer Fun-fact:
Ich habe eigentlich den verrücktesten China-Song für dieses Kapitel gesucht, den ich finden konnte und so schlecht liege ich mit "Chick Chick" von "Wang Rollin" wahrscheinlich gar nicht. Aber die Sängerin hat auch erstaunlich gute Sachen parat. Wie ich bei meiner, diesmal zugegebenermaßen recht beschränkten, Internetrecherche herausgefunden habe, ist (oder war) sie wohl in China ein ziemlich großer Star.
Teil 3/4-5 in diesem Monat
RiBBoN
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