Kapitel 99 - "Angriff!" - Teil 2
An anderer Stelle war auch Kaiwen der plötzliche Aufschrei des Soldaten keineswegs entgangen. Das Sichtfeld ihrer Fähigkeit Allsicht stieg bereits über die Anhöhe zur Rechten des Hangs auf.
Keinen Augenblick später starrte sie wie gebannt auf die Wesen, die sich dort tummelten, während sie sich immer wieder selbst innerlich ermahnen musste, ihr Sichtfeld weiter hochfahren zu lassen, um von oben auf das Geschehen blicken zu können.
„Überprüfen! Überprüfen! Überprüfen!", gab sie Befehl nach Befehl und studierte die Erdelementare, Felsgnome und schließlich auch den Spieler Anael Lerua.
„Er ist schon Level 9...", murmelte sie baff. Wie zum Henker, war er so schnell sechs Level aufgestiegen...?
Durch eine Berufsquest?
Ihr Blick wanderte instinktiv zu den drei Fragezeichen, die noch immer seine Berufsklasse verbargen. Scheinbar kam sie hier vorläufig nicht weiter...
Den Gedanken beiseite schiebend widmete sie ihre Aufmerksamkeit schnell wieder Anael und den anderen Kreaturen, die gerade im Begriff waren sich zurückzuziehen.
Nun ja... zumindest verschwanden sie aus ihrer Sichtweite. Denn als Kaiwen ihnen folgen wollte, brach ihre Fähigkeit schließlich ab und sie hatte Mühe sich aufrecht zu halten.
Mit einem schnellen Check des Charakterprofils bewahrheitete sich ihre Vermutung.
„Mist... immer noch nicht genug Mana...", redete sie frustriert mit sich selbst. Allsicht war eine unglaublich nützliche Fähigkeit, gerade für sie als Reporterin. Aber die Manakosten explodierten förmlich, wenn sie an die maximale Reichweite stieß.
Dank des Tranks war ihre Manaregeneration immer noch verstärkt. Trotzdem würde es noch etwas dauern, bis sie Allsicht wieder für das Kampfgeschehen einsetzen konnte.
Ihren Manamangel verfluchend, blickte sie erneut auf das Kampfgetümmel unmittelbar vor ihr und sah wie die Goblinarmee nur noch gute hundert Meter vor den stark dezimierten Verteidigern entfernt war.
Zelia, Salamander und Trullus hatten trotz der Unterstützung einiger willensstarker Spieler erst zwei der sieben Riesengoblins besiegen können. Wenn sie den anderen fünf Kreaturen nicht rechtzeitig den Gar ausmachten, würde es schwere Folgen für sie haben.
„Sala, wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen alles einsetzen was wir haben!", rief Zelia frustriert.
„Fuck, Zelia, dafür ist es noch zu früh!", schrie Salamander zurück.
„Hast du etwa eine bessere Idee?", erwiderte Zelia unwirsch, während sie zwei Schlägen ihres Riesengoblingegners auswich.
Kaiwen beobachtete, wie Salamander hilflos den Kopf schüttelte, als ein Pfeil sich plötzlich in das linke Auge von Salamanders Riesengoblingegner bohrte und dieser plötzlich schlaff nach hinten sackte.
„Aber ich!", rief nahezu im gleichen Moment eine kräftige Männerstimme und Kaiwen blickte gerade noch rechtzeitig zurück zu Zelia, um zu sehen, wie ein schwer gepanzerter Spieler Zelias Riesengoblingegner mit einem Streitkolbenschlag gegen die Stirn zu Boden fegte.
„Stahlklops!", rief Zelia begeistert aus.
„Und unser liebliches Bogenschützentrio, so wie es aussieht", ergänzte Salamander mit einem Grinsen.
Sicher, dass der Riesengoblin zu Füßen Stahlklops wirklich tot war, schaute Kaiwen nach links und entdeckte drei schöne, junge Bogenschützinnen, von denen eine mit einem Augenzwinkern sagte: „Magnifus war der Meinung, dass ihr ein Bisschen Verstärkung brauchen könnt."
„Verdammt ja, wir brauchen wirklich Hilfe", stieß Salamander aufatmend aus.
„Überlasst uns diese großen Viecher", erklärte Stahlklopf. „Ihr Beide solltet euch lieber schnell darum kümmern, die Ordnung unter diesem zusammengewürfelten Haufen wieder herzustellen."
„Alles klar", rief Zelia laut und wandte sich danach an Salamander. „Du regenerierst dein Mana. Ich kümmere mich um den Rest."
Ausnahmsweise nickte Salamander nur, bevor er sich an Ort und Stelle auf den Boden setzte, mehrere Tränke schluckte und eine Meditationspose einnahm.
Im Anschluss beobachtete Kaiwen, wie Trullus im Alleingang einen der Riesengoblins auseinandernahm, während die Bogenschützinnen mithilfe von Stahlklops und seines Trupps die restlichen vier Exemplare niederstreckten.
Zelia beeilte sich derweil unter allen übrig gebliebenen Spieler irgendwie wieder Ordnung herzustellen. Was wahrlich leichter gesagt war als getan.
Sämtliche Kampfreihen waren vollkommen durcheinander geraten. Magier und Bogenschützen standen mit den Nahkämpfern vermischt, ganz zu schweigen von all den Verletzten.
Über die Hälfte der Spielerinnen und Spieler war verletzt worden.
Die Heiler kümmerten sich längst nur noch um die wichtigsten Spieler. Was im Endeffekt nichts anderes bedeutete, als dass sie die Spieler mit den höchsten Leveln bevorzugten. Hohes Level gleich bessere Attributwerte, höhere Attributwerte gleich bessere Unterstützung im Kampf gegen die Goblins.
Alles andere wurde vernachlässigt.
Selbstverständlich hieß das nicht, dass die Verletzten nicht kämpfen konnten. Aber ihre Angriffe würden weit weniger ausrichten, als im gesunden Zustand.
Und dann gab es da noch die Goblinarmee, die merkwürdigerweise fünfzig Meter vor ihnen zum Stillstand gekommen war.
Kaiwen war wirklich schleierhaft, was dieser gegnerische Spieler beabsichtigte. Wartete er etwa extra darauf, dass sie sich erholten?
So dumm konnte er doch nicht sein...
„Endlich!", stieß sie aus, als sie in dem Moment bemerkte, das sich ihr Mana für eine erneute Aktivierung von Allsicht weit genug erholt hatte. „Allsicht!"
Hektisch trieb sie ihr Sichtfeld der gegnerischen Armee entgegen und beobachtete mit Grauen, wie hinter den ersten beiden Reihen versteckt, überall Goblins kleine Fläschchen an ihre Lippen setzten.
„Das ist doch unmöglich...", murmelte Kaiwen, der auf einmal ganz mulmig wurde.
Dann brach überall in den Reihen der Goblins grausiges Gebrüll hervor.
„Boss, ich sehe da oben nichts!", hörte Magnifus Donnars Worte und nickte nur, denn im Augenblick beschäftigte ihn vielmehr, dass die Goblinarmee stehen geblieben war.
„Was habt dieser Mistkerl vor...?", murmelte er und rief anschließend an Donnar gewandt. „Donnar, siehst du wieso sie stehen geblieben sind?"
„Moment!", antwortete dieser konzentriert, nur um kurz darauf kreidebleich zu werden. „Die... in der dritten Reihe schlucken alle irgendeinen Trank!"
„Scheiße!", fluchte Magnifus, dem sofort klar war, dass die Goblins irgendetwas zur Stärkung ihrer Kräfte einnahmen. „Feuert sofort alles was ihr habt auf die Goblins! Magier und Bogenschützen mit Schild brechenden Fähigkeiten, brecht die Schilde von diesen Goblinschamanen, damit der Rest so viel Schaden anrichten kann wie möglich, bevor sie uns den Arsch aufreißen! Los!"
Doch da brach schon lautes Gebrüll in den Reihen der Goblins aus und im nächsten Moment sah Magnifus, wie unzählige Goblins zu erstaunlicher Größe heranwuchsen. Knapp einhundert fünf Meter hohe Kolosse mit massiv, bulligen Körper machte er aus, während diese Riesen ihre Angriffslust hinaus brüllten.
Die ersten Zauber und schildbrechenden Pfeile prallten unterdessen auf die Gegner und nahmen teilweise die Sicht, doch Magnifus wusste, dass dies nur ein paar Tropfen auf dem heißen Stein waren.
„Nahkämpfer bereitet eure stärksten und durchschlagkräftigsten Fähigkeiten vor! Zielt auf diese Monstrositäten!", rief er lautstark, als sich die Goblinarmee wieder in Bewegung setzte. Diesmal schienen die Goblins jedoch nichts zurück zu halten, da sie in einen wahnsinnigen Sprint verfielen.
„Magnifus, unzählige Schamanen bereiten irgendwelche Zauber vor!", rief Donnar.
„Die hinteren Reihen sofort ausschwärmen. Unsere Schilde sind nutzlos gegen ihre Zauber. Augen offen halten und feuert dabei was ihr habt! Ich will, dass all eure Flächenfähigkeiten treffen! Sie wollen uns vielleicht dezimieren, aber das können wir auch!", schrie sich Magnifus die Seele aus dem Leib und ließ dabei die heranstürmenden Goblins nicht aus den Augen.
Die Riesengoblins überholten ihre Artgenossen und präsentierten dabei mit geifernden und nach Blut lechzenden Blicken ihre schweren Äxte
Kurz bevor die Goblins bei ihnen ankamen, rissen mehrere Feuerbälle Löcher in die Verteidigungsreihen seiner Nahkämpfer, doch Magnifus blieb nicht einmal Zeit weitere Kommandos zu geben, da die Goblinarmee in genau diesem Moment mit ihrer ganzen Macht auf die Verteidigungsreihen prallte.
Im nächsten Augenblick explodierten nahezu überall die stärksten Fähigkeiten seiner Nahkämpfer, die ihre Berufsklassen bis zum Limit ausnutzen und sich der Goblins erwehrten als gebe es kein Morgen.
Magische Speerstöße, gefolgt von wirbelnden Berserkeräxten, majestätischen Schildprojektionen und Kingenwirbelstürmen...
Die Fähigkeiten nahmen kein Ende, als sie innerhalb der ersten zwei Sekunden ganze dreißig Riesengoblins zu Fall brachten und eine massive, wenn auch unbestimmte Anzahl einfacher Goblinnahkämpfer.
Grimmig drein blickend, versuchte Magnifus ruhig zu bleiben, während vor ihm die nächsten Feuerbälle und Pfeile in den Himmel aufstiegen.
Er musste abwarten.
Seine Fähigkeiten waren für den Notfall gedacht.
Sofern möglich, wollte er seine Fähigkeiten erst nach ihrem Gegenspieler offenbaren...
Frustriert biss er die Zähne zusammen, während die Schlacht für beide Seiten zu einem Gemetzel ausartete.
„Verdammt...", gab Bahe von sich. Die Situation der Verteidiger hatte sich in seiner kurzen Vorbereitungszeit enorm verschlechtert.
„Was wohl Limona dazu sagen würde, dass ich mich jetzt mit solch einer Übermacht anlege?", fragte Bahe niemand bestimmten, als er an seine junge Elementarin zurückdachte, die bei Balu geblieben war, um seine Heilung zu überwachen.
„Es ging ihr... schon sehr... nahe, dass du... dein Möglichstes... getan hast, um Felsur Energie... zu schicken. Dadurch konnte... Felsur mit dem letzten Rest... der Erdelementarenergie... Balu wesentlich besser heilen als zuvor", sagte Brocken. „Sie wird stolz... auf dich... sein."
„Stolz?", zog Bahe die Brauen hoch.
„Na ja... sie wird... es niemals... zugeben", grinste Brocken und brachte damit auch Bahe zum Lächeln.
„Nun, wir können nicht länger warten", sagte Bahe und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: „Was ich nicht alles tue, damit ihr eure Kräfte zurückerlangt."
„He", gab Brocken belustigt von sich. „Ja, ich bin auch dankbar."
„Das hoffe ich doch", meinte Bahe, wurde dann jedoch wieder ernst.
Mit ein paar schnellen Handgriffen band er sich ein Tuch über Mund und Nase und zog anschließend wieder die Kapuze auf. Als ihm vorhin die Kapuze über den Kopf geweht wurde, war ihm klar geworden, dass Anonymität in Anbetracht seiner Lage wahrscheinlich gar nicht so fehl am Platz war. Ganz egal wie diese Schlacht ausgehen würde. Seine nächste Aktion würde definitiv Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Tief einatmend machte er sich Mut, trat an die Felsen am Rand des Hangs und hob sein Schwert. Dann streckte er es nach vorne und gab den Befehl: „Angriff!"
Ich wünsche euch allen ein frohes neues Jahr!
Ich bin zwar recht spät dran, aber dafür bekommt ihr hier mal wieder einen besonders langen Teil! Fast doppelt so lang wie üblich ;-)
Der finale Kampf steht an! Was glaubt ihr? Was für eine Berufsklasse besitzt Magnifus?
Teil 1/1!
Bis Donnerstag!
RiBBoN
PS: Jetzt darf ich erst mal eine ganze Menge Kommentare beantworten... Manno man habt ihr viel geschrieben. Sorry für die späten Antworten ;-)
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