Die Situation war gerade dabei völlig außer Kontrolle zu geraten, als Kaiwen ein weiteres Mal auf Trullus aufmerksam wurde, der sich inzwischen aus dem Schutthaufen gewühlt hatte. In Windeseile preschte er plötzlich auf einen Riesengoblins zu.

Wollte Kaiwen anfangs noch spöttisch die Miene verziehen, staunte sie bei der Anzahl an Fähigkeiten, die Trullus aktivierte, nicht schlecht.

Sie war ein Orakel. Wenn sie etwas konnte, dann war es Fähigkeiten anderer Spieler zu erkennen und diese richtig einzuschätzen. Und was sie an Trullus erkannte, ließ ihr die Kinnlade hinab fallen. Der Kerl schien so ziemlich jede Fähigkeit seiner Paladinklasse zu besitzen. Rüstungsverbesserungen überlagerten sich mit heiligen Schilden bis hin zu kurzfristigen Verbesserungen der Kraft- und Schnelligkeitswerte.

Verdammt, sie glaubte sogar einen Buff für seine Schwertangriffe erkannt zu haben!

Wie reich war Trullus bitte schön?!

Diese ganzen Fähigkeiten kosteten ein Vermögen!

Im nächsten Augenblick passierte das Unglaubliche. Unter einem lauten Aufprall fing Trullus die Faust von einem der Riesengoblins mit einem Schwertschlag ab und rutschte lediglich ein paar Zentimeter zurück!

Verblüfft kamen die Riesengoblins zum Halten und das ganze Schlachtfeld beruhigte für einen Moment des ehrfürchtigen Erstaunens.

Selbst Kaiwen beobachtete Trullus vollkommen verdattert, als dieser, scheinbar von sich selbst überrascht, verwirrt drein blickte. Im nächsten Moment gab Trullus sofort wieder sein Markenzeichen von sich und lachte schallend los.

„Ich habe es euch doch gesagt Auf die Größe kommt es nicht an!", rief er immer noch lachend, ehe er zu einem Schrei ansetzte. „Huaaaa..."

Mit seinem wilden Geschrei stieß er den Riesengoblin gerade weit genug von sich weg, um kurz darauf mit einem Schwertschlag nachzusetzen.

Der Riesengoblin kam eine Sekunde zu spät wieder zu sich und konnte nicht mehr vollständig ausweichen. Trullus Schwert schlitzte ihm den Oberarm bis auf den Knochen auf.

Während Kaiwen immer noch überrascht Trullus beobachtete, hörte sie plötzlich wie Zelia wieder Befehle schrie: „Wie ihr seht, kann man auch diese Ungeheuer in den Griff kriegen! Bogenschützen, zurück mit euch und nehmt die Schwachstellen dieser Riesengoblins ins Visier! Es wird Zeit für eure besonderen Fähigkeiten! Nahkämpfer, sucht nicht die offene Konfrontation, außer ihr könnt es diesem Idioten nachmachen. Rennt durcheinander, verwirrt sie mit eurer Anzahl und weicht ihren Angriffen aus. Magier, die feindlichen Bogenschützen haben ihre Attacken abgebrochen und sich wieder der Hauptarmee der Goblins angeschlossen. Wir haben nicht mehr viel Zeit, also spart nicht mit eurem Mana und lasst jeden eurer destruktiven Zaubersprüche auf diese Biester regnen! Wir müssen sie vernichten, ehe der Rest der Goblinhorde hier ist. Greift nur die Riesengoblins zu Trullus Rechten an, um die anderen Beiden Viecher kümmern Salamander und ich uns!"

Innerlich musste Kaiwen Zelia loben. Trotz des Chaos und der verblüffenden Wendungen den Überblick zu behalten, war eine Fähigkeit, die nicht jeder besaß.

„Sala, wie sieht es mit dir aus? Hast du noch genug Mana, um es mit einem von diesen Riesen aufzunehmen?", fragte Zelia danach ihren Gildenkameraden.

„Ich kriege das hin", antwortete Salamander grimmig.

„Gut", nickte Zelia und sagte noch schnell: „Ich nehme den ganz links, das Exemplar links neben Trullus Gegner gehört dir."

Dann konnte Kaiwen beobachten wie Zelia an Ort und Stelle verschwand und nicht weniger schnell, wie zuvor Trullus, ebenfalls bei ihrem Gegner auftauchte. Blitzschnell sprang sie immer wieder hervor, verpasste dem Riesengoblin eine Attacke mit ihren Dolchen und verschwand wieder, ehe dieser überhaupt reagieren konnte. Obwohl der Riese keinesfalls schwerfällig war, führte Zelia ihn an der Nase herum. Doch trotz allem war hier vorerst kein Ende des Kampfes in Sicht.

Begeistert wandte Kaiwen ihre Aufmerksamkeit kurz Salamander zu und sah, wie dieser einen magischen Schild vor sich aufrecht erhielt, der die immer wieder kehrenden Schläge seines Riesengoblingegners abfing. Gleichzeitig beschwor er ununterbrochen Feuerbälle, die in einem Bogen, um seinen Schild herum, auf den Riesengoblin niederprasselten und ihn laut aufbrüllen ließen. Durch die Schmerzen schien der Riesengoblin in eine Art Raserei zu verfallen und prügelte nur noch schneller auf den Schild ein. Allem Anschein nach würde hier die Partei mit dem größeren Durchhaltevermögen gewinnen.

Danach fiel Kaiwens Blick erneut auf Trullus, welcher sich einen wilden Schlagabtausch mit dem Riesengoblin lieferte und ihn nach und nach immer weiter in Bedrängnis brachte. Der Riesengoblin nutzte seinen Größenvorteil und sein Gewicht, um Trullus einerseits auf Abstand zu halten und ihm auf der anderen Seite einen heftigen Schlag nach dem nächsten zu verpassen.

Doch der verletzte Arm brachte den Riesen immer mehr in Bredouille. Trullus ließ seine Schwerthiebe in immer schnellerer Abfolge auf seinen Gegner niederfahren, so dass der Riesengoblin mit seinem einzelnen gesunden Arm nicht mehr hinterher kam und immer mehr Schnittwunden kassierte.

Anfangs war Kaiwen noch unsicher, ob sie sich überhaupt auf den Kampf auswirken würden, doch in kürzester Zeit wurde der Riesengoblin immer langsamer und begann schließlich sogar zu humpeln, als Trullus ihn in der Kniekehle erwischte.

Ab diesem Moment war auch Kaiwen klar, dass der Kampf entschieden war. Neugierig wie der Rest der Spieler ohne Zelias Anweisungen klar kam, wandte sie den Blick ganz nach rechts und runzelte bei dem Anblick angespannt die Stirn.

Die Spieler kamen nur bedingt mit den anderen vier Riesengoblins zurecht. Ein nicht unerheblicher Teil der Spielerinnen und Spielern hatte das Weite gesucht und Kaiwen erkannte, dass Zelia vorhin tatsächlich nicht gelogen hatte, als sie von versteckten Goblinassassinen außerhalb des Dorfes sprach. Die flüchtenden Spieler wurden so schnell niedergemäht, dass Kaiwen nur noch die Tode der letzten Opfer mit ansehen konnte.

Im Kampf selbst wussten nur die wenigsten Nahkämpfer richtig mit der Situation umzugehen. Immer mehr fielen, während die übrig gebliebenen Magier und Bogenschützen ihre stärksten Fähigkeiten einsetzen, um auch nur ein Bisschen Schaden an der starken Haut der Riesengoblins anzurichten.

Irgendwann würden sie diese Riesen bezwingen können, aber allem Anschein nach nicht bevor die Hauptstreitmacht der gegnerischen Armee sie erreichte, fürchtete Kaiwen.

Wie er befürchtet hatte, bot sich ihm ein schrecklicher Anblick. Sieben riesengroße Goblins hatten genügt, um die komplette Formation auf der rechten Seite ihrer Verteidigungsstellung zu durchbrechen. Zelia und Salamander taten ihr bestes, indem sie jeweils einen dieser Riesengoblins beschäftigten und selbst Trullus schien bemüht. Doch bei den Verlusten, die Magnifus drüben erspähte, würde ihre Verteidigungslinie beim Zusammenstoß mit der nächsten Angriffswelle vollkommen zusammenbrechen.

„Verdammt...", murmelte Magnifus grimmig. Er hatte gewusst, dass dies früher oder später passieren würde. Es war einfach noch viel zu früh...

„Stahlklops, schnapp dir deine Truppe an Nahkämpfern und hilf Zelia und Salamander die andere Seite zu halten", rief Magnifus lauthals und wandte sich noch an ein Trio von Bogenschützen: „Spatz, Rotkehlchen, Elster, ihr helft auch!"

„Was zum Henker, Mag?! Du kannst diesem Idioten Trullus doch nicht einfach unsere besten Bogenschützen zur Verstärkung schicken! Was ist mit uns?", beschwerte sich eine Nahkämpfer zu Magnifus Linken.

„Halt die Schnauze, Vollei", herrschte den Nahkämpfer im nächsten Moment bereits sein Truppführer an. „Denk doch mal nach, ohne die rechte Seite sind wir genauso verloren! Hab ein Bisschen mehr Vertrauen in Magnifus."

Magnifus musste kurz über die Auseinandersetzung schmunzeln. Der Schwertkämpfer namens Vollei, schwärmte für Rotkehlchen. Da war es kein Wunder, wenn er sich aufregte. Wenn auch vordergründig aus einem vollkommen anderen Grund.

Danach kam die Anspannung jedoch sofort wieder auf und er ließ lieber schnell den Blick über das Schlachtfeld schweifen, um die kostbare Zeit zu nutzen. Die NPC-Soldaten in der Mitte des Schlachtfeldes wiesen bisher noch kaum Verluste auf. Ihre Gegner lagen allesamt tot am Boden und so wie es aussah, war es ihnen sogar besser ergangen als Magnifus eigenen Truppen. Anerkennend nickte er den Kopf. Noch war nicht alles verloren. Aber ihr Erfolg hing zwangsläufig davon ab, dass sie die rechte Seite stabilisierten.

„Hey Boss!", hörte Magnifus plötzlich einen der Soldaten schreien und wollte es schon nicht weiter beachten, als er den zweiten Teil vernahm: „Ist das da Anael?!"

Moment... Anael?

Hecktisch riss er den Kopf herum und blickte in die Richtung in die der Soldat zeigte.

Buff = In verwendeter Begriff, der eine vorübergehende Erhöhung der Eigenschaftswerte eines Charakters beschreibt. Ein typischer Buff verstärkt durch das Verbrauchen eines Gegenstandes oder Wirken eines Zaubers zum Beispiel den Rüstungsschutz eines Spielers. Aktionen, welche die Eigenschaften einer Spielfigur senken, nennt man Debuff.

Sorry bin spät dran...

Teil 2/?

Bis Morgen

RiBBoN